Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2014, Az. IX ZR 282/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 2129

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zwangsverwaltung eines vermieteten Grundstücks: Auf insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit gestützte Räumungsklage des Zwangsverwalters


Leitsatz

Der Zwangsverwalter eines vermieteten Grundstücks kann eine Räumungsklage auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters nicht auf die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit des Mietvertrages stützen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] in [X.] des [X.] vom 19. November 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Mit [X.] mietete die Beklagte von der [X.] (fortan: Schuldnerin oder Vermieterin) Büro- und Lagerflächen im Umfang von insgesamt 641 qm auf dem Grundstück [X.]in [X.]                     . Mit einer ergänzenden Vereinbarung vom 22. Oktober 2009 wurden weitere Räumlichkeiten in den im Übrigen unverändert [X.] einbezogen. Unter dem 23. Oktober 2009 beantragte die Vermieterin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Nach Eröffnung am 30. Juni 2010 focht der Insolvenzverwalter die Mietverträge an und verlangte die Herausgabe der Mieträume. Am 15. Dezember 2010 wurde die Zwangsverwaltung des Grundstücks [X.]     angeordnet und die Klägerin zur Zwangsverwalterin bestellt.

2

Mit ihrer am 7. Juni 2011 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst Räumung und Herausgabe der Mieträume verlangt. Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Während des Berufungsverfahrens wurde das Grundstück zwangsversteigert. Nachdem der Erwerber von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht und die Beklagte das Grundstück geräumt hatte, hat die Klägerin die Klage für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Sie hat weiterhin die Abweisung der Klage beantragt. Am 18. April 2012 wurde die Zwangsverwaltung im Hinblick auf den Zuschlagsbeschluss vom 12. März 2012 aufgehoben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die vom Insolvenzverwalter erklärte Insolvenzanfechtung sei berechtigt und die Beklagte daher zur Räumung der Mietsache verpflichtet gewesen. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 2, § 138 Abs. 2 [X.] analog seien erfüllt. Jedenfalls der [X.] habe die Gläubiger unmittelbar benachteiligt.

II.

5

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann eine Erledigung der Hauptsache nicht festgestellt werden.

6

1. Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch das behauptete Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde ([X.], Urteil vom 17. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 392, 395; vom 14. März 2014 - [X.], [X.], 1180 Rn. 7). Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob die Klage im Zeitpunkt der Räumung begründet war.

7

2. Grundlage des Anspruchs der Klägerin war § 152 [X.] in Verbindung mit § 985 BGB.

8

a) Nach § 152 Abs. 1 [X.] hat der Verwalter das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestande zu erhalten und ordnungsmäßig zu benutzen. Hat ein Dritter das zu verwaltende Grundstück unberechtigt in Besitz, kann und muss der Verwalter die Herausgabe des Grundstücks betreiben. War das Grundstück vor der Beschlagnahme einem Mieter oder Pächter überlassen worden, so ist der Miet- oder Pachtvertrag gemäß § 152 Abs. 2 [X.] allerdings auch dem Verwalter gegenüber wirksam.

9

b) Die Beklagte hatte den Besitz der Räumlichkeiten, deren Herausgabe und Räumung die Klägerin verlangt hat, aufgrund der Verträge vom 18. Dezember 2008 und vom 22. Oktober 2009 erlangt. Diese Verträge und das aus ihnen folgende Recht zum Besitz wirken gemäß § 152 Abs. 2 [X.] auch gegenüber der Klägerin, wenn sie nicht nach den allgemeinen Vorschriften nichtig oder wirksam gekündigt worden sind. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Klägerin kann aus der vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der Vermieterin erklärten, aber nicht weiterverfolgten Anfechtung eine Nichtigkeit der vertraglichen Vereinbarungen vom 18. Dezember 2008 und vom 22. Oktober 2009 nicht hergeleitet werden.

aa) Gemäß § 129 Abs. 1 [X.] kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 [X.] die Rechtshandlungen anfechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Anders als die in §§ 119 ff BGB geregelte zivilrechtliche Anfechtung einer Willenserklärung ist die Insolvenzanfechtung kein Gestaltungsrecht, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch ([X.], Urteil vom 21. September 2006 - [X.], [X.], 42 Rn. 14 ff; vgl. auch [X.], Urteil vom 25. April 1962 - [X.], [X.], 603, 604 zu § 37 KO). Sie wird nicht "erklärt", sondern wie jeder andere schuldrechtliche Anspruch auch außergerichtlich oder gerichtlich geltend gemacht (vgl. bereits [X.], Urteil vom 20. März 1997 - [X.], [X.]Z 135, 140, 149 f zu § 37 KO). Die Rechtsfolgen einer erfolgreichen Anfechtung ergeben sich aus § 143 [X.]. [X.] veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Insolvenzanfechtung hat also nicht die Unwirksamkeit der angefochtenen Rechtshandlung zur Folge ([X.], Urteil vom 21. September 2006, aaO Rn. 15; vom 26. April 2012 - [X.], [X.], 1131 Rn. 32; [X.] in Festschrift [X.], 2008, [X.], 302). Wird etwa die Abtretung einer Forderung angefochten und liegen die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestandes vor, hat der [X.] die Forderung rückabzutreten. Solange dies nicht erfolgt ist, bleibt er Inhaber der Forderung ([X.], Urteil vom 21. September 2006, aaO Rn. 18).

bb) Der vorliegende Fall weist allerdings die Besonderheit auf, dass die Begründung einer Verbindlichkeit, nämlich der Abschluss des [X.] nebst der ergänzenden Vereinbarung, angefochten worden ist. Wird eine auf Abschluss eines gegenseitigen Vertrages gerichtete Willenserklärung insolvenzrechtlich angefochten, hat dies zur Folge, dass der [X.] sich nicht auf die angefochtene Erklärung berufen kann ([X.], Urteil vom 26. April 2012, aaO; vom 8. November 2012 - [X.], [X.], 2340 Rn. 24; [X.]/[X.], [X.], § 143 Rn. 37; HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 143 Rn. 4; MünchKomm-[X.]/Kirchhof, 3. Aufl., § 143 Rn. 16a, 54; [X.] in [X.], [X.], 2011, § 143 Rn. 25; [X.], [X.] (1956), 277, 326 f; [X.], Die systematische Einordnung der Gläubigeranfechtung, S. 331; vgl. auch Hahn/[X.], Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Nachdruck 1983, [X.]: "… bewendet es bei der Wirkungslosigkeit der Handlung"). Einer weitergehenden Rückgewähr bedarf es nicht. Folge der Anfechtung ist also, dass der Vertrag als nicht bestehend behandelt wird. Der Insolvenzverwalter kann, wenn er auf Erfüllung des Vertrages in Anspruch genommen wird, dessen Anfechtbarkeit einwenden, ohne zuvor auf Rückgewähr der Vertragserklärungen des Schuldners klagen zu müssen.

cc) Diese Rechtswirkung tritt jedoch ausschließlich im Verhältnis zur Insolvenzmasse ein, nicht im Verhältnis zu Dritten.

(1) Dem Wortlaut des § 143 [X.] lässt sich die Beschränkung der Rechtsfolgen der Anfechtung auf das Verhältnis des [X.]s zur Insolvenzmasse nicht entnehmen. Die Anfechtungsvorschriften der [X.] sind jedoch im Grundsatz denjenigen der Konkursordnung nachgebildet worden. Nach § 29 KO, der Vorgängervorschrift des § 129 [X.], konnten Rechtshandlungen "als den [X.] gegenüber unwirksam" angefochten werden. Mit dieser Formulierung sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass das angefochtene Rechtsgeschäft "selbst wenn dessen Anfechtbarkeit richterlich ausgesprochen wird, als an sich gültig bestehen" blieb und "seine Wirkung unter den handelnden Theilen nach dem Inhalt des Geschäfts" behielt; ihm wurden lediglich "die Wirkungen nach der oben angegebenen Richtung für die Konkursgläubiger entzogen" (Hahn/[X.], Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Nachdruck 1983, [X.]). Der Gesetzgeber der [X.] hat die Worte "als den [X.] gegenüber unwirksam" bewusst nicht übernommen. Damit sollte jedoch nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung nicht als relative Unwirksamkeit aufzufassen ist, sondern im Regelfall einen obligatorischen [X.] begründet (BT-Drucks. 12/2443 [X.] zu § 144 [X.]). Die Bestimmungen über die Insolvenzanfechtung sollten also nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass sich neben dem Insolvenzverwalter auch Dritte auf die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts berufen können. Wirkung gegenüber jedermann erlangt eine Anfechtung vielmehr erst mit der Erfüllung des Anfechtungsanspruchs durch den [X.].

(2) Nichts anderes gilt, wenn die anfechtbare Rechtshandlung in der Begründung einer Verbindlichkeit besteht. Im Verhältnis zur Insolvenzmasse bedarf es zwar keines Vollzugs der Rückgewähr. Der Insolvenzverwalter kann eine Inanspruchnahme bereits mit dem Einwand der Anfechtbarkeit abwehren. Damit bleibt der Vertrag jedoch bestehen; der Schuldner, der den [X.] geschlossen hat, bleibt aus ihm verpflichtet (MünchKomm-[X.]/Kirchhof, aaO § 143 Rn. 16a; [X.]/[X.], aaO § 143 Rn. 95). Der Verwalter, der zunächst die Anfechtung des Vertrages erklärt und vom [X.] einen ausdrücklichen Verzicht auf die Rechte aus diesem Vertrag verlangt hat, kann in den von § 242 BGB gezogenen Grenzen von der Verfolgung des [X.]s Abstand nehmen und gemäß § 103 [X.] die Erfüllung des Vertrages verlangen ([X.], Urteil vom 25. April 1962 - [X.], [X.], 603 zu § 37 KO; [X.]/[X.], aaO Rn. 40; MünchKomm-[X.]/Kirchhof, aaO Rn. 16a). Aufgehoben wird der Vertrag nicht bereits durch die vom Insolvenzverwalter erklärte oder gerichtlich geltend gemachte Anfechtung, sondern erst mit der Zustimmung oder einer entsprechenden Verurteilung des [X.]s. Allenfalls dann kommt eine Wirkung der Anfechtung auch gegenüber Dritten in Betracht. Die Beklagte hat der vom Insolvenzverwalter erklärten Anfechtung des [X.] und der ergänzenden Vereinbarung nicht zugestimmt. Dem eigenen Vortrag der Klägerin nach hat sie der Aufforderung des Verwalters, die Mietsache zu räumen, nicht Folge geleistet.

dd) Dieses Ergebnis ändert sich nicht deshalb, weil die Klägerin als Zwangsverwalterin in dem durch § 152 [X.] beschriebenen Umfang auch Eigentümerrechte geltend machen, etwa einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB durchsetzen kann. Der auf das Insolvenzverfahren bezogene Anfechtungsanspruch nach §§ 129 ff [X.] ist von dieser Befugnis nicht umfasst.

III.

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung, auf welche die Klägerin die Räumungsklage ursprünglich auch gestützt hatte, zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt hat.

Kayser                    Vill                         Lohmann

               Pape                   Möhring

Meta

IX ZR 282/13

16.10.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 19. November 2013, Az: 13 U 27/12

§ 143 Abs 1 S 1 InsO, § 152 Abs 2 ZVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2014, Az. IX ZR 282/13 (REWIS RS 2014, 2129)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 164 REWIS RS 2014, 2129

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 282/13 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 91/10 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Abtretbarkeit des Rückgewähranspruchs


IX ZR 91/10 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 173/09 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters trotz bereits erfolgter erfolgreicher Inanspruchnahme des Anfechtungsschuldners vor der Insolvenzverfahrenseröffnung; Geltung …


IX ZR 235/04 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.