Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2003, Az. 4 StR 526/02

4. Strafsenat | REWIS RS 2003, 4931

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[X.] StR 526/02vom14. Januar 2003in der Strafsachegegenwegen gefährlicher Körperverletzung u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. Januar 2003 ge-mäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] Halle/Saale vom 26. Juni 2002 mit [X.], ausgenommen denjenigen zum äußerenTatgeschehen, aufgehoben.2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere [X.] [X.] zurückverwiesen.3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags [X.] mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von dreiJahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision,mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen [X.]. Das Rechtsmittel führt aufgrund der Sachrüge zur Aufhebung des [X.] Zurückverweisung der Sache. Auf die - zudem verspätet eingelegte unddeshalb unzulässige - Verfahrensbeschwerde kommt es danach nicht mehr [X.] Die [X.] hat folgende Feststellungen [X.] -Der Angeklagte war ebenso wie [X.]und der später geschä-digte [X.]Schüler der Sekundarschule in [X.]. Am [X.] kam es zunächst im Schulgebäude zu einer tätlichen Auseinan-dersetzung zwischen dem Angeklagten und E. . Auslöser des Streits war,daß [X.]sich an der lauten "Hip Hop-Musik", die die Schülergruppe um [X.] anhörte, störte und statt dessen eine Kassette mit "rechter" Musikabspielen wollte, womit der Angeklagte nicht einverstanden war. Nachdem sichdie Streitenden zunächst getrennt und sich zur "Klärung" der Angelegenheit fürden nächsten Tag verabredet hatten, setzten sie ihre Auseinandersetzung [X.] des [X.]alsbald auf dem Schulgelände fort, bis sich [X.]einmischte und den Angeklagten von [X.]wegzog. Sie waren bereitsauseinander gegangen, als [X.]wegen einer Bemerkung des [X.] und zusammen mit seinen Freunden auf den Angeklagten zulief.Dieser bekam daraufhin Angst und wandte sich seinerseits "hilfesuchend" anseine "Kumpel", von denen einer ihm ein Klappmesser mit ca. 6 cm langer undextrem spitz zulaufender Klinge "zuspielte" ([X.], 10). Der Angeklagte blieb,mit dem Messer in der Hosentasche, stehen, bis [X.]ihn erreicht hatte, "weiler vor seinen Klassen- und Schulkameraden nicht als Feigling gelten wollte"([X.]). Um die Situation jedoch zu entschärfen, schlug er [X.]vor, den Streit,wie mit [X.]verabredet, am nächsten Tag auszutragen, und reichte dabei[X.]die Hand, die dieser aber mit den Worten: "[X.] fasseich nicht an" zurückwies. Darauf geriet der Angeklagte in große Wut, holte [X.] aus seiner Hosentasche und stieß [X.]mit beiden Händen, das Mes-ser mit der Spitze nach vorn in einer Hand, vor die Brust. Beide schlugen [X.] gegenseitig aufeinander ein, wobei der Angeklagte das Messer weiter inder Hand hielt und [X.]mehrere Stiche und Schnittwunden zufügte. [X.], der von beiden größere und kräftigere Gegner, den [X.] -schließlich umklammerte, "rammte" ihm der Angeklagte, der sich aus der [X.] wollte, "das Messer mit voller Wucht in den Rücken undin die linke Seite". Schließlich ließen beide voneinander ab, ohne daß einer derumstehenden mindestens 15 bis 20 Mitschüler, die die Kämpfenden lautstarkangefeuert hatten, eingegriffen hatte. [X.]bemerkte, daß er verletzt war, erst,als er sich bereits umgedreht hatte, um zur Turnhalle zurückzugehen. Im [X.] wurden bei ihm mindestens neun insolierte Schnitt- und Stichverlet-zungen festgestellt, von denen eine sechs Zentimeter tiefe Stichverletzung inHöhe der elften Rippe einen lebensbedrohenden Zugang zur linken [X.] und zu einem Pneumothorax geführt hatte. Die Verletzungen sind [X.] Das Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil die An-nahme des [X.]s, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem [X.] gehandelt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.Das [X.] meint, "ein solch heftiger Stich in die obere seitlicheKörperregion eines anderen Menschen (lasse) bei verständiger [X.] jeden Normaldenkenden ohne weiteres den Schluß zu, daß dadurch töd-liche Verletzungen verursacht werden können". Und weiter: "Wer wie der [X.] dennoch in derart gefährlicher Weise einen Stich gegen einen ande-ren Menschen führt, nimmt das Risiko des [X.] zumindest billigend inKauf" ([X.] 12).Diese Begründung genügt für die Annahme eines Tötungsvorsatzesnicht. Ein Rechtssatz des Inhalts, daß, wer wie der Angeklagte vorgeht, des-halb zugleich grundsätzlich auch mit tödlichen Folgen für das Opfer rechnet- 5 -und diese um den Preis der Fortsetzung seines gefährlichen Tuns innerlichbilligt, besteht nicht. Vorsätzlich hätte der Angeklagte nur gehandelt, wenn erden bei objektiver Betrachtung sich aufdrängenden Schluß auch tatsächlichgezogen hätte. Demgegenüber hat das [X.] ausdrücklich festgestellt,daß der Angeklagte in der [X.] darüber, den Geschädigten eventuellsogar tödlich verletzen zu können, "nicht näher nach(dachte)" ([X.] 7). Dieserauf die Einlassung des Angeklagten gestützten Feststellung, die schon [X.] des Tötungsvorsatzes in Frage stellt, hat das [X.] mitder Erwägung keine Bedeutung beigemessen, "das Unterlassen von sich [X.] Überlegungen hinsichtlich der für das Opfer bestehenden Todes-gefahr (sei) ausreichend, um einen bedingten Tötungsvorsatz des [X.]" ([X.] 13). Damit hat das [X.] allein aus der objektiven Ge-fährlichkeit der Handlung sowohl das Wissens-, als auch das Wollenselementdes Tötungsvorsatzes zu Lasten des Angeklagten unterstellt. [X.] sich das [X.] damit auseinandersetzen müssen, daß der Ange-klagte nach dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatri-schen Sachverständigen die [X.] als extrem bedrohend und beängsti-gend empfunden habe, wodurch es zu einer "Einengung seiner Bewußtseins-wahrnehmung" gekommen sei, bei der der Angeklagte "röhrenförmig" nur nochsein Gegenüber und dessen Reaktion wahrgenommen habe ([X.] 10). [X.] das [X.] entgegen der Auffassung des Sachverständigen eineaffektbedingte erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagtengemeint hat ausschließen zu können, durfte es die zum [X.] Angeklagten getroffenen Feststellungen bei der Prüfung des [X.] nicht unberücksichtigt lassen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,bedingter 6). Im übrigen hat das [X.] selbst festgestellt, dem Ange-klagten sei erst später, nachdem er von den Verletzungen des [X.]erfahren- 6 -habe, "bewußt (geworden), was er getan hatte" ([X.] 8). Schließlich legt auchdie Motivation des Angeklagten einen einsichtigen Beweggrund für eine - auchnur bedingt - vorsätzliche Tötung des Geschädigten nicht nahe. Das [X.] hätte insoweit bedenken müssen, daß der Angeklagte die Situation [X.] zu entschärfen versucht hatte und erst auf die provozierende und belei-digende Bemerkung des [X.]zum Messer griff. Zudem handelte es sich [X.] unter Schülern in Anwesenheit einer größeren [X.], denen gegenüber der körperlich unterlegene Angeklagtenicht als Feigling dastehen wollte (vgl. BGHR aaO Vorsatz, bedingter 8).3. Im übrigen hat es das [X.] von seiner Annahme eines be-dingten Tötungsvorsatzes aus gesehen auch rechtsfehlerhaft unterlassen, dieFrage eines freiwilligen Rücktritts vom [X.] zu erörtern, obwohl derSachverhalt eine Auseinandersetzung hiermit erforderte. Dabei hätte das[X.] sich mit den Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluß derletzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung befassen müs-sen (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 31, 170; 39, 221, 227). Daß der Ange-klagte nach der Zufügung des letzten Messerstichs mit der Möglichkeit [X.] hat, die dem Tatopfer beigebrachten Verletzungen könnten zu dessen Todführen, läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, da sie sich nicht dazuverhalten, welche - von dem Angeklagten wahrgenommenen - Wirkungen [X.] bei dem Geschädigten hinterlassen hatten. Rechnet der [X.] nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs und ist die Vollen-dung aus seiner Sicht noch möglich, so liegt ein unbeendeter Versuch vor, beidem das bloße (freiwillige) Aufgeben der weiteren Tatausführung zur [X.] nach § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB führt. Angesichts dessen, daß [X.] selbst zunächst seine Verletzungen nicht bemerkt hatte und auch- 7 -dem Angeklagten erst später, nachdem er von den Verletzungen des Geschä-digten erfahren hatte, bewußt wurde, was er getan hatte, drängte sich hier dieAnnahme eines unbeendeten Versuchs auf.4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Ent-scheidung. Von den aufgezeigten [X.] unberührt sind die vom [X.] getragenen Feststellungen zum äußeren Sachver-halt, die deshalb bestehen bleiben können.Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daßauch die Erwägungen zur Bemessung der Jugendstrafe im angefochtenen Ur-teil in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken begegnen. Dies betrifft [X.] die Begründung für die Annahme schädlicher Neigungen bei dem [X.]n. So ist durch nichts belegt, daß bei dem Angeklagten "die grundsätz-liche Bereitschaft" bestehen soll, "sich unter Verwendung einer Waffe überhochrangige Rechtsgüter zur Verfolgung und Durchsetzung seiner persönli-chen Interessen hinwegzusetzen" ([X.] 14). Ein vergleichbares oder auch sonstnur aggressives früheres Verhalten des Angeklagten kann dem Urteil nichtentnommen werden. Soweit das [X.] dem Angeklagten anlastet, er ha-be die "von ihm erkannte Möglichkeit des kampflosen Rückzuges" nicht genutzt([X.] 14), hat die [X.] gegen den Angeklagten gewertet, daß er [X.] überhaupt begangen hat, ohne dabei zu berücksichtigen, daß er sich zuvorum eine Entschärfung der Situation bemüht hatte und ihm das Tatmesser durcheinen Mitschüler "zugespielt" worden war. Die durch Besonderheiten gekenn-zeichnete [X.] macht jedenfalls nicht ohne weiteres plausibel, daß das- 8 -Verhalten des Angeklagten auf "gravierende Erziehungsdefizite" zurückzufüh-ren ist. Schließlich hat das [X.] den erheblichen Erziehungsbedarf [X.] begründet, bislang sei "keine ernsthafte Aufarbeitung der Tat zur Vermei-dung von möglichen Wiederholungstaten erfolgt" ([X.] 16), ohne deutlich zumachen, wie der Angeklagte dies hätte tun sollen.[X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 526/02

14.01.2003

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2003, Az. 4 StR 526/02 (REWIS RS 2003, 4931)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4931

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