Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.06.2005, Az. 3 StR 122/05

3. Strafsenat | REWIS RS 2005, 2824

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 122/05 vom 30. Juni 2005 in der Strafsache gegen

wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u. a.
- 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 30. Juni 2005, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.]

[X.]

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]

[X.],

[X.],

[X.],

[X.]

als beisitzende [X.],

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwältin

als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

- 3 - für Recht erkannt: - 4 - 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Februar 2003 im [X.] dahin abgeändert, daß der Angeklagte zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wird. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten sowie die Revision der Nebenklägerin gegen das vorbezeichnete Urteil werden [X.]. 3. Der Angeklagte und die Nebenklägerin haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs ei-nes Kindes und wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen aus einem Strafbefehl des [X.] vom 5. Februar 2002 zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im übrigen von dem Vorwurf, drei weitere Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern begangen zu haben, frei-gesprochen. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Nebenklägerin Revision eingelegt. [X.] Die Revision des Angeklagten - 5 - Der Angeklagte macht geltend, die als sexueller Mißbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i. d. F. des 4. [X.] abgeur-teilte Tat sei nicht angeklagt gewesen; im übrigen erhebt er verfahrensrechtli-che Beanstandungen und wendet sich mit der Sachrüge gegen die Beweiswür-digung des [X.]s. Das Rechtsmittel hat lediglich zum Strafausspruch einen Teilerfolg. 1. Entgegen der Ansicht des Angeklagten fehlt es für den ersten der bei-den abgeurteilten [X.] nicht an der Verfahrensvoraussetzung einer zugelassenen Anklage. Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage-schrift vom 12. Juli 2002 hatte sich die Mutter der Nebenklägerin Ende Mai 1996 von ihrem Ehemann getrennt und war der Angeklagte bald darauf in de-ren Wohnung in der [X.] in [X.]

eingezogen. Kurz da-nach ist es dort zu dem ersten sexuellen Mißbrauch zum Nachteil der Neben-klägerin gekommen, bei dem der Angeklagte den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß in die Scheide der Nebenklägerin vollzogen hat. Nach den Ur-teilsfeststellungen fand die erste Mißbrauchshandlung dagegen kurz nach dem Einzug des Angeklagten im August 1997 statt und brach der Angeklagte den Geschlechtsverkehr auf Bitten der Nebenklägerin ab. Die um mehr als ein Jahr differierende Tatzeit sowie die Modifikationen im Tatablauf stellen die Identität zwischen angeklagter und abgeurteilter Tat hier nicht in Frage (§ 264 Abs. 1 StPO); denn die zeitliche Verknüpfung der Tat mit dem Einzug des Angeklagten sowie ihre Kennzeichnung als erste der [X.] zum Nachteil der Nebenklägerin lassen keinen Zweifel aufkom-men, daß das abgeurteilte Geschehen vom Verfolgungswillen der Staatsan-waltschaft umfaßt war, zumal der [X.] und [X.] des [X.] 6 - [X.] (Geschlechtsverkehr) unverändert geblieben sind (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8, 19, 22). Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß es sich bei den angeklagten Taten laut Anklageschrift um Einzelfälle eines sich serienmäßig über einen längeren Tatzeitraum erstreckenden Mißbrauchsge-sche[X.] handelte, das die Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren wegen [X.] weitgehenden Gleichförmigkeit nur in Grundzügen zu konkretisieren ver-mochte, weswegen die Staatsanwaltschaft in weitem Umfang von der Möglich-keit der Verfahrensbeschränkung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO Gebrauch machte. Ebenso wie in derartigen Fällen an die Individualisierung der Einzelta-ten in der Anklageschrift einerseits und den Urteilsgründen andererseits keine zu strengen Anforderungen zu stellen sind, da ansonsten wegen der begrenz-ten Erinnerungsfähigkeit des regelmäßig einzigen Tatzeugen nicht mehr ver-tretbare Strafbarkeitslücken entstünden (vgl. BGHSt 40, 44, 46), dürfen auch Modifikationen und Ergänzungen, die das Tatbild im Vergleich von Urteil zu Anklage erfährt, keiner zu strengen Betrachtung unterworfen werden. 2. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. a) Das [X.] hat nicht gegen seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verstoßen, weil es die jüngere Schwester der Nebenklägerin - [X.]- nicht als Zeugin gehört hat; denn es mußte sich zu deren Vernehmung nicht gedrängt sehen. Zwar können die Urteilsgründe dahin verstanden werden, daß die - zu diesem Zeitpunkt sechsjährige - Schwester der Nebenklägerin jedenfalls bei der ersten abgeurteilten Tat in dem Kinderzimmer anwesend war, wo der An-geklagte im oberen der beiden Stockbetten den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin vollzog. Jedoch ist weder ersichtlich, daß sie zum Zeitpunkt des Tatgesche[X.] noch wach war oder durch dieses notwendig aufgeweckt [X.] 7 - den mußte, noch liegt es angesichts ihres damals noch kindlichen Alters nahe, daß sie im Falle der Wahrnehmung des Gesche[X.] dessen Bedeutung er-kannt und es daher als außergewöhnliches Ereignis in ihrem Gedächtnis be-wahrt haben könnte. Angesichts dessen mußte sich das [X.] nicht ver-anlaßt sehen, nahezu fünfeinhalb Jahre nach den fraglichen Vorgängen die Schwester der Nebenklägerin anzuhören, zumal auch die Verteidigung ein hierauf gerichtetes Begehren nicht erhoben hat. b) Es kann dahinstehen, ob das [X.] gegen seine Aufklärungs-pflicht aus § 244 Abs. 2 StPO verstoßen hat, weil es zum Nachweis bestimmter Mängel in der Aussagekonstanz der Nebenklägerin weder die zunächst mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin beauftragte [X.]als (sachverständige) Zeugin vernommen noch deren vorbereitendes schriftliches Gutachten in der Hauptverhandlung verlesen hat. Denn auf diesem Verfahrensmangel würde das Urteil jedenfalls nicht beruhen, weil das [X.] bei seiner Beweiswürdigung ausdrücklich die Abweichun-gen der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung von ihren Angaben in früheren Vernehmungen berücksichtigt und bei seiner Überzeugungsbildung erwogen hat ([X.]). 3. [X.] hält revisionsrechtlicher Prüfung auf die Sachrüge stand. Insbesondere läßt, wie der [X.] in seiner Zuschrift vom 6. April 2005 zutreffend dargelegt hat, die Beweiswürdigung keinen Rechtsfeh-ler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Auch die Strafzumessung des [X.]s ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dennoch kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, denn nach Erlaß des angefochtenen Urteils ist das Verfahren in rechtsstaats-widriger Weise verzögert worden (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Zwischen - 8 - dem 3. September 2003 und dem 6. September 2004 wurde es nicht weiterbe-trieben, da die Akten verschwunden waren; obwohl nach dem [X.] deren Bearbeitung mit äußerster Beschleunigung hätte voran-getrieben werden müssen, sind im Zeitraum vom 16. November 2004 bis zur Fertigung des [X.] am 29. März 2005 keine verfah-rensfördernden Schritte vorgenommen worden. Das Verfahren wurde daher nach Erlaß des angefochtenen Urteils um insgesamt ein Jahr und viereinhalb Monate rechtsstaatswidrig verzögert. Dies hat der [X.] wegen zu berücksichtigen ([X.], 52). Er kann die danach gebotene Herab-setzung der verwirkten Strafen entsprechend dem Antrag des Generalbundes-anwalts analog § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO selbst vornehmen (zur Würdigung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen vor Verkündung des tatrichterli-chen Urteils im Rahmen des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO vgl. [X.], 1813); denn Sinn dieser Regelung ist auch die Beschleunigung des Verfah-rens, der besonderes Gewicht gerade dann zukommt, wenn es bereits zu rechtsstaatswidrigen Verzögerungen gekommen ist (s. dazu [X.] 2005, 143, 145). Gemäß dem Antrag des [X.]s reduziert der [X.] die beiden [X.] von zwei Jahren und sechs Monaten sowie von drei Jahren und sechs Monaten um jeweils vier Monate, so daß sich neue Einzelstrafen von zwei Jahren und zwei Monaten sowie von drei Jahren und zwei Monaten ergeben, die im Hinblick auf die Dauer der [X.] angemessen erscheinen. Hieraus bildet er unter Einbeziehung der Geld-strafe von 90 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des [X.] vom 5. Februar 2002 eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von drei [X.] und sechs Monaten. I[X.] Die Revision der Nebenklägerin - 9 - Die Nebenklägerin beanstandet mit der Sachrüge, daß der Angeklagte in den abgeurteilten Fällen nicht auch der Vergewaltigung schuldig gesprochen wurde; darüber hinaus wendet sie sich dagegen, daß das [X.] den [X.] von dem Vorwurf freigesprochen hat, er habe in der Wohnung in [X.]mit der Nebenklägerin den Analverkehr bis zum Samenerguß durchge-führt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 1. Es läßt keinen Rechtsfehler erkennen, daß das [X.] den [X.] neben dem sexuellen Mißbrauch eines Kindes nicht jeweils auch tateinheitlich der Vergewaltigung schuldig gesprochen hat. Die Revision meint, der Angeklagte habe in beiden Fällen Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB deswegen angewandt, weil er nach den Feststellungen die Beine der Nebenklägerin auseinandergedrückt und ihr den Mund zugehalten habe, bevor es zum Geschlechtsverkehr kam. Die Rüge dringt nicht durch. Das [X.] hat nicht verkannt, daß sowohl das Auseinanderdrücken der Beine des [X.], als auch das Zuhal-ten des [X.] Gewalt im Sinne des [X.] darstellen kann. Es hat - wenn auch nicht im Rahmen der Beweiswürdigung, sondern bei der rechtlichen Würdigung ([X.]) - ausdrücklich dargelegt, daß es nicht festzustellen vermocht hat, der Angeklagte habe diese Handlungen zur Über-windung eines von der Nebenklägerin tatsächlich geleisteten oder von ihm auch nur erwarteten Widerstandes vorgenommen. Dies ist hier angesichts der sonstigen Tatumstände ausreichend; denn diese lassen weder Anhaltspunkte dafür erkennen, daß aus Sicht des Angeklagten eine gewaltsame Durchset-zung seiner Absichten erforderlich gewesen wäre, noch daß der Angeklagte einen entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin mißachtet und sich [X.] durchgesetzt hätte. Im Gegenteil hat er im Fall 1 auf entsprechende - 10 - Aufforderung der Nebenklägerin den weiteren Vollzug des [X.] letztlich abgebrochen. Seine drohende Äußerung diente dagegen allein der Verhinderung einer späteren Aufdeckung der Tat. Danach kann dahinstehen, ob den Feststellungen überhaupt entnom-men werden kann, daß der Angeklagte der Nebenklägerin auch im Fall 2 bei Tatbegehung zeitweise den Mund zuhielt. 2. [X.] in der Form von Analverkehr hält revisions-rechtlicher Prüfung stand. Zwar hat das [X.] seine diesbezügliche Be-weiswürdigung im Urteil nur äußerst knapp dargestellt. Der [X.] vermag den Urteilsgründen aber noch mit ausreichender Sicherheit zu entnehmen, daß das [X.] sich aufgrund der Angaben der Nebenklägerin nicht hinreichend von einem Geschehen zu überzeugen vermochte, das den [X.] an die Konkretisierung einer abzuurteilenden Tat genügt. Dies ist aus Rechtsgründen hinzunehmen. II[X.] Der geringfügige Erfolg der Revision des Angeklagten, der ohnehin nicht seinem Rechtsmittel geschuldet ist, gibt keinen Anlaß, bei der Kostenent-scheidung zu seiner Revision von § 473 Abs. 4 StPO Gebrauch zu machen. - 11 - Eine Auslagenerstattung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklä-gerin findet nicht statt, da beide Rechtsmittel erfolglos geblieben sind (vgl. BGHR StPO § 473 Abs. 1 Satz 3 Auslagenerstattung 1). Die Reduzierung der Strafe des Angeklagten ist insoweit ohne Bedeutung (s. § 400 Abs. 1 StPO).
[X.] Miebach [X.]

[X.]

RiBGH [X.] ist wegen Urlaubs

ortsabwesend und gehindert zu

unterschreiben.

[X.]

Meta

3 StR 122/05

30.06.2005

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.06.2005, Az. 3 StR 122/05 (REWIS RS 2005, 2824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 2824

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