Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.03.2015, Az. III R 14/14

3. Senat | REWIS RS 2015, 14181

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Gegenstand

Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung; Regelungsumfang eines Kindergeldablehnungsbescheids; Wiederholung eines Verwaltungsakts


Leitsatz

1. Eine aufgrund eines fehlerhaft genannten Fristbeginns unrichtig erteilte Rechtsbehelfsbelehrung führt gemäß § 55 Abs. 2 FGO dazu, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs noch innerhalb eines Jahres seit der Bekanntgabe des Bescheids zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn damit statt der gesetzlich vorgeschriebenen Frist eine zu lange Frist angegeben wird, unabhängig davon, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für die Überschreitung der regulären Rechtsbehelfsfrist war.

2. Wird Kindergeld mit dem Hinweis auf einen bereits bestandskräftigen Bescheid abgelehnt, handelt es sich um eine wiederholende Verfügung ohne eigenen Regelungsgehalt, auch wenn sie in Form eines Verwaltungsakts ergeht und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen ist.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. November 2013  7 K 4595/12 Kg aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für den [X.]raum April 2010 bis Dezember 2010.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein [X.] Staatsangehöriger, war ab 2005 zeitweise im Inland [X.] tätig und sozialversichert, u.a. im Streitzeitraum April bis Dezember 2010. Seine Ehefrau lebt mit dem Kind in [X.]. Er wurde nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einkommensteuer veranlagt.

3

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 setzte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) Kindergeld für die [X.]räume Juli bis November 2007 und Juli bis November 2008 und mit weiterem Bescheid vom 29. Dezember 2010 für März bis Oktober 2009 fest. Unter gleichem Datum wurde der Kindergeldanspruch für die [X.]en Januar 2005 bis Juni 2007, Dezember 2007 bis Juni 2008, Dezember 2008 bis Februar 2009 und ab November 2009 abgelehnt.

4

Der Kläger legte "gegen den Bescheid vom 29.12.2010" Einspruch ein, der mit Entscheidung vom 14. Dezember 2011 als unzulässig verworfen wurde. Zur Begründung führte die Familienkasse aus, dass nicht erkennbar sei, gegen welchen Bescheid sich der Einspruch richte. Die Einspruchsentscheidung war an den inländischen Bevollmächtigten adressiert. In der Rechtsbehelfsbelehrung war über den Beginn der Klagefrist folgendes ausgeführt: "... Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt die Bekanntgabe einen Monat nach Aufgabe zur Post als bewirkt ...".

5

Mit einem im Mai 2012 gestellten Antrag beantragte der Kläger Kindergeld für die [X.] und 2011. Mit Bescheid vom 15. Juni 2012 lehnte die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld für den [X.]raum vor dem Januar 2011 unter Hinweis auf die bestandskräftige Ablehnung im Bescheid vom 29. Dezember 2010 ab; ab Januar 2011 wurde Kindergeld festgesetzt. Der gegen den Ablehnungsbescheid gerichtete Einspruch wegen des [X.]raumes vor Januar 2011 wurde mit [X.] Einspruchsentscheidung vom 28. August 2012 als unbegründet zurückgewiesen.

6

Mit beim Finanzgericht ([X.]) am 14. Dezember 2012 eingegangenen Schriftsatz erhob der Kläger Klage gegen "den Bescheid vom 29.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.12.2011". Zur Begründung trug er vor, dass seiner Ansicht nach die Klagefrist aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung gewahrt worden sei. Da er nach § 1 Abs. 3 EStG für den [X.]raum 2007 bis Dezember 2011 veranlagt worden sei, habe er einen Kindergeldanspruch unter Abzug der gewährten ausländischen Leistungen.

7

Die Familienkasse wies darauf hin, dass nach Aktenlage der Kläger in der [X.] vom 2. Juli 2007 bis 2. November 2007, vom 7. Juli 2008 bis zum 6. November 2008, vom 2. März 2009 bis zum 3. Juli 2009, vom 7. April 2010 bis zum 31. Dezember 2010 in der [X.] ([X.]) erwerbstätig gewesen sei.

8

Das [X.] wies mit Urteil vom 28. November 2013 die Klage für die [X.]räume 2007 bis März 2010 als unbegründet ab und gab der Klage für den [X.]raum April 2010 bis Dezember 2010 statt, indem es die Familienkasse verpflichtete, [X.] festzusetzen. Zur Begründung der [X.] führte das [X.] aus, dass der Kläger in den Monaten April 2010 bis Dezember 2010 in [X.] sozialversicherungspflichtig tätig gewesen sei und die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld erfüllt habe. Der Bescheid vom 29. Dezember 2010 stehe dem nicht entgegen, da nach "ständiger Rechtsprechung des 7. Senats des [X.] Düsseldorf ... die Entscheidung der Behörde in Fällen, in denen ein Kindergeldanspruch mit Hilfe des § 1 Abs. 3 EStG begründet (werde), nur Jahre (umfasse), für die im Festsetzungsverfahren Angaben zur Beschäftigung gemacht" worden seien. Dies sei hier nur das [X.] gewesen. Über spätere [X.]räume hätte die Behörde nach dem Inhalt der vorgelegten Akte nicht entschieden.

9

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.

Sie vertritt die Auffassung, dass über den Kindergeldanspruch durch den angefochtenen Bescheid vom 29. Dezember 2010 über den [X.]raum bis einschließlich Dezember 2010 entschieden worden sei. Würde man die Ansicht des [X.] als richtig unterstellen, so hätte das Gericht mangels einer behördlichen Ausgangsentscheidung und eines behördlichen Vorverfahrens die Klage als unzulässig abweisen müssen. Selbst wenn das [X.] zu einer Entscheidung über den [X.]raum April 2010 bis Dezember 2010 befugt gewesen wäre, so sei die Sachentscheidung fehlerhaft, weil keinerlei Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen getroffen worden seien. Darüber hinaus hätte eine Klage, da verfristet, als unzulässig abgewiesen werden müssen. Die Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2011 sei erst am 14. Dezember 2012 eingelegt worden. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zwar im Hinblick auf den Beginn unrichtig, dies führe aber nicht zu der nach § 55 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) geregelten Jahresfrist. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthalte lediglich eine zugunsten des Empfängers wirkende Regelung, so dass die fehlerhaft ausgewiesene Frist gelte. Die zweimonatige Frist sei im [X.]punkt der Klageerhebung bereits abgelaufen. Das [X.] habe sich auch nicht mit der Bestandskraft des Bescheids vom 15. Juni 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2012 auseinandergesetzt.

Die Familienkasse beantragt das Urteil aufzuheben, soweit sie verpflichtet worden sei, [X.] für den [X.]raum April bis Dezember 2010 festzusetzen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils, soweit der Klage stattgegeben wurde, und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das [X.]. Die Feststellungen der Vorinstanz reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob der Kläger für den Streitzeitraum April 2010 bis Dezember 2010 nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Buchst. b EStG kindergeldberechtigt ist.

1. Die Klage ist zunächst entgegen der Auffassung der Familienkasse zulässig. Ob die Voraussetzungen für ein Sachurteil des [X.] vorlagen, ist vom [X.] ([X.]) ohne Bindung an die Auffassung des [X.] zu prüfen; insbesondere kann der [X.] hierzu eigene Feststellungen anhand der im Revisionsverfahren vorgelegten Akten treffen ([X.]surteil vom 18. Juli 2013 III R 59/11, [X.]E 242, 228, [X.], 843, Rz 14, und [X.]-Urteil vom 10. Februar 2010 XI R 3/09, [X.]/NV 2010, 1450).

a) Nach § 44 Abs. 1 [X.]O ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 [X.]O-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.

b) Die Prüfung der Frage, ob das Vorverfahren ganz oder teilweise erfolglos geblieben ist, setzt voraus, dass der Verfahrensgegenstand des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens und der Streitgegenstand des Klageverfahrens in objektiver und subjektiver Hinsicht übereinstimmen ([X.]surteil vom 25. September 2014 III R 56/13, [X.]/NV 2015, 206, Rz 10, m.w.N.).

Im angefochtenen Bescheid vom 29. Dezember 2010 hat die Familienkasse den Kindergeldanspruch ab November 2009 abgelehnt. Zum Streitgegenstand eines sich hieran anschließenden finanzgerichtlichen Klageverfahrens hat der [X.] entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden kann, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat ([X.]surteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, [X.]E 236, 144, [X.], 681). Der zeitliche Regelungsumfang eines Ablehnungsbescheids wird durch die Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens ([X.]surteil in [X.]E 236, 144, [X.], 681). Begehrt ein Kläger mit seiner Klage über diesen [X.]raum hinaus Kindergeld, ist sie insoweit unzulässig ([X.]surteil in [X.]E 236, 144, [X.], 681).

aa) Grundsätzlich beschränkt sich bei einer Ablehnung eines zeitlich nicht näher konkretisierten Kindergeldantrags die Bindungswirkung eines solchen Bescheids auf die [X.] bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe bzw. bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, soweit eine sachliche Prüfung im Einspruchsverfahren stattgefunden hat ([X.]surteil vom 4. August 2011 III R 71/10, [X.]E 235, 203, [X.], 380).

Die Familienkassen haben grundsätzlich die Pflicht, einen Antrag auf Kindergeld, der keine zeitliche Einschränkung enthält, umfassend zu prüfen. Ein zeitlich nicht beschränkter Antrag ist nach seinem objektiven Inhalt in der Regel dahin zu verstehen, dass die Festsetzung von Kindergeld für den längstmöglichen [X.]raum begehrt wird ([X.]surteil vom 9. Februar 2012 III R 45/10, [X.]E 236, 413, [X.], 1028, Rz 12). Entgegen der Ansicht des [X.] ergibt sich weder aus dem objektiven Regelungsgehalt des Bescheids vom 29. Dezember 2010 noch aus seiner Begründung, dass die Familienkasse über den Streitzeitraum April 2010 bis Dezember 2010 nicht entschieden hat oder entscheiden wollte. Die Ansicht, dass nach ständiger Rechtsprechung des 7. [X.]s des [X.] die Entscheidung einer Behörde in den Fällen, in denen ein Kindergeldanspruch mit Hilfe des § 1 Abs. 3 EStG begründet werde, regelmäßig nur die [X.]räume erfasse, für die der Antragsteller Angaben zur Beschäftigung gemacht habe, führt nicht zu einer aus Sicht des Empfängers zu beurteilenden Einschränkung des objektiven Regelungsgehalts.

bb) Das nach § 44 Abs. 1 [X.]O erforderliche Vorverfahren ist mit Erlass der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2011 erfolglos geblieben.

b) Der Kläger hat die Klagefrist nicht versäumt.

Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]O beträgt die Klagefrist einen Monat; sie beginnt mit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]O), wenn der Kläger u.a. über die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).

Die [X.] war bei Eingang der Klage beim [X.] zwar abgelaufen. Der Kläger kann sich jedoch nach § 55 Abs. 2 Satz 1 [X.]O auf die Fristverlängerung von einem Jahr berufen, da die in der Einspruchsentscheidung enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig war.

aa) Zu einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung gehört auch eine ausreichende, für den Beteiligten verständliche Belehrung über den Fristbeginn ([X.]-Urteil vom 29. März 1990 V R 19/85, [X.]/NV 1992, 783). Diese muss jedoch nicht den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragen; es genügt eine abstrakte Belehrung über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist anhand des Gesetzestextes (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 20. Februar 2001 IX R 48/98, [X.]/NV 2001, 1010; vom 18. Juli 1986 III R 216/81, [X.]/NV 1987, 12, und in [X.]/NV 1992, 783, jeweils zu § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO-- 1977).

Die Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung enthält die Aussage, dass die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung und damit der Beginn der einmonatigen Klagefrist (§ 47 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) bei Zusendung durch einfachen oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief einen Monat nach Aufgabe zur Post als bewirkt gilt (§ 122 Abs. 2 Nr. 2 AO). Im vorliegenden Fall erfolgte die Bekanntgabe jedoch an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten, so dass die Einspruchsentscheidung bereits am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als übermittelt gilt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Insoweit war die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig.

bb) Entgegen der Ansicht der Familienkasse gilt aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die in § 55 Abs. 2 Satz 1 [X.]O genannte Jahresfrist und nicht nur die fehlerhaft genannte zu lange Frist für die Erhebung der Klage.

(a) Der erkennende [X.] hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2013 III R 63/10 ([X.]/NV 2014, 12, Rz 12) allein auf die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung abgestellt und eine Verlängerung in einem hier vergleichbaren Fall auf ein Jahr nach § 55 Abs. 2 [X.]O angenommen (noch offengelassen [X.]-Beschluss vom 8. April 2004 VII B 181/03, [X.]/NV 2004, 1284, ebenso wie das [X.] --BVerwG-- in seinem Urteil vom 10. Februar 1999  11 [X.] 9/97, [X.], 269, zu § 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO--). Mit Urteil vom 6. Juli 1983 I R 177/80 ([X.]E 139, 218, [X.] 1984, 84) hatte der [X.] zu der im Wortlaut zu § 55 [X.]O vergleichbaren Regelung in § 237 der Reichsabgabenordnung bereits entschieden, dass das Gesetz nicht danach unterscheide, ob die im angefochtenen Verwaltungsakt beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung zugunsten oder zu Ungunsten unrichtig gewesen sei.

(b) Die überwiegende Meinung in der steuerrechtlichen Literatur ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]-- § 55 [X.]O Rz 33; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 55 Rz 23; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 55 [X.]O Rz 12; anderer Ansicht [X.], Der [X.], 308, 309; anderer Ansicht Kopp/ Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 20. Aufl., § 58 Rz 14; anderer Ansicht wohl auch [X.] in [X.] § 366 AO Rz 70) geht mittlerweile auch davon aus, dass § 55 Abs. 2 [X.]O die Jahresfrist abschließend für eine unrichtige Belehrung bestimmt.

(c) Der [X.] hält an seiner im Urteil in [X.], 12, Rz 12 geäußerten Rechtsauffassung fest. § 55 Abs. 2 [X.]O macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Im Interesse der [X.] knüpft § 55 [X.]O seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung und gibt somit sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft bzw. Bestandkraft an die Hand (so für die im Wortlaut identische Vorschrift des § 58 Abs. 2 VwGO: BVerwG-Urteil vom 30. April 2009  3 [X.] 23/08, [X.], 41, m.w.N.).

Somit war im [X.]punkt der Klageerhebung die Klagefrist noch nicht abgelaufen.

2. Ob dem Kläger zu Recht ein [X.]anspruch für den Streitzeitraum zugesprochen worden ist, lässt sich anhand der Feststellungen der Vorinstanz nicht überprüfen.

a) Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Buchst. b EStG hat Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

b) Soweit die Vorinstanz davon ausgeht, dass der Kläger nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG kindergeldberechtigt sei, fehlen hierzu ausreichende nachvollziehbare --in der Vorentscheidung enthaltene-- tatrichterliche Feststellungen.

aa) Die [X.] nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist --anders als die nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG-- von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers abhängig. Eine [X.] nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass der Antragsteller aufgrund eines entsprechenden Antrags vom Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (vgl. dazu [X.]-Urteile in [X.]E 242, 228, [X.], 843, und vom 24. Juli 2013 XI R 8/12, [X.]/NV 2014, 495, Rz 35).

bb) Das [X.] hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG gestellt hat und für das Kalenderjahr 2010 entsprechend zur Einkommensteuer veranlagt wurde. [X.] tatsächliche Feststellungen und rechtliche Grundlagen müssen jedoch dem angefochtenen Urteil in einer Weise zu entnehmen sein, die es den Beteiligten und dem Revisionsgericht ermöglicht zu erkennen, wie das [X.] zu dem gefundenen Ergebnis gekommen ist. Allein die Aussage im Tatbestand, der Kläger sei nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt worden, ohne nähere Darlegung, ob dies auch für den hier vorliegenden Streitzeitraum anzunehmen ist, reicht nicht aus, um eine abschließende Prüfung des vom [X.] gezogenen rechtlichen Schlusses zu ermöglichen ([X.]-Urteil vom 5. Juni 2003 V R 25/02, [X.]E 202, 191, [X.] 2003, 734).

c) Sollte sich eine [X.] nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG im zweiten Rechtsgang ergeben, besteht ein Anspruch auf Kindergeld jedoch nur in den Monaten des betreffenden Kalenderjahres, in denen der Anspruchsberechtigte inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt hat (vgl. dazu z.B. [X.]-Urteile vom 24. Oktober 2012 V R 43/11, [X.]E 239, 327, [X.], 491, Rz 19 ff.; vom 18. April 2013 VI R 70/11, [X.]/NV 2013, 1554, und in [X.]E 242, 288, [X.], 843).

Hierbei handelt es sich um diejenigen Monate, in denen die Einkünfte des [X.] nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 11 EStG zeitlich zu erfassen sind ([X.]-Urteile vom 5. September 2013 XI R 22/12, [X.]/NV 2014, 313, Rz 33, m.w.N., und in [X.]E 242, 228, [X.], 843). Auch soweit das [X.] in seinem Tatbestand am Ende (Seite 8) darauf hinweist, dass den Beschäftigten nach Erfahrung des Gerichts das Entgelt jeweils unmittelbar bei der Rückreise nach [X.] berechnet und gezahlt werde, werden dadurch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht ersetzt. Die Familienkassen und Finanzgerichte haben den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ [X.], § 76 [X.]O). Entsprechende Feststellungen sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

d) Sollte das [X.] im zweiten Rechtsgang eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG nicht feststellen können, wäre noch die [X.] nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 8 AO (Wohnsitz) bzw. § 9 AO (gewöhnlicher Aufenthalt) zu prüfen. Ausgehend von seiner abweichenden materiell-rechtlichen Auffassung hat das [X.] hierzu keine Feststellungen getroffen. Diese müssten ggf. nachgeholt werden.

3. Der [X.] weist abschließend noch darauf hin, dass einem Anspruch auf [X.] für den hier streitigen [X.]raum der bestandskräftige "Bescheid" vom 15. Juni 2012 nicht entgegenstünde. Mit diesem "Bescheid" hat die Familienkasse ohne erneute Sachprüfung unter Hinweis auf die Bestandskraft des hier angefochtenen Bescheids den Kindergeldanspruch für 2010 abgelehnt. Bei dem Bescheid vom 15. Juni 2012 handelt es sich, soweit der [X.]raum im Jahr 2010 betroffen ist, um eine wiederholende Verfügung, die keine neue Regelung mit unmittelbarer Rechtserheblichkeit trifft. Wird ein beantragter, begünstigender Verwaltungsakt abgelehnt und wird eine erneute Sachprüfung und Entscheidung unter Hinweis auf den bestandskräftigen Bescheid abgelehnt, ist die Ablehnung eine bloße "wiederholende Verfügung" ([X.] in [X.], § 118 AO Rz 171; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 AO Rz 17). Dies gilt selbst dann, wenn die wiederholende Verfügung die Form eines Verwaltungsakts hat und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist ([X.]-Beschluss vom 20. Juli 2012 VI B 21/12, [X.]/NV 2012, 1764). Insoweit kann einer wiederholenden Verfügung auch keine materielle Bestandskraft zugewiesen werden, mit der Folge, dass der Bescheid vom 15. Juni 2012 keine Bindungswirkung für den hier vorliegenden Streitzeitraum hat.

4. Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der [X.] ohne mündliche Verhandlung (§ 121 i.V.m. § 90 Abs. 2 [X.]O).

5. Die Entscheidung über die Kosten wird dem [X.] übertragen (§ 143 Abs. 2 [X.]O).

Meta

III R 14/14

12.03.2015

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 28. November 2013, Az: 7 K 4595/12 Kg, Urteil

§ 44 FGO, § 47 FGO, § 55 Abs 2 FGO, § 1 Abs 3 EStG 2009, § 11 EStG 2009, § 49 EStG 2009, § 62 Abs 1 Nr 2 Buchst b EStG 2009, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.03.2015, Az. III R 14/14 (REWIS RS 2015, 14181)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2688 REWIS RS 2015, 14181

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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