Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.10.2011, Az. V ZB 188/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2623

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 188/11

vom

6. Oktober 2011

in der Abschiebungshaftsache

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2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am
6. Oktober 2011 durch [X.] Dr. Krüger, die Richter
Dr.
[X.] und Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, die Richterin
Dr. Stresemann
und [X.]
Czub
beschlossen:
[X.] gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 5.
August 2011 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsbürger, reiste im März 2009 in die [X.] ein. Sein Asylantrag wurde im Juni 2009 bestandskräftig abgelehnt. Aufgrund dieser Entscheidung ist der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen. Seit Juli 2010 war der Aufenthalt des Betroffenen unbekannt. Seine letzte bekannte Wohnanschrift war in [X.].
Der Betroffene verfügt über keine Identitätspapiere. Die Beschaffung ei-nes Passes scheiterte, weil die zuständigen Behörden die Ausstellung von [X.] wegen offensichtlich unvollständiger
oder unrichtiger
Angaben des Betroffenen verweigerten.
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Er wurde am 25.
Juli 2011 in [X.] durch die Polizei festgenom-men. An demselben Tag hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten [X.] gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Auf die Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 5.
August 2011 festgestellt, dass die Anordnung der Siche-rungshaft durch das Amtsgericht den Betroffenen bis zum 1.
August 2011 in seinen Rechten verletzt hat; im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewie-sen.
Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene unter Aufhebung der Be-schwerdeentscheidung, soweit er durch sie beschwert ist, die Aufhebung der Haftanordnung erreichen. Zugleich hat
er die vorläufige Aussetzung des [X.] der aufrechterhaltenen Haft im Wege der einstweiligen Anordnung
bean-tragt.
Diesen Antrag hat der [X.] mit Beschluss vom 25. August 2011 zurück-gewiesen.

II.
Nach Ansicht des [X.] war die Haftanordnung rechtswid-rig, weil das Amtsgericht den Betroffenen nicht über seine Rechte nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. [X.] belehrt hat. Jedoch hätten die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der [X.] im Zeitpunkt der Be-schwerdeentscheidung vorgelegen. Die Staatsanwaltschaft habe der [X.] des Betroffenen zugestimmt; er sei über seine Rechte nach dem [X.] über konsularische Beziehungen ([X.]) belehrt worden; es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] vor; der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und seiner Ausreisepflicht nicht nachgekom-men, sondern seit Juli 2010 untergetaucht; zudem habe er in der Anhörung vor 3
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dem Beschwerdegericht erklärt, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Es sei zu erwarten, dass der Betroffene nach seiner Teilnahme an einer Vorführungsrun-de zur Feststellung seiner Identität zwischen dem 13. und 20. September 2011 sowie unter Berücksichtigung der Regelungen in dem mit der [X.] vereinbarten Rückübernahmeabkommen mit einem Sammelflug am 18. Okto-ber 2011 abgeschoben werden könne.
III.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. [X.] ist nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
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FamFG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig (§
71 FamFG).
2. [X.] ist jedoch unbegründet.
a) Die Beteiligte zu 2 ist die für die Stellung des Haftantrags zuständige Verwaltungsbehörde (vgl. §
1 Ausländer-
und [X.] -
AAZV des [X.]). Zudem bleibt diejenige Ausländerbehörde, die für den dem Asylbewerber zugewiesenen Aufenthaltsort zuständig ist, für diesen auch dann zuständig, wenn der Ausländer sich unerlaubt aus ihrem Be-zirk entfernt, um sich einer angedrohten Abschiebung zu entziehen ([X.], [X.] vom 18. März 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 156, 157 Rn. 13).
b) Die Rüge des Betroffenen, das Beschwerdegericht habe die Haftan-ordnung nicht aufrechterhalten dürfen, weil das notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] erstmals in dem Be-schwerdeverfahren vorgelegen habe, bleibt ohne Erfolg.
aa) Zutreffend ist, dass in dem Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG dargelegt werden muss, dass die zuständige(n) Staatsanwaltschaft(en) 6
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allgemein oder im Einzelfall ihr Einvernehmen mit der Abschiebung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] erklärt hat (haben), wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrecht-liches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig ist; das Fehlen entsprechender Ausführungen ist dann schon ein Begründungsmangel, der zur Unzulässigkeit des Antrags führt (s. nur [X.], Beschluss vom 20. Januar 2011 -
V [X.] Rn. 9, juris). Ob der Umstand, dass in dem Haftantrag ausgeführt ist, das erforderliche Einvernehmen
müsse
noch eingeholt werden, die Unzu-lässigkeit zur Folge hat oder der Haftantrag in diesen Fällen unbegründet ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn im Zeitpunkt der [X.] lag das Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft vor.
bb) Unerheblich
ist, dass nach der Rechtsprechung des [X.]s die mit der Inhaftierung aufgrund eines unzulässigen Haftantrags einhergehende Ver-letzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwir-kend geheilt werden kann ([X.], Beschluss vom 3.
Mai 2011 -
V
[X.]
10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 7. April 2011 -
V [X.] Rn. 7, juris; Beschluss vom 21. Oktober 2010 -
V [X.]/10 Rn. 14, juris; Beschluss vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210, 211 Rn. 19). Liegt nämlich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) vor, kann das dazu führen, dass insoweit erstmals ein zulässiger Haftantrag vor-handen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Mai 2011 -
V [X.] 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 27.
April 2011 -
V
ZB
71/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 359, 360). Das ist dann der Fall, wenn die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die [X.] zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Mai 2011 -
V [X.] 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 27. April 2011 -
V [X.] Rn. 10, juris; Beschluss vom 21.
Oktober 2010 -
V [X.]/10 12
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Rn. 13, juris; Beschluss vom 29. April 2010 -
V
[X.], [X.] 2010, 359, 360). Ab diesem Zeitpunkt fehlt es jedenfalls im Hinblick auf das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) nicht mehr an einem zulässigen -
und insoweit be-gründeten
-
Antrag auf Anordnung der [X.].
So ist es hier. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen am
1.
August 2011 im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten und eines Dol-metschers persönlich angehört. Der dabei ebenfalls anwesende Vertreter der beteiligten Behörde hat laut Protokoll über den Anhörungstermin Ablichtungen der staatsanwaltschaftlichen Zustimmungen zu der Abschiebung überreicht. Diese befinden sich auch in den Ausländerakten.
c) Die von dem Beschwerdegericht vorgenommene Belehrung des Be-troffenen nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des [X.]s über kon-sularische Beziehungen vom 24. April 1963 ([X.] 1969 II S. 1585 -
Wiener Konsularübereinkommen, [X.]), dessen Vertragsstaat [X.] ist ([X.] II 1994, 308), reicht für das Aufrechterhalten der Haft aus. Zwar hat der [X.] bereits entschieden, dass das Recht auf konsularische Hilfe nur dann effektiv in Anspruch genommen werden kann, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimat-landes, wie in Art. 36 Abs. 1 Buchst. [X.] 1 [X.] vorgeschrieben, unverzüg-lich von der Inhaftierung unterrichtet wird ([X.], Beschluss vom
6.
Mai 2010 -
V
ZB
223/09, [X.] 2010, 212 Rn. 17 [X.]), so dass eine Heilung nicht in [X.] kommt, wenn etwa die Botschaft in dem späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung eines Staatsangehörigen erhält ([X.], [X.] vom 12.
Mai
2011 -
V
ZB
23/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 18.
November 2010 -
V
ZB
165/10, [X.] 2011, 119, 120 Rn. 7). Es ist hier aber weder über eine rückwirkende Heilung des Verfahrensfehlers noch über eine zufällige Kenntnis der Vertretung des Heimatstaates von der Inhaftierung zu entscheiden. Es geht vielmehr allein um die Rechtmäßigkeit der Beschwer-13
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deentscheidung, mit der die Haft für die Zukunft aufrechterhalten worden ist. Sie
ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Betroffene ist während seiner [X.] belehrt worden und war nunmehr in der Lage zu entscheiden, ob er konsularische Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Damit ist dem Sinn und Zweck des Art. 36 [X.] ab diesem Zeitpunkt Rechnung getragen.
d) Die nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] von dem Beschwerdegericht angestellte Prognose ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift darf [X.] nur angeordnet werden, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächs-ten drei Monate prognostiziert oder eine zuverlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann ([X.], Beschluss vom 10. Juni 2010 -
V
ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 14 mwN). Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass unter Berücksichtigung der [X.] im September 2011 sowie der
Regelung über das Listenverfahren in dem Protokoll zu dem deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommen vom 21. Juli 1995 die [X.] des Betroffenen am 18.
Oktober 2011 und somit innerhalb des verblei-benden Haftzeitraums erfolgen kann. Eine etwaige mit diesen Erwägungen ver-bleibende Ungewissheit geht bei der -
wie hier
-
erstmaligen Anordnung der Haft für drei Monate zu Lasten des Betroffenen ([X.], Beschluss vom 19.
Mai 2011 -
V
ZB
122/11 Rn. 14, juris; [X.], NJW 2009, 2659 f. Rn. 19).
e) Die Beteiligte zu 2 hat
auch das Beschleunigungsgebot (Art. 2 Abs.
2 Satz 2 GG) beachtet. Dass die [X.] erst im September 2011 [X.] konnte, ist der Behörde nicht zuzurechnen, weil sie auf die Bearbeitung der Verfahren durch die beteiligten ausländischen Behörden keinen Einfluss hat und der Ausländerbehörde dortige Verzögerungen nicht zuzurechnen sind ([X.], Beschluss vom 25.
Februar 2010 -
V
[X.]
2/10 Rn. 16, juris).
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f) Ob und in welchem Umfang das amtsgerichtliche Verfahren an [X.] leidet, bedarf keiner Entscheidung. Die entsprechenden [X.] in der [X.] gehen ins Leere. Das Beschwerdegericht hat nämlich festgestellt, dass die Haftanordnung rechtswidrig war und den
Betroffenen
in seinen Rechten verletzt hat. Damit hat es im Wege der Auslegung des [X.] über den aufgrund der Vollstreckung bis zum 1. August 2011 erledigten Teil der amtsgerichtlichen Haftanordnung nach §
62 Abs. 1 FamFG entschieden. Dass das Beschwerdegericht daneben die Haftan-ordnung für diesen Zeitraum nicht (auch) ausdrücklich aufgehoben hat, ist [X.]. Die konkludente Aufhebung ergibt sich aus dem Tenor im
Zusam-menhang mit den Gründen seiner Entscheidung.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
81 Abs.
1 Satz
1 und
2, §
83 Abs.
2 und §
430 FamFG, Art.
5 Abs.
5 EMRK analog, §
128c Abs.
3 Satz
2 KostO.
Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs.
2 [X.]. §
30 KostO.
Krüger

[X.]

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

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-
9
-
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 25.07.2011 -
43c [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 05.08.2011 -
5 [X.] -

Meta

V ZB 188/11

06.10.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.10.2011, Az. V ZB 188/11 (REWIS RS 2011, 2623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2623

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