Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.06.2011, Az. III R 54/09

3. Senat | REWIS RS 2011, 5876

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kindergeld - Inhalt und Bindungswirkung eines Ablehnungsbescheides bzw. einer Null-Festsetzung


Leitsatz

1. NV: Eine Bindungswirkung für die Zukunft haben nach der gesetzlichen Konzeption des § 70 Abs. 1 bis 3 EStG nur positive Kindergeldfestsetzungen .

2. NV: Über die in der Zukunft liegenden und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltung noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche kann der ablehnende Bescheid seinem Wesen nach noch keine Regelung treffen .

Tatbestand

1

I. Der im Oktober 1985 geborene [X.] ([X.]) des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) absolvierte von [X.]eptember 2002 bis Februar 2006 eine Ausbildung zum Mechatroniker. Auf den Antrag des [X.] auf [X.] von Kindergeld lehnte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) mit [X.] vom 19. [X.]eptember 2003 die [X.] von Kindergeld für die [X.] vom 1. November 2003 bis 28. Februar 2006 ab mit der Begründung, die Einkünfte und Bezüge des [X.] überschritten den anteiligen Grenzbetrag von 1.198 € für 2003 und den Grenzbetrag von 7.188 € jährlich. Der [X.] blieb unangefochten.

2

Am 22. Februar 2006 beantragte der Kläger, ihm für [X.] rückwirkend ab November 2003 Kindergeld zu gewähren. Er verwies auf den Beschluss des [X.] vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 ([X.] 112, 164, [X.]/NV 2005, Beilage 3, 260), nach dem die [X.]ozialversicherungsbeiträge eines nichtselbständig beschäftigten Kindes nicht in dessen Einkünfte und Bezüge einbezogen werden dürfen. Mit [X.] vom 22. Februar 2006 setzte die Familienkasse Kindergeld für [X.] ab Februar 2006 fest und lehnte den Antrag im Übrigen ab. [X.]ie führte aus, der bestandskräftige [X.] vom 19. [X.]eptember 2003 sei lediglich ab Februar 2006 aufgrund geänderter Verhältnisse, der Meldung des [X.] als arbeitslos, gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (E[X.]tG) zu ändern. Der Einspruch des [X.] blieb ohne Erfolg.

3

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab. Es entschied, der [X.] vom 19. [X.]eptember 2003 sei eindeutig und beruhe erkennbar auf der Einschätzung, [X.] werde im Regelungszeitraum die bescheinigte Ausbildung durchlaufen und die für den gesamten [X.]raum bescheinigten Ausbildungsvergütungen und Zusatzleistungen beziehen, so dass seine Einkünfte und Bezüge jeweils den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG überschritten. Ob eine solche nicht nur auf einen längeren [X.]raum angelegte, sondern diesen [X.]raum auch regelnde Prognoseentscheidung rechtmäßig sei, wenn nach der gesetzlichen Konzeption des § 70 E[X.]tG nur positive Kindergeldfestsetzungen Bindungswirkung für die Zukunft hätten, könne dahinstehen. Jedenfalls erscheine sie nicht als nichtig. Eine Änderung des bestandskräftigen [X.] nach § 70 Abs. 4 E[X.]tG sei nicht möglich, da der jeweilige (anteilige) Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten werde, weil sich hinsichtlich der gesetzlichen [X.]ozialversicherungsbeiträge die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG geändert habe.

4

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 70 Abs. 1 E[X.]tG. Über in der Zukunft liegende und damit zum [X.]punkt der Entscheidung noch nicht entstandene Kindergeldansprüche habe der Ablehnungsbescheid vom 19. [X.]eptember 2003 noch keine Regelung treffen können. Ihm komme daher unter Hinweis auf das Urteil des [X.] ([X.]) vom 25. Juli 2001 VI R 164/98 ([X.]E 196, 257, B[X.]tBl II 2002, 89) keine in die Zukunft weisende Bindungswirkung zu.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 22. Februar 2006, soweit der [X.] für [X.] abgelehnt wurde, und die Einspruchsentscheidung vom 6. April 2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für [X.] für den [X.]raum November 2003 bis Januar 2006 zu gewähren.

6

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7

[X.]ie nimmt auf die Vorentscheidung Bezug und führt aus, die getroffene Regelung sei anhand der vom Kläger eingereichten Unterlagen nachzuvollziehen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Bescheides vom 22. Februar 2006, soweit der [X.] für [X.] für die Monate November 2003 bis Januar 2006 abgelehnt wurde, und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 6. April 2006, sowie zur Verpflichtung der Familienkasse, dem Kläger Kindergeld für [X.] rückwirkend für die [X.] von November 2003 bis Januar 2006 zu gewähren (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 1 FGO).

9

1. Der Kläger kann für den [X.]treitzeitraum Kindergeld für [X.] beanspruchen. Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a, [X.]atz 2 E[X.]tG lagen vor, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist.

2. Die Familienkasse hat sich zu Unrecht durch den Ablehnungsbescheid vom 19. [X.]eptember 2003 gebunden gesehen und dem Antrag des [X.] auf Kindergeld nur ab Februar 2006 --aufgrund geänderter Verhältnisse nach § 70 Abs. 2 E[X.]tG-- stattgegeben. Der Kläger hat auch Anspruch auf rückwirkende Festsetzung von Kindergeld für die [X.] von November 2003 bis Januar 2006.

a) Zwar hat die Familienkasse in ihrer Prognoseentscheidung die Höhe der Einkünfte und Bezüge des [X.], die für den [X.]raum November 2003 bis Februar 2006 zu erwarten waren, geprüft. Die Bindungswirkung des [X.] vom 19. [X.]eptember 2003 beschränkt sich jedoch auf die [X.] bis zu dem Ende des Monats, in dem er bekannt gegeben wurde, im [X.]treitfall bis zum Ende des Monats [X.]eptember 2003.

b) Eine Bindungswirkung für die Zukunft haben nach der gesetzlichen Konzeption des § 70 Abs. 1 bis 3 E[X.]tG nur positive Kindergeldfestsetzungen. Der Umfang der Bindungswirkung eines [X.] ergibt sich aus seinem Regelungsgehalt. Er erschöpft sich in der Regelung des Anspruchs auf Kindergeld --auf der Grundlage der [X.]ach- und Rechtslage zum [X.]punkt der Entscheidung über die [X.] für den bis dahin abgelaufenen [X.]raum. Über die in der Zukunft liegenden und damit zum [X.]punkt der Entscheidung noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche kann der ablehnende Bescheid seinem Wesen nach hingegen noch keine Regelung treffen. Eine in die Zukunft weisende Bindungswirkung kommt ihm demnach nicht zu (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 [X.], [X.], 253, B[X.]tBl II 2002, 88; in [X.], 257, B[X.]tBl II 2002, 89; vom 28. Januar 2004 [X.], [X.], 786; vom 15. März 2007 [X.]/06, [X.], 1484). Dieser Auffassung hat sich auch die Verwaltung angeschlossen (vgl. Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes 2009 DA 70.1 Abs. 2 [X.]atz 2).

Meta

III R 54/09

09.06.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 18. Juni 2009, Az: 10 K 10268/06 B, Urteil

§ 62 Abs 1 EStG 2002, § 63 EStG 2002, § 70 Abs 3 EStG 2002, § 70 Abs 1 EStG 2002, § 70 Abs 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.06.2011, Az. III R 54/09 (REWIS RS 2011, 5876)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5876

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XI R 9/14 (Bundesfinanzhof)

Keine Aufhebung von Kindergeldfestsetzungen nach Eintritt der Festsetzungsverjährung


III R 71/10 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld: Zeitlicher Regelungsumfang eines erst nach erfolglos durchgeführtem Rechtsbehelfsverfahren bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheides - Entscheidung über …


III B 59/10 (Bundesfinanzhof)

Änderung der Kindergeldfestsetzung wegen des BVerfG-Urteils zur sog. Pendlerpauschale


III R 100/07 (Bundesfinanzhof)

(Kindergeld: Voraussetzungen für die Korrektur einer bestandskräftigen Prognoseentscheidung nach § 70 Abs. 4 EStG)


III B 153/11 (Bundesfinanzhof)

(Änderungen von Kindergeldbescheiden wegen Überschreitung des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.