Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.07.2015, Az. 9 AZR 145/14

9. Senat | REWIS RS 2015, 7873

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Gegenstand

Anzahl der Urlaubstage bei Schichtarbeit


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15. Januar 2014 - 11 [X.]/13 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Umfang des dem Kläger zustehenden Jahresurlaubs.

2

Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit 1984 als [X.] im Schaltdienst. Auf das Arbeitsverhältnis findet [X.] der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe vom 5. Oktober 2000 idF des 10. [X.] vom 1. April 2014 ([X.]) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:

      

§ 14 

        

Erholungsurlaub ...

        

(1)     

Die Arbeitnehmer haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts ... [X.] muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden; dabei muss der Urlaub in ganzen Tagen genommen werden.

        

…       

        
        

(3)     

Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der [X.] beträgt der Urlaubsanspruch 30 Arbeitstage. Bei anderer Verteilung der Arbeitszeit in der [X.] erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. …

        

…“    

        

3

Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistung in einem vollkontinuierlichen Wechselschichtmodell, das unabhängig von Wochenenden und [X.] jeweils in Folge zwei Früh-, zwei Spät-, zwei Nachtschichten und schließlich 72 Stunden ohne Arbeitsleistung vorsieht. Die Frühschichten dauern von 6:00 Uhr bis 14:00 Uhr, die Spätschichten von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr desselben und die Nachtschichten von 22:00 Uhr des einen bis 6:00 Uhr des nächsten Tages.

4

Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, er habe Anspruch auf jährlich 33 Urlaubstage. Die Beklagte setze ihn im Durchschnitt 5,44 Tage in der Woche ein. Arbeitstag iSd. § 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] sei jeder Kalendertag, an dem ein Arbeitnehmer Arbeitsleistungen für seinen Arbeitgeber erbringe.

5

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass ihm ein jährlicher Erholungsurlaub von 33 Urlaubstagen zusteht.

6

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, dem Kläger stehe ein Urlaubsanspruch im Umfang von lediglich 28 Arbeitstagen zu, da er seine Arbeitsleistung an durchschnittlich 4,67 Tagen in der Woche erbringe. Jede von dem Kläger zu leistende Schicht sei als ein Arbeitstag unabhängig davon zu werten, ob sich die Schicht über zwei Kalendertage erstrecke.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Interesse - stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten gegen das insoweit klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der [X.]n ist nicht begründet. Das [X.] hat die Berufung der [X.]n gegen das insoweit klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.

9

I. Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag erfüllt die Voraussetzungen, an die § 256 Abs. 1 ZPO die Zulässigkeit einer Feststellungsklage knüpft. [X.] brauchen sich nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen, sondern können einzelne daraus entstehende Rechte, Pflichten oder Folgen - wie hier den Umfang des [X.]sanspruchs - zum Gegenstand haben (vgl. [X.] 21. Januar 2011 - 9 [X.] - Rn. 15). Da der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, den Umfang des ihm zustehenden Jahresurlaubs einer gerichtlichen Feststellung zuzuführen, liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor. Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden [X.]s gerichtlich festgestellt wissen will, nicht entgegen ([X.] 21. Oktober 2014 - 9 [X.] - Rn. 9 unter Hinweis ua. auf [X.] 12. April 2011 - 9 [X.]/10 - Rn. 13 ff., [X.]E 137, 328).

II. Die Klage ist begründet. Die [X.] ist verpflichtet, dem Kläger jährlich an 33 Arbeitstagen [X.] zu gewähren (§ 14 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 [X.]). Der in § 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] für eine Fünftagewoche bestimmte [X.]sanspruch ist im Streitfall gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 [X.] umzurechnen. Die [X.] normiert das sog. Tagesprinzip. Dementsprechend ist bei der Feststellung, wie viele Tage der [X.]sanspruch des Arbeitnehmers umfasst, jeder Kalendertag, an dem der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, unabhängig davon zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einer tageübergreifenden Nachschicht einsetzt.

1. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass „Tag in der [X.]“ iSd. § 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] jeder Kalendertag ist, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbringt. Eine Nachtschicht, die sich über zwei Kalendertage erstreckt, ist als zwei Tage zu rechnen. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm (zu den Auslegungsgrundsätzen bei Tarifverträgen vgl. [X.] 22. April 2010 - 6 [X.] - Rn. 17 mwN, [X.]E 134, 184).

a) Der Wortlaut des § 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] zwingt zu dem vom [X.] gefundenen Auslegungsergebnis. Die Tarifnorm stellt auf „Tage“ und „Arbeitstage“, nicht aber auf Schichten ab (anders für die Tarifverträge der chemischen Industrie [X.] 5. November 2002 - 9 [X.] - zu [X.] 3 b bb (1) der Gründe). Hiermit korrespondiert das [X.] „Tage in der [X.]“. Die Festlegung von Tagen als Maß des [X.]sumfangs entspricht der Rechtsprechung des [X.] zum Inhalt des [X.]sanspruchs als einem Anspruch auf Befreiung von der vertraglichen Arbeitspflicht, ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts berührt wird. [X.] kann nur für solche Tage erteilt werden, an denen der Arbeitnehmer aufgrund der Verteilung seiner Arbeitszeit eigentlich hätte arbeiten müssen ([X.] 15. März 2011 - 9 [X.] - Rn. 20, [X.]E 137, 221).

b) [X.] bestätigt das Ergebnis der wortlautgemäßen Auslegung. Der [X.] enthält anders als seine Vorgängervorschriften (vgl. § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 des [X.] vom 23. Februar 1961, zuletzt geändert durch den 78. Änderungstarifvertrag vom 31. Januar 2003; § 48 Abs. 8 Unterabs. 1 Satz 2 des Manteltarifvertrags für Arbeiterinnen und Arbeiter des [X.] und der Länder vom 6. Dezember 1995, zuletzt geändert durch den Änderungstarifvertrag Nr. 4 vom 31. Januar 2003; § 67 Nr. 11 Satz 2 des [X.]manteltarifvertrags für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962, zuletzt geändert durch den 51. [X.] vom 31. Januar 2003) keine Regelung, der zufolge für eine Arbeitsschicht, die nicht an dem Kalendertag endet, an dem sie begonnen hat, als Arbeitstag nur der Kalendertag gilt, an dem sie begonnen hat. Der für den Streitfall maßgebliche § 14 Abs. 3 [X.] stellt ausschließlich auf Tage ab. Dies belegt den Willen der Tarifvertragsparteien des [X.], die Anzahl der [X.]stage ohne Rücksicht auf kalendertagsübergreifende Schichten allein nach den Kalendertagen mit Arbeitspflicht festzulegen.

c) Auch der systematische Zusammenhang, in den die Tarifbestimmung eingebettet ist, zeigt, dass die Tarifvertragsparteien den [X.]sanspruch tage- und nicht schichtweise berechnet wissen wollen. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 [X.] muss der [X.] in ganzen Tagen genommen werden. Damit haben die Tarifvertragsparteien ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer sich lediglich stundenweise, etwa für eine Schicht, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung befreien lassen kann.

d) Die tarifliche Umrechnungsregelung in § 14 Abs. 3 Satz 2 [X.] bezweckt die Gleichbehandlung der tarifunterworfenen Arbeitnehmer (vgl. [X.] 15. März 2011 - 9 [X.] - Rn. 23, [X.]E 137, 221). Sie will sicherstellen, dass jeder Arbeitnehmer ungeachtet der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage die [X.]stage erhält, die zur gleichen Dauer eines zusammenhängenden [X.]s erforderlich sind. Dieses Ziel verwirklicht die Tarifbestimmung durch eine Vermehrung respektive Verminderung der Anzahl der [X.]stage für Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung abweichend vom Regelfall nicht in einer Fünftagewoche erbringen. Die Anzahl der [X.]stage, auf die ein solcher Arbeitnehmer Anspruch hat, entspricht der Anzahl der [X.]stage, die er einbringen muss, um einen gleich langen zusammenhängenden [X.] zu erhalten. So verfügt ein Arbeitnehmer wie der Kläger, der seine Arbeitsleistung regelmäßig an mehr als fünf Kalendertagen in der Woche erbringt, zwar über mehr [X.]stage als ein Arbeitnehmer, den die [X.] in einer Fünftagewoche beschäftigt. Jener muss aber auch mehr [X.]stage in Anspruch nehmen als dieser, um sechs Wochen lang zusammenhängend der Arbeit urlaubsbedingt fernbleiben zu können.

e) Damit weicht der Senat nicht von der Entscheidung des Zehnten Senats des [X.] vom 19. Februar 2014 (- 10 [X.] - Rn. 12) ab, der ohne nähere Begründung davon ausgegangen ist, einem Arbeitnehmer, der weniger als fünf Schichten in der Woche leiste, stehe auch dann nur ein gekürzter Anspruch auf tariflichen Zusatzurlaub zu, wenn eine Schicht an zwei Kalendertagen geleistet werde. Diese Entscheidung erging nicht zu § 14 Abs. 3 Satz 2 [X.], sondern zu § 26 Abs. 1 Satz 4 TV-L und betraf somit eine andere Tarifnorm.

2. Für die Umrechnung ist die Anzahl der Arbeitstage mit Arbeitspflicht mit der Anzahl der [X.]stage ins Verhältnis zu setzen. Der Schichtrhythmus, in dem die [X.] den Kläger einsetzt, ist nicht auf eine Woche beschränkt. Für die Berechnung ist deshalb der repräsentative Zeitabschnitt heranzuziehen, in dem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt erreicht wird. Dabei muss die Berechnungsmethode eine Gleichwertigkeit insbesondere der [X.]sdauer sicherstellen. Das wird erreicht, wenn [X.] die für den Arbeitnehmer mit abweichender Arbeitszeit maßgebliche Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht mit der Anzahl der in der Fünftagewoche geltenden Anzahl der Arbeitstage zueinander ins Verhältnis gesetzt wird (vgl. [X.] 15. März 2011 - 9 [X.] - Rn. 25, [X.]E 137, 221). Die danach maßgebliche Umrechnungsformel lautet:

       

[X.]stage x Arbeitstage im Jahr bei abweichender Verteilung

        

Arbeitstage im Jahr bei einer Fünftagewoche

In diese Formel sind als Dividend die in § 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] festgelegte Anzahl von 30 [X.]stagen einzusetzen. Diese sind mit der vom Kläger im Schichtsystem zu leistenden Anzahl von 284 Arbeitstagen im Jahr zu multiplizieren. Als Divisor sind 261 Arbeitstage einzusetzen. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die [X.] einen Arbeitnehmer, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbringt, an 261 [X.] beschäftigt. Dem Kläger stehen danach 32,64 Arbeitstage [X.] zu, die auf 33 Arbeitstage aufzurunden sind. § 14 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 [X.] schreibt vor, dass Arbeitnehmer ihren Anspruch auf [X.] nur in ganzen Tagen realisieren können. Demnach sind 33 [X.]stage erforderlich, damit der Kläger - wie ein in einer Fünftagewoche beschäftigter Arbeitnehmer - einen zusammenhängenden [X.] von sechs Wochen nehmen kann.

III. Die [X.] hat als Revisionsführerin die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Suckow    

        

        

        

    Pielenz    

        

    M. Dipper    

                 

Meta

9 AZR 145/14

21.07.2015

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 27. Juni 2013, Az: 27 Ca 15364/12, Urteil

§ 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.07.2015, Az. 9 AZR 145/14 (REWIS RS 2015, 7873)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7873

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9 AZR 565/08

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