Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.05.2017, Az. B 6 KA 58/16 B

6. Senat | REWIS RS 2017, 11245

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - vertragsärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung - Gegenstand der Klage - Bescheid des Beschwerdeausschusses - Vertragsarzt - vollständige und substantiierte Einwände gegen Honorarkürzungs- oder Regressbescheid - stattgebendes Urteil auf Anfechtungsklage


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 70 951,26 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger, dessen Zulassung als [X.] am 30.9.2003 endete, wendet sich gegen [X.]en wegen Unwirtschaftlichkeit in den Quartalen I/2002, III/2002 und I/2003 in Höhe von insgesamt 70 951,26 [X.]. Ein erster Bescheid des beklagten [X.] vom 15.12.2009 wurde vom [X.] aufgehoben (Urteil vom 17.8.2011). Eine Verpflichtung zur Neubescheidung sprach das [X.] nicht aus. Ein weiterer Bescheid des Beklagten erging am 18.12.2012. Diesen Bescheid hat das [X.] mit Urteil vom 18.2.2015 aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet. Das L[X.] hat mit Urteil vom 16.6.2016 die Berufungen des [X.] und des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden hat. Dabei ist das L[X.] davon ausgegangen, dass der Kläger mit allen Einwendungen, die er bereits im ersten Verfahren vor dem [X.] (Urteil vom 17.8.2011) vorgebracht hatte, nunmehr ausgeschlossen war, weil insoweit eine Bindungswirkung eingetreten sei und zwar auch, soweit das Urteil des [X.] zu seinem Vortrag keine Stellungnahme enthielt. Der Beklagte sei aber nicht berechtigt gewesen, im nunmehr angefochtenen Bescheid zu Lasten des [X.] weniger als 5 % des Fallwertes als kompensatorische Einsparungen zu berücksichtigen. Außerdem hätten die unterdurchschnittlichen Abrechnungen des [X.] im vertragsärztlichen Bereich ggf durch Zubilligung eines großzügigeren Toleranzwertes berücksichtigt werden müssen.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des L[X.] wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend macht.

3

II. Die Beschwerde des [X.] hat keinen Erfolg.

4

1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]3 mwN; B[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.]). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt. Das ist hier der Fall.

5

Der Kläger stellt die Frage,

        

"ob in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nach § 106 [X.]B V ergangene Urteile, die weder in ihrem Ausspruch - Tenor - noch in ihren Urteilsgründen auf eine Neubescheidung verpflichten und damit ausschließlich eine Kassation beinhalten, außerhalb der durch einen irreparablen Gesamtmangel formulierten Ausnahmen mit Blick auf ihre 'ureigene' materielle - innere - Rechtskraft stets dieselbe Bindungswirkung entfalten, wie sie Bescheidungsurteilen zukommt".

6

Diese Frage kann auf der Grundlage des allgemeinen Prozessrechts und der Rechtsprechung des Senats eindeutig beantwortet werden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist allein der Bescheid des [X.] Gegenstand der Klage in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (stRspr seit B[X.] Urteil vom [X.] - 6 RKa 5/92 - B[X.]E 74, 59, 62 = [X.]-2500 § 106 [X.]). Der Klageantrag muss regelmäßig darauf gerichtet sein, dass der angefochtene Bescheid des [X.] aufgehoben und der Beschwerdeausschuss verpflichtet wird, den Bescheid der Prüfungsstelle aufzuheben oder - je nach [X.] - den Widerspruch der Krankenkasse gegen den für den Arzt positiven Bescheid der Prüfungsstelle zurückzuweisen ([X.], Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, [X.] f; kritisch zur verfahrensrechtlichen Handhabung durch das B[X.]: [X.] in juris-PK [X.]B V, 3. Aufl 2016, § 106 RdNr 441 ff). Beschränkt sich dennoch der Klageantrag und dementsprechend der Ausspruch im Tenor des Urteils auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, ergibt sich die Verpflichtung des [X.] zu einer erneuten Entscheidung, wie das L[X.] zu Recht ausgeführt hat, bereits daraus, dass er eine Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses zu treffen hat. Einer erneuten Entscheidung des [X.] bedarf es nur dann nicht mehr, wenn sich aus den Gründen eines Urteils ergibt, dass eine weitere Entscheidung aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. In dem (Regel)Fall, dass bei nicht ordnungsgemäßer Ausübung des [X.] durch die Prüfgremien in entsprechender Anwendung von § 131 Abs 3 [X.]G ein Bescheidungsurteil ergeht, bestimmt die in den Entscheidungsgründen des Urteils als maßgeblich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts die Reichweite von dessen Rechtskraft (B[X.]E 43, 1, 3 = [X.] 1500 § 131 [X.]). Die Bindungswirkung eines Bescheidungsurteils erfasst dabei nicht allein die Gründe, aus denen das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt als rechtswidrig aufhebt. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich vielmehr auch auf alle Rechtsauffassungen, die das Bescheidungsurteil der Behörde bei Erlass des neuen Verwaltungsakts zur Beachtung vorschreibt (B[X.] [X.] 4-1500 § 141 [X.] Rd[X.]2 mwN; s auch B[X.] [X.] 4-2500 § 106 [X.] Rd[X.]5).

7

Diese Wirkungen der Rechtskraft eines Bescheidungsurteils bringen es mit sich, dass ein Vertragsarzt seine Einwände gegen einen [X.] oder Regressbescheid im Klageverfahren vollständig und substantiiert vorbringen muss. Wenn das Gericht den Beklagten zur Neubescheidung verurteilt und dabei der Rechtsauffassung des [X.] nicht in vollem Umfang folgt, so kann der Kläger bei der erneuten Bescheidung mit denjenigen Einwendungen, die das Gericht in seiner für die Neubescheidung für maßgeblich erklärten Rechtsauffassung nicht berücksichtigt hat, aufgrund der Bindungswirkung des rechtskräftig gewordenen Urteils nicht mehr gehört werden. Dies gilt auch, wenn das Gericht zu einzelnen vom Kläger erhobenen Einwendungen in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich Stellung nimmt und sie damit nicht zum Inhalt seiner für die Neubescheidung maßgeblichen Rechtsauffassung macht. Auch in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung gewürdigt, ihm aber keine Maßgeblichkeit für die Neubescheidung beigemessen hat (B[X.] [X.] 4-1500 § 141 [X.] Rd[X.]3 unter Hinweis auf B[X.]E 88, 193, 204 = [X.]-2500 § 79a [X.] S 13; Senatsbeschluss vom 23.5.2007 - B 6 [X.] 27/06 B - Juris, dort Rd[X.]3, mit Hinweis auf [X.] , DVBl 2007, 253, 254).

8

Bei einem stattgebenden Urteil auf eine Anfechtungsklage müssen zur Bestimmung der Tragweite der in Rechtskraft erwachsenen Urteilsformel ebenfalls die Entscheidungsgründe des Urteils herangezogen werden (B[X.] Beschluss vom 22.9.1999 - B 13 [X.] 71/99 B - Juris Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 141 Rd[X.]0a; vgl auch B[X.]E 8, 185, 189 mwN). Die Bindung eines stattgebenden Urteils auf eine Anfechtungsklage geht aber nur soweit, wie die [X.] die Entscheidung tragen. Wird einer Anfechtungsklage wegen [X.] stattgegeben, steht fest, dass der Verwaltungsakt mit dieser Begründung rechtswidrig war ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 141 Rd[X.]0a). Eine weitergehende Bindung kann das [X.] nicht entfalten. Da dem Anfechtungsbegehren bereits dann stattzugeben ist, wenn der Verwaltungsakt aus einem von mehreren geltend gemachten Gründen rechtswidrig ist, wird das Gericht sich häufig nicht zu allen rechtlich relevanten Gesichtspunkten äußern. Anders als beim Bescheidungsurteil, das alle aus Sicht des Gerichts maßgeblichen Fragen behandeln muss, um im Sinne effektiven Rechtsschutzes eine ausreichende Bescheidungsvorgabe zu geben, kann sich das Urteil auf eine Anfechtungsklage auf einen einzelnen Aspekt beschränken, der bereits die Kassation trägt. Bindungswirkung können die Entscheidungsgründe daher nur hinsichtlich der konkret aufgezeigten Mängel oder der ausdrücklich gebilligten Gesichtspunkte haben. Rechtsfragen, zu denen sich eine solche Entscheidung nicht äußert, können indes nicht im positiven Sinne als unbeanstandet angesehen werden.

9

Kann die vom Kläger gestellte Rechtsfrage mithin anhand der bisherigen Rechtsprechung beantwortet werden, ist darüber hinaus auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung nicht erkennbar. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung des B[X.] zum prozessualen Vorgehen in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung stellt die isolierte Aufhebung des Bescheides des [X.] eine seltene Ausnahme dar. Es entzieht sich auch einer generellen Festlegung, wie das L[X.] eine solche Konstellation behandelt, wenn es erneut über den Streitgegenstand zu befinden hat. Insoweit kommt es immer auch darauf an, ob der Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe davon ausgehen konnte, seinen Bedenken sei Rechnung getragen worden, sodass er von vornherein keinen Anlass hatte, Berufung einzulegen. Letzteres muss der Kläger tun, der die Maßgabe des aufhebenden [X.]-Urteils nicht gegen sich gelten lassen will oder geltend macht, etwa wegen Überschreitung der Ausschlussfrist überhaupt keinen Prüfmaßnahmen mehr ausgesetzt sein zu dürfen. Dieses Verfahren ist insgesamt deutlich von den Besonderheiten des Einzelfalls geprägt, was sich nicht zuletzt auch an der Dauer des Verfahrens zeigt. Auch soweit der Kläger einzelne Beurteilungen des L[X.] rügt, etwa einen zu Unrecht vom L[X.] gebilligten Wechsel der Prüfmethode, zeigt er aus seiner Sicht bestehende Unrichtigkeiten im konkreten Fall auf. Selbst wenn solche bestehen und das L[X.] möglicherweise höchstrichterliche Entscheidungen unzutreffend auf den Fall übertragen hat, vermag dies weder eine grundsätzliche Bedeutung noch - wie vom Kläger angedeutet - eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G zu begründen.

2. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm §§ 154 ff VwGO. Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

3. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der [X.] in den streitbefangenen Quartalen (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG).

Meta

B 6 KA 58/16 B

10.05.2017

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG Mainz, 18. Februar 2015, Az: S 16 KA 32/13

§ 106 Abs 2 SGB 5, § 54 Abs 1 SGG, § 95 SGG, § 141 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.05.2017, Az. B 6 KA 58/16 B (REWIS RS 2017, 11245)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11245

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