Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.07.2010, Az. 4 B 29/10

4. Senat | REWIS RS 2010, 4374

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Gegenstand

Bindungswirkung und Auslegung von technischen Regelwerken; schädliche Immissionen und Genehmigungsfähigkeit; Zumutbarkeitsgrenzen im Nachbarschaftsverhältnis


Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten [X.]eschwerden haben keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die [X.]eschwerdeführer beimessen.

3

a) Die Frage, ob die [X.] - [X.] - im [X.]augenehmigungsverfahren unmittelbar bzw. als Erkenntnisquelle angewendet werden kann, führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sich auf sie auch ohne Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens antworten lässt. Technische Regelwerke erzeugen für die [X.]ehörden und Gerichte keine [X.]indungswirkung, wenn der Gesetzgeber sie, wie das bei der [X.] der Fall ist, nicht in seinen [X.] aufnimmt. Sie dürfen aber im Einzelfall im Rahmen der tatrichterlichen [X.]ewertung als Orientierungshilfe herangezogen werden (Urteil vom 19. Januar 1989 - [X.]VerwG 7 [X.] 77.87 - [X.]VerwGE 81, 197 <203 ff.>; [X.]eschluss vom 24. Januar 1992 - [X.]VerwG 4 [X.] 228.91 - [X.] 406.12 § 4a [X.] [X.] juris Rn. 6; [X.], Urteil vom 21. Juni 2001 - [X.] - [X.] f.), und zwar unabhängig davon, ob sie im jeweiligen [X.]undesland umgesetzt sind. Soweit sich die Fragen auf die Auslegung der [X.] selbst beziehen, betreffen sie kein revisibles Recht, weil die Auslegung der [X.] keine Rechtsanwendung, sondern Tatsachenfeststellung ist (vgl. [X.]eschluss vom 30. September 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 175.96 - NVwZ-RR 1997, 214 zu DIN-Normen).

4

b) Die Frage, ob bei der Prüfung der baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit einer baulichen Anlage, die zu einer bestehenden Anlage hinzutritt, allein die von der zur Genehmigung gestellten Anlage verursachten Immissionen oder die Gesamtbelastung zu berücksichtigen ist, nötigt ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Ist Gegenstand des [X.]augenehmigungsverfahrens eine Anlage, die [X.]estandteil eines Gesamtvorhabens werden soll, darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Gesamtanlage genehmigungsfähig ist (vgl. Urteil vom 15. November 1991 - [X.]VerwG 4 [X.] 17.88 - [X.]RS 52 Nr. 52 S. 143), wenn also u.a. die von der Gesamtanlage ausgehenden Immissionen nicht die Schwelle der Schädlichkeit überschreiten. Von diesem Prüfungsansatz ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ([X.]). Ob das Resultat seiner Prüfung zutrifft, ist keine Frage, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Der allgemeinen Kontrolle des angegriffenen [X.]erufungsurteils dient das [X.]eschwerdeverfahren nicht.

5

Die Frage des [X.]eklagten, ob es die Möglichkeit der "[X.]" durch nachträgliche Nebenbestimmungen zur [X.]augenehmigung gibt, beurteilt sich nicht nach den Vorschriften des [X.]undes-Immissionsschutzgesetzes, sondern nach der [X.]auordnung des [X.]. Deren [X.]estimmungen sind [X.]estandteil des nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO irrevisiblen Landesrechts. Die Zusatzfrage, ob eine erteilte [X.]augenehmigung für ein Erweiterungsvorhaben aufgehoben werden kann, obwohl eine förmliche [X.]etriebsuntersagung nicht in [X.]etracht kommt, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie für den Fall der Anwendbarkeit der hier nicht einschlägigen [X.]estimmung des § 25 Abs. 2 [X.]ImSchG gestellt worden ist.

6

c) Auch die Frage, ob Gummigerüche, die in ihrer Wahrnehmung vom Gutachter weder als angenehm noch als unangenehm bewertet wurden, eine erhebliche [X.]elästigung im Sinne des § 5 [X.]ImSchG darstellen und den [X.]estandsschutz eines bestehenden [X.]etriebs in Frage stellen können, rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Die Vorstellung des [X.]eklagten, nur als unangenehm empfundene Gerüche könnten erheblich belästigend wirken, "neutrale" Gerüche dagegen nicht, trifft ersichtlich nicht zu. Mit dem Thema [X.]estandsschutz hat die Würdigung, ob [X.] eine erhebliche [X.]elästigung darstellen, nichts zu tun.

7

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 [X.] VwGO zuzulassen. Das angefochtene Urteil weicht nicht von den Entscheidungen des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2002 - [X.]VerwG 4 [X.] 60.02 - ([X.] 406.19 [X.] Nr. 165) und vom 11. Februar 1977 - [X.]VerwG 4 [X.] 9.75 - ([X.] 406.25 § 4 [X.]ImSchG [X.]) ab. Es enthält keinen entscheidungstragenden Rechtssatz, der einem Rechtssatz des [X.]undesverwaltungsgerichts widerspricht.

8

a) Das Oberverwaltungsgericht hat sich von dem Rechtssatz leiten lassen, schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 [X.]ImSchG müssten im Rahmen des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme nicht hingenommen werden ([X.]). Nach Auffassung des [X.]eklagten steht dieser Rechtssatz im Widerspruch zu einem Rechtssatz des [X.]undesverwaltungsgerichts im [X.]eschluss vom 29. Oktober 2002 (a.a.[X.]), der zum Inhalt haben soll, dass die Schwelle des nachbarlichen Abwehranspruchs erst bei der Gesundheitsgefahr anzusetzen ist. Einen solchen Rechtssatz hat der Senat indes nicht formuliert. Er zieht bei der Schwelle der Gesundheitsgefährdung die äußerste Grenze dessen, was im [X.] als zumutbar hinzunehmen ist. Auch darunter gibt es Zumutbarkeitsschwellen, die sich an der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter ausrichten (Urteil vom 14. Januar 1993 - [X.]VerwG 4 [X.] 19.90 - NVwZ 1993, 1184 <1185>).

9

b) Anknüpfungspunkt für die [X.] der [X.]eigeladenen ist die Aussage im [X.]erufungsurteil, bei der [X.]eurteilung der Zumutbarkeit von Immissionen im Rahmen der baurechtlichen Genehmigung einer neuen [X.] komme es nicht nur auf deren Immissionsanteil, sondern auf die Gesamtimmissionen einschließlich der von anderen Emissionsquellen verursachten Anteile an ([X.]). Die [X.]eigeladene sieht darin einen Widerspruch zu dem Rechtssatz im Urteil des Senats vom 11. Februar 1977 (a.a.[X.]), wonach bei der Entscheidung über die Erteilung einer Änderungsgenehmigung unmittelbar abzustellen ist auf die Emissionen, die mit der Änderung ursächlich verbunden sind. Die behauptete Divergenz liegt nicht vor. Immissionen und Emissionen sind nicht dasselbe. Immissionen sind auf verschiedene Rechtsgüter einwirkende Umwelteinwirkungen (vgl. § 3 Abs. 2 [X.]ImSchG), Emissionen von einer Anlage ausgehende Erscheinungen (vgl. § 3 Abs. 3 [X.]ImSchG).

3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) zuzulassen.

a) Der [X.]eklagte beanstandet, dass das Oberverwaltungsgericht kein weiteres Gutachten eingeholt hat, obwohl das Gutachten [X.] keine [X.] enthalte und wegen "Nichterfassens aller Emissionsquellen und deren Verwechslung" unbrauchbar sei. Einen Verfahrensmangel zeigt er damit nicht auf.

Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen liegt nach ständiger Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts gemäß § 98 VwGO i.V.m. §§ 404, 412 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts. Dieses Ermessen wird nur dann nicht verfahrensfehlerfrei ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung zusätzlicher Gutachten absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren [X.]eweiserhebung hätte aufdrängen müssen (vgl. z.[X.]. Urteil vom 6. Oktober 1987 - [X.]VerwG 9 [X.] 12.87 - [X.] 310 § 98 VwGO Nr. 31). Vorliegend musste sich dem Oberverwaltungsgericht die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht aufdrängen. Im [X.]erufungsurteil ist ausgeführt, dass die [X.] die vom Gutachter [X.] angewandte olfaktorische Ermittlung der [X.] als zulässige Methode anerkennt und nur für die [X.]erechnung einer Zusatzbelastung die [X.] vorrangig anzuwenden ist ([X.]). Auf die [X.] hat das Oberverwaltungsgericht verzichtet, weil es nach seiner Rechtsauffassung auf die Zusatzbelastung nicht ankam. Ob diese Rechtsauffassung richtig ist, ist ohne [X.]elang. Der [X.]ereich der Tatsachenfeststellung ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März 1987 - [X.]VerwG 6 [X.] 10.84 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 183; stRspr). Soweit der [X.]eklagte die Notwendigkeit eines weiteren Gutachtens mit der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens [X.] begründet, scheitert seine Aufklärungsrüge daran, dass er nicht darlegt, dass und aus welchen Gründen eine erneute [X.]egutachtung zur Klageabweisung hätte führen müssen. Die [X.]ehauptung, das Gutachten sei keine hinreichende Entscheidungsgrundlage für die Frage der Rechtmäßigkeit der erteilten [X.]augenehmigung, reicht nicht aus, um den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zu genügen.

b) Nach Ansicht der [X.]eigeladenen hätte sich dem Oberverwaltungsgericht aufdrängen müssen, ein Sachverständigengutachten zu dem [X.]eweisthema einzuholen, ob der Geruchsimmissionsbeitrag aus der zur Genehmigung gestellten Anlage irrelevant ist. Das trifft nicht zu. Die Darlegungen des [X.], mit denen es begründet hat, warum es der [X.]ehauptung der [X.]eigeladenen zu dem Aspekt der irrelevanten Zusatzbelastung nicht weiter nachgegangen ist ([X.] f.), sind mindestens vertretbar.

Meta

4 B 29/10

28.07.2010

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 15. April 2010, Az: 1 A 11034/09, Urteil

§ 3 BImSchG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.07.2010, Az. 4 B 29/10 (REWIS RS 2010, 4374)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4374

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 K 37/17.MZ

Au 5 S 16.856

RN 6 K 15.1436

AN 9 K 15.01173

RN 6 K 13.2133

Zitiert

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