Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2017, Az. VI ZB 37/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 5150

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:190917BVIZB37.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI [X.]/16
vom

19. September 2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 233
Zu den Pflichten des unzuständigen Gerichts bei Eingang eines fristgebun-denen Schriftsatzes.
[X.], Beschluss vom 19. September 2017 -
VI [X.]/16 -
OLG [X.]

LG [X.] I

-
2
-
Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
19. September 2017 durch den Vorsitzenden [X.], [X.], die Richterinnen Dr.
[X.] und [X.] und [X.] Klein
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 1.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts
[X.] vom 1. Juli 2016 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
160

Gründe:
I.
Die Kläger nehmen die Beklagten
auf Schadenersatz in Anspruch. Das klagabweisende Urteil des [X.] wurde ihrem Prozessbevollmächtigten am 18. April 2016 zugestellt. Gegen das Urteil haben die Kläger mit an das [X.] gerichtetem und dort am 18. Mai 2016 gegen 13.00 Uhr eingegan-genem Telefax Berufung eingelegt. Das [X.] hat die Berufungsschrift nicht unmittelbar weitergeleitet. Am 2. Juni 2016 haben die Kläger mittels Tele-fax Berufung bei dem Oberlandesgericht
eingelegt und die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. Juli 2016 hat das Berufungsgericht
den Wiedereinsetzungs-antrag zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsfrist wegen nicht rechtzeitigem Eingang beim zuständigen Gericht nicht unverschuldet gewesen sei. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. §
522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die [X.] in den vorigen Stand versagenden Beschluss gemäß § 238 Abs.
2 ZPO, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Rechtsbe-schwerde eingelegt werden ([X.], Beschluss vom 17. März 2004 -
IV ZB 41/03, [X.], 96).
Sie ist jedoch nicht zulässig,
weil die Voraussetzungen des §
574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entschei-dungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1
GG) noch in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprin-zip). Er beruht auch nicht auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleich-heitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Den
Klä-gern wird insbesondere nicht der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu recht-fertigenden
Weise erschwert.
1. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler
davon ausgegangen, dass die Einlegung der Berufung bei dem hierfür unzuständigen (§ 519 Abs. 1 ZPO) [X.] und die dadurch bedingte Versäumung der Berufungsfrist auf ei-nem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger beruhen, welches diesen
gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12.
Mai 2016 -
IX [X.], [X.] 2016, 1582 Rn. 6 ff.; vom 20. April 2011 2
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VII
ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn. 9 ff. jeweils mwN). Dies zieht die Rechts-beschwerde nicht in Zweifel.
2. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht darüber hinaus die Kau-salität dieses Verschuldens für die eingetretene Fristversäumung bejaht. Sie ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht deshalb zu verneinen, weil sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wegen einer [X.] Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das Gericht nicht mehr ausgewirkt hätte.
a) Zwar ist in der Rechtsprechung des [X.]
anerkannt, dass ein unzuständiges Gericht, das -
wie hier -
zuvor mit der Sache befasst gewesen ist, verpflichtet ist, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittel-verfahren, die bei ihm eingereicht werden, im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein
etwaiges Verschulden der [X.] oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus
(st. Rspr. seit [X.] 93, 99; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 22. November 2005 -
VI [X.], [X.]. 2006, 212; [X.], Beschlüsse vom 27. Juli 2016 -
XII [X.], NJW-RR 2016, 1340 Rn. 12; vom 12. Mai 2016 -
IX [X.], [X.] 2016, 1582 Rn. 12; vom 28.
Juni 2007 -
V [X.], [X.], 1276, 1277; vom 3. Juli 2006 -
II ZB 24/05, [X.]. 2006, 767 jeweils
mwN). Dies setzt aber voraus, dass die fristge-rechte Weiterleitung des Schriftsatzes im Rahmen des ordentlichen Geschäfts-gangs des angegangenen Gerichts möglich und damit zu erwarten gewesen wäre ([X.], Beschlüsse vom 17. August 2011 -
XII ZB 50/11, NJW 2011, 3240 Rn. 27; vom 14.
Dezember 2005 -
IX ZB 138/05, [X.]. 2006, 213 mwN), was 4
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die [X.] in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch darzulegen und glaubhaft zu ma-chen hat ([X.], Beschlüsse vom 12. Mai 2016 -
IX [X.], [X.] 2016, 1582 Rn.
13; vom 16. Januar 2014 -
XII [X.], NJW-RR 2014, 699 Rn. 16 [X.] mwN).
Zu Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs besteht da-gegen keine Verpflichtung. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer [X.] an richterlicher Fürsorge von [X.] wegen ge-boten ist, kann sich nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer mög-lichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zu-sätzlicher Belastung geschützt werden muss ([X.], 198, 200; [X.] NJW 2001, 1343). Daher ist auch ein mit der Sache im vorausgegangenen Rechtszug befasst gewesenes Gericht nicht verpflichtet, die [X.] oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist durch Telefonat oder [X.] von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unter-richten (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 22. November 2005
-
VI [X.], [X.]. 2006, 212; [X.], Beschlüsse vom 27. Juli 2016 -
XII
[X.], NJW-RR 2016, 1340 Rn. 13; vom 13. September 2012 -
IX ZB 251/11, NJW 2013,
236 Rn. 10; vom 4. April 2007 -
III ZB 109/06, [X.], 511 Rn.
14; [X.] NJW 2001, 1343). Andernfalls würde den [X.]en und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den hierfür nicht
zuständigen Gerichten übertra-gen. Damit würden die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht über-spannt.
Aus den von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Entschei-dungen ergibt sich nichts anderes. Soweit der [X.] hat, dass ein Gericht, dem die Weiterleitung des fristgebundenen Schrift-6
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satzes im ordnungsgemäßem Geschäftsgang ohne weiteres möglich war, statt-dessen auch einen Hinweis an die [X.] oder ihren Prozessbevollmächtigten erteilen kann ([X.], Beschluss vom 20. April 2011 -
VII ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn.
14), kann die Beschwerde daraus nichts herleiten. Denn daraus ergibt sich weder die Verpflichtung des Gerichts, einen Hinweis zu erteilen, noch eine Pflicht, außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen. Aus dem gleichen Grund stellt die angefochtene Entscheidung auch gemessen an dem Beschluss des [X.] vom 14. Dezember 2010 ([X.] 20/09, NJW 2011, 683 Rn. 14) keine strengeren Anforderungen an die Gewährung von Wiedereinsetzung als die [X.] Rechtsprechung. Denn auch in dieser, zudem einen Ausnahmefall betref-fenden, Entscheidung wäre -
anders als im Streitfall -
eine Weiterleitung der Berufungsschrift an das zuständige Gericht im ordnungsgemäßen Geschäfts-gang noch ohne weiteres möglich gewesen.
b) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts konnten die Kläger hier nicht erwarten, dass die
am 18. Mai 2016 -
dem letzten Tag der Berufungsfrist
-
gegen 13.00 Uhr bei der Geschäftsstelle des Landge-richts eingegangene Berufungsschrift bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch am selben Tag das Berufungsgericht erreichen werde.
c) Da die Frage, ob ein Gericht, das auf Grund seiner Fürsorgepflicht ei-nen fristgebundenen Schriftsatz an das zuständige Gericht weiterzuleiten hat, verpflichtet ist, der [X.] einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, durch die dargestellte höchstrichterliche und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

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bereits geklärt ist, kommt ihr entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch keine grundsätzliche Bedeutung zu ([X.], Beschluss vom 19. Juli 2016
-
II ZB 3/16, NJW-RR 2016, 1529 Rn. 16 ff. mwN).
Galke
[X.]
[X.]

Roloff
Klein

Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 11.04.2016 -
9 O 17578/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 01.07.2016 -
1 U 2428/16 -

Meta

VI ZB 37/16

19.09.2017

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2017, Az. VI ZB 37/16 (REWIS RS 2017, 5150)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5150

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