Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.08.2011, Az. III R 71/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 4192

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Gegenstand

Kindergeld: Zeitlicher Regelungsumfang eines erst nach erfolglos durchgeführtem Rechtsbehelfsverfahren bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheides - Entscheidung über teilweise unzulässige Revision - Kostenentscheidung nach Verfahrensabschnitten


Leitsatz

Die Bindungswirkung eines bestandskräftigen, die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheides verlängert sich bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, wenn (auch) der Einspruch keine Einschränkung des zeitlichen Regelungsbereiches enthält und durch die Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen wird.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater des im Januar 1984 geborenen und seitdem schwerbehinderten [X.]. Er erhielt für [X.] bis zur Vollendung dessen 21. Lebensjahres im Januar 2005 Kindergeld. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2004 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab Februar 2005 auf. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit [X.] Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2005 zurück. Im Dezember 2006 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die [X.]chwerbehinderung des [X.] erneut Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 15. Januar 2007 ab. Der Einspruch des [X.] hatte wiederum keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 29. November 2007). Im April 2008 stellte der Kläger einen weiteren [X.], den die Familienkasse mit Bescheid vom 1. Juli 2008 ebenfalls ablehnte. Auch der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2009).

2

Das Finanzgericht ([X.]) gab durch Urteil vom 29. [X.]eptember 2010  12 [X.] (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2011, 810) der im Februar 2009 erhobenen Klage, die auf "Bewilligung" von Kindergeld für [X.] ab Dezember 2004 gerichtet war, zum Teil statt und verpflichtete die Familienkasse unter Aufhebung des [X.] vom 1. Juli 2008 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2009, über den [X.] unter Beachtung der Rechtsauffassung des [X.] für den Zeitraum ab Februar 2007 erneut zu entscheiden. Die weiter gehende Klage wies das [X.] ab.

3

Zur Begründung führte das [X.] im Wesentlichen aus, [X.] sei materiell nach § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung (E[X.]tG) als Kind zu berücksichtigen, weil er wegen seiner --vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen-- Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Da die Familienkasse jedoch zuletzt einen [X.] des [X.] mit Bescheid vom 15. Januar 2007 abgelehnt habe, sei bis einschließlich Januar 2007 Bestandskraft eingetreten. Entgegen der vom [X.] Düsseldorf vertretenen Ansicht (Urteil vom 7. März 2008  14 K 2266/06 Kg, Deutsches [X.]teuerrecht/Entscheidungsdienst --D[X.]tRE-- 2008, 1474) verlängere sich die Bindungswirkung eines [X.] bei einem sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren nicht bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.

4

Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, die Entscheidung des [X.] beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung des § 367 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]). Ein Ablehnungsbescheid treffe zunächst eine Regelung auf der Grundlage der [X.]ach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erteilung und erschöpfe sich damit in der Regelung des [X.] für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum. Durch das Einspruchsverfahren werde das Verwaltungsverfahren aber wieder aufgenommen und fortgesetzt, die [X.]achprüfung werde erneut eröffnet. Die umfassende Prüfung i.[X.]. von § 367 Abs. 2 [X.] beinhalte nicht nur die inhaltliche Prüfung des ursprünglichen Bescheides, sondern auch den gesamten Zeitrahmen bis zur Einspruchsentscheidung. [X.]omit entfalle der Kindergeldanspruch für den Zeitraum bis Dezember 2007, da der Ablehnungsbescheid vom 15. Januar 2007 Bindungswirkung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung entfalte.

5

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist hinsichtlich der Monate Dezember 2004 bis Januar 2007 sowie des [X.]raums ab Januar 2008 unzulässig und deshalb zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Familienkasse hat insoweit ihren Revisionsantrag entgegen § 120 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 [X.]O nicht begründet. Da die Revision im Übrigen zulässig ist, ist über das Rechtsmittel einheitlich durch Urteil zu entscheiden (Urteil des [X.] --BFH-- vom 27. April 2005 [X.], [X.], 507, [X.], 892).

8

Die Revision ist im Übrigen wegen der Verpflichtung der Familienkasse zur erneuten Bescheidung für den [X.]raum Februar 2007 bis Dezember 2007 begründet. [X.]ie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

9

1. Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Ablehnung des vorherigen [X.]es des [X.] nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des [X.] (Januar 2007) Bindungswirkung entfalte.

a) Wird ein Antrag auf Kindergeld bestandskräftig abgelehnt, beschränkt sich die Bindungswirkung eines solchen Bescheides auf die [X.] bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe, so dass auf einen danach gestellten weiteren Antrag Kindergeld rückwirkend ab dem auf die Bekanntgabe des [X.] folgenden Monat bewilligt werden kann (grundlegend BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, [X.], 257, [X.], 89; ebenso für einen Aufhebungsbescheid in Verbindung mit einer Nullfestsetzung, BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 [X.], [X.], 253, [X.], 88).

Da der Umfang der Bindungswirkung des Bescheides sich aus seinem Regelungsgehalt ergibt und er als Verwaltungsakt eine Regelung auf der Grundlage der [X.]ach- und Rechtslage zum [X.]punkt der Entscheidung über die [X.] trifft, erschöpft sich ein Bescheid, durch den ein Antrag auf die Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wird, in der Regelung des Anspruchs auf Kindergeld für den bis dahin abgelaufenen [X.]raum. Über die in der Zukunft liegenden und damit zum [X.]punkt der Entscheidung noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche kann ein Ablehnungsbescheid oder eine diesem gleichzusetzende Nullfestsetzung noch keine Regelung treffen. Eine in die Zukunft weisende Bindungswirkung kommt ihm demnach nicht zu (BFH-Urteile in [X.], 253, [X.], 88; in [X.], 257, [X.], 89; vom 28. Januar 2004 [X.], [X.], 786).

b) Legt der Kindergeldberechtigte Einspruch gegen den [X.] oder Aufhebungsbescheid ein und weist die Familienkasse diesen Rechtsbehelf als unbegründet zurück, verlängert sich die Bindungswirkung der in dem bestandskräftigen Bescheid über den Kindergeldanspruch getroffenen Regelung regelmäßig bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (ebenso Greite in Korn, § 66 [X.] [X.] 15 sowie § 70 [X.] [X.] 4 und 11; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 70 [X.] [X.] 6; [X.] Düsseldorf, Urteil in [X.], 1474; a.[X.], E[X.] 2011, 813; Reuß, E[X.] 2010, 228; [X.]/[X.]/[X.]tahl/ [X.], Kindergeldrecht im öffentlichen Dienst, [X.]/[X.]. [X.] zu § 70 [X.]). In einem solchen Fall kann aufgrund eines neuen Antrages Kindergeld rückwirkend erst ab dem auf die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung folgenden Monat festgesetzt werden.

Nach § 66 Abs. 2 [X.] wird das Kindergeld vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Daraus ergibt sich die Pflicht der Behörde, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld (§ 67 [X.]), der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen (BFH-Urteil in [X.], 786). Lehnt die Familienkasse den [X.] ab und legt der Kindergeldberechtigte gegen die ablehnende Entscheidung Einspruch ein, so wird das --durch den Ablehnungsbescheid aus [X.]icht der Familienkasse zunächst beendete-- Verwaltungsverfahren fortgesetzt. Enthält auch der Einspruch keine zeitliche Einschränkung, ist das Begehren des [X.] dahin zu verstehen, dass er nicht lediglich eine Überprüfung der bereits abgelehnten --die Vergangenheit [X.]. Vielmehr macht er mit einem zeitlich nicht eingeschränkten Einspruch deutlich, dass er neben der Überprüfung der bereits abgelehnten Kindergeldansprüche an seinem Begehren hinsichtlich der Kindergeldfestsetzung durch Erlass eines Dauerverwaltungsakts auch mit Wirkung für die Zukunft weiterhin festhält. Dadurch fallen zugleich die Monate bis zur Entscheidung über den Einspruch in das fortgesetzte Verwaltungsverfahren. Zwar ist Gegenstand des [X.] der Ablehnungsbescheid als angefochtener Verwaltungsakt, allerdings prüft die Familienkasse nicht primär die Rechtmäßigkeit der Ablehnung, sondern --entsprechend dem Verpflichtungsbegehren des [X.] (vgl. auch [X.]enatsurteile vom 2. Juni 2005 [X.] R 66/04, [X.], 265, [X.], 184, und vom 27. Januar 2011 [X.] R 65/09, [X.], 991)--, ob der Einspruchsführer Anspruch auf Kindergeld gemäß §§ 62 ff. [X.] hat und deshalb der begünstigende Dauerverwaltungsakt zu erlassen ist. Da eine positive Kindergeldfestsetzung nach der gesetzlichen Konzeption des § 70 [X.] --anders als die Ablehnung-- Bindungswirkung für die Zukunft hat (vgl. BFH-Urteil in [X.], 257, [X.], 89), der Kindergeldanspruch aber erst mit Beginn jedes Monats neu für diesen Monat entsteht (Greite, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB-- Fach 2, [X.]. 7989 --Heft 41/2002--, unter [X.]) und die Entscheidung hierüber aufgrund des Einspruchs gleichsam vertagt wurde, ist nunmehr die [X.]ach- und Rechtslage im [X.]punkt der Entscheidung über den Einspruch maßgebend. Die Entscheidung schließt mithin auch die Monate seit Ergehen der Ablehnungsentscheidung ein. Auch wenn die Familienkasse im [X.]punkt des Erlasses des [X.] noch keine Entscheidung über die künftigen, noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche treffen konnte, sind durch die einspruchsbedingte Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens aus ursprünglich künftigen Ansprüchen sukzessive bereits entstandene Ansprüche geworden, die die Familienkasse entsprechend dem Begehren des [X.] in ihre abschließende Entscheidung einzubeziehen hat.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das [X.] zu Unrecht davon ausgegangen, die Bindungswirkung der nach durchgeführtem Einspruchsverfahren bestandskräftig gewordenen Ablehnung des vorherigen [X.]es erstrecke sich nur bis einschließlich Januar 2007. Vielmehr entfaltet die bestandskräftige, die Gewährung von Kindergeld für [X.] ablehnende Entscheidung der Familienkasse Bindungswirkung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, d.h. bis Ende Dezember 2007. Das [X.] konnte die Familienkasse demzufolge erst ab Januar 2008 zur erneuten Bescheidung über den [X.] des [X.] verpflichten.

3. [X.] beruht auf §§ 143 Abs. 1, 136 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]O. Da der Kläger mit seiner Verpflichtungsklage für den [X.]raum Dezember 2004 bis Dezember 2007 unterliegt und ab Januar 2008 in Form eines Bescheidungsurteils obsiegt, sind die Kosten des Klageverfahrens verhältnismäßig zu teilen. Nicht zu Lasten des [X.] zu berücksichtigen ist dabei der Umstand, dass er auch ab Januar 2008 insoweit teilweise unterlegen ist, als das [X.] nur ein Bescheidungsurteil erlassen hat (vgl. [X.]enatsurteil in [X.], 265, [X.], 184). Da die Revision der Familienkasse ebenfalls nur teilweise Erfolg hatte, sind auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens verhältnismäßig zu teilen. Insoweit ist eine Kostenentscheidung nach Verfahrensabschnitten sachgerecht. Auch diese wahrt den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 V[X.] R 17/97, [X.], 302, B[X.]tBl II 2000, 306).

Maßstab für die verhältnismäßige Teilung ist insofern der [X.]treitwert des Verfahrens ([X.] in [X.], [X.]O § 136 [X.] 31). Danach beträgt die Unterliegensquote des [X.] im Klageverfahren 58 %, die der Familienkasse im Revisionsverfahren 83 %.

Meta

III R 71/10

04.08.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 29. September 2010, Az: 12 K 528/09, Urteil

§ 66 Abs 2 EStG 2002, § 67 EStG 2002, § 143 Abs 1 FGO, § 126 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.08.2011, Az. III R 71/10 (REWIS RS 2011, 4192)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4192

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