Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.11.2023, Az. VIa ZR 535/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 8625

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Gegenstand

Deliktische Haftung des Motorherstellers in einem sog Dieselfall: Täuschung der Genehmigungsbehörde bei fehlender Grenzwertkausalität


Leitsatz

Im Fall der fehlenden Grenzwertkausalität bestehen keine Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel, die EG-Typgenehmigung zu erhalten.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des [X.] vom 10. November 2021 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb im Oktober 2015 von einem Dritten einen [X.] 2.0 l mit einer Laufleistung von 50 km zum Kaufpreis von 34.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet. Es verfügt über einen SCR-Katalysator. Außerdem ist im Fahrzeug ein [X.] implementiert und die Motorsteuerung enthält eine Fahrkurvenerkennung. Herstellerin des Fahrzeugs ist die [X.] [X.], eine Tochtergesellschaft der [X.]. Es ist nicht von einem Rückruf des [X.] ([X.]) betroffen.

3

Das [X.] hat die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen und Finanzierungskosten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:

6

Der Kläger habe die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB nicht hinreichend dargetan. Für die Annahme eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten genüge nicht, dass im Fahrzeug ein [X.] und eine Fahrkurvenerkennung verbaut seien. Es bedürfe vielmehr weiterer Umstände, die das Verhalten von Repräsentanten der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche Umstände zeige der Vortrag des [X.] nicht auf. Zwar bewirke die unstreitig applizierte Fahrkurve nach dem Vortrag der Beklagten, dass "während eines NEFZ" (gemeint: [X.]) nach Erreichen der Betriebstemperatur des [X.] an der hohen Abgasrückführungsrate ([X.]) festgehalten werde. Allerdings habe das von der Beklagten über diese "Umschaltstrategie" informierte [X.] die Funktion nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet. Aus den vorgelegten Auskünften ergebe sich, dass Prüfungen im [X.] gezeigt hätten, dass auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten würden. Unabhängig von der Richtigkeit der Einschätzung des [X.] zur Frage der Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung ergäben sich hieraus jedenfalls keine greifbaren Anhaltspunkte für ein [X.] Handeln der Beklagten.

7

Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit verpflichtet zu sein, liege nicht im Schutzbereich dieser Vorschriften.

II.

8

Dies hält der Überprüfung im Revisionsverfahren im Ergebnis stand.

9

1. Soweit der Kläger Ansprüche auf §§ 826, 31, 830 BGB stützt, hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des [X.] aufgrund einer tatrichterlichen Würdigung der vom Kläger vorgetragenen Umstände rechtsfehlerfrei verneint. Die dagegen gerichteten Einwände der Revision greifen nicht durch.

a) Damit eine unzulässige Abschalteinrichtung eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31, 830 BGB auslösen kann, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten des Fahrzeugherstellers oder des als Mittäter oder mittelbarer Täter handelnden [X.] als besonders verwerflich erscheinen lassen.

Einen solchen Umstand kann es darstellen, dass die unzulässige Abschalteinrichtung danach unterscheidet, ob das Kraftfahrzeug auf einem Prüfstand dem [X.] unterzogen wird oder ob es sich im normalen Fahrbetrieb befindet. Bei der Prüfstandbezogenheit handelt es sich um eines der wesentlichen Merkmale, nach denen eine - hier zugunsten des [X.] als vorhanden revisionsrechtlich zu unterstellende - unzulässige Abschalteinrichtung die Anforderungen an eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfüllt. Die Tatsache, dass eine Software ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ([X.], Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 12). Die Indizwirkung entfällt entgegen der Rechtsauffassung der Revision allerdings, sofern die unzulässige Abschalteinrichtung nicht grenzwertkausal ist. Im Fall der fehlenden Grenzwertkausalität bestehen keine Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel, die [X.]-Typgenehmigung zu erhalten (vgl. [X.], Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], [X.] Rn. 17).

Sofern die verwendete Abschalteinrichtung nicht grenzwertkausal ist oder auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, kommt eine Haftung nach §§ 826, 31, 830 BGB nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. Diese Annahme setzt jedenfalls voraus, dass - hier - der Motorhersteller bei der Entwicklung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (st. Rspr., vgl. zuletzt nur [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 12; - [X.], juris Rn. 13 mwN).

b) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31, 830 BGB zutreffend verneint. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, da nach Auskunft des [X.] die gesetzlichen Grenzwerte auch bei Abschalten der Fahrkurvenerkennung eingehalten würden, sei deren Wirksamkeit allein auf dem Prüfstand kein Indiz für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten auch ansonsten einer Überprüfung anhand der von der Revision erhobenen Verfahrensrügen stand. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Das Berufungsurteil hat im Ergebnis auch insoweit Bestand, als das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV verneint hat.

a) Zwar hat der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden, dass die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 17).

b) Die Haftung nach diesen Vorschriften knüpft jedoch allein an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, kann nach den allgemeinen und durch das Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des [X.] Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer ([X.] hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt ([X.], Urteil vom 10. Juli 2023 - [X.] 1119/22, [X.], 1530 Rn. 20 mwN).

Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer deliktischen Schädigung des Fahrzeugherstellers kommt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ebenfalls nicht in Betracht. Voraussetzung ist insoweit nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat. Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers ([X.], Urteil vom 10. Juli 2023 - [X.] 1119/22, [X.], 1530 Rn. 21 mwN). Dass der Fahrzeughersteller im konkreten Fall vorsätzlich eine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung durch eine vorsätzliche Hilfeleistung der Beklagten als Motorenherstellerin ausgegeben habe, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

[X.]     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Liepin     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 535/21

06.11.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Nürnberg, 10. November 2021, Az: 12 U 935/20

§ 31 BGB, § 826 BGB, § 830 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.11.2023, Az. VIa ZR 535/21 (REWIS RS 2023, 8625)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8625

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 267/20

VII ZR 412/21

III ZR 303/20

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