Bundessozialgericht, Urteil vom 13.12.2022, Az. B 12 KR 13/20 R

12. Senat | REWIS RS 2022, 8800

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Eintritt der obligatorischen Anschlussversicherung - verspäteter Hinweis der Krankenkasse über Austrittsmöglichkeit - Rückwirkung eines wirksamen Austritts


Leitsatz

Die obligatorische Anschlussversicherung setzt sich - auflösend bedingt durch einen wirksamen Austritt - bereits mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung fort.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. September 2020 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig zwischen den Beteiligten sind das Zustandekommen der sog obligatorischen [X.] ab dem 2.3.2017 und die hierfür im [X.] erhobenen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) und [X.] Pflegeversicherung ([X.]).

2

Der Kläger war bei der Beklagten und der Beigeladenen bis zum 29.11.2016 als Bezieher von Arbeitslosengeld [X.]) versicherungspflichtiges Mitglied. Aufgrund einer noch während des Leistungsbezugs eingetretenen Arbeitsunfähigkeit erhielt er seit dem 30.11.2016 Krankengeld. Da die Arbeitsunfähigkeit lückenlos nur bis zum 1.3.2017 bescheinigt wurde, stellte die Beklagte bestandskräftig das Ende des [X.] und der damit verbundenen Mitgliedschaft des [X.] mit Ablauf des 1.3.2017 fest (Bescheid vom 6.3.2017; Widerspruchsbescheid vom 4.5.2017).

3

Mit Schreiben vom [X.] teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Abmeldung zum 1.3.2017 vorliege. Sie forderte ihn mit einem Fragebogen zur Mitwirkung bei der Prüfung des weiteren Versicherungsstatus innerhalb von 14 Tagen auf. Zugleich erteilte sie den Hinweis, dass der Kläger bei ihr im Rahmen einer [X.] versichert bleibe, wenn er in den kommenden 14 Tagen nicht bei ihr angemeldet werde und keine andere Krankenkasse über seine Mitgliedschaft informiere. Mit Schreiben vom 6.7.2017 forderte sie Einkommensnachweise zur Durchführung der mangels anderweitiger Absicherung im Krankheitsfall eingetretenen [X.]. Der Kläger erklärte am 25.7.2017 gegenüber der Beklagten, er "verzichte (…) auf weiteres darauf", bei ihr versichert zu sein. Die Beklagte stellte daraufhin fest, dass sich die Versicherung des [X.] als freiwillige Mitgliedschaft beginnend am 2.3.2017 fortsetze. Mangels aktueller Informationen über seine Einkünfte seien auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze ab 2.3.2017 monatliche Beiträge zur [X.] und [X.] in Höhe von insgesamt 754,73 Euro festzusetzen. Für die [X.] bis zum 31.7.2017 errechne sich ein Betrag von 3773,65 Euro (Bescheid vom 15.8.2017; Widerspruchsbescheid vom 13.12.2017).

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.6.2018). Das L[X.] hat den Gerichtsbescheid und die Verwaltungsentscheidungen aufgehoben. Die Voraussetzungen für die obligatorische [X.] seien frühestens ab [X.] erfüllt. § 188 Abs 4 Satz 1 [X.]B V verlange einen vorherigen rechtlichen Hinweis der Krankenkasse auf die Austrittsmöglichkeiten und eine sich anschließende Frist von zwei Wochen. Einen solchen Hinweis habe die Beklagte dem Kläger frühestens mit Schreiben vom [X.] erteilt. Die obligatorische [X.] trete erst ex nunc nach Ablauf der fruchtlos verstrichenen Zweiwochenfrist ein. Ansonsten könnte sich die zuständige gesetzliche Krankenkasse für den Hinweis beliebig [X.] lassen und die angestrebte zeitnahe Klärung des nahtlosen Versichertenstatus wäre nicht sichergestellt. Die Rückwirkung der obligatorischen [X.] könne nicht damit begründet werden, dass ansonsten die identischen beitragsrechtlichen Folgen aufgrund der Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 [X.]B V eintreten würden. Denn die Schutzvorschrift des § 256a [X.]B V gelte nur für [X.], nicht aber für obligatorisch [X.]. Außerdem werde die Auffangpflichtversicherung ggf durch die Familienversicherung gemäß § 10 [X.]B V verdrängt. In welchem Versichertenstatus der Kläger vom 2.3. bis frühestens zum [X.] gestanden habe, werde die Beklagte ebenso zu klären haben wie die zugehörige Beitragsbemessung (Urteil vom 16.9.2020).

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 188 Abs 4 [X.]B V. Nach dem Wortlaut der Vorschrift schließe sich die [X.] nahtlos an das beendete [X.] an. Sinn und Zweck der Regelung sei es, einen lückenlosen Versicherungsschutz zu gewährleisten. Das angefochtene Urteil stehe auch mit der Gesetzessystematik nicht in Einklang. Die gegenüber der Auffangpflichtversicherung vorrangige [X.] könne durch fristgemäßen Austritt und Nachweis einer anderweitigen Absicherung rückwirkend beseitigt werden.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 16. September 2020 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 13. Juni 2018 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

8

Er hält das angefochtene Urteil des L[X.] für zutreffend. Die Beklagte hätte ihn ordnungsgemäß und rechtzeitig über seine Rechte und Pflichten aufklären müssen.

9

Die beigeladene Pflegekasse hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 170 [X.] 2 Satz 2 [X.]) begründet. Dieses ist zu Unrecht von einem Beginn der obligatorischen [X.]versicherung frühestens mit Ablauf der [X.] nach Hinweis der Krankenkasse ausgegangen (dazu A.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob und für welchen [X.]raum die [X.]versicherung eingetreten ist und ob die erhobenen Beiträge rechtmäßig festgesetzt worden sind (dazu B.).

A. Nach § 188 [X.] 4 [X.] (idF des [X.] bei [X.]en in der Krankenversicherung vom [X.]) setzt sich für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt (Satz 1). Der Austritt wird nur wirksam, wenn das Mitglied das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf [X.]icherung im Krankheitsfall nachweist (Satz 2). Liegen die Voraussetzungen für diese obligatorische [X.]versicherung vor, beginnt die damit verbundene freiwillige Mitgliedschaft im unmittelbaren [X.] an den Wegfall der Versicherungspflicht oder der Familienversicherung ([X.], [X.] 24/2020 [X.] 2; [X.] in [X.], [X.], 4. Aufl 2020, § 188 Rd[X.]1.3, Stand der Einzelkommentierung: November 2022). Dies ergibt sich aus Wortlaut und Systematik der Vorschrift (dazu 1.) sowie Sinn und Zweck der [X.]versicherung unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte (dazu 2.). Gegen diese Auslegung sprechen auch keine schutzwürdigen Belange des Mitglieds (dazu 3.).

1. Bereits der unmissverständliche Wortlaut des § 188 [X.] 4 Satz 1 [X.] ("setzt sich (…) fort") als auch seine Struktur im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses ("es sei denn") lassen unzweifelhaft erkennen, dass sich die freiwillige Versicherung lückenlos "mit dem Tag" nach der beendeten Pflicht- oder Familienversicherung anschließt. Der Ablauf der [X.] stellt danach keine aufschiebende Bedingung für das Zustandekommen der Versicherung dar. Der wirksame "Austritt" des "Mitglieds" knüpft vielmehr an eine bereits eingetretene freiwillige Mitgliedschaft an und wirkt im Sinne einer auflösenden Bedingung auf den Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder Familienversicherung zurück (vgl [X.] in [X.] Komm, Stand März 2022, § 188 [X.], Rd[X.]6: Beendigung evtl sogar erst mit Austritt). Der mit der [X.] verbundene vorübergehende Schwebezustand ist hinnehmbar, weil im Ergebnis feststeht, dass nach dem Ende der Versicherungspflicht oder der Familienversicherung entweder eine freiwillige Mitgliedschaft nach § 188 [X.] 4 [X.] oder ein anderweitiger vorrangiger Anspruch auf [X.]icherung im Krankheitsfall vorliegt. Würde der Beginn der freiwilligen Mitgliedschaft dagegen den Ablauf der [X.] nach Hinweis der Krankenkasse voraussetzen, käme es im Fall eines fehlenden (wirksamen) Austritts - also trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die [X.]versicherung - regelmäßig zu einer Lücke im Versicherungsschutz, die systemwidrig durch die eigentlich subsidiäre (vgl § 5 [X.] 8a Satz 1 [X.], hier idF des [X.] - [X.] - vom [X.], [X.]) Auffangpflichtversicherung nach § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] geschlossen werden müsste. Diese Lücke könnte nur durch einen mindestens 14 Tage vor dem Ende der vorangehenden Pflicht- oder Familienversicherung gegebenen Hinweis vermieden werden. Wie der vorliegende Sachverhalt zeigt, ist das Ende der Pflichtversicherung aber nicht immer so frühzeitig absehbar. Selbst wenn die Beklagte - wie das [X.] anrät - ihren Bescheid vom 6.3.2017 über das Ende des [X.] und der damit einhergehenden Mitgliedschaft mit dem Hinweis nach § 188 [X.] 4 Satz 1 [X.] verbunden hätte, wäre das Ende der [X.] nicht mit dem Ende der Versicherungspflicht zusammengefallen. Ein solcher Gleichlauf ist auch in anderen Fallgestaltungen nicht gesichert. Denn die Krankenkassen haben auch auf den [X.]punkt einer (Ab)Meldung nach § 28a [X.] hinsichtlich der gemäß § 5 [X.] 1 [X.] [X.] versicherten Beschäftigten oder nach § 203a [X.] hinsichtlich der gemäß § 5 [X.] 1 [X.] und [X.]a [X.] versicherten Bezieher von [X.] oder [X.] II nur bedingt Einfluss.

2. Sinn und Zweck des § 188 [X.] 4 Satz 1 [X.] ist es gerade, durch den nahtlosen Eintritt der obligatorischen [X.]versicherung den Grundsatz des Vorrangs der freiwilligen Versicherung vor der nachrangigen [X.] des § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] zu stärken (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucks 17/13947 [X.] f zu [X.]b Buchst b; [X.] vom 10.3.2022 - B 1 [X.] 30/20 R - [X.] 4-2500 § 188 [X.], auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, juris Rd[X.]7; BSG vom [X.] [X.] 20/18 R - [X.] 129, 265 = [X.] 4-2500 § 188 [X.], Rd[X.]5). Dadurch soll ein lückenloser Versicherungsschutz ohne die Vollzugsprobleme des § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] gewährleistet werden. Diese waren dadurch entstanden, dass Personen ohne anderweitige [X.]icherung im Krankheitsfall der Aufforderung der Krankenkassen, sich zur Klärung ihres Versicherungsschutzes zu melden, nicht nachgekommen waren. Auf diese Weise waren bis zu dem [X.]punkt, an dem die Mitgliedschaft rückwirkend festgestellt werden konnte, oft erhebliche Beitragsrückstände aufgelaufen. Um dem zukünftig entgegenzuwirken, lehnte der Gesetzgeber die Neuregelung des § 188 [X.] 4 [X.] an die bisherige Regelung in § 190 [X.] 3 [X.] (aufgehoben zum [X.] durch das Gesetz zur Beseitigung [X.] Überforderung bei [X.]en in der Krankenversicherung vom [X.]) an, wonach sich für Personen, deren Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze zum Ablauf eines Kalenderjahres endete, die Mitgliedschaft als freiwillige Versicherung fortsetzte, wenn nicht innerhalb von zwei Wochen nach einem Hinweis der Krankenkasse der Austritt erklärt wurde. Diese Regelung sollte auf alle Personen, deren vorhergehende Versicherung kraft Gesetzes endete, ohne dass sich unmittelbar ein weiterer vorrangiger [X.] anschloss, erweitert werden (vgl hierzu BT-Drucks 17/13947 [X.] zu [X.]b Buchst b). Durch das Erfordernis der fristgebundenen Austrittserklärung nach § 188 [X.] 4 Satz 1 [X.] und der grundsätzlich beim Mitglied liegenden Beweislast für das Vorliegen einer anderweitigen [X.]icherung (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 188 Rd[X.]0, Stand der Einzelkommentierung: September 2020) ist für die Krankenkassen die Durchführung der [X.]versicherung im Vergleich zur Auffangpflichtversicherung erleichtert worden. Dieser angestrebten Effektivierung des Verwaltungsverfahrens läuft die vom [X.] vorgeschlagene Lösung zuwider. Statt der bezweckten Verfahrenserleichterung müsste die Beklagte den Zugang des Hinweises und damit den Beginn der freiwilligen Versicherung jeweils individuell feststellen und außerdem den Versicherungsstatus für die Zwischenzeit - wie vor der Neuregelung des § 188 [X.] 4 [X.] - nach § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] prüfen.

3. Die Auslegung des [X.] ist auch nicht durch schutzwürdige Interessen der Betroffenen geboten. Insbesondere erfordert es die Dispositionsfreiheit des Mitglieds (Art 2 [X.] 1 GG) nicht, dass die freiwillige [X.]versicherung erst nach dessen ordnungsgemäßer Aufklärung und anschließender Überlegungsfrist eintreten dürfte. Denn auch wenn § 188 [X.] 4 [X.] von einer "freiwillige(n) Mitgliedschaft" spricht, setzt sich die nach dieser Vorschrift konstruierte [X.]versicherung unabhängig von einem darauf gerichteten Willen des Mitglieds kraft Gesetzes fort (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 188 Rd[X.]9, Stand der Einzelkommentierung: September 2020). Es handelt sich um eine Pflichtkrankenversicherung in Form der freiwilligen Versicherung, nicht aber um eine Versicherung "aus freien Stücken" (vgl bereits [X.] B 12 [X.] 19/17 B - juris Rd[X.]3; vgl [X.], NZS 2013, 921, 926: neuer Typus gesetzlicher Pflichtversicherung).

Auch der als Willenserklärung ausgestaltete Austritt liegt nicht allein im freien Belieben des Mitglieds. Der Hinweis soll zwar die Grundlage für den Austritt bilden, sodass die [X.] grundsätzlich erst mit dem Zugang des Hinweises der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeit beginnt (vgl [X.] Urteil vom 30.11.2017 - [X.] [X.] 2756/17 - juris Rd[X.]5; [X.] Bürger, NZS 2018, 192; [X.] in [X.], [X.], 4. Aufl 2020, § 188 Rd[X.]9, Stand der Einzelkommentierung: November 2022; [X.] in [X.], Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, [X.] 114 April 2022, § 188 [X.] Rd[X.]5). Die Wirksamkeit des Austritts hängt aber insbesondere davon ab, dass das Mitglied das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf [X.]icherung im Krankheitsfall nachweist (§ 188 [X.] 4 Satz 2 [X.]). Ohne eine solche anderweitige [X.]icherung kommt dem [X.] keine Bedeutung zu. Ein (vermeintliches) Recht auf mangelnde Eigenvorsorge tritt im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung hinter den Zweck der [X.] zurück, die Allgemeinheit vor unzureichender [X.]icherung des Einzelnen gegen das finanzielle Risiko von Krankheit zu schützen. Dieser Gemeinwohlbezug beruht auf einem umfassenden [X.] Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken. Insoweit verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum, der es ihm erlaubt, den Kreis der Pflichtversicherten so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist ([X.] Urteil vom [X.] - 1 BvR 706/08 ua - [X.]E 123, 186, 263 = [X.] 4-2500 § 6 [X.] Rd[X.]29; [X.] vom [X.] [X.] 20/18 R - [X.] 129, 265 = [X.] 4-2500 § 188 [X.], Rd[X.]7 mwN).

Auf den (fehlenden) [X.] des Mitglieds kommt es auch dann nicht an, wenn bereits gesetzliche Ausschlussgründe gegeben sind. Das ist nach § 188 [X.] 4 Satz 3 [X.] ua der Fall, wenn die Voraussetzungen für eine Familienversicherung erfüllt sind (vgl auch [X.] vom [X.] [X.] 33/19 R - [X.] 132, 237 = [X.] 4-2500 § 188 [X.], Rd[X.]4; [X.] in [X.], [X.], 4. Aufl 2020, § 188 [X.] Rd[X.]5, 37, Stand der Einzelkommentierung: November 2022) oder auch bei Eintritt einer anderweitigen Pflichtversicherung (s Vorranggrundsatz § 191 [X.] [X.]; vgl BSG Urteil vom 10.3.2022 - B 1 [X.] 30/20 R - [X.] 4-2500 § 188 [X.], auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, juris Rd[X.]6; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 188 Rd[X.]7, 37, Stand der Einzelkommentierung: September 2020). Das Mitglied verfügt insbesondere dann über eine echte Austrittsmöglichkeit, wenn es eine Krankenversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen abgeschlossen hat (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 188 Rd[X.]5, Stand der Einzelkommentierung: September 2020). Der Vorteil der Austrittsmöglichkeit besteht für das Mitglied vor allem darin, dass es nicht der ansonsten notwendigen Kündigung (§ 191 [X.] in Verbindung mit § 175 [X.] 4 [X.]) bedarf und auch die Mindestbindungsfrist des § 175 [X.] 4 Satz 1 [X.] nicht gilt (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 188 Rd[X.]4, Stand der Einzelkommentierung: September 2020). Diese Vorteile bleiben bei einer mit dem Austritt verbundenen Rückwirkung erhalten, und zwar auch dann, wenn die Austrittsfrist erst nach einem verspäteten Hinweis oder ohne Hinweis noch nicht begonnen hat (so im Ergebnis auch bereits zu § 190 [X.] 3 [X.] aF: Thüringer [X.]-Urteil vom 30.8.2005 - L 6 [X.] 39/04 - juris Rd[X.]6; [X.] in Wannagat, Sozialgesetzbuch/Gesetzliche Krankenversicherung, Stand Februar 2008, § 190 Rd[X.]7; [X.] in [X.], Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, [X.] 2012, § 190 [X.] Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl 2012, § 190 Rd[X.]). Aus der Rückwirkung resultierende Nachteile für die Krankenkasse - wie zB zu Unrecht erbrachte Leistungen - hat diese ggf selbst zu vertreten. Daraus lassen sich grundsätzlich keine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Mitglied herleiten (vgl [X.] in [X.], Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, [X.] 114 April 2022, § 188 [X.] Rd[X.]3). Entstehen dem Betroffenen infolge eines verspäteten Hinweises finanzielle Nachteile, ist eventuell Raum für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch oder Amtshaftungsansprüche ([X.], NZS 2013, 921, 925; dieselbe in [X.], [X.], 4. Aufl 2020, § 188 [X.] Rd[X.]9, Stand der Einzelkommentierung: November 2022). Hierfür ist allerdings erforderlich, dass auch die Kausalität zwischen einem Pflichtverstoß der Krankenkasse und der behaupteten Rechtsbeeinträchtigung besteht. Daran fehlt es, wenn ohnehin keine anderweitige [X.]icherung vorliegt oder erwogen worden wäre.

Für den Beginn der [X.]versicherung ist auch nicht deshalb auf den Ablauf der Austrittsfrist abzustellen, damit § 256a [X.] in der Zwischenzeit Anwendung finden könnte. Nach [X.] 1 dieser zeitgleich mit § 188 [X.] 4 [X.] (durch das Gesetz zur Beseitigung [X.] Überforderung bei [X.]en in der Krankenversicherung vom [X.]) eingeführten Regelung soll die Krankenkasse die für die [X.] seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] erst nach dem Beginn der Mitgliedschaft 186 [X.] 11 Satz 1 und 2 [X.]) anzeigt. Auch diese Vorschrift stellt - ebenso wie § 188 [X.] 4 [X.] - eine Reaktion auf den seit Einführung der nachrangigen Versicherungspflicht nach § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] zum [X.] angewachsenen (zT uneinbringlichen) Schuldenberg dar. Diese Rückstände waren entstanden, weil die Krankenkassen insbesondere aufgrund fehlender Kontaktaufnahme und Mitteilung der betroffenen Versicherten den Eintritt der Versicherungspflicht nicht erkennen konnten. Zugleich sollte das bereits mit dem [X.] verfolgte gesamtgesellschaftliche Ziel eines "Versicherungsschutzes für alle Einwohner" durch den Anreiz befördert werden, bislang unterbliebene Anzeigen nachzuholen (BT-Drucks 17/13947 S 28 f zu [X.] d). Diese mit den speziellen Vollzugsdefiziten des § 5 [X.] 1 [X.]3 [X.] verknüpfte Zielsetzung des § 256a [X.] erfordert es nicht, den Beginn der freiwilligen Versicherung nach § 188 [X.] 4 Satz 1 [X.] einengend auszulegen, um damit den Anwendungsbereich der Auffangpflichtversicherung noch auszudehnen. Dass eine unmittelbare Anwendung des § 256a [X.] für den Kläger nach der hier vertretenen Auslegung nicht in Betracht kommt, ist hinzunehmen. Durch die [X.]versicherung erhält er einen lückenlosen vollwertigen Versicherungsschutz, für den auch eine entsprechende Beitragspflicht besteht. Sollte es durch ein von der Beklagten zu verantwortendes Verhalten zu Verzögerungen oder Nachteilen des Betroffenen beim Vollzug des § 188 [X.] 4 [X.] kommen, sind diese ggf durch die allgemeinen Instrumente auszugleichen (vgl oben).

B. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung über den Eintritt und die Dauer der [X.]versicherung (dazu 1.) sowie die eventuell entstandene [X.] (dazu 2.) verwehrt. Er verweist daher den Rechtsstreit zur weiteren Klärung an das Berufungsgericht zurück.

1. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2017 wird nicht nur punktuell der Beginn der freiwilligen Versicherung am 2.3.2017 festgestellt, sondern auch deren (Fort)Bestand über diesen Tag hinaus geregelt. Es handelt sich dabei um einen Dauerverwaltungsakt, der über den [X.]punkt seiner Bekanntgabe hinaus rechtliche Wirkungen erzeugt (vgl [X.] vom 29.3.2022 - B 12 [X.] 1/20 R - [X.] 4-2400 § 7a [X.]4, auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, juris Rd[X.]4, zur Versicherungspflicht im Rahmen einer Statusfeststellung), solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch [X.]ablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 [X.] 2 SGB X), zB durch Beginn einer Pflichtversicherung (§ 191 [X.] [X.]; vgl BSG Urteil vom 10.12.1998 - B 12 [X.] 7/98 R - [X.] 83, 186, 187 = [X.] 3-2500 § 186 [X.] f, juris Rd[X.]3). Ob die Beklagte rechtmäßig von der Fortsetzung der Krankenversicherung als freiwillige Mitgliedschaft ab 2.3.2017 ausgegangen ist und wie lange diese fortgewirkt hat, kann der Senat nicht abschließend anhand der Feststellungen des [X.] entscheiden. Das Berufungsgericht hat lediglich festgestellt, dass der Kläger keine anderweitige [X.]icherung nachgewiesen habe. Damit wäre der vom Kläger mit seinem "Verzicht" auf eine weitere Krankenversicherung sinngemäß geltend gemachte Austritt - unabhängig davon, ob dieser fristgerecht erklärt wurde - zwar unwirksam (vgl § 188 [X.] 4 Satz 2 [X.]). Das [X.] hat aber offengelassen, ob ein gesetzlicher Ausschlussgrund gegeben war, etwa weil die Voraussetzungen für eine Familienversicherung vorlagen (§ 188 [X.] 4 Satz 3 [X.]; vgl hierzu [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 188 Rd[X.]2, Stand der Einzelkommentierung: September 2020; [X.] in [X.], [X.], 4. Aufl 2020, § 188 Rd[X.]6, Stand der Einzelkommentierung: November 2022). Aus seiner Sicht konsequent hat das [X.] auch Feststellungen dazu unterlassen, ob und wann die ggf kraft Gesetzes entstandene freiwillige Versicherung nach § 191 [X.] (idF des [X.] vom [X.], [X.]) wieder geendet hat.

2. Neben der Feststellung über die freiwillige Versicherung ab 2.3.2017 regelt der angegriffene Bescheid auch die Beitragspflicht zur [X.] und [X.] in Höhe von insgesamt 754,73 Euro monatlich. Der von Amts wegen zu prüfende und vom Kläger nicht begrenzte Streitgegenstand umfasst insoweit die Beiträge für die [X.] vom 2.3. bis zum 31.12.2017. Entgegen der Auffassung des [X.] wird nicht nur eine Beitragsnachforderung für den [X.]raum vom 2.3. bis zum 31.7.2017, sondern auch ein monatlicher Beitrag "ab 02.03.2017" festgesetzt. Eine Bindung an den vom [X.] festgestellten Erklärungsinhalt des Verwaltungsakts tritt insoweit nicht ein, weil die Auslegung auf einer unvollständigen Würdigung beruht. In einem solchen Fall kann das Revisionsgericht die Erklärung selbst auslegen (vgl [X.] vom 10.3.2022 - B 1 [X.] 30/20 R - [X.] 4-2500 § 188 [X.], auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, juris Rd[X.]4). Die auch für die Folgemonate fortwirkende Beitragsfestsetzung ist durch den nachfolgenden Bescheid der Beklagten vom 13.1.2018 für die [X.] ab 1.1.2018 geändert worden. Da der Kläger die unterbliebene Einbeziehung dieses Verwaltungsakts in das Klageverfahren nach § 96 [X.] 1 [X.] in der Revisionsinstanz nicht gerügt hat, ist diese Verwaltungsentscheidung nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Ausreichende Feststellungen dazu, ob die für den streitgegenständlichen [X.]raum vom 2.3. bis zum 31.12.2017 erhobenen Beiträge zutreffend festgesetzt wurden, fehlen noch. Insoweit wird das [X.] ggf auch zu prüfen haben, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des [X.] die anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage tatsächlich nicht überschritten haben und insoweit § 240 [X.] 1 Satz 4 [X.] in der ab 15.12.2018 geltenden Fassung des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 11.12.2018 ([X.] 2387) rückwirkend anzuwenden ist (so etwa [X.] Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom [X.] [X.] 80/17 - juris RdNr 51; [X.] Baden-Württemberg Urteil vom [X.] - L 4 [X.] 1203/19 - juris Rd[X.]7 ff).

C. Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

[X.][X.]

Meta

B 12 KR 13/20 R

13.12.2022

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 13. Juni 2018, Az: S 63 KR 14/18, Gerichtsbescheid

§ 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5, § 188 Abs 4 S 1 SGB 5, § 188 Abs 4 S 2 SGB 5, § 256a Abs 1 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 13.12.2022, Az. B 12 KR 13/20 R (REWIS RS 2022, 8800)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8800

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