Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.09.2010, Az. 3 AZR 546/08

3. Senat | REWIS RS 2010, 2868

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Pensions-Sicherungs-Verein - Leistungsbescheid - Verbindlichkeit


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2008 - 9 Sa 1576/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung verpflichtet ist, aufgrund eines „Leistungsbescheides“ dem Kläger eine höhere monatliche Betriebsrente zu zahlen, als es der gesetzlichen Einstandspflicht an sich entspricht.

2

Der Kläger war als Arbeitnehmer bei der [X.] beschäftigt. Über deren Vermögen wurde am 17. Dezember 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hatte gerichtliche Verfahren mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin und dem Beklagten über seine Versorgungsanwartschaften geführt. Die Verfahren sind zwischenzeitlich beendet.

3

Nachdem der Kläger seine persönlichen Daten und die sonstigen Grundlagen für die Berechnung seiner Ansprüche, wie sie auch dem Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens zugrunde gelegen haben, mitgeteilt hatte, übersandte der Beklagte dem Kläger unter dem 11. August 2006 ein Schriftstück, das mit „Leistungsbescheid“ und in der nächsten Zeile weiter mit „Mitteilung gemäß § 9 Abs. 1 des Betriebsrentengesetzes ([X.])“ überschrieben war. Darin heißt es auszugsweise:

        

„Infolge der Insolvenz des vorgenannten Arbeitgebers werden die Ihnen zustehenden Leistungen Ihrer betrieblichen Altersversorgung nicht bzw. nicht mehr in vollem Umfang erbracht.

        

Diese Leistungen wird der PENSIONS-SICHERUNGS-VEREIN in Höhe des Ausfalls gemäß § 7 [X.] sicherstellen, und zwar für die Ansprüche, die bei Eintritt der Insolvenz entstanden waren und künftig entstehen werden. … Ihre Ansprüche aus der o.a. Versorgungsregelung, soweit sie Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung betreffen, hat der [X.] aufgrund der vorgelegten Unterlagen und erteilten Auskünfte des Insolvenzverwalters bzw. des insolventen Arbeitgebers kraft gesetzlichen Auftrags festgestellt.

        

Ab dem 01.01.2004 haben Sie Anspruch auf [X.] in Höhe von 258,64 [X.] monatlich nachträglich.           

        

Ferner erhalten Sie für die [X.] bis 31.12.2003 eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.551,84 [X.].           

        

…“    

4

Unter dem 6. September 2006 teilte der Beklagte dem Kläger mit, ihm sei bei einer Überprüfung der Versorgungsangelegenheit ein Fehler bei der Berechnung des unverfallbaren Versorgungsanspruchs aufgefallen. Der Berechnung der anrechnungsfähigen Dienstjahre hätten falsche Daten zugrunde gelegen. Er müsse dem Kläger daher mitteilen, dass er den Leistungsbescheid vom 11. August 2006 zum Teil widerrufe. Der Anspruch bestehe lediglich iHv. 64,66 Euro monatlich. Die so vorgenommene Berechnung entspricht der gesetzlichen Eintrittspflicht des Beklagten.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die im Leistungsbescheid festgestellte monatliche Betriebsrente zu. Der Beklagte sei an diesen Bescheid gebunden. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Widerruf lägen nicht vor. Ein Kalkulationsirrtum gehe zu Lasten des Beklagten.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm [X.] iHv. monatlich 258,64 Euro seit dem 1. Juli 2003 zu zahlen.

7

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8

Er hat die Ansicht vertreten, nicht an den Leistungsbescheid gebunden zu sein.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des [X.] war erfolglos. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Antrag weiter. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist sie hinreichend begründet (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Aus den Ausführungen der Revisionsbegründung wird noch hinreichend deutlich, mit welcher Argumentation die Ausführungen des [X.] angegriffen werden sollen (zu den Anforderungen an eine Revisionsbegründung: [X.] 22. Oktober 2009 - 8 [X.] - Rn. 19). Der Kläger hat sich darauf berufen, das [X.] habe zu Unrecht einen Erfüllungsanspruch aufgrund eines durch den Leistungsbescheid geschaffenen Vertrauenstatbestands verneint.

B. Die Revision ist unbegründet. Die Feststellungsklage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Vorinstanzen haben sie daher zu Recht abgewiesen.

I. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

Der Kläger macht mit seiner Feststellungsklage geltend, er könne aufgrund des von dem Beklagten erteilten „[X.]“ Ansprüche gegen den Beklagten richten. Für eine derartige Klage liegen die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO vor. Es geht um die Feststellung, in welchem Umfang aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses der Beklagte Ansprüche zu erfüllen hat. Der Feststellungsantrag ist geeignet, den wesentlichen Streitpunkt zwischen den Parteien zu beseitigen (vgl. [X.] 16. Februar 2010 - 3 [X.] - Rn. 30, EzA [X.] § 1 Ablösung Nr. 48; 13. November 2007 - 3 [X.] - Rn. 16, [X.]E 125, 11). Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte als Träger der Insolvenzsicherung auch auf einen Feststellungstitel leisten wird. Auf den Vorrang der Leistungsklage - zumal teilweise für die Zukunft nach §§ 257 ff. ZPO - kann der Kläger nicht verwiesen werden.

II. Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger kann daraus, dass im „Leistungsbescheid“ des Beklagten vom 11. August 2006 ein höherer Betrag genannt ist als es der gesetzlichen Einstandspflicht des Beklagten entspricht, keine Ansprüche ableiten.

1. Der Leistungsbescheid ist kein rechtsbegründender Verwaltungsakt, der nur unter den Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVerfG zurückgenommen oder widerrufen werden könnte. Die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien ist vielmehr privatrechtlicher Natur. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Beklagte ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Er untersteht der Aufsicht der [X.], die dabei die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes anzuwenden hat. Für das Dreiecksverhältnis zwischen dem Beklagten als Versicherer, dem Arbeitgeber als Versicherungsnehmer und dem Arbeitnehmer als Versichertem gelten damit zivilrechtliche Regeln ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] [X.] 5. Aufl. § 14 Rn. 21 ff.). [X.] Befugnisse, die zur Anwendung öffentlichen Rechts führen, stehen dem Beklagten nur insoweit zu, als das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] § 14 Rn. 7 mwN). Das ist nur im Zusammenhang mit der Durchsetzung der gesetzlich vorgesehenen Pflichtversicherung gegenüber den Arbeitgebern der Fall, insbesondere im Bereich der [X.] (§ 10 Abs. 1 [X.]).

2. Bei dem „Leistungsbescheid“ handelt es sich nicht um ein Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB), sondern lediglich um eine Wissenserklärung, aus der keine Ansprüche hergeleitet werden können. Dies ergibt die Auslegung.

a) Der „Leistungsbescheid“ enthält typische Erklärungen, deren Auslegung einer unbeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt, auch hinsichtlich der Frage, ob mit ihnen überhaupt eine rechtsgeschäftliche Bindung eingegangen werden soll (vgl. [X.] 18. Mai 2010 - 3 [X.] - Rn. 32, [X.], 935).

b) Der „Leistungsbescheid“ enthält keine Willenserklärung des Beklagten, unabhängig von der Einstandspflicht nach § 7 [X.] Leistungen an den Kläger erbringen zu wollen. Dies lässt sich bereits dem Wortlaut des „[X.]“ entnehmen, der in seiner Überschrift als „Mitteilung gemäß § 9 Abs. 1 des Betriebsrentengesetzes“ bezeichnet ist. Der Beklagte hat damit ausreichend klargestellt, wie er den im Zivilrecht unüblichen Begriff des „[X.]“ verstanden wissen will, nämlich als eine ihm gesetzlich obliegende Mitteilung. Die Bedeutung des im Zivilrecht nicht gebräuchlichen Begriffs des „[X.]“ geht deshalb über das gesetzlich Vorgesehene nicht hinaus.

Aus dem in Anlehnung an das Gesetz verwendeten Begriff der „Mitteilung“ ergibt sich, dass es sich insoweit um eine Wissens- und nicht um eine Willenserklärung handelt. Die Mitteilungen des Beklagten nach § 9 Abs. 1 [X.] haben lediglich deklaratorische Bedeutung (vgl. [X.] 16. März 2010 - 3 [X.] - Rn. 73, EzA [X.] § 1 Nr. 93). Der für eine Willenserklärung erforderliche Bindungswille fehlt ([X.] 20. Juni 2000 - 3 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.] 2002, 156; im Ergebnis ebenso [X.] - zu 1 b der Gründe, [X.] [X.] § 9 Nr. 4). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob dem Leistungsbescheid vom 11. August 2006 ein Kalkulationsirrtum zugrunde liegt. Der Beklagte hat mit dem Schreiben vom 6. September 2006 keine Willenserklärung angefochten, sondern eine fehlerhafte Wissenserklärung richtiggestellt (vgl. zur Bedeutung des [X.] einer Willenserklärung: [X.]/[X.] 69. Aufl. § 119 Rn. 18 ff.).

3. Ansprüche stehen dem Kläger auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu. Die Berufung des Beklagten auf die fehlerhafte Berechnung der unverfallbaren [X.] verstößt nicht gegen [X.] und Glauben (§ 242 BGB).

a) Nicht jedes widersprüchliche Verhalten ist rechtsmissbräuchlich. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu (vgl. etwa [X.] 4. Dezember 2002 - 5 [X.] - zu [X.] b der Gründe, [X.]E 104, 86). Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen. Der Urheber des widersprüchlichen Verhaltens muss erkennen können, dass die Gegenpartei sein Verhalten als vertrauensbegründend werten durfte. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist, ob für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. [X.] 18. November 2003 - 9 [X.] - zu II 2 b der Gründe; 4. Dezember 2002 - 5 [X.] - zu II 4 b der Gründe, aaO).

Das durch einen Leistungsbescheid nach § 9 Abs. 1 [X.] begründete Vertrauen ist danach für die Zukunft grundsätzlich nicht schutzwürdig. Ein Versorgungsempfänger kann regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung sich an der Feststellung von Leistungspflichten festhalten lassen will, die über das gesetzlich gebotene Maß hinausgehen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Versorgungsempfänger im Vertrauen auf die Richtigkeit des [X.] Vermögensdispositionen getroffen oder zu treffen unterlassen hat, die er auch für die Zukunft nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen bzw. nachholen kann. In diesem Fall sind die Nachteile bis zur Höhe der zugesagten Leistung zu ersetzen ([X.] - zu 1 c der Gründe, [X.] [X.] § 9 Nr. 4).

b) Danach steht dem Kläger ein Ersatzanspruch nicht zu. Er hat nicht dargelegt, aufgrund der fehlerhaften Mitteilung vom 11. August 2006 Vermögensdispositionen getroffen oder unterlassen und dadurch Nachteile erlitten zu haben.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Gräfl    

        

    Zwanziger    

        

    Schlewing    

        

        

        

    Suckale    

        

    G. Kanzleiter    

                 

Meta

3 AZR 546/08

29.09.2010

Bundesarbeitsgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Köln, 17. Oktober 2007, Az: 10 Ca 1040/07, Urteil

§ 9 Abs 1 BetrAVG, § 7 BetrAVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.09.2010, Az. 3 AZR 546/08 (REWIS RS 2010, 2868)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2868

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 Sa 1576/07 (Landesarbeitsgericht Köln)


3 AZR 142/16 (Bundesarbeitsgericht)

Kürzung einer Pensionskassenrente - Eintrittspflicht des PSV


3 AZR 304/18 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebliche Altersversorgung - Übergang von Nebenrechten


6 AZR 626/09 (Bundesarbeitsgericht)

Insolvenzschutz für Versorgungsanwartschaft - Anfechtung eines mehrseitigen Vertrages - Aufklärungspflicht - Entschädigungsanspruch


3 AZR 99/11 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebliche Altersversorgung - Übertragung einer Direktversicherung


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.