Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.05.2023, Az. 2 StR 320/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 3549

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Gegenstand

Heimtückische Tötung bei Erschießen im Auto


Tenor

Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des [X.] vom 17. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Zudem hat es die Tatwaffe eingezogen. Hiergegen wenden sich die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen, mit denen sie beanstanden, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes verurteilt worden ist. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:

3

a) Der Angeklagte unterhielt spätestens ab Anfang Februar 2020 eine außereheliche Beziehung zu der später getöteten     [X.].     . Das Verhältnis war von Streitigkeiten geprägt, was auch zu einem Polizeieinsatz wegen körperlicher Gewalt und einer Strafanzeige seitens der Geschädigten führte. Der Angeklagte bestimmte und kontrollierte das Freizeitverhalten der Geschädigten. Er drohte ihr, sie zu töten, sollte sie seinen Weisungen nicht Folge leisten. Weil diese sich von ihm trennen wollte, drohte er, dies würde sie „teuer bezahlen“. Als die Geschädigte ihm schrieb, sie wolle ihn nicht mehr sehen, antwortete er, nicht sie, sondern „er entscheide dies“.

4

Im Oktober 2020 bedrohte der Angeklagte auch seine Ehefrau, die mittlerweile von dem außerehelichen Verhältnis erfahren hatte, mit dem Tode, was diese veranlasste, die Polizei zu informieren, eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz zu erwirken und seit dem 7. Dezember 2020 die Scheidung zu betreiben.

5

b) Am Tattag, dem 17. Dezember 2020, forderte der Angeklagte über [X.] seine Ehefrau auf, ihm seine im [X.] des Familienanwesens verwahrte Schusswaffe, eine „scharfgemachte“ SRS-Pistole der [X.] Fabrikation „[X.], Modelltyp 2918“, zugänglich zu machen und holte diese gegen 19.00 Uhr bei ihr ab. Um 19.16 Uhr tankte er in Begleitung der Geschädigten an einer Tankstelle in [X.], wobei er den PKW der Geschädigten, einen [X.], führte. Um 20.33 Uhr erfolgte ein letzter telefonischer Kontakt zwischen der Geschädigten und ihrer Mutter. Zwischen 21.00 Uhr und 21.39 Uhr hielten sich der Angeklagte und die auf dem Beifahrersitz sitzende Geschädigte an einem unbekannten Ort in oder um [X.]auf. Der Angeklagte befand sich entweder außerhalb des stehenden Fahrzeugs an der Beifahrerseite oder hinter dem Beifahrersitz auf der Rückbank. Mittels der zuvor besorgten Schusswaffe schoss er aus einer Entfernung von höchstens einem Meter „entweder von hinten oder durch das geöffnete Beifahrerfenster oder durch die geöffnete rückwärtige Beifahrertür [X.] in den Kopf der Geschädigten, in der Absicht, diese zu töten.“ Ein Projektil traf im Bereich der rechten Vorderohrregion, durchsetzte das Kleinhirn und verblieb im Bereich des linken [X.]. Das andere Projektil traf im Bereich der rechten hohen Schläfe, trat im Bereich der linken Wange aus, durchschlug im Fußraum der Beifahrerseite die Fußmatte und verursachte im [X.]denblech eine Prellmarke. Die Geschädigte verstarb an Ort und Stelle an zentralem Regulationsversagen. Die [X.] konnte nicht feststellen, in welcher Reihenfolge und mit welchem zeitlichen Abstand die beiden Schüsse abgegeben worden waren.

6

c) Nach telefonischer Kontaktaufnahme erklärte sich der mit dem Angeklagten befreundete      U.   bereit, diesem bei der Beseitigung der Leiche zu helfen. Gemeinsam verbrachten sie die weiterhin auf dem Beifahrersitz des [X.] befindliche Leiche zwischen 23.54 Uhr und 1.38 Uhr nach [X.](R.         ), legten sie in der Böschung eines [X.] ab, übergossen sie mit Benzin und setzten sie in [X.]. Am Morgen des 18. Dezember 2020 verbrachte der Angeklagte den PKW in eine professionelle Autoreinigung, wo er das in dem Fahrzeug befindliche Blut damit erklärte, er habe sich mit einem Freund im Auto geschlagen und diesem dabei die Nase gebrochen. Am 18. Dezember 2020 gegen 13.20 Uhr wurde die zunächst nicht identifizierbare verkohlte Leiche von Spaziergängern entdeckt.

7

2. Das [X.] hat den Angeklagten „lediglich“ wegen Totschlags verurteilt. Das Mordmerkmal der Heimtücke liege nicht vor, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen sei, dass sich die Geschädigte im Moment der ersten Schussabgabe keines Angriffs durch den Angeklagten auf ihr Leben versehen und der Angeklagte dies bewusst ausgenutzt habe. Ein dementsprechend zwingender Schluss sei nicht möglich. Es sei nämlich denkbar, dass der Angeklagte der Geschädigten die Schusswaffe zuvor vorgehalten und diese damit bedroht habe. Auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe komme nicht in Betracht, da ein Motiv des Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne.

II.

8

Die Revisionen der Nebenkläger, die sich gegen die rechtliche Bewertung des [X.]s richten, sind zulässig und haben in der Sache Erfolg.

9

Die Erwägungen, mit denen das [X.] eine heimtückische Tatbegehung verneint hat, sind rechtsfehlerhaft, weil es von einem zu engen Verständnis dieses [X.] ausgegangen ist, indem es ausschließlich auf die [X.]igkeit der Geschädigten im Zeitpunkt der Abgabe des ersten Schusses abgestellt hat.

1. Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.

a) [X.] ist ein Opfer, das sich keines Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die [X.]igkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen oder zu fliehen (vgl. Senat, Urteil vom 17. Januar 2001 – 2 StR 438/00; [X.], Urteil vom 21. Januar 2021 – 4 StR 337/20, NStZ 2021, 609, 610).

b) Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Anders als vom [X.] angenommen beginnt der Angriff aber nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, hier der Schussabgabe, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase. Ebensowenig erfordert heimtückisches Handeln ein heimliches Vorgehen. So kann ein Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. Senat, Urteil vom 17. Januar 2001 – 2 StR 438/00; [X.], Urteil vom 15. September 2011 – 3 [X.], [X.], 35).

c) Ein heimtückisches Vorgehen kann zudem auch in Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Tat noch fortwirken. Das ist etwa der Fall, wenn der Täter sein Opfer noch im [X.] unter Ausnutzung von dessen [X.]igkeit in eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehrmöglichkeit bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht. Ob das Opfer zu Beginn des [X.] noch arglos war, ist in dieser Sachverhaltskonstellation ohne Bedeutung (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 2020 – 5 [X.] mwN).

2. Nach den Feststellungen zum Tathergang besorgte sich der Angeklagte die Tatwaffe unmittelbar bevor er mit der Geschädigten zum späteren [X.] fuhr, was ein geplantes Vorgehen belegt. Damit, ob die auf dem Beifahrersitz des Kleinwagens sitzende Geschädigte an diesem – naheliegend abgelegenen – [X.] bei einer gegebenenfalls noch vor Schussabgabe erfolgten Bedrohung mit der Schusswaffe überhaupt eine Möglichkeit zur Flucht oder Verteidigung hatte, hätte sich das [X.] auseinandersetzen müssen (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 2002 – 5 [X.], [X.], 368); dies hat es aufgrund seines rechtsfehlerhaften Verständnisses des [X.] der Heimtücke verkannt.

3. Der aufgezeigte Mangel nötigt zur Aufhebung des Urteils. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird sich – wie vom [X.] ausgeführt – zudem eingehender als bisher geschehen mit dem Verletzungs- und [X.] auseinandersetzen müssen, um so gegebenenfalls nähere Erkenntnisse zum Tathergang zu erhalten. Ebenso wird es bei der veranlassten Prüfung niedriger Beweggründe die für den Angeklagten festgestellte Eifersucht, seinen Kontrollwahn und seine gegenüber der Geschädigten geäußerten Todesdrohungen in den Blick zu nehmen haben.

Franke     

  

Appl     

  

Meyberg

  

Grube     

  

[X.]     

  

Meta

2 StR 320/22

24.05.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 17. März 2022, Az: 104 Ks 23/21

§ 211 Abs 2 Alt 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.05.2023, Az. 2 StR 320/22 (REWIS RS 2023, 3549)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3549

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