Bundessozialgericht, Urteil vom 24.06.2020, Az. B 11 AL 3/19 R

11. Senat | REWIS RS 2020, 2299

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 15. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Anspruch auf [X.] über den 8.10.2013 hinaus.

2

Der 1965 geborene Kläger steht seit Oktober 1991 bei einem Klinikum in einem Arbeitsverhältnis als Küchenhelfer. Ab dem 13.4.2012 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog vom 25.5.2012 bis einschließlich [X.] Krankengeld, unterbrochen durch den Bezug von Übergangsgeld während einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation im Zeitraum 27.6.2012 bis 29.8.2012. Bei Entlassung aus dieser Maßnahme wurde dem Kläger vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, jedoch sei aus sozialmedizinischer Sicht auf Dauer sowohl für die letzte Tätigkeit als Küchenhilfe als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von einem Leistungsvermögen von täglich über sechs Stunden auszugehen.

3

Ein Antrag des [X.] auf Erwerbsminderungsrente vom [X.], gegen dessen Ablehnung er Klage erhoben hatte, blieb wegen des festgestellten Leistungsvermögens erfolglos.

4

Bereits am [X.] meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte [X.]. Er erklärte, alle Möglichkeiten zu nutzen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, sowie seine Bereitschaft, sich im Rahmen eines durch den Ärztlichen Dienst festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen. Der Kläger gab außerdem an, weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben zu sein und reichte in der Folgezeit weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner behandelnden Ärzte ein. Die Beklagte lehnte den Antrag auf [X.] ab (Bescheid vom [X.]). Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei seit dem 4.3.2013 arbeitsunfähig und stehe der Arbeitsvermittlung daher nicht zur Verfügung.

5

Ein Gutachten des Ärztlichen Dienstes der [X.] vom [X.] bescheinigte dem Kläger, dass er weniger als drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Erwerbstätigkeit in der Lage sei. Diese Prognose gelte für einen Zeitraum von sechs Monaten. Bei Eröffnung des Gutachtens am 8.10.2013 gab der Kläger im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der [X.] an, krank zu sein und nicht arbeiten zu können. Der Widerspruch des [X.] gegen den Ablehnungsbescheid blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.11.2013). Zur Begründung verwies die Beklagte auf das Gutachten vom [X.] und die Äußerungen des [X.] vom 8.10.2013.

6

Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, [X.] vom [X.] bis 8.10.2013 zu leisten ([X.]). Es bestehe ein Anspruch auf [X.] bis zur persönlichen Vorsprache am 8.10.2013. Danach fehle es an der subjektiven Verfügbarkeit, denn der Kläger habe sich tatsächlich nicht mehr der Arbeitsvermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt, weil er nach Arbeitslosmeldung weiterhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe.

7

Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Auf Nachfrage hat der Personalleiter des Arbeitgebers telefonisch gegenüber dem L[X.] erklärt, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger habe wegen dessen Erkrankung lediglich vorübergehend geruht. Am 28.4.2015 habe der Kläger seine Arbeit wieder aufgenommen. Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Es fehle an der Beschäftigungslosigkeit des [X.]. Der Arbeitgeber habe nicht auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet. Hierfür spreche, dass der Arbeitgeber in der Arbeitsbescheinigung gegenüber der [X.] keine Angaben zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gemacht, sondern handschriftlich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hingewiesen habe. Der Kläger habe auch seine Arbeit am 28.4.2015 tatsächlich wieder aufgenommen, was Beleg für eine fortbestehende Dienstbereitschaft sei. Auch die Einleitung eines betrieblichen [X.] im Mai 2013 spreche für ein fortbestehendes Beschäftigungsverhältnis.

8

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 138 Abs 1 Nr 1 [X.]B III. Er macht geltend, ein Beschäftigungsverhältnis sei jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich oder konkludent auf sein Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichte. Sein Arbeitgeber habe es abgelehnt, ihn auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz oder auf dem bisherigen Arbeitsplatz nach Durchführung technischer oder organisatorischer Änderungen weiter zu beschäftigen. Dies führe zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses. Die Beschäftigung sei nur leere Hülse zwischen den Arbeitsvertragsparteien und es bestehe Beschäftigungslosigkeit iS von § 138 Abs 1 Nr 1 [X.]B III.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] vom 15. Mai 2018 aufzuheben und das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2015 sowie den Bescheid der [X.] vom 23. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 8. Oktober 2013 hinaus Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des L[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.], über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 [X.]G), ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen. Es besteht kein Anspruch auf [X.] für die [X.] ab [X.].

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid der Beklagten vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2013, soweit dadurch (auch) für die [X.] ab [X.] ein Anspruch auf [X.] abgelehnt worden ist. Alleine dieser (Teil-)[X.]raum ist noch streitbefangen, nachdem das [X.] die Beklagte unter Änderung des genannten Bescheides verurteilt hat, für den [X.]raum [X.] bis 8.10.2013 [X.] zu leisten und das Urteil insoweit mangels Berufung der Beklagten rechtskräftig geworden ist. Ansprüche für die [X.] vor dem [X.] hat der Kläger bereits im Klageverfahren nicht geltend gemacht. Er verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]G), gerichtet auf die Aufhebung des [X.] und Erbringung von [X.] dem Grunde nach ab dem [X.].

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf [X.] bei Arbeitslosigkeit ist § 137 [X.]B III, der Arbeitslosigkeit, eine Arbeitslosmeldung und die Erfüllung der Anwartschaftszeit voraussetzt. Arbeitslos ist nach § 138 Abs 1 [X.]B III, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und 1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht ([X.]), 2. sich bemüht die eigene [X.] zu beenden ([X.]) und 3. den Vermittlungsbemühungen der [X.] zur Verfügung steht. Ein Anspruch auf [X.] scheitert hier bereits daran, dass der Kläger in dem streitbefangenen [X.]raum ab dem [X.] weiterhin in einem Beschäftigungsverhältnis stand und schon deshalb nicht arbeitslos war.

Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses ist, wie das B[X.] in ständiger Rechtsprechung betont hat, kontextabhängig und funktionsdifferent auszulegen (zusammenfassend B[X.] vom 12.9.2019 - [X.] AL 20/18 R - RdNr 16 mwN). Funktion des für die Dauer und die Höhe des [X.]-Anspruchs maßgebenden Begriffs des versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ist es, den Versicherungsschutz in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung zu gewährleisten. Deshalb ist das Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinn auch bei tatsächlicher Nichtbeschäftigung nicht beendet, wenn und solange eine Pflicht des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts besteht. Dies gilt etwa in Fallgestaltungen rechtlich unwirksamer Kündigungen von Arbeitsverträgen, in denen der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, der Arbeitgeber sie aber nicht annimmt und dadurch in Annahmeverzug gerät (vgl B[X.] vom 12.9.2019 - [X.] AL 20/18 R - RdNr 16).

Dagegen hat die hier relevante Anspruchsvoraussetzung des Nichtbestehens eines leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses, also die [X.] iS des § 138 Abs 1 Nr 1 [X.]B III, die Funktion, das durch Leistungen der Arbeitslosenversicherung erfasste Risiko zu bestimmen und zu begrenzen. Der Arbeitnehmer steht - unbesehen des [X.] eines Arbeitsverhältnisses - regelmäßig (erst) dann nicht mehr in einem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis, wenn die Beschäftigung faktisch ein Ende gefunden hat, dh wenn die dieses Beschäftigungsverhältnis prägende persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten von seinem Arbeitgeber entfällt. Dazu muss entweder der Arbeitgeber auf seine faktische Verfügungsgewalt, das sog Direktionsrecht, verzichten oder der Arbeitnehmer seine Dienstbereitschaft aufgeben. Dies ist nach einer Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen. Erklärungen der Parteien des Arbeitsverhältnisses haben als Anzeichen für die weiter bestehenden Bindungen eine hervorgehobene Bedeutung. Sie können jedoch auch unbeachtlich sein, wenn sie nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen, auf die es maßgeblich ankommt, und sich das Beschäftigungsverhältnis deshalb als "leere Hülse" erweist (vgl B[X.] vom 12.9.2019 - [X.] AL 20/18 R - juris RdNr 17 mwN).

Anders als die Revision meint, liegt [X.] nicht zwingend schon dann vor, wenn der Arbeitgeber es ablehnt, den bisherigen Arbeitsplatz des langfristig, aber nicht dauerhaft arbeitsunfähig erkrankten [X.] leidensgerecht zu gestalten bzw den Kläger auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen. Dieses Verhalten begründet - wie vom [X.] zu Recht angenommen - allein noch keinen Verzicht auf die Ausübung des Direktionsrechts, sodass es der Gesamtwürdigung auch unter diesen Umständen bedarf. Das B[X.] hat gerade für Fallgestaltungen langfristig erkrankter bzw leistungsgeminderter Arbeitnehmer, die tatsächlich nicht beschäftigt werden, bereits entschieden, dass auch hier Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien zu einem Fortbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses als innere Tatsachen unter Berücksichtigung der nicht abschließend bestimmbaren tatsächlichen Umstände von Bedeutung sind. In diesem Kontext können eine lange Dauer des [X.], längere eingeschränkte gesundheitliche Leistungsfähigkeit, Arbeitslosmeldung, Rentenantragstellung und fehlende betriebliche Einsatzmöglichkeiten zwar für eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses sprechen (B[X.] vom 12.9.2019 - [X.] AL 20/18 R - RdNr 20). Arbeits- und Eingliederungsversuche deuten hingegen auf seinen Fortbestand über die Dauer der faktischen [X.] hinaus hin (vgl B[X.] vom 28.9.1993 - 11 [X.] - B[X.]E 73, 126, 129 = [X.]-4100 § 101 [X.], juris RdNr 14).

Vorliegend ist das [X.] von einem zutreffenden Verständnis des Rechtsbegriffs des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ausgegangen und hat die geforderte Gesamtwürdigung der von ihm festgestellten tatsächlichen Umstände ohne Rechtsfehler vorgenommen. In Übereinstimmung mit der dargelegten Rechtsprechung hat es neben den Erklärungen der Parteien und der Auskunft des Personalleiters des Arbeitgebers auch die relevanten tatsächlichen Umstände des Einzelfalls in seine Überlegungen einbezogen. Es hat eine fehlende [X.] ua darauf gestützt, dass der Kläger am 28.4.2015 seine Arbeit auf der bisherigen Stelle wieder aufgenommen hat. Die sozialmedizinische Beurteilung der Reha-Klinik, aus der gerade keine dauerhafte Leistungseinschränkung zu entnehmen war, und den Versuch, mittels des betrieblichen [X.] im Mai 2013 die ursprüngliche Tätigkeit wieder aufzunehmen, hat das [X.] ebenfalls berücksichtigt. An die Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 163 [X.]G gebunden, weil der Kläger diesbezüglich keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat. Auch eine Verletzung der Grenzen freier richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G, sind nicht gerügt und auch nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 3/19 R

24.06.2020

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG München, 1. Juli 2015, Az: S 36 AL 1054/13

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.06.2020, Az. B 11 AL 3/19 R (REWIS RS 2020, 2299)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2299

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