Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.01.2012, Az. III B 59/10

3. Senat | REWIS RS 2012, 10368

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Gegenstand

Änderung der Kindergeldfestsetzung wegen des BVerfG-Urteils zur sog. Pendlerpauschale


Leitsatz

1. NV: Rechtsprechungsänderungen hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge - hier durch den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 122, 210 zu Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - erlauben keine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG. Diese Vorschrift ermöglicht im Übrigen nur die Korrektur von Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres als Prognoseentscheidung ergangen sind .

2. NV: Die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG sind nicht auf Bescheide anzuwenden, mit denen eine Kindergeldfestsetzung - wie im Streitfall - aufgehoben wurde .

3. NV: Ein Kindergeld-Aufhebungsbescheid kann nicht geändert werden, wenn die Familienkasse zu Unrecht - etwa unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 GG - keinen Vorläufigkeitsvermerk angebracht hatte (hier: im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung des BVerfG zur sog. Pendlerpauschale) .

4. NV: Gerichtsentscheidungen wirken nur dann i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zurück, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändern. Verändern sie dagegen nicht den Sachverhalt, sondern - wie hier der BVerfG-Beschluss zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - lediglich dessen rechtliche Beurteilung, so kommt eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht .

Tatbestand

1

I. Mit Bescheid vom 17. Juni 2008 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für den [X.] der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für das [X.] auf, weil dessen Einkünfte den Grenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung --EStG--) überschritten, und forderte das gezahlte Kindergeld zurück.

2

Im Dezember 2008 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für das [X.] und begründete dies damit, dass die Einkünfte unter Berücksichtigung des Urteils des [X.] ([X.]) vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 [X.], 2 BvL 1/08, 2 [X.] ([X.]E 122, 210) wegen der als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie Wohnung und Berufsschule den Grenzbetrag unterschritten. Dies lehnte die Familienkasse mit Hinweis auf die Bestandskraft des [X.] ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.

3

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Bescheid vom 17. Juni 2008 sei bestandskräftig geworden und könne nicht nach § 70 Abs. 2 bis 4 EStG oder §§ 172 ff. der Abgabenordnung ([X.]) geändert werden. Die Bestandskraft des [X.] werde durch das die Pendlerpauschale betreffende Urteil des [X.] nicht berührt. Es handele sich bei diesem Urteil weder um eine neue Tatsache i.S. des § 173 [X.] noch um ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]. Die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG gälten nicht für Bescheide, mit denen eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben werde. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG scheide aus, weil der Aufhebungsbescheid nicht auf einer Prognose beruhe, sondern die Festsetzung von Kindergeld für ein abgelaufenes Jahr versage. Der von der Klägerin gerügte Berechnungsfehler bleibe ohne Folgen; § 130 [X.] sei auf Steuerbescheide nicht anzuwenden.

4

Zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und erfordere eine Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Halbsatz FGO).

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit ihre Darlegung überhaupt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügt, nicht vor.

6

1. Die Auffassung der Klägerin, das [X.] habe die Änderung des [X.] vom 17. Juni 2008 nach § 70 Abs. 4 EStG zu Unrecht abgelehnt, trifft nicht zu. Durch die Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass § 70 Abs. 4 EStG nur die Korrektur von [X.] ermöglicht, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres als Prognoseentscheidung ergangen sind (Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 100/07, [X.]/NV 2010, 1260; [X.] in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 70 Rz 5). Zudem ermöglichen [X.] hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge ohnehin keine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG (Senatsurteile vom 28. November 2006 [X.], [X.]E 216, 138, [X.], 717, und in [X.]/NV 2010, 1260).

7

2. Durch die Rechtsprechung des [X.] ist ebenfalls geklärt, dass die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG nicht auf Bescheide anzuwenden sind, mit denen eine Kindergeldfestsetzung --wie im [X.] aufgehoben wird ([X.]-Urteile vom 21. Januar 2004 [X.], [X.]/NV 2004, 910, unter 6.a; vom 28. Juni 2006 [X.]/06, [X.]E 214, 287, [X.], 714). Eine Neufestsetzung nach § 70 Abs. 3 EStG kann zudem --worauf das [X.] zutreffend hingewiesen [X.] nur für die Zukunft erfolgen, nicht aber für ein im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufenes Kalenderjahr.

8

3. Die Revision ist auch nicht zuzulassen, weil die Familienkasse den Aufhebungsbescheid nicht im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung des [X.] zur sog. Pendlerpauschale mit einem Vorläufigkeitsvermerk (§ [X.]) versehen hatte. Durch die Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass der Aufhebungsbescheid auch dann nicht geändert werden könnte, wenn die Familienkasse einen solchen Vermerk zu Unrecht --etwa unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 des [X.] nicht angebracht haben sollte (Senatsurteil vom 26. November 2009 [X.]/07, [X.]/NV 2010, 856).

9

4. Durch die Rechtsprechung des [X.] ist weiter geklärt, dass eine Gerichtsentscheidung nur dann ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] darstellt, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert. Verändert sie dagegen nicht den Sachverhalt, sondern lediglich dessen rechtliche Beurteilung, so kommt eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] nicht in Betracht. Das Urteil des [X.] in [X.]E 122, 210 führte im Streitfall lediglich zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des unverändert gebliebenen Sachverhalts der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (vgl. Senatsurteil in [X.]E 214, 287, [X.], 714).

5. Mit dem Hinweis auf Berechnungsfehler des bestandskräftig gewordenen [X.] wird kein Revisionszulassungsgrund dargelegt. Der Bescheid enthält im Übrigen keinen Berechnungsfehler, sondern unterstellt --mangels zu dieser Zeit gegenteiligen Vortrags der [X.] Werbungskosten des [X.] in Höhe des Arbeitnehmer-Pauschbetrages.

6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

Meta

III B 59/10

05.01.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 23. März 2010, Az: 2 K 886/09, Urteil

§ 70 Abs 2 EStG 2002, § 70 Abs 3 EStG 2002, § 70 Abs 4 EStG 2002, § 165 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.01.2012, Az. III B 59/10 (REWIS RS 2012, 10368)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10368

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