Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2017, Az. XII ZB 567/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 13218

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:290317BXIIZB567.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 567/16
vom
29. März 2017
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 233 Fe
Eröffnet ein Gericht die Möglichkeit der Weiterleitung von Schriftstücken an das zuständige Gericht, so genügt der Anwalt seinen Sorgfaltspflichten bereits dann, wenn er einen fristgebundenen Schriftsatz so rechtzeitig abgibt, dass er einen fristgemäßen Eingang beim zuständigen Gericht mit Sicherheit erwarten darf (im [X.] an [X.] Beschlüsse vom 23.
März 2006

IX
ZB
56/05

AnwBl
2006, 491 und vom 12.
Juli 1961

I
ZB
2/61

VersR 1961, 923).
[X.], Beschluss vom 29. März 2017 -
XII ZB 567/16 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 29.
März 2017 durch [X.] und [X.]
Klinkhammer, Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 24.
Zivilsenats des [X.] vom 25.
Okto-ber 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung

auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens

an das [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Rechtsbeschwerde betrifft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
Die Kläger sind die Vermieter, die [X.] ist die Mieterin von [X.]. Die Kläger haben beantragt, die [X.] zur Zahlung rückständiger Miete und von Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 8.555,88

sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten zu verurteilen. Mit den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 24.
Juni 2016 zugestelltem Urteil hat das [X.] die Klage abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger fristge-1
2
-
3
-
recht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 25.
August 2016, einem Donnerstag, beim [X.] eingegangen.
Dieses hat darauf hingewiesen, dass die Begründung verspätet eingelegt sei. Hierauf baten die Kläger, die Berufung deshalb nicht zu verwerfen, und teil-ten mit, eine Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten habe den [X.] am 22.
August 2016 kurz vor 8.00
Uhr in das beim [X.] für das [X.] eingerichtete [X.] gelegt. Nach Kenntnis der Prozessbevollmächtigten werde dieses täglich geleert und der Inhalt zum [X.] transportiert. Das [X.] hat darin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gesehen, diesen zu-rückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß §
522 Abs.
1 Satz
4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß §
574 Abs.
2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung
des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. Senatsbeschluss vom 23.
Januar 2013

XII
ZB
167/11

FamRZ 2013, 1117 Rn.
4 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
a) Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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4
5
6
7
-
4
-
Die Berufung sei zu verwerfen, weil sie nicht fristgemäß begründet [X.] sei. Den Klägern sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine telefonische Nachfrage der Berichterstatterin beim [X.] habe ergeben, dass das dortige [X.] für das [X.] zwar täglich vormittags geleert und der Inhalt an das Ober-landesgericht transportiert werde. Den Rechtsanwälten werde aber immer ge-sagt, dass sie keine Fristsachen einlegen sollten. Ein entsprechender Hinweis befinde sich nach dieser Auskunft auch über den Gerichtspostfächern. Selbst wenn dieser schriftliche Hinweis sich

wie die Kläger geltend machten

ledig-lich über dem [X.] für ein [X.] und nicht über dem für das [X.] befunden haben sollte, schaffe dies nicht den notwendigen Vertrauenstatbestand. Ein Rechtsanwalt dürfe von der Möglichkeit, eine Beru-fungsschrift bei der Annahmestelle im Gebäude des [X.]s zur Weiterlei-tung an das [X.] abzugeben, nur so lange Gebrauch machen, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Zugang erwarten könne. Dies sei etwa anzunehmen, wenn der Beamte der [X.] ihm die Weiterlei-tung an das [X.] noch am selben Tage versichert habe. Entspre-chende Umstände, aufgrund derer die Prozessbevollmächtigten hier auf eine rechtzeitige Weiterleitung hätten vertrauen dürfen, seien weder ersichtlich noch vorgetragen.
Dies gelte umso mehr im Hinblick auf den schriftlichen Hinweis, der sich zumindest über dem Fach für das [X.] befunden habe.
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des [X.]s kann den Klägern die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das [X.] die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht über-spannt hat.

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9
-
5
-
aa) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des [X.]s, dass ein Rechtsanwalt von der Möglichkeit, einen fristgebundenen Schriftsatz bei der Annahmestelle eines Gerichts zur Weiterleitung an das zuständige [X.] abzugeben, so lange Gebrauch machen kann, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Eingang erwarten darf. Gibt er den Schriftsatz am letzten [X.] ab, so liegt ein Sorgfaltsverstoß vor, wenn er sich nicht durch aus-drückliches Befragen vergewissert, dass der Eingang beim zuständigen Gericht noch am gleichen Tag erfolgen wird ([X.] Beschlüsse vom 23.
März 2006

IX
ZB
56/05

AnwBl 2006, 491, 492 mwN und vom 12.
Juli 1961

I
ZB
2/61

VersR 1961, 923, 924). Ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat nämlich wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen ([X.] Beschluss vom 16.
November 2016

VII
ZB
35/14

ZfBR 2017, 144 Rn.
12). Wird der Schriftsatz allerdings

wie hier

mehrere [X.] vor Ablauf der Frist abgegeben, bestehen diese erhöhten Anforderungen nicht. Eröffnet ein Gericht die Möglichkeit der Weiterleitung von Schriftstücken an das zuständige Gericht, so genügt der Anwalt daher seinen Sorgfaltspflich-ten bereits dann, wenn er einen fristgebundenen Schriftsatz so rechtzeitig [X.], dass er einen fristgemäßen Eingang beim zuständigen Gericht mit Sicher-heit erwarten darf (vgl. [X.] Beschlüsse vom 23.
März 2006

IX
ZB
56/05

AnwBl 2006, 491, 492 mwN und vom 12.
Juli 1961

I
ZB
2/61

VersR 1961, 923, 924).
Insoweit kann sich der Anwalt zwar

anders als bei einem Versand mit der [X.] oder anderen [X.] (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 23.
Januar 2008

XII
ZB
155/07

VersR 2009, 1096 Rn.
8
f. mwN)

nicht darauf verlassen, dass eine für den Normalfall [X.] eingehalten wird. Denn bei der Weiterleitung durch die Justiz besteht keine auf die Einhaltung der [X.] für den Nor-10
11
-
6
-
malfall ausgerichtete Organisationsstruktur, auf die der Anwalt vertrauen darf. Vielmehr muss er berücksichtigen, dass die mit der Postübermittlung beauftrag-ten Wachtmeister durch vorrangige dienstliche Tätigkeiten oder andere Um-stände vorübergehend verhindert sein können, so dass eine gewisse Verzöge-rung mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist als bei einem auf die Brief-beförderung spezialisierten Unternehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 19.
Sep-tember 2012

XII
ZB
221/12

juris Rn.
11). Andererseits muss der Anwalt aber auch nicht mit einer außergewöhnlich langen
Verzögerung der Versendung rechnen (vgl. Senatsbeschluss vom 23.
Mai 2012

XII
ZB
375/11

FamRZ 2012, 1205 Rn.
26
f.).
bb) Gemessen hieran hätte das [X.] nicht von einem den Klägern nach §
85 Abs.
2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer [X.] ausgehen dürfen. Mangels abweichender tatrichterlicher Fest-stellungen ist das klägerische Vorbringen rechtsbeschwerderechtlich als wahr zu unterstellen. Danach lag eine außergewöhnliche Verzögerung des Postaus-tauschs vor. Dabei ist

anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint

auch der bis zum 10.
Oktober 2016 mehrfach ergänzte Vortrag der Kläger [X.] zu berücksichtigen. Da die Kläger am 13.
September 2016 Kenntnis von der Fristversäumung erhielten, endete die Monatsfrist
für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nach §
234 Abs.
1 Satz
2 ZPO erst am 13.
Oktober 2016.
Bei Zugrundelegung dieses Vortrags

Einlegung des Schriftsatzes am Morgen des 22.
August 2016 bei Kenntnis davon, dass das Fach
täglich am Vormittag geleert und der Inhalt an das [X.] transportiert wird

durften die Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch vor dem Ende der am 24.
August 2016 ablaufenden Begrün-dungsfrist beim [X.] eingehen würde. Denn so standen insge-12
13
-
7
-
samt drei Arbeitstage zur Verfügung, an denen die Post vom Amtsgericht zum [X.] transportiert wird und an denen noch ein [X.] des Schriftsatzes möglich gewesen wäre. Unter Berücksichtigung des in diesem Fall vorliegenden regelmäßig täglichen Postaustauschs ist der Eingang beim [X.] am 25.
August 2016 so außergewöhnlich verzögert erfolgt, dass die Prozessbevollmächtigten der Kläger damit nicht rechnen muss-ten.
Dem
steht auch nicht der schriftliche Hinweis entgegen, dass in das [X.]sfach keine Fristsachen eingelegt werden sollen. Selbst wenn er sich auch auf das für das [X.] bestimmte [X.] bezogen haben sollte, so wäre er nicht dahingehend zu verstehen, dass die Zustellung dieser Post verzögert erfolgt. Vielmehr wäre das als Hinweis darauf zu verstehen, dass mit der Einlegung in das Fach die Frist noch nicht gewahrt ist, weil es sich um keine gemeinsame [X.] handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 23.
Januar 2008

XII
ZB
155/07

VersR 2009, 1096 Rn.
12).
3. Die angefochtene Entscheidung ist mithin aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§
577 Abs.
4 Satz
1, Abs.
5 Satz
1 ZPO).
Dem Senat ist eine eigene Entscheidung auch über das [X.] verwehrt. Denn das [X.] hat

von seinem Rechts-standpunkt aus konsequent

offen gelassen, inwieweit es den Vortrag der Klä-ger für glaubhaft erachtet. Die hier noch nachzuholende Beweiswürdigung [X.] aber grundsätzlich dem Tatrichter ([X.] Beschluss vom 27.
September 2016

XI
ZB
12/14

WM 2016, 2170 Rn.
12). Zwar entscheidet der [X.] in der Rechtsbeschwerde über die Wiedereinsetzung in den vorigen 14
15
16
-
8
-
Stand aus Gründen der [X.] selbst, soweit ihre Voraussetzungen nach Aktenlage ohne weiteres vorliegen (Senatsurteil vom 4.
November 1981

IVb
ZR
625/80

FamRZ 1982, 255, 256). Das ist hier aber nicht der Fall, weil derzeit zumindest das Vorbringen zur Einlegung der Berufungsbegründung in das [X.] nicht durch eidesstattliche Versicherung oder auf andere Weise glaubhaft gemacht ist. Die von den Klägern insoweit angebotene [X.] ist kein präsentes Beweismittel und daher nach §
294 Abs.
2 ZPO nicht zur Glaubhaftmachung geeignet. Die Nachholung der Glaubhaftmachung kann aber gemäß §
236 Abs.
2 Satz
1 Halbsatz
2 ZPO noch während des lau-fenden Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag erfolgen ([X.] Be-schlüsse vom 26.
April 2016

VI
ZB
4/16

MDR 2016, 1223 Rn.
14 und vom 22.
Juni 2004

VI
ZB
14/04

NJW 2004, 3491, 3492).
-
9
-
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-tung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung beizutragen (§
577 Abs.
6 Satz
3 ZPO).

Dose

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 24.06.2016 -
10 [X.]/15 -

OLG [X.], Entscheidung vom 25.10.2016 -
I-24 [X.]/16 -

17

Meta

XII ZB 567/16

29.03.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2017, Az. XII ZB 567/16 (REWIS RS 2017, 13218)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13218

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Berechtigung zur Ausschöpfung der Frist zur Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes; Sorgfaltspflichten …


IV ZB 18/17 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzungsantrag bei Adressierung der Berufungsbegründung an unzuständiges Gericht


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Wird zitiert von

7 W (pat) 3/17

7 W (pat) 2/17

Zitiert

XII ZB 567/16

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