Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2021, Az. StB 31 + 32/21, StB 31/21, StB 32/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 10347

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Gegenstand

Eröffnung des Hauptverfahrens: Hinreichender Tatverdacht


Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des [X.] wird

1. der Beschluss des [X.] vom 19. August 2021 aufgehoben, soweit betreffend den [X.] der Anklageschrift des [X.] vom 18. Juni 2021 die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist,

2. die Anklage des [X.] vom 18. Juni 2021 auch hinsichtlich des [X.] der Anklageschrift unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor dem [X.] mit der Maßgabe zugelassen, dass der Angeklagte [X.]im [X.] der Anklageschrift des [X.] zu einem Verbrechen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 30 Abs. 2 Variante 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Satz 1 und 2 StGB hinreichend verdächtig ist.

Gründe

1

Der [X.] wirft dem Angeklagten [X.]mit der zum [X.] erhobenen Anklage vor, in 20 Fällen - teilweise tateinheitlich mit anderen Delikten - eine [X.] im Ausland unterstützt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 [X.]) zu begehen. Das [X.] hat mit Beschluss vom 19. August 2021 die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Ausnahme des [X.] der Anklageschrift beschlossen; in diesem Fall hat es dieselbe abgelehnt. Dagegen wendet sich der [X.] mit seiner sofortigen Beschwerde. Er beantragt, den Beschluss des [X.]s insoweit aufzuheben, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem [X.] zu eröffnen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

1. Mit der Anklageschrift vom 18. Juni 2021 ist dem Angeklagten [X.]zu [X.] im Wesentlichen Folgendes zur Last gelegt worden:

3

a) Der im April 2021 verstorbene       [X.]    war jedenfalls seit November 2017 mit Zustimmung [X.] ([X.]) für diese als Kämpfer und [X.] tätig. Zudem betrieb er für diese [X.], über die er Propaganda verbreitete und zur Teilnahme am bewaffneten [X.] aufrief. Ab Anfang Juli 2019 übte er die gleichen Tätigkeiten auch für die ebenfalls in [X.] aktive und in enger Kooperation mit der [X.] stehende Gruppierung [X.] aus, die [X.] gleichfalls billigte.

4

Im Wissen um die Strukturen der [X.]en und die Stellung des [X.]plante der Angeklagte [X.]  spätestens seit dem [X.], mit eigens dafür angesparten Geldmitteln nach [X.] auszuwandern und sich dort dem bewaffneten [X.] anzuschließen, um gemeinsam mit anderen Kämpfern durch Einsatz militärischer Gewalt einen islamistisch geprägten Gottesstaat auf syrischem Territorium zu errichten. Jedenfalls seit Januar 2020 berichtete er in mit [X.] geführten Gesprächen von seinen fortschreitenden Ausreiseplänen. Er erkannte hierbei, dass sein Ausreiseversprechen [X.] als Mitglied der [X.] in seinem Entschluss stärkte, sich weiterhin an den von der [X.] geplanten Straftaten, die der Verwirklichung der gemeinsamen terroristischen Ziele dienen sollten, zu beteiligen.

5

b) In der Anklageschrift wird dieser Sachverhalt als Unterstützung einer terroristischen [X.] im Ausland gewürdigt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).

6

2. Das [X.] hat zur Begründung seiner die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

In [X.] der Anklageschrift bestehe auch eingedenk des weit zu fassenden Begriffs der Unterstützung keine [X.]. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erkennbar, dass durch das Verhalten des Angeklagten [X.]  der Entschluss des [X.] , sich als Mitglied der [X.] und der [X.] weiterhin an von den [X.]en geplanten Taten zu beteiligen, bestärkt worden sei. Es spreche vielmehr vieles dafür, dass [X.] unabhängig von solchen Mitteilungen bereits fest entschlossen gewesen sei, sich an den genannten [X.]en mitgliedschaftlich und dauerhaft zu beteiligen. Konkrete Betätigungsakte des [X.], die auf das Verhalten des Angeklagten [X.] zurückgeführt werden könnten, seien zudem nicht ersichtlich.

II.

8

Die gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde des [X.]s ist begründet. Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegen hinsichtlich des [X.] der Anklageschrift vor.

9

Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist. Der hinreichende Tatverdacht setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung voraus; damit wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126a StPO der Fall ist (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 2003 - StB 3/03, [X.]R StPO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2 mwN). Erst recht ist zur Eröffnung des Hauptverfahrens nicht die für eine Verurteilung notwendige volle richterliche Überzeugung erforderlich. Der [X.] hat als Beschwerdegericht das Wahrscheinlichkeitsurteil des [X.]s und dessen rechtliche Bewertung in vollem Umfang nachzuprüfen und die Voraussetzungen der Eröffnung selbständig zu würdigen ([X.], Beschlüsse vom 26. März 2009 - St[X.]/08, [X.]St 53, 238 Rn. 23 f.; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 16).

1. Die nach diesen Vorgaben vorzunehmende Bewertung ergibt, dass der Angeklagte [X.] jedenfalls des [X.] zu einem Verbrechen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland gemäß § 30 Abs. 2 Variante 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Satz 1 und 2 StGB hinreichend verdächtig ist. Denn das Ermittlungsergebnis rechtfertigt bei vorläufiger Tatbewertung die Annahme einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Angeklagte durch seine Ankündigung, sich nach [X.] zu begeben und dort mit [X.]   gemeinsam zu kämpfen, entsprechend strafbar gemacht hat.

a) Die Vorschrift des § 30 Abs. 2 Variante 1 StGB ist auf den Verbrechenstatbestand der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland anwendbar. Die deliktsspezifischen Besonderheiten des Sichbeteiligens als Mitglied erfordern allerdings, dass die nach § 30 Abs. 2 StGB vorausgesetzte Selbstbindung des Erklärenden nur dann angenommen werden kann, wenn die Erklärung ernsthaft und gegenüber einem Repräsentanten der terroristischen [X.] abgegeben wird ([X.], Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 - StB 10/14, NJW 2015, 1032 Rn. 14; vom 18. Februar 2016 - AK 3/16, juris Rn. 13; MüKoStGB/[X.]/Anstötz, 4. Aufl., § 129a Rn. 57).

b) An diesen Maßstäben gemessen erklärte der Angeklagte [X.] sich zu einem Verbrechen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland bereit.

aa) Insoweit ist aufgrund der im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift vom 18. Juni 2021 aufgeführten Beweismittel im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die ausgewerteten Chat- und Audionachrichten zwischen dem Angeklagten [X.]  und [X.] belegen, dass ersterer seine Ausreise und seinen [X.] an den bewaffneten Kampf erkennbar und ernsthaft seit längerer Zeit plante; seine hierzu erforderlichen Vorbereitungen unterteilte er in mehrere Schritte. Der letzte Schritt sollte in der Ausreise nach [X.] bestehen und auch den [X.] an eine terroristische [X.] umfassen. Der Angeklagte [X.]  äußerte den Willen, "auf dem Schlachtfeld umzukommen" und mit dem [X.] gemeinsam "auf Operationen" zu gehen; letzteres entsprach auch dessen Wunsch.

bb) Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse stellt sich bei vorläufiger Bewertung die Berichterstattung über den Stand der Ausreise als eine Handlung dar, durch die der Angeklagte [X.] sich gegenüber dem [X.]als Repräsentanten der [X.] bzw. der [X.] zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an zumindest einer der beiden Organisationen bereiterklärte. Bezüglich der Ernsthaftigkeit dieser Erklärung bestehen angesichts des Umfangs und der Dauer der Vorbereitungen keine Bedenken.

2. Im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen der Unterstützung einer terroristischen [X.] im Ausland bemerkt der [X.]:

a) Unter einem Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jedes Tätigwerden eines [X.] zu verstehen, das die innere Organisation der [X.] und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenngleich nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 14. August 2009 - 3 [X.], [X.]St 54, 69 Rn. 136). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der [X.] fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur mitgliedschaftlichen Beteiligung (vgl. etwa [X.], Urteil vom 3. Oktober 1979 - 3 [X.], [X.]St 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des [X.] einer [X.] über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines [X.]smitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich gleichermaßen auf die [X.] als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des [X.] zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss (vgl. [X.], Urteil vom 14. August 2009 - 3 [X.], aaO, Rn. 136; Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, [X.]St 51, 345 Rn. 17).

Fördert der Außenstehende die mitgliedschaftliche Beteiligung eines Mitglieds an der [X.], so bedarf es für die Tathandlung des [X.] in der Regel nicht der Feststellung eines noch weitergehenden positiven Effekts der Handlungen des [X.] für die Organisation. Da als Folge des [X.] ein irgendwie gearteter Vorteil für die [X.] ausreicht, liegt es nahe, dass bei einer Tätigkeit, die sich in der Sache als Beihilfe zur Beteiligung eines Mitglieds an der [X.] darstellt, grundsätzlich bereits hierin ein ausreichender Nutzen für die Organisation zu sehen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter die Erfüllung einer Aufgabe durch ein Mitglied fördert, die diesem von der [X.] aufgetragen worden ist, oder es in dessen Entschluss stärkt, Straftaten zu begehen, die den Zwecken der terroristischen [X.] dienen oder ihrer Tätigkeit entsprechen (vgl. [X.], Urteile vom 25. Juli 1984 - 3 [X.], [X.]St 33, 16, 17; vom 14. August 2009 - 3 [X.], aaO, Rn. 136; Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - AK 13 u. 14/13, [X.]St 58, 318 Rn. 24; vom 21. März 2019 - StB 4/19, juris Rn. 19).

b) Ob nach diesen Maßstäben bereits eine bloße Ausreiseankündigung von [X.] aus als Unterstützung einer terroristischen [X.] im Ausland angesehen werden kann, hat der [X.] bislang ausdrücklich offengelassen ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2014 - StB 10/14, NJW 2014, 1032 Rn. 9). Über eine diesbezügliche Strafbarkeit des Angeklagten [X.] wird das [X.] unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses nach Durchführung der Hauptverhandlung entscheiden können.

Schäfer     

        

Paul     

        

Berg   

        

Kreicker     

        

Voigt     

        

Meta

StB 31 + 32/21, StB 31/21, StB 32/21

07.10.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StB

§ 112 Abs 1 S 1 StPO, § 126a StPO, § 203 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2021, Az. StB 31 + 32/21, StB 31/21, StB 32/21 (REWIS RS 2021, 10347)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 10347

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