Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.06.2014, Az. 3 StR 57/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4956

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Gegenstand

Hauptverhandlung in Strafsachen: Wegfall der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. August 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]      wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren sowie den Angeklagten [X.]wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es Einziehungs- und Verfallsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben mit der von beiden Beschwerdeführern erhobenen, inhaltsgleichen Beanstandung Erfolg, die [X.] sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 [X.]).

2

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

3

Nach dem Geschäftsverteilungsplan des [X.]s Wuppertal für das [X.] war für Strafsachen erster Instanz gegen Erwachsene mit dem Anfangsbuchstaben L die 2. Große [X.] zuständig (Ziffer 2.912 des [X.], im Folgenden: [X.]). Gemäß Ziff. 3.24 [X.] war bei mehreren Angeklagten der Anfangsbuchstabe des ältesten Angeklagten maßgeblich. Nach Ziff. 2.912 [X.] galt ein Präsidiumsbeschluss vom 1. Oktober 2012 fort, nach dem in den Zuständigkeitsbereich der 2. großen [X.] fallende Haftsachen in der Reihenfolge ihres Eingangs auf die 1., 3., 4. und 5. [X.] verteilt wurden.

4

Da der Angeklagte [X.]der älteste in der Anklageschrift aufgeführte Angeklagte war, wäre nach dem Geschäftsverteilungsplan die 2. große [X.] zuständig gewesen. Aufgrund des [X.] Beschlusses vom 1. Oktober 2012 wurde das vorliegende Verfahren, bei dem es sich um eine Haftsache handelte, der 4. großen [X.] zugeteilt. Mit Beschluss vom 25. März 2013 entschied das Präsidium des [X.]s Wuppertal sodann, dass "die 6. große [X.] [...] von der 4. großen [X.] das Verfahren gegen [X.] u.a. (Aktenzeichen 24 [X.])" übernehme. Begründet wurde dies mit der hohen Belastung der 4. großen [X.]; die 6. große [X.] könne schon zwei Monate früher mit der Hauptverhandlung beginnen. Die 6. große [X.] eröffnete alsdann das Hauptverfahren, führte die Hauptverhandlung in der [X.] vom 24. Mai bis zum 27. August 2013 durch und erließ das angefochtene Urteil. Beide Beschwerdeführer erhoben am ersten Tag der Hauptverhandlung die Beanstandung, die [X.] sei nicht ordnungsgemäß besetzt.

5

2. Die [X.] der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts nach § 338 Nr. 1 [X.] sind zulässig erhoben, insbesondere sind sie nicht wegen nicht fristgemäßer Erhebung der [X.] nach § 222[X.] präkludiert, vielmehr sind die rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebrachten Einwände der Angeklagten zurückgewiesen worden (§ 338 Nr. 1, 2. Halbsatz, Buchst. [X.]). Hierzu gilt:

6

a) Nach § 222b Abs. 1 Satz 1 [X.] kann in Fällen, in denen - wie hier - die Besetzung des Gerichts nach § 222a [X.] mitgeteilt worden ist, der Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung nur bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden. Ausweislich des von der Revision vorgelegten Protokolls des [X.] kündigte zunächst ein Verteidiger des Angeklagten [X.]      , Rechtsanwalt [X.], vor Verlesung der Anklageschrift an, einen Antrag zur Gerichtsbesetzung stellen zu wollen. Ein Verteidiger des Angeklagten [X.], Rechtsanwalt [X.], erklärte, dass er ebenfalls einen solchen Antrag stellen wolle. Im [X.] daran ist protokolliert, dass die Angeklagten Angaben über ihre persönlichen Verhältnisse machten, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den [X.] verlas, festgestellt wurde, dass die Anklage mit Eröffnungsbeschluss der [X.] zur Hauptverhandlung zugelassen worden war und die Angeklagten belehrt wurden, dass es ihnen freistehe, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Das Protokoll weist sodann aus, dass Rechtsanwalt Dr. S.    , der Verteidiger des ehemaligen Mitangeklagten [X.]      , erklärt habe, sein Mandant räume die ihn betreffenden Anklagevorwürfe im Wesentlichen ein, und der ehemalige Mitangeklagte [X.]      erklärt habe, dies sei richtig so. Erst im [X.] daran verlas laut Protokoll Rechtsanwalt [X.] den von ihm vorformulierten [X.], der als Anlage zum Protokoll genommen wurde und dem sich Rechtsanwalt [X.]für den Angeklagten [X.]anschloss.

7

Da in der protokollierten, von dem ehemaligen Mitangeklagten [X.]      bestätigten Erklärung seines Verteidigers bereits eine Einlassung zur Sache gesehen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Februar 2007 - 3 StR 38/07, [X.], 349), wären nach diesem [X.] die [X.] verspätet erhoben und die Revisionsrügen der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts damit nach § 338 Nr. 1, 2. Halbsatz, Buchst. [X.] präkludiert.

8

b) Vorliegend ist indes zur Beantwortung der Frage, ob die Einwände der vorschriftswidrigen Besetzung rechtzeitig vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache erhoben worden sind, nicht vom Inhalt des Protokolls auszugehen. Denn das Protokoll entfaltet hier entgegen § 274 Satz 2 [X.] keine formelle Beweiskraft.

9

In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass die Beweiskraft des Protokolls entfällt, wenn und soweit sich eine der [X.]en nachträglich zu Gunsten des oder der Angeklagten vom [X.] distanziert ([X.], Urteil vom 8. Oktober 1953 - 5 StR 245/53, [X.]St 4, 364; Beschluss vom 18. September 1987 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 1; [X.], Beschluss vom 25. Mai 2009 - 5 [X.] 101/09, [X.], 365; [X.], [X.], 26. Aufl., § 274 Rn. 34 mwN; KK-Greger, [X.], 7. Aufl., § 274 Rn. 11; s. auch [X.], Urteil vom 8. August 2001 - 2 [X.], NJW 2001, 3794, 3796; Beschluss vom 23. April 2007 - [X.], [X.]St 51, 298, 308; weiter gehend offenbar [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl., § 274 Rn. 16). So verhält es sich hier:

aa) Rechtsanwalt [X.] beantragte als Verteidiger des Angeklagten [X.]      zunächst, das Protokoll der Hauptverhandlung betreffend den ersten [X.] dahin zu berichtigen, dass er die "[X.]" bereits zu Beginn der Hauptverhandlung habe erheben wollen, ihm das Wort dazu nicht erteilt worden sei, auf sein Drängen dieser Umstand und die Zusicherung des Vorsitzenden, dass dem Angeklagten [X.]      durch die spätere Antragstellung keine Nachteile entstehen würden, in das [X.] aufgenommen worden seien und er sodann den [X.] vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache - eine Einlassung eines Angeklagten habe es am ersten [X.] nicht gegeben - erhoben habe. Zur Glaubhaftmachung überreichte er anwaltliche Versicherungen von sich selbst und den anderen drei Verteidigern der Angeklagten. Diesen [X.] wies der Vorsitzende der [X.] zurück, weil weder er noch die Protokollführerin nach Ablauf von sechs Monaten eine konkrete Erinnerung an den Ablauf des [X.] hätten.

Nach Eingang der Revisionsbegründungen, die die vorliegende [X.] enthielten, gab der Vorsitzende der [X.] eine dienstliche Erklärung ab, in der er sich gegen den erhobenen Vorwurf der [X.] verwahrte und weiterhin betonte, dass er sich an den Ablauf des [X.] nicht mehr erinnere und deshalb keine zuverlässigen Angaben dazu machen könne. Entsprechendes gelte für die Protokollführerin. Nach weiteren Erwägungen erklärte er, er könne sich eine objektiv unzutreffende Protokollierung zwar nicht vorstellen, wenn eine solche aber vorliege, handele es sich nicht um eine bewusste Falschbeurkundung, sondern lediglich um eine nachlässige Protokollierung. Er halte es indes "allenfalls für denkbar", dass er nach der Belehrung der Angeklagten erklärt habe, infolge der vorgerückten [X.] sollten die Einlassungen der Angeklagten bzw. die Gelegenheit dazu auf den zweiten [X.] verschoben werden, und der Verteidiger des ehemaligen Mitangeklagten [X.]       daraufhin mit dessen Zustimmung eine geständige Einlassung seines Mandanten lediglich angekündigt habe. Dies könne die Protokollführerin möglicherweise als Einlassung zur Sache gewertet und entsprechend protokolliert haben, was ihm bei der späteren Lektüre des Protokolls nicht aufgefallen sei.

bb) Entgegen der Auffassung des [X.] ist der Vorsitzende der [X.] als eine der beiden [X.]en damit nachträglich vom Inhalt des [X.]s abgerückt. Dafür ist es nicht erforderlich, dass die [X.] das Protokoll ausdrücklich als unrichtig bezeichnet, es reicht vielmehr aus, wenn sich aus ihrer Erklärung ergibt, dass sie von dem protokollierten [X.] nicht mehr überzeugt ist ([X.], aaO). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt: Der Vorsitzende der [X.] hält ausweislich der Ausführungen in seiner dienstlichen Erklärung den vom Protokoll abweichenden Ablauf der Hauptverhandlung ausdrücklich für denkbar, er hält es insoweit für möglich, dass die Protokollführerin die bloße Ankündigung einer Einlassung irrtümlich als Abgabe einer solchen protokolliert habe und ihm dies vor Unterzeichnung des Protokolls nicht aufgefallen sei. Dass er sich eine objektiv unrichtige Protokollierung gleichwohl nicht vorstellen kann, ist demgegenüber schon deshalb ohne maßgebende Bedeutung, weil er gerade keine konkrete Erinnerung mehr an den Ablauf des [X.] hat. Im Ergebnis hat sich der Vorsitzende [X.] damit vom [X.] in dem Sinne distanziert, dass er einen anderen Ablauf als den protokollierten jedenfalls nicht ausschließen kann. Dann kann er - auf rationaler Basis -aber auch nicht mehr davon überzeugt sein, dass der [X.] wie protokolliert abgelaufen ist.

c) Folge der Distanzierung einer [X.] vom [X.] ist hier - wie dargelegt - der Verlust der Beweiskraft des Protokolls. Dies führt dazu, dass das Revisionsgericht den tatsächlichen Ablauf des maßgeblichen Verfahrensgeschehens im Freibeweisverfahren aufzuklären hat (allg. Meinung, s. nur [X.]/[X.], aaO, § 274 Rn. 18 mwN).

aa) Aufgrund der auch im Revisionsverfahren vorgelegten anwaltlichen Versicherungen der Verteidiger der Angeklagten und der durch den [X.] eingeholten Mitteilung des Verteidigers des ehemaligen Mitangeklagten [X.]     , Rechtsanwalt Dr. S.    , ist der Senat jedenfalls davon überzeugt, dass am ersten [X.] vor Erhebung des [X.]s durch Rechtsanwalt [X.]eine Einlassung des ehemaligen Mitangeklagten [X.]       nicht abgegeben, sondern - entsprechend den Erwägungen in der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der [X.] - nur angekündigt worden ist. Dies steht mit den anwaltlichen Versicherungen aller Verteidiger im Einklang, nach denen eine Einlassung eines Angeklagten am ersten [X.] nicht abgegeben worden sei. Dass deren Erinnerung zutreffend ist, wird wiederum dadurch gestützt, dass die [X.] den [X.] nicht etwa als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen hat. Wäre sie von einer die Präklusion auslösenden verfristeten Erhebung des [X.] ausgegangen, hätte sie bei richtiger Rechtsanwendung - entgegen den Äußerungen des Vorsitzenden [X.]s in seiner dienstlichen Erklärung - den Einwand hingegen als unzulässig verwerfen müssen ([X.], aaO, § 222b Rn. 14; [X.]/[X.], aaO, § 222b Rn. 11).

Der sich aus den anwaltlichen Versicherungen der Verteidiger der Angeklagten in der Zusammenschau mit der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der [X.] ergebende Ablauf der Hauptverhandlung wird auch durch das Schreiben von Rechtsanwalt Dr. S.    nicht entkräftet. Dieser hat zwar mitgeteilt, er sei sich sicher, dass er am ersten [X.] erklärt habe, dass sein Klient die Vorwürfe im Wesentlichen einräume und dieser das bestätigt habe; "eine detaillierte Einlassung" sei indes erst am zweiten [X.] abgegeben worden. Dies steht angesichts des geschilderten Ablaufs und der [X.] der Erklärung, die Vorwürfe würden "im Wesentlichen" eingeräumt, ersichtlich nicht im Widerspruch dazu, dass eine Einlassung des ehemaligen Mitangeklagten [X.]       damit am ersten [X.] lediglich für den nächsten [X.] angekündigt, nicht aber bereits abgegeben worden ist.

bb) Nachdem der Vorsitzende der [X.] und die Protokollführerin keine Erinnerung mehr an die Abläufe des [X.] hatten und die Staatsanwaltschaft eine Revisionsgegenerklärung nicht abgegeben hat, sieht der Senat von der Einholung weiterer dienstlicher Erklärungen, etwa der Beisitzer, der Schöffen oder der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ab: Da schon die [X.]en sich nicht mehr an die konkreten, von ihnen zu beurkundenden Abläufe erinnern können, steht nicht zu erwarten, dass die Verfahrensbeteiligten, die weniger Veranlassung hatten, sich die genauen Abläufe einzuprägen, zur Sachaufklärung beitragen könnten.

d) War damit nach dem freibeweislich festgestellten Verfahrensgang davon auszugehen, dass die Verteidiger für jeden der Angeklagten den [X.] nach § 222b Abs. 1 [X.] rechtzeitig erhoben hatten, kommt es nicht mehr darauf an, ob die [X.]n auch aus anderen Gründen als zulässig anzusehen wären: Nach dem Vortrag der Revisionen habe der Vorsitzende [X.] die Entgegennahme der [X.] vor Verlesung der Anklageschrift zwar abgelehnt, aber zugesichert, diese könnten ohne Rechtsnachteile für die Angeklagten zu einem späteren [X.]punkt erhoben werden und dies auf Drängen von Rechtsanwalt [X.] auch in das Protokoll aufgenommen. Im Protokoll findet sich - wie dargelegt - nur die Passage, dass Rechtsanwalt [X.] einen Antrag zur Gerichtsbesetzung angekündigt und Rechtsanwalt [X.] erklärt habe, ebenfalls einen solchen Antrag stellen zu wollen.

Der Senat sieht Anlass, zu der von den Revisionen dargestellten Vorgehensweise zu bemerken, dass der Vorsitzende grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Anträge der Verfahrensbeteiligten zu jeder [X.] entgegenzunehmen ([X.], Beschlüsse vom 5. November 2003 - 1 [X.], [X.]St 48, 372 f.; vom 24. Januar 2006 - 3 [X.], [X.], 463). Werden sie zu einem ungünstigen [X.]punkt gestellt, kann er - auch bei fristgebundenen Anträgen - den Antragsteller auf einen späteren [X.]punkt verweisen, wobei es die Fürsorgepflicht aber in aller Regel gebietet, dass der Vorsitzende von sich aus auf das zurückgestellte Anliegen zurückkommt ([X.][X.], aaO, § 238 Rn. 4). Fraglich ist, ob der Vorsitzende [X.] ausgehend von diesen Grundsätzen nicht schon auf der Grundlage des Inhalts des vorliegenden [X.]s gehalten war, den Angeklagten vor Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache von sich aus das Wort zur Erhebung der angekündigten, aber auf sein Betreiben zurückgestellten [X.] zu erteilen. Es ist kein Grund ersichtlich, aus dem die Verteidiger der Angeklagten von sich aus auf die Erhebung der [X.] vor Verlesung der Anklageschrift hätten verzichten und stattdessen diese nur hätten ankündigen sollen; der Vorsitzende [X.] hat in seiner dienstlichen Erklärung - schon aufgrund seiner fehlenden Erinnerung - nicht in Abrede gestellt, die Verteidiger zur Zurückstellung der [X.] gebracht zu haben. Hätte bei einem solchen Verfahrensablauf aber der Vorsitzende [X.] von sich aus auf die [X.] zurückkommen müssen, hätte er dies auch zum gebotenen [X.]punkt und damit vor Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache tun müssen. Hätte er dies in Verletzung seiner prozessualen Fürsorgepflicht unterlassen, erschiene es zweifelhaft, den Angeklagten die verspätete Erhebung des [X.]es anzulasten und sie mit der Rüge nach § 338 Nr. 1 [X.] auszuschließen. Letztlich kann dies aber offen bleiben, weil die [X.] - wie oben dargelegt - nicht verfristet erhoben worden sind.

3. Die auch im Übrigen zulässigen [X.]n der Angeklagten sind gleichfalls begründet. Zu Recht rügen sie, dass sie durch die Vorgehensweise des [X.]s bei der Geschäftsverteilung ihrem gesetzlichen [X.] entzogen worden sind.

Welches Verfahren zur Bestimmung des im Einzelfall berufenen [X.]s einzuhalten ist und welche [X.] an der Entscheidung mitwirken müssen, ist in den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, insbesondere in den §§ 21a bis 21g GVG ausdrücklich geregelt. Darüber hinaus gelten weitere Rechtsgrundsätze, die sich daraus ergeben, dass sowohl nach einfachem Recht (§ 16 Satz 2 GVG) als auch nach Verfassungsrecht (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) niemand seinem gesetzlichen [X.] entzogen werden darf. Zu diesen Grundsätzen zählt, dass eine Strafsache dem erkennenden Gericht nach allgemeinen, abstrakten Regelungen zuzuweisen ist; die Sache muss "blindlings" zu dem zuständigen [X.] oder Spruchkörper gelangen ([X.], Urteil vom 28. September 1954 - 5 StR 275/53, [X.]St 7, 23, 24; [X.][X.], aaO, § 338 Rn. 14 mwN). Diese Grundsätze sind bei der Aufstellung und der Änderung eines [X.] durch das Präsidium eines [X.]s gleichsam zu beachten; auch insoweit gilt, dass eine spezielle Zuweisung bestimmter einzelner Verfahren unzulässig ist (vgl. [X.], Beschluss vom 4. August 2009 - 3 [X.], [X.], 294, 295; [X.], Beschluss vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690).

Nach diesen in ständiger Rechtsprechung wiederholten und vom Schrifttum einhellig geteilten Grundsätzen war die Übertragung des Verfahrens "gegen [X.]       u.a." an die 6. große [X.] erkennbar rechtsfehlerhaft, weil es sich dabei um eine unzulässige Einzelzuweisung handelte. Dem steht nicht entgegen, dass eine Entlastung der 4. großen [X.] sachgerecht gewesen sein mag und zu diesem Zweck auch die Zuständigkeit für bereits anhängige Verfahren geändert werden darf, denn auch in diesen Fällen muss die Neuregelung generell und abstrakt gelten und darf nicht nur ein bestimmtes, namentlich benanntes Verfahren betreffen (vgl. zur insoweit zulässigen Verteilung bereits anhängiger Verfahren [X.], Beschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09, [X.]K 15, 247, 248 f.).

4. Die Sache bedarf damit insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die bisherigen Erwägungen der [X.] zur Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten [X.]      insoweit rechtlichen Bedenken begegnen könnten, als bei ihm die Initiierung der [X.] durch einen verdeckten Ermittler nicht strafmildernd berücksichtigt worden ist. Zutreffend ist zwar, dass dieser Angeklagte nicht selbst mit dem verdeckten Ermittler verhandelt hat; jedoch sind auch für den Angeklagten [X.]      jedenfalls in den Fällen sieben und neun der Urteilsgründe die gehandelten Mengen auf die Vorgaben des verdeckten Ermittlers gegenüber dem Angeklagten [X.] zurückzuführen.

Schäfer     

Pfister     

Ri[X.] Hubert befindet sich
im Urlaub und ist daher gehindert
zu unterschreiben.

Schäfer

Mayer     

Gericke     

Meta

3 StR 57/14

10.06.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wuppertal, 27. August 2013, Az: 26 KLs 8/13

§ 271 StPO, § 274 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.06.2014, Az. 3 StR 57/14 (REWIS RS 2014, 4956)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4956

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 B 45/16

3 B 46/16

3 StR 57/14

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