Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2014, Az. IX ZR 282/13

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 2117

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
IX [X.]

Verkündet am:

16. Oktober 2014

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] § 152 Abs. 2; [X.] § 143 Abs. 1 Satz 1
Der Zwangsverwalter eines vermieteten Grundstücks kann eine Räumungsklage auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters nicht auf die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit des [X.] stützen.
[X.], Urteil vom 16. Oktober 2014 -
IX [X.] -
OLG [X.] in [X.]

[X.]
-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
16. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Kayser, den
Richter
Vill, die Richterin [X.], [X.] Pape und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] in [X.] des Oberlandesgerichts [X.] vom 19. November 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Mit Vertrag vom 18. Dezember 2008
mietete die Beklagte von
der
O.

GmbH (fortan: Schuldnerin
oder Vermieterin) Büro-
und Lagerflächen im Umfang von insgesamt 641 qm auf dem Grundstück S.

in V.

.
Mit einer ergänzenden
Vereinba-rung vom 22.
Oktober 2009 wurden weitere Räumlichkeiten in den im Übrigen unverändert [X.] einbezogen.
Unter dem
23. Oktober 2009 beantragte die Vermieterin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Nach Eröffnung am
30.
Juni 2010
focht der
Insolvenzverwalter die 1
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Mietverträge an
und verlangte
die
Herausgabe der Mieträume. Am [X.] 2010 wurde die Zwangsverwaltung des Grundstücks
S.

angeordnet und die Klägerin zur Zwangsverwalterin bestellt.

Mit ihrer am 7. Juni 2011 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klä-gerin zunächst Räumung und Herausgabe der Mieträume verlangt.
Das Land-gericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Während des Berufungsver-fahrens
wurde das Grundstück zwangsversteigert. Nachdem der Erwerber von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht
und die Beklagte das Grundstück geräumt
hatte,
hat die Klägerin die Klage für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die [X.] hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Sie hat weiterhin die Abweisung der Klage beantragt.
Am 18. April 2012 wurde die Zwangsver-waltung
im Hinblick auf den Zuschlagsbeschluss vom 12. März 2012
aufgeho-ben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur [X.] an das Berufungsgericht.

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I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die vom Insolvenzverwalter [X.] sei berechtigt und die Beklagte daher zur Räumung der Mietsache verpflichtet gewesen. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach §
133 Abs. 2, § 138 Abs. 2 [X.] analog seien erfüllt.
Jedenfalls der [X.] habe die Gläubiger unmittelbar benachteiligt.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Mit
der Begründung des Berufungsgerichts kann eine Erledigung der [X.] nicht festgestellt werden.

1. Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch das behauptete Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde ([X.], Urteil vom 17.
Juli
2003 -
IX ZR 268/02, [X.]Z 155, 392, 395; vom 14.
März 2014 -
V [X.], [X.], 1180 Rn.
7). Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob die Klage im Zeitpunkt der Räumung begründet war.

2. Grundlage
des Anspruchs der Klägerin war § 152 [X.] in Verbindung mit § 985 BGB.

a) Nach § 152
Abs. 1
[X.] hat der Verwalter das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in sei-nem wirtschaftlichen Bestande zu erhalten und ordnungsmäßig zu benutzen. Hat ein Dritter das zu verwaltende Grundstück unberechtigt in Besitz, kann und muss der Verwalter die Herausgabe des Grundstücks betreiben. War das 4
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Grundstück vor der Beschlagnahme einem Mieter oder Pächter überlassen worden, so ist der Miet-
oder Pachtvertrag gemäß § 152 Abs. 2 [X.]
allerdings
auch dem Verwalter
gegenüber wirksam.

b) Die Beklagte hatte den Besitz der Räumlichkeiten, deren Herausgabe und Räumung die Klägerin verlangt hat, aufgrund der Verträge vom 18. [X.] und vom 22. Oktober 2009 erlangt. Diese Verträge und das aus ihnen folgende Recht zum Besitz wirken gemäß § 152 Abs. 2 [X.] auch ge-genüber der Klägerin, wenn sie nicht nach den allgemeinen Vorschriften nichtig oder wirksam gekündigt worden sind. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen
und der Klägerin kann aus der vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der Vermieterin erklärten, aber nicht weiterverfolgten Anfechtung eine Nichtigkeit der vertraglichen Vereinbarungen vom 18. Dezember 2008 und vom 22. Okto-ber 2009 nicht hergeleitet werden.

aa) Gemäß § 129 Abs. 1 [X.]
kann der Insolvenzverwalter nach [X.] der §§ 130 bis 146 [X.] die Rechtshandlungen anfechten, die vor der Eröff-nung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenz-gläubiger benachteiligen. Anders als die in §§ 119 ff BGB
geregelte zivilrechtli-che Anfechtung einer Willenserklärung ist die Insolvenzanfechtung kein Gestal-tungsrecht, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch ([X.], Urteil vom 21. Sep-tember 2006 -
IX ZR 235/04, [X.], 42 Rn. 14 ff; vgl. auch [X.], Urteil vom 25.
April 1962 -
VIII ZR 43/61, [X.], 603, 604 zu § 37 KO). Sie wird
nicht "erklärt", sondern wie jeder andere schuldrechtliche Anspruch auch
außerge-richtlich oder gerichtlich geltend gemacht
(vgl. bereits [X.], Urteil vom 20. März 1997 -
IX ZR 71/96, [X.]Z 135, 140, 149
f
zu § 37 KO).
Die Rechtsfolgen einer erfolgreichen
Anfechtung ergeben sich aus § 143 [X.]. [X.] aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben 9
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oder aufgegeben ist, muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die In-solvenzanfechtung hat also nicht die Unwirksamkeit der angefochtenen Rechtshandlung zur Folge ([X.], Urteil vom 21. September 2006, aaO Rn. 15; vom 26. April 2012 -
IX [X.], [X.], 1131 Rn. 32; [X.] in Festschrift [X.], 2008, [X.], 302). Wird etwa die Abtretung einer Forderung an-gefochten und liegen die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestandes vor, hat der [X.] die Forderung rückabzutreten. Solange dies nicht erfolgt ist, bleibt er Inhaber der Forderung ([X.], Urteil vom 21. September 2006, aaO Rn. 18).

bb)
Der vorliegende Fall weist allerdings die Besonderheit auf, dass die Begründung einer Verbindlichkeit, nämlich der Abschluss des [X.] nebst der ergänzenden Vereinbarung,
angefochten worden ist. Wird eine auf Abschluss eines gegenseitigen Vertrages gerichtete Willenserklärung insol-venzrechtlich angefochten, hat dies zur Folge, dass der [X.] sich nicht auf die angefochtene Erklärung berufen kann ([X.], Urteil vom 26.
April 2012, aaO; vom 8. November 2012 -
IX ZR 77/11, [X.], 2340 Rn.
24; [X.]/[X.], [X.], § 143 Rn. 37; HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 143 Rn.
4; MünchKomm-[X.]/Kirchhof, 3. Aufl., § 143 Rn. 16a, 54; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2011, § 143 Rn. 25; [X.], [X.] (1956), 277, 326
f; [X.], Die systematische Einordnung der Gläubigeranfechtung, S. 331; vgl. auch Hahn/[X.], Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Nachdruck 1983, [X.]: "Handlung"). Einer weitergehenden Rückgewähr bedarf es nicht. Folge der [X.] ist also, dass der Vertrag als nicht bestehend behandelt wird.
Der In-solvenzverwalter kann, wenn er auf Erfüllung des Vertrages in Anspruch ge-nommen wird, dessen Anfechtbarkeit einwenden, ohne zuvor auf Rückgewähr der Vertragserklärungen des Schuldners klagen zu müssen.
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cc) Diese Rechtswirkung tritt jedoch ausschließlich im Verhältnis zur [X.] ein, nicht im Verhältnis zu Dritten.

(1) Dem Wortlaut des § 143 [X.] lässt sich die Beschränkung der Rechtsfolgen der Anfechtung auf das Verhältnis des [X.]s zur
Insolvenzmasse nicht entnehmen.
Die Anfechtungsvorschriften der Insolvenz-ordnung
sind jedoch im Grundsatz denjenigen der Konkursordnung nachgebil-det worden. Nach § 29 KO, der Vorgängervorschrift des § 129 [X.], konnten
Rechtshandlungen "als den [X.] gegenüber unwirksam"
ange-fochten werden. Mit dieser Formulierung sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass das angefochtene Rechtsgeschäft "selbst wenn dessen Anfechtbarkeit richterlich ausgesprochen wird, als an sich gültig bestehen"
blieb und "seine Wirkung unter den handelnden Theilen nach dem Inhalt des Geschäfts"
behielt; ihm wurden lediglich "die Wirkungen nach der oben angegebenen Richtung für die Konkursgläubiger entzogen"
(Hahn/[X.], Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Nachdruck 1983, [X.]). Der [X.] der Insolvenzordnung hat die Worte "als den [X.] gegenüber unwirksam"
bewusst nicht übernommen. Damit sollte jedoch nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung nicht als relati-ve Unwirksamkeit aufzufassen ist, sondern im Regelfall einen obligatorischen [X.] begründet (BT-Drucks. 12/2443
S. 157
zu § 144 [X.]). Die Bestimmungen über die Insolvenzanfechtung sollten
also nicht [X.] verallgemeinert werden, dass sich neben dem Insolvenzverwalter auch Dritte auf die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts berufen können.
Wirkung gegenüber jedermann erlangt eine
Anfechtung vielmehr erst mit der Erfüllung des Anfechtungsanspruchs durch den [X.].

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(2)
Nichts anderes gilt, wenn die anfechtbare Rechtshandlung in der Be-gründung einer Verbindlichkeit besteht. Im Verhältnis zur Insolvenzmasse [X.] es zwar keines Vollzugs der Rückgewähr. Der Insolvenzverwalter kann eine Inanspruchnahme bereits mit dem Einwand der Anfechtbarkeit abwehren. Damit bleibt der Vertrag jedoch bestehen; der Schuldner, der den [X.] geschlossen hat, bleibt aus ihm verpflichtet (MünchKomm-[X.]/
Kirchhof, aaO § 143 Rn. 16a; [X.]/[X.], aaO § 143 Rn. 95). Der [X.], der zunächst die Anfechtung des Vertrages erklärt und vom [X.] einen ausdrücklichen Verzicht auf die Rechte aus diesem [X.] hat, kann
in den von § 242 BGB gezogenen Grenzen
von der Verfolgung des [X.]s Abstand nehmen und gemäß § 103 [X.] die Erfül-lung des Vertrages verlangen ([X.], Urteil vom 25. April 1962 -
VIII ZR 43/61, [X.], 603
zu § 37 KO; [X.]/[X.], aaO Rn. 40; MünchKomm-[X.]/
Kirchhof, aaO Rn. 16a). Aufgehoben wird der Vertrag nicht bereits durch die vom Insolvenzverwalter erklärte oder gerichtlich geltend gemachte Anfechtung, sondern erst mit der Zustimmung oder einer entsprechenden Verurteilung des [X.]s. Allenfalls dann kommt eine Wirkung der Anfechtung auch gegenüber Dritten in Betracht. Die Beklagte
hat
der vom Insolvenzverwalter
erklärten Anfechtung des [X.] und der ergänzenden Vereinbarung
nicht zugestimmt. Dem eigenen Vortrag der Klägerin nach hat sie
der Aufforde-rung des Verwalters,
die Mietsache
zu räumen, nicht Folge geleistet.

dd) Dieses Ergebnis ändert sich nicht deshalb, weil die Klägerin als Zwangsverwalterin in dem durch § 152 [X.] beschriebenen Umfang auch [X.] geltend machen, etwa einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB durchsetzen kann. Der auf das Insolvenzverfahren bezogene Anfech-tungsanspruch
nach §§ 129 ff [X.]
ist von dieser Befugnis nicht umfasst.

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III.

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-zuheben (§
562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung, auf welche die Klägerin die Räumungsklage ursprünglich auch gestützt hatte, zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt hat.

Kayser

Vill

[X.]

Pape
Möhring
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.01.2012 -
2 O 224/11 D -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 19.11.2013 -
13 U 27/12 -

16

Meta

IX ZR 282/13

16.10.2014

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2014, Az. IX ZR 282/13 (REWIS RS 2014, 2117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2117

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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