Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2012, Az. V ZB 263/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5392

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZB 263/11

vom

21. Juni 2012

in der Abschiebungshaftsache

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 21. Juni 2012
durch den [X.] [X.] [X.], die [X.]
Dr.
Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
und die Richterinnen
Dr. Brückner
und Weinland
beschlossen:
Dem Betroffenen wird Rechtsanwalt Dr. von [X.] beigeordnet.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 21. Oktober 2011 wird auf Kos-ten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kosten für den Dolmetscher nicht erhoben werden.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste am 2. Juni 2009 nach [X.] ein und stellte einen Antrag auf Gewährung von Asyl, den das zuständige Bundesamt mit be-standskräftigem Bescheid vom 7. Mai 2010 ablehnte und mit der Aufforderung
verband, [X.] innerhalb einer Woche zu verlassen.
Sein Aufenthalt in [X.] wurde in der Folgezeit mehrfach geduldet, zuletzt bis zum 18. Ja-nuar 2011. Am 11. Januar 2011 nahm die beteiligte Behörde das [X.] in Besitz und forderte ihn auf, sich am folgenden Mor-gen um 6.00 Uhr bei ihr zu melden und an einer Anhörung zur
Feststellung [X.] teilzunehmen. Dem leistete der Betroffene nicht Folge. Er 1
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meldete sich auch nicht bei der beteiligten Behörde, die ihn deshalb von Amts wegen mit unbekanntem Aufenthalt abmeldete. Am 21. September 2011 wurde der Betroffene in [X.] festgenommen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 22. September 2011 gegen den Betroffenen
Abschiebungshaft bis zum Ablauf des 22. Dezember 2011 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] zurückgewiesen. Am 19. Dezember 2011 ist der Betroffene aus der Haft entlassen worden, weil dessen
Rückführung nach [X.] trotz der
Teilnahme an einer Botschaftsvorführung gescheitert ist. Mit der Rechtsbe-schwerde beantragt der Betroffene die Feststellung, dass ihn die Haftanord-nung des Amtsgerichts und die Aufrechterhaltung der Haft durch das [X.] in seinen Rechten verletzt haben.

II.

Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag der beteiligten Behörde entspreche den gesetzlichen Anforderungen. Er sei auch begründet. Der Be-troffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Der Haftgrund nach dem hier noch maßgeblichen § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] aF (heute § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]) liege vor. Aus dem Nichterscheinen des Betroffenen
zur Botschaftsvorführung am 12. Januar 2011 und seinem anschließenden [X.] ergebe sich, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. [X.] bestünden nicht. Die angeordnete
Haft sei auch nicht unverhältnismäßig. Der Termin der Abschiebung stehe fest. Falls die [X.] nicht gelinge, erhalte der Betroffenen eine neue Duldung.

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III.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2
FamFG mit einem Antrag nach § 62 FamFG ohne Zulassung statthaft (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 150, 151 Rn. 9). Sie ist auch sonst zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben und begrün-det worden. Die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde begannen nach § 71 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. §
41 Abs. 1 Satz 2 FamFG mit der förmlichen Zustellung am 26. Oktober 2011 zu laufen und endeten wegen des Wochenendes erst am 28. November 2011. An diesem Tag sind die Rechtsbe-schwerde und ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist eingegangen. Die Begründung hat der Betroffene in der verlängerten Begründungsfrist [X.]. Einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen bedarf es deshalb nicht.

2.
Das Rechtsmittel ist indessen nicht begründet. Die Haftanordnung und die Aufrechterhaltung der Haft durch das Beschwerdegericht haben den Be-troffenen nicht in seinen Rechten
verletzt.

a) Die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung und die Aufrechterhaltung waren gegeben. Der erforderliche Haftantrag der beteilig-ten Behörde befasst sich mit sämtlichen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG zu behandelnden Gesichtspunkten. Er verhält sich zwar nicht im Einzelnen zu den Gründen dafür, dass die Rückführung des Betroffenen nach [X.] bislang nicht gelungen ist. Das war aber auch nicht erforderlich. Aus ihm geht, was ge-nügt, hervor, dass jetzt Aussicht auf ein Gelingen der Rückführung besteht. Die 4
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zuständige Staatsanwaltschaft hatte die nach §
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Abs. 4 [X.] erforderli-che Zustimmung erteilt. Der Betroffene ist vollziehbar ausreisepflichtig. Bei An-ordnung und bei Aufrechterhaltung der Haft lag jedenfalls der
Haftgrund nach §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] aF vor, weil sich der Betroffene
der vorgese-henen
Vorführung bei den [X.] Behörden am 12. Januar 2011 ent-zogen und sich bei
den Ausländerbehörden nicht gemeldet hatte. Das stellt der Betroffene auch nicht mehr in Abrede.

b) Entgegen der Ansicht des Betroffenen verstießen weder die Anord-nung noch die Aufrechterhaltung der Haft gegen das Verhältnismäßigkeits-
und das Beschleunigungsgebot.

aa) Die Anordnung der Haft für die Dauer von drei Monaten war zur Durchführung der Abschiebung erforderlich. Es war zu erwarten, dass sie in diesem Zeitraum gelingen würde. Die Rückführung nach [X.] erfolgt in dem von dem Beschwerdegericht zutreffend dargestellten Listenverfahren nach Art. 2 des Protokolls vom 21. Juli 1995 zu dem deutsch-[X.] Rückfüh-rungsabkommen vom gleichen Tag ([X.] [X.] und 746)
nicht kontinuier-lich auf Grund von Einzelprüfungen, sondern in Kontingenten auf Grund von Sammelprüfungen in [X.]. Der Betroffene war in die für den hier nächsterreichbaren
Vorführungstermin am 30. November 2011 aufgestellte [X.] aufgenommen. Es konnte deshalb davon ausgegangen werden, dass er für eine Rückführung nach [X.] grundsätzlich in Betracht kam und die
Rückführung dorthin bis zum 13. Dezember 2011 gelingen werde. Dem stand nicht entgegen, dass sie bei früheren Gelegenheiten misslungen war. Sie [X.] jedenfalls jetzt möglich. Diese Einschätzung der beteiligten Behörde, vor allem aber des [X.] und des [X.]
ist nicht deshalb [X.], weil die Rückführung tatsächlich nicht erreicht worden ist. Denn damit 8
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mussten sie angesichts der Aufnahme des Betroffenen in die [X.] nicht rechnen.

bb) Die beteiligte Behörde hat auch nicht gegen das Beschleunigungs-gebot verstoßen.

(1) Bei Anordnung
der Haft
war ein schnellerer Weg zur Rückführung des Betroffenen nicht erkennbar. Dieser hätte zwar seine Rückkehr nach [X.] außerhalb des [X.] freiwillig betreiben können. Diese Möglichkeit
kam hier aber ernsthaft nicht in Betracht. Die beteiligte Behörde hatte den Be-troffenen aufgefordert,
sich zu
dem Vorführungstermin am 12. Januar 2011 ein-zufinden. Dabei hätte der Betroffene zudem zur
Beschleunigung seiner Rück-kehr nach [X.] durch die Erklärung beitragen können, freiwillig zur Rück-kehr bereit zu sein. Solche Personen werden
nach Art. 2 Nr. 2 Anstrich 1 des erwähnten Protokolls zu dem deutsch-[X.] Rücknahmeüberein-kommen schneller überprüft und eher in die [X.] aufgenommen, auf Grund derer die [X.] erstellt werden. Der Betroffene hat sich diesem Vorführungstermin entzogen und ist bei einem Freund untergekommen, ohne die beteiligte Behörde über seinen Aufenthalt zu informieren. Er hat das bei [X.] Anhörung durch den Haftrichter eingeräumt und keine Angaben gemacht, die Veranlassung hätten geben können, der Möglichkeit einer freiwilligen Rück-kehr nachzugehen.
Dem nachzugehen war auch nicht auf Grund anderer [X.] geboten.

(2) Bei der Aufrechterhaltung der Haft hatte der Betroffene
allerdings
er-klärt, er wolle freiwillig ausreisen. Diese Erklärung erforderte zusätzliche Ermitt-lungen oder eine andere Einschätzung der Lage nur, wenn sie glaubhaft war. Das hat das Beschwerdegericht verneint. Diese Einschätzung ist im Rechtsbe-10
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schwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüfbar und in diesem Rahmen nicht zu beanstanden. Der Betroffene hatte sich, wie erwähnt,
dem Vorführungster-min am 12. Januar 2011 entzogen, bei der beteiligten Behörde nicht abgemel-det und durch dieses Verhalten die Abschiebung deutlich verzögert. Er hatte diesen Sachverhalt vor dem
Haftrichter eingeräumt und keine Andeutung zu einem etwa eingetretenen Sinneswandel gemacht. Was ihn dazu bewogen ha-ben und weshalb zu erwarten sein könnte, dass er, was nach dem bisherigen Ablauf der Ereignisse nahelag, die Gelegenheit einer

zudem unbegleiteten

Vorsprache bei der
[X.] Vertretung nicht wieder zu einem [X.] nutzen würde, hat er nicht ansatzweise erläutert. Seiner Erklärung musste das Beschwerdegericht deshalb keinen Glauben schenken.
Daran [X.] es nichts, dass sich der Betroffene später bei den Behörden gemeldet hat. Bei Anordnung und bei Aufrechterhaltung der Haft zeigte er ein gegenteiliges Verhalten, und nur darauf konnte die Prognose aufbauen.

(3) Weder der Haftrichter noch das Beschwerdegericht mussten sich mit der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage befassen, ob eine Be-schleunigung durch eine Einzelrückführung außerhalb des [X.] zu erreichen war. Eine solche Einzelrückführung ist zwar nach einem abgestimm-ten Ergebnisvermerk
des Auswärtigen Amtes über eine Konsultation mit den [X.] Behörden vom 27. Februar bis 3. März 2006 in [X.] An
mög-lich. Sie soll aber

als Ausnahme von dem völkervertraglich vereinbarten Lis-tenverfahren

nur in begründeten Einzelfällen stattfinden und auch nur nach Absprache zwischen den [X.] und den [X.] Behörden. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Fall des Betroffenen um einen solchen begründeten
Ausnahmefall gehandelt haben
und dass dieser Umstand zu einer tatsächlich schnelleren Abwicklung der Rückführung hätte führen können, lagen weder bei Anordnung noch bei Aufrechterhaltung der Haft 13
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vor. Der Fall des Betroffenen unterscheidet sich nicht von den Fällen anderer [X.]esen, die sich unerlaubt im [X.] aufhalten und abzuschieben sind.

cc) Zur Sicherung der Abschiebung standen schließlich auch keine mil-deren Mittel als die Inhaftierung zur Verfügung. Der Betroffene
stützt seine ge-genteilige Ansicht auf die Erklärung der Mitarbeiterin der beteiligten Behörde bei seiner Anhörung durch das Beschwerdegericht, er werde bei Scheitern der Ab-schiebung eine neue Duldung erhalten. Die Mitarbeiterin hat damit aber nur die sich aus ihrer Sicht dann ergebende Rechtslage beschrieben. Darüber, ob die Sicherung der Abschiebung auch ohne Inhaftierung möglich gewesen wäre, besagt die Erklärung nichts. Haftrichter und Beschwerdegericht haben das
mit der beteiligten Behörde
nach dem seinerzeitigen Verhalten des Betroffenen [X.] gesehen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Zu berücksichtigen war allerdings, dass in [X.] von der Erhebung von [X.] abzusehen ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 -
V [X.],

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BGHZ 184, 323, 333 Rn. 21). Insoweit war die Kostenentscheidung in der Ent-scheidung des [X.] zu ändern.

Krüger

Schmidt-Räntsch

Roth

Brückner

Weinland

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 22.09.2011 -
43f [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 21.10.2011 -
5 [X.]/11 -

Meta

V ZB 263/11

21.06.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2012, Az. V ZB 263/11 (REWIS RS 2012, 5392)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5392

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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