Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.02.2012, Az. 1 WB 22/11

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2012, 8712

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Gegenstand

Antrag auf Aufhebung einer bestandskräftigen Beurteilung; Wiederaufgreifen des Verfahrens


Leitsatz

Beantragt ein Soldat, eine nach Ablauf der Beschwerdefrist bestandskräftig gewordene Beurteilung aufzuheben, so bestimmen sich seine subjektiven Rechte nach den Vorschriften über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 4 und Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG in entsprechender Anwendung.

Tatbestand

Der Antragsteller ist Berufssoldat und begehrt die Aufhebung einer im Jahr 2008 erstellten, nach Ablauf der Beschwerdefrist bestandskräftig gewordenen Beurteilung. Die Beurteilung müsse aufgehoben werden, weil sie entsprechend den Ausführungen des Beschlusses des [X.] vom [X.] 2009 - BVerwG 1 WB 47.07 - (BVerwGE 134, 59) zum Richtwertesystem der Beurteilungsbestimmungen der [X.] in der Fassung vom 17. Januar 2007 rechtswidrig sei.

Sein Aufhebungsantrag wurde nach dienstaufsichtlicher Prüfung abgelehnt. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das [X.] zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

...

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Antrag ist nicht bereits unzulässig, weil eine Rechtsverletzung des Antragstellers von vornherein ausgeschlossen wäre. Zwar trifft es zu, dass eine Maßnahme der Dienstaufsicht, die alleine im öffentlichen Interesse wahrgenommen wird, keine anfechtbare truppendienstliche Maßnahme gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 [X.]O darstellt. Ein Soldat hat daher außerhalb eines förmlichen [X.]eschwerdeverfahrens keinen Anspruch darauf, dass auf seinen Antrag eine [X.]eurteilung im Rahmen einer dienstaufsichtlichen Prüfung nach Nr. 901 [X.] aufgehoben wird ([X.]eschlüsse vom 26. Juni 2007 - [X.]VerwG 1 [X.] 3.07 - Rn 19, vom 28. Mai 2008 - [X.]VerwG 1 [X.] 11.08 - Rn 18 und vom 23. Februar 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 36.09 - [X.] 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 17 Rn. 51 = [X.] 2011, 36 <37>, m.w.[X.]).

Die Dienstaufsicht ist ein Kontrollinstrument, das der Durchsetzung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dient. Entsprechend sieht § 14 [X.]O vor, dass die Untersuchung einer [X.]eschwerde stets auch darauf zu erstrecken ist, ob mangelnde Dienstaufsicht oder sonstige Mängel im dienstlichen [X.]ereich vorliegen. Wird eine [X.]eschwerde verspätet eingelegt, so ist diese zwar zurückzuweisen, gleichwohl ist ihr im Wege der Dienstaufsicht nachzugehen und soweit erforderlich für Abhilfe zu sorgen (§ 12 Abs. 3 [X.]O). Gleiches gilt dann, wenn eine [X.]eschwerde zurückgenommen wird (§ 8 Abs. 2 [X.]O). Die Dienstaufsicht wird jedoch durch den zuständigen Vorgesetzten allein im öffentlichen Interesse gegenüber dem Dienstherrn ausgeübt; sie obliegt dem Vorgesetzten nicht gegenüber seinen Untergebenen. Die Dienstaufsicht begründet daher keinen Rechtsanspruch eines Soldaten darauf, dass der zuständige Vorgesetzte in einer bestimmten Weise tätig wird. [X.]eantragt ein Soldat eine dienstaufsichtliche Prüfung, ohne darüber hinaus eigene, nach der Wehrbeschwerdeordnung durchsetzbare Rechte geltend machen zu können, so ist der zuständige Vorgesetzte zwar verpflichtet, diesen Antrag entgegenzunehmen, sachlich zu prüfen und die Art der Erledigung mitzuteilen. Weitergehende Ansprüche bestehen jedoch im Rahmen der Dienstaufsicht nicht (vgl. zum Ganzen ausführlich [X.]eschlüsse vom 9. August 2007 - [X.]VerwG 1 [X.] 51.06 - [X.] 450.1 § 17 [X.]O Nr. 62 Rn. 19 = [X.] 2007, 252 sowie vom 28. Mai 2008 - [X.]VerwG 1 [X.] 11.08 - und vom 23. Februar 2010 a.a.[X.]).

Jenseits der Dienstaufsicht kann jedoch unter den Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Verfahrens entsprechend der [X.]estimmung des § 51 VwVfG ein Anspruch darauf bestehen, dass über die Aufhebung einer bestandskräftigen [X.]eurteilung entschieden wird ([X.]eschlüsse vom 23. Juni 2004 - [X.]VerwG 1 [X.] 12.04 - [X.] 402.8 § 17 [X.] Nr. 2 S. 3 = [X.] 2005, 78 und vom 23. Februar 2010 a.a.[X.]). Darüber hinaus steht die Aufhebung einer sich als rechtswidrig erweisenden [X.]eurteilung im Ermessen des [X.] (§ 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG entsprechend). Hierauf bezogen hat der Antragsteller in engen Grenzen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. Urteile vom 27. Januar 1994 - [X.]VerwG 2 [X.] 12.92 - [X.]VerwGE 95, 86 <92> und vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 15.08 - [X.]VerwGE 135, 121 Rn. 26 sowie [X.]eschlüsse vom 11. April 1975 - [X.]VerwG 1 [X.] 3.74 - [X.]VerwGE 53, 12 <14>, vom 16. Mai 2002 - [X.]VerwG 1 [X.] 7.02 - [X.] 402.8 § 2 [X.] Nr. 2 S. 2 und vom 23. Juni 2004 a.a.[X.]). Nachdem der Antragsteller aus dem [X.]eschluss des Senats vom 26. Mai 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 48.07 - ([X.]VerwGE 134, 59) die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen [X.]eurteilung ableitet und deshalb die Aufhebung der [X.]eurteilung begehrt, scheidet die Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers nicht bereits von vornherein aus.

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Ablehnung der begehrten Aufhebung der neugefassten [X.]eurteilung vom 24. November 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die begehrte Aufhebung der [X.]eurteilung.

Truppendienstliche Maßnahmen, wie sie [X.]eurteilungen und Stellungnahmen zu [X.]eurteilungen darstellen, können nach Maßgabe der [X.]estimmungen der §§ 48-51 VwVfG auch dann aufgehoben werden, wenn sie nach den Regelungen über die Frist zur Ausübung des [X.]eschwerderechts (§§ 6 und 7 [X.]O) unanfechtbar und damit bestandskräftig geworden sind. Diese [X.]estimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes sind auf truppendienstliche Maßnahmen entsprechend anwendbar (vgl. [X.]eschlüsse vom 25. Juni 1986 - [X.]VerwG 1 [X.] 166.84 - [X.]VerwGE 83, 195 <197>, vom 6. März 2001 - [X.]VerwG 1 [X.] 120.00 - [X.]VerwGE 114, 84 <85>, vom 23. Juni 2004 a.a.[X.] und vom 7. Juli 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 51.08 - [X.] 449 § 3 SG Nr. 53 Rn. 27).

a) Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG liegen jedoch nicht vor. Die der [X.]eurteilung zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage hat sich nicht nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Richterliche Rechtsanwendung und Rechtserkenntnis ist mit einer Änderung des maßgeblichen materiellen Rechts und damit der Rechtslage nicht verbunden. Auch eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ändert jedenfalls grundsätzlich die Rechtslage nicht ([X.]eschlüsse vom 25. Mai 1981 - [X.]VerwG 8 [X.] 89.80 und 93.80 - [X.] 316 § 51 VwVfG Nr. 9 S. 1 und vom 16. Februar 1993 - [X.]VerwG 9 [X.] 241.92 - [X.] 316 § 51 VwVfG Nr. 29 S. 15 sowie Urteil vom 27. Januar 1994 a.a.[X.] S. 89). Etwas anderes mag in [X.]etracht kommen, wenn eine geänderte Rechtsprechung Ausdruck einer neuen allgemeinen Rechtsauffassung ist (vgl. [X.]/[X.], VwVfG, 12. Auflage 2011, § 51 Rn. 30 m.w.[X.]). Dies scheidet hier jedoch ohne Weiteres aus, weil der in [X.]ezug genommene [X.]eschluss des Senats vom 26. Mai 2009 auf der Anwendung bekannter allgemeiner Rechtsgrundsätze beruht. Auch die für die [X.]eurteilung maßgebliche Tatsachengrundlage - und damit die Sachlage - hat sich nicht geändert. Schließlich liegen keine neuen [X.]eweismittel vor, die eine dem [X.]etroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), und auch Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG) sind nicht gegeben.

b) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch darauf, dass der [X.]undesminister der Verteidigung die [X.]eurteilung im Wege seines Ermessens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG aufhebt.

Allerdings ist die [X.]eurteilung vom 24. November 2008 rechtswidrig, denn sie wurde auf der Grundlage des durch die [X.]eurteilungsbestimmungen der [X.] vom 17. Januar 2007 eingeführten [X.] erstellt. Dies findet seine [X.]estätigung in den Ausführungen des Kommandeurs des ...kommandos ..., der in seinem aus formellen Gründen aufgehobenen [X.]escheid vom 9. November 2009 festgestellt hat, dass die [X.]eurteilung nach den damaligen Vorschriften im Rahmen einer Reihung und vergleichenden [X.]etrachtung erstellt wurde. Ohne gesetzliche, zumindest verordnungsrechtliche Grundlage durfte dieses System jedoch nicht eingeführt werden, weshalb auf ihm beruhende [X.]eurteilungen rechtswidrig sind (vgl. hierzu ausführlich: [X.]eschluss vom 26. Mai 2009 a.a.[X.] Rn. 70).

Der [X.]undesminister der Verteidigung ist jedoch nicht schon deshalb verpflichtet, im Wege seines Ermessens das Verfahren wieder aufzugreifen und die [X.]eurteilung aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich ein Anspruch auf Aufhebung einer rechtswidrigen [X.]eurteilung nicht bereits aus der [X.]indung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Sowohl die Idee der materiellen Gerechtigkeit als auch der Grundsatz der Rechtssicherheit sind wesentliche [X.]estandteile des Rechtsstaatsprinzips (vgl. [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 14. Januar 1987 - 1 [X.]vR 1052/79 - [X.]VerfGE 74, 129 <152>). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]undesverfassungsgerichts ist dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte aufzuheben (vgl. [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 27. Februar 2007 - 1 [X.]vR 1982/01 - [X.]VerfGE 117, 302 <315> m.w.[X.]). Die Vorschrift des § 51 VwVfG mit ihrem abschließenden Katalog von [X.] macht deutlich, dass der Gesetzgeber nur in einzelnen besonders gravierenden Fällen das Zurücktreten des Prinzips der materiellen Gerechtigkeit gegenüber dem formalen Prinzip der [X.]estandskraft als so unerträglich ansieht, dass er dem [X.]etroffenen einen Anspruch auf eine neue Sachentscheidung zugesteht (Urteil vom 27. Januar 1994 a.a.[X.] S. 92). Daher verdichtet sich das dem [X.]undesminister der Verteidigung gegebene Ermessen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zugunsten des betroffenen Soldaten zu einer Pflicht, das Verfahren wieder aufzugreifen. Das ist nur dann der Fall, wenn sich aus besonderen Umständen ergibt, dass eine Aufrechterhaltung der bestandskräftigen Entscheidung unerträglich wäre ([X.]eschluss vom 23. Juni 2004 a.a.[X.]).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Aus dem Fehlen einer ausreichenden Rechtsgrundlage für das Richtwertesystem der [X.]eurteilungsbestimmungen der [X.] vom 17. Januar 2007 und aus der hieraus abzuleitenden Rechtswidrigkeit der [X.]eurteilung ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass die Aufrechterhaltung der [X.]eurteilung unerträglich wäre. Dies folgt aus der Wertung des § 48 Abs. 1 VwVfG, der als Rechtsfolge eines rechtswidrigen bestandskräftigen Verwaltungsakts lediglich die Möglichkeit der Aufhebung, nicht hingegen bereits dessen zwingende Aufhebung vorsieht. Unerträglich ist die Aufrechterhaltung der [X.]eurteilung auch nicht etwa deshalb, weil die Rechtswidrigkeit der [X.]eurteilung bereits bei ihrer Erstellung offensichtlich gewesen wäre (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 50.09 - [X.] 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 12). Vielmehr beruht die Erkenntnis ihrer Rechtswidrigkeit auf einer Entscheidung des Senats, die das Richtwertesystem der [X.]eurteilungsbestimmungen der [X.] vom 17. Januar 2007 im Einzelnen analysiert, gegenüber herkömmlichen [X.]eurteilungssystemen abgegrenzt und im Ergebnis hieraus eine unzureichende Rechtsgrundlage festgestellt hat.

Vor diesem Hintergrund war es dem [X.]undesminister der Verteidigung nicht von vornherein verwehrt, die Aufhebung der [X.]eurteilung abzulehnen. Die Entscheidung, die [X.]eurteilung nicht aufzuheben, ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Zwar wurde die Entscheidung erklärtermaßen nur im Verfahren der Dienstaufsicht getroffen. Gleichwohl wurde in diesem Rahmen das bestehende Ermessen gesehen und fehlerfrei ausgeübt.

...

Meta

1 WB 22/11

28.02.2012

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WB

§ 17 Abs 3 WBO, § 51 Abs 1 VwVfG, § 51 Abs 5 VwVfG, § 48 Abs 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.02.2012, Az. 1 WB 22/11 (REWIS RS 2012, 8712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8712

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1 BvR 1982/01

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