Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2017, Az. 2 StR 375/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2030

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:211117B2STR375.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 375/17
vom
21. November 2017
in der Strafsache
gegen

wegen schwerer Brandstiftung
u.a.

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2
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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 21. November 2017 gemäß § 349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 16. Mai 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des [X.] hat der bis dahin nicht vor-bestrafte Angeklagte vom 15. April bis zum 3. Oktober 2016 eine vorsätzliche Körperverletzung, eine Beleidigung und eine Nötigung (Fall III. A. der Urteils-gründe), einen versuchten Betrug und einen Diebstahl (Fall III. B. 1. der Urteils-gründe), einen Raub (Fall III. B. 2. der Urteilsgründe) sowie eine schwere Brandstiftung (Fall III. C. der Urteilsgründe) begangen.

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Nach Überzeugung der sachverständig beratenen [X.] befand sich der Angeklagte aufgrund eines zu den jeweiligen [X.] bestehenden ektiven Störung in einem Zustand, in dem sei-S.

o--
und Kritikminderung

sei unfähig gewesen, das in der Tat liegende Unrecht einzusehen, was auch durch die Feststellungen zum äußeren Tathergang gestützt werde.
2. Die Anordnung nach §
63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu erhebenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des [X.] zur Tatzeit aus einem der in §
20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von §
21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 1. Juni 2017

2
StR 57/17 mwN; vgl. auch [X.]/[X.]/[X.]/[X.], NStZ 2005, 57
ff.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psy-chische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des §
20 StGB zu subsu-mieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des [X.] zu untersuchen. Durch die fest-gestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funk-tionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hier-3
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zu ist der [X.] für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines [X.] angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des §
20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheb-lich beeinträchtigten Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit des [X.] zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und wider-spruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des [X.] in der kon-kreten Tatsituation und damit auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit [X.] hat (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2017

4 StR 463/16, [X.], 165, 166; Beschluss vom 28. Januar 2016

3 StR 521/15, [X.], 135).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
aa) Das angefochtene Urteil lässt bereits eine ausreichende Auseinan-dersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen. Damit ist aber zu besorgen, dass das [X.] in rechtsfehler-hafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer schizoaffekti-ven Störung führe ohne weiteres zur Annahme einer schweren anderen seeli-schen Abartigkeit gemäß §§
20, 21 StGB. Bei akuten Schüben einer Schizo-phrenie ist zwar in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldun-fähig ist, weil bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben
sein wird (vgl. [X.], [X.] vom 19. Dezember 2012

4 [X.], [X.], 145, 146 mwN; [X.], StGB, 65. Aufl., §
20 Rn. 9a). Bei erhaltener Unrechtseinsicht kann indes auch (allein) die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 14.
Juli 2010

2 [X.]). Die Frage der [X.] ist aber erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat 6
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eingesehen hat oder einsehen konnte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. Juli 2017

3 [X.], [X.], 720, 721; vom
28. August 2012

3 StR 304/12 und vom 9.
September 1986

4 [X.], [X.]R StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts-
als auch die [X.] aufgehoben sind, stellen hingegen die Ausnahme dar (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 2006 -
2 [X.], [X.], 167, 168).
Eine eindeutige Bewertung des psychischen Zustands des [X.] hat das [X.] weder ausdrücklich vorgenommen noch lässt sich dies dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Vielmehr lassen die

[X.], bedroht und verfolgt fühle, besorgen, dass das [X.] die Vorausset-zungen der Aufhebung der Einsichtsfähigkeit verkannt hat. Denn wenn der An-geklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung in Verkennung der tatsächli-chen Situation davon ausgegangen ist, verfolgt zu sein und bedroht zu werden, und sich deshalb berechtigt sah, sich gegen diese angebliche Bedrohung zur Wehr zu setzen, war bereits die Einsichts-
und nicht erst die Steuerungsfähig-keit aufgehoben.
bb) Zudem ist dem Urteil eine wertende Betrachtung zur Tatrelevanz der Störung nicht ausreichend zu entnehmen. Diese darf nach der Rechtsprechung des [X.] jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 1. Juni 2017

2
StR 57/17 und vom 12. November 2004

2 [X.], [X.]St 49, 347, 351 f.).
Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die 8
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festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des §
20 StGB zu subsu-mierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmög-lichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit kann daher

von offenkun-digen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Mai 1997

1 StR 17/97, [X.], 485, 486)

nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Oktober 2015

1 StR 56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteil vom 21. Januar 2004 -
1 StR
346/03, [X.]St 49, 45, 54). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei ne-ben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. [X.], Urteile vom 21. Januar 2004

1 [X.] aaO mwN; vom 4. Juni 1991

5 [X.], [X.]St 37, 397, 402).
An einer solchen spezifisch tatbezogenen Auseinandersetzung fehlt es hier. Hierauf kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn

wie hier

bei dem Täter eine schizoaffektive Störung diagnostiziert worden ist. Diese Diag-nose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer

generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden

Schuldunfähigkeit (vgl. auch [X.], Beschluss vom 5. September 2017

3 StR 329/17). Dass sich der Ange-klagte bei allen vier Taten, von denen nur die ersten drei Taten zeitlich nahe beieinanderliegen, jeweils in einem akuten Schub der Krankheit befunden hätte (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 16. Mai 2007

2 [X.]), ist nicht ausrei-e-

lässt sich ins-besondere weder aus der Tat zu III. A. der Urteilsgründe noch aus dem Vor-
oder Nachtatgeschehen, das im Urteil nur rudimentär mitgeteilt wird, ohne [X.] schließen, dass der Angeklagte sich bei den [X.] in einem akut 11
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psychotischen
Zustand befand. Zudem wurde er am 29. September 2016 we-gen Beleidigung in zwei Fällen im Februar und März 2016 und damit unmittel-bar vor der gegenständlichen Tatserie
zu einer (Gesamt)Geldstrafe von 25 Ta-gessätzen verurteilt (UA S.
3 f.). Auch diese Verurteilung spricht nicht für einen dauerhaften Zustand der Schuldunfähigkeit beim Angeklagten.
c) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach §
63 StGB bedarf daher

gegebenenfalls unter Beizie-hung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen

insgesamt neuer [X.] durch den Tatrichter.
3.
Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs gemäß §
358 Abs.
2 Satz
2 StPO nicht entge-gen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. April 2017

5 [X.]; vom 26. Sep-tember 2012

4 StR 348/12, [X.], 424; vom 20. November 2012

1 [X.], [X.], 246, 247, und vom 5. August 2014

3 StR 271/14, [X.]R StPO §
358 Abs.
2 Satz
2 Freispruch 1), weil die Unterbringung nach §
63

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StGB und der auf §
20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Be-wertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entschei-dungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
Ri[X.] Dr. Appl ist krankheits-

Zeng Bartel
bedingt an
der Unterschrift
gehindert.

Zeng

Grube [X.]

Meta

2 StR 375/17

21.11.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2017, Az. 2 StR 375/17 (REWIS RS 2017, 2030)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2030

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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