Bundessozialgericht, Urteil vom 18.02.2010, Az. B 14 AS 32/08 R

14. Senat | REWIS RS 2010, 9231

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Hilfebedürftigkeit - Haushaltsgemeinschaft - Vermutungsregelung - Unterstützung durch Verwandte - keine faktische Bedarfsdeckung - Nachweis des Zuflusses - Berechnung des Freibetrages - Einkommens- und Vermögensberücksichtigung


Leitsatz

1. Nur soweit Hilfebedürftige mit Verwandten oder Verschwägerten in einer Haushaltsgemeinschaft leben, kann vermutet werden, dass ihnen Unterstützungsleistungen zufließen, ohne dass dies im Einzelnen nachgewiesen sein muss.

2. Eine faktische Bedarfsdeckung durch Hilfeleistungen Dritter kann auch nicht dann unterstellt werden, wenn das Lebensnotwendige beim Antragsteller ohne Grundsicherungsleistungen offensichtlich gesichert war.

3. Unterstützungsleistungen von Verwandten oder Verschwägerten, die über deren Leistungsfähigkeit hinaus erfolgen, sind zur Deckung der Bedarfe nur heranzuziehen, wenn ihr Zufluss im Einzelnen nachgewiesen ist.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf [X.] (Alg II).

2

Die 1954 geborene Klägerin wohnt mit ihrer 1920 geborenen Mutter in einem im Eigentum der Mutter stehenden Haus und pflegt sie. Die Mutter bezieht eine Rente in Höhe von 1300 [X.] monatlich. Leistungen nach dem [X.] werden nicht gewährt. Die Klägerin beteiligt sich an den Kosten für den Unterhalt des Hauses nicht; insbesondere zahlt sie keine Miete.

3

Die Klägerin ist zusammen mit ihrem Lebensgefährten Miteigentümerin eines (nicht mit Verbindlichkeiten belasteten) Grundstücks mit einer Fläche von 972 qm, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Der Lebensgefährte bewohnt das Haus allein. Den Verkehrswert des [X.] hat die Klägerin mit 193 700 [X.] angegeben; es sei jedoch eine Wertminderung eingetreten, weil nach 29 Jahren Renovierungsbedarf bestehe. Daneben verfügte die Klägerin im hier streitigen Zeitraum über drei Lebensversicherungen.

4

Nachdem ein zum 1.1.2005 gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Erfolg geblieben war, beantragte die Klägerin am 23.3.2005 bei der Beklagten erneut Leistungen nach dem [X.] ([X.]) und machte geltend, ihr Vermögen sei unter den Freibetrag gesunken. Sie habe eine Lebensversicherung in Höhe von 3385 [X.] aufgelöst, hiervon 1498 [X.] für dringende Instandhaltungsarbeiten an ihrem eigenen Haus eingesetzt und den Rest für ihren Lebensunterhalt verbraucht. Antrag und Widerspruch blieben ohne Erfolg (Bescheid der [X.] vom [X.]; Widerspruchsbescheid der Beklagten vom [X.]). Die Klägerin verfüge über verwertbares Vermögen in Höhe von 105 477,05 [X.], das den Freibetrag von 10 750 [X.] übersteige. Dabei seien Lebensversicherungen in Höhe von 8627,37 [X.] sowie der Miteigentumsanteil mit einem Wert von 96 849,68 [X.] zu berücksichtigen.

5

Das Sozialgericht (SG) [X.] hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.10.2007). Die hiergegen gerichtete Berufung hat das [X.] ([X.]) [X.] mit Urteil vom 13.3.2008 zurückgewiesen. Die Klägerin sei gemäß § 9 Abs 1 [X.] [X.] nicht hilfebedürftig, weil sie die erforderliche Hilfe von ihrer Mutter, mit der sie nicht in Bedarfsgemeinschaft lebe, tatsächlich erhalte. Die Verwendung der Rente ihrer Mutter zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sowie das in Anspruch genommene kostenfreie Wohnen stellten zwar kein Einkommen der Klägerin im Sinne des § 9 Abs 1 Halbs 1 [X.] dar. § 9 Abs 1 [X.] enthalte in [X.] aber einen eigenständigen und unmittelbaren Subsidiaritätsgrundsatz, wie er auch in § 2 Abs 1 des [X.] ([X.]) normiert sei. Die Hilfeleistung anderer sei insoweit von eigenem Einkommen zu trennen. Diese anderweitige Bedarfsdeckung schließe im Sozialhilferecht Leistungen auf Grund des Nachranggrundsatzes in § 2 Abs 1 [X.] ([X.]) aus (Hinweis auf [X.] , [X.], 36 und BVerwGE 122, 317). Dies gelte weiterhin, denn der mit der Einführung des [X.] und [X.] vorgenommene Systemwechsel berühre die grundsätzliche Subsidiarität des den gesamten Lebensunterhalt sichernden materiellen Sozialhilferechts nicht. Vorliegend habe die Klägerin tatsächlich Zuwendungen von ihrer Mutter erhalten und erhalte diese weiterhin, die den gesamten Bedarf deckten. Sie wohne mietfrei im [X.] und habe selbst eingeräumt, seit April 2005 ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen der Mutter zu decken. Die Mutter sei auch tatsächlich in der Lage, den Lebensunterhalt der Klägerin zu decken, ohne ihren eigenen notwendigen Lebensunterhalt zu gefährden. Es ergebe sich ein grundsicherungsrechtlicher Gesamtbedarf in Höhe von 945,61 [X.] (Regelsatz der Mutter nach dem [X.] zuzüglich eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs 1 [X.] in Höhe von insgesamt 406 [X.], Regelbedarf der Klägerin in Höhe von 347 [X.], Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 192,65 [X.] ausgehend von den für das [X.] angegebenen Kosten), der das Einkommen der Mutter in Höhe von 1300 [X.] nicht übersteige. Dieses Ergebnis widerspreche nicht den Kriterien, die im Rahmen des § 9 Abs 5 [X.] anzuwenden seien. § 9 Abs 5 [X.] regele nicht die Fälle, in denen der Verwandte tatsächlich Leistungen erbringe, auch wenn dies von ihm - typisiert - nicht erwartet werden könne. Daher komme es vorliegend auf das Bestehen einer [X.] nicht an. Die Klägerin habe schließlich nicht vorgetragen, die Sicherung ihres Lebensunterhalts aus dem Einkommen ihrer Mutter stelle nur eine vorschussweise Überbrückung bis zur Leistungsgewährung durch die Beklagte dar. Angesichts der Höhe der Rente und der Pflegeleistungen der Klägerin dränge sich dies auch nicht auf.

6

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie hält die Berücksichtigung von Leistungen ihrer Mutter nach § 9 Abs 1 [X.] für nicht zulässig. Die Auffassung des [X.] verletze insbesondere § 9 Abs 1 und § 9 Abs 5 iVm § 1 Abs 2 [X.]/[X.] ([X.]), wonach das Einkommen der Mutter im dort genannten Umfang nicht anrechnungsfähig sei. Nach der Auffassung des [X.] sei sie ferner von der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen, die aber ebenso wie die Bedarfsdeckung im Übrigen zur notwendigen Daseinsvorsorge gehöre. Aus der Tatsache, dass die Mutter die von der Beklagten geschuldete Leistung erbringe, könne ferner nicht geschlossen werden, dass die Leistungspflicht der Beklagten hinfällig sei. Insoweit würden ihr in Konsequenz der Auffassung des [X.] notwendige Leistungen zur Existenzsicherung vorenthalten und insoweit Art 2 Grundgesetz (GG) verletzt. Es widerspreche schließlich jeder Lebenserfahrung, dass für den Nachweis einer nur übergangsweisen Unterstützung durch Verwandte eine ausdrücklich abgeschlossene Darlehensvereinbarung Voraussetzung sei.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.]s [X.] vom 13.3.2008 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [X.] vom 19.10.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 23.3.2005 bis zum 21.6.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet, § 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ([X.]). Der [X.] kann auf Grundlage der Feststellungen des [X.] nicht abschließend entscheiden, ob und ggf welches zu berücksichtigende Einkommen oder Vermögen der Klägerin zur Abwendung ihrer Hilfebedürftigkeit zur Verfügung stand.

1. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren sind noch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die [X.] vom 23.3.2005 bis zum 21.6.2005. Die Klägerin hat auf Hinweis des [X.]s ihren Antrag im Revisionsverfahren entsprechend begrenzt, nachdem sich die Beteiligten wegen der Folgezeiträume, über die die Beklagte auf einen Antrag vom [X.] hin mit einem weiteren Bescheid entschieden hatte, im Wege eines so genannten Überprüfungsvergleichs geeinigt hatten.

2. Leistungen nach dem [X.] erhalten nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.] ([X.] 2954) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben ([X.]), die erwerbsfähig ([X.]) und hilfebedürftig ([X.]) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der [X.] haben ([X.] 4).

Nach § 7 Abs 1 [X.], § 9 Abs 1 [X.] ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit ([X.]) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen ([X.]) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die Klägerin bildete hier gemäß § 7 Abs 3 [X.] [X.] allein für ihre Person "eine Bedarfsgemeinschaft". Eine Bedarfsgemeinschaft zwischen über fünfundzwanzigjährigen Kindern und ihren Eltern sieht das Gesetz nicht vor, weshalb hier eine Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrer Mutter nicht angenommen werden kann (dazu [X.], 211 = [X.]-4200 § 20 [X.], jeweils Rd[X.]8 f). Die Hilfebedürftigkeit der Klägerin misst sich daran, ob und inwieweit im streitigen [X.]raum ihr Bedarf (dazu unter 3) von dem zu berücksichtigenden Einkommen (dazu unter 4) und ggf einzusetzenden Vermögen (dazu unter 5) gedeckt wird.

3. Bei Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf [X.] ist vorliegend der durch die Regelleistung nach § 20 Abs 2 [X.] (in der Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954) für einen Alleinstehenden ausgedrückte Bedarf in Höhe von 345 Euro zu Grunde zu legen. Das [X.] ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.]s ([X.], 70 = [X.]-4200 § 11 [X.]1) davon ausgegangen, dass im Hinblick auf die pauschalierte Regelleistung für eine individuelle Bedarfsermittlung vor dem Hintergrund möglicherweise ersparter Aufwendungen kein Raum ist. Daneben besteht ein Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl § 22 [X.]) nach den bisherigen Feststellungen des [X.] nicht, weil der Klägerin keine solchen tatsächlichen Aufwendungen entstanden sind. Insoweit kommt nach dem Wortlaut des § 22 [X.] abweichend von § 20 [X.] nur die Berücksichtigung tatsächlich anfallender Kosten als die Hilfebedürftigkeit begründender Bedarf in Betracht.

4. Ob und ggf in welchem Umfang dieser Bedarf der Klägerin durch Einkommen gedeckt ist, kann nicht abschließend entschieden werden. Die Feststellung des [X.], die Klägerin habe "seit April 2005 ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen der Mutter bestritten", trägt allein die rechtliche Schlussfolgerung nicht, sie - die Klägerin - sei wegen der vollständigen Deckung ihres Bedarfs nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs 1 [X.]. Nur soweit die Klägerin mit ihrer Mutter in einer [X.] lebt, kann nach § 9 Abs 5 [X.] vermutet werden, dass ihr Unterstützungsleistungen in dem dann nach §§ 1 Abs 2, 4 Abs 2 [X.]-V (hier in der Fassung vom 20.10.2004 <[X.] 2622>) zu bestimmenden Umfang zufließen, ohne dass der entsprechende Zufluss im Einzelnen nachgewiesen sein muss (dazu unter a). Darüber hinausgehend können Einnahmen nur Berücksichtigung finden, wenn feststeht, dass und in welchen Umfang Geldleistungen der Mutter tatsächlich zugeflossen sind (dazu unter b). Das [X.] wird die noch fehlenden Ermittlungen im Hinblick auf beide Möglichkeiten nachzuholen haben (dazu unter c).

a) Lebt der Hilfebedürftige mit anderen Personen zusammen, ohne dass sie eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs 3 [X.] bilden, bietet lediglich § 9 Abs 5 [X.] iVm § 1 Abs 2, § 4 Abs 2 [X.]-V eine Handhabe dafür, Einkommen (und ggf Vermögen) eines Mitglieds des Haushalts bei der Prüfung des Bedarfs beim Hilfebedürftigen zu berücksichtigen, ohne dass der entsprechende Zufluss bei ihm nachgewiesen sein muss. § 9 Abs 5 [X.] knüpft insoweit an eine bestehende [X.] zwischen Verwandten und Verschwägerten im Sinne des Wirtschaftens aus einem Topf die Vermutung, dass der Hilfebedürftige bei Leistungsfähigkeit des Verwandten Leistungen in bestimmter Höhe auch erhält (im Einzelnen B[X.] [X.]-4200 § 9 [X.] 6). Der Zufluss der Unterstützungsleistungen wird dabei widerleglich vermutet: Besteht eine [X.], ist es dem Hilfebedürftigen möglich, die gesetzliche Vermutung - er erhält Leistungen von den Verwandten oder Verschwägerten - zu widerlegen, indem er Tatsachen vorträgt, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung zu begründen. Nur dann besteht Anlass, weitergehend von Amts wegen zu ermitteln. Unterstützungen von Verwandten werden im Anwendungsbereich des § 9 Abs 5 [X.] mithin dann nicht berücksichtigt, wenn nachgewiesen ist, dass sie trotz entsprechender Leistungsfähigkeit tatsächlich nicht erbracht werden. Der Sache nach handelt es sich im Übrigen auch bei solchen Leistungen durch Familienangehörige um zu berücksichtigendes Einkommen des Hilfebedürftigen iS des § 9 Abs 1 [X.], § 11 Abs 1 Satz 1 [X.] (vgl bereits [X.], 258 = [X.]-4225 § 1 [X.], jeweils Rd[X.]8).

b) Tatsächlich gewährte Unterstützungsleistungen von Verwandten oder Verschwägerten in Geld oder Geldeswert, die über die Leistungsfähigkeit im Sinne des § 9 Abs 5 [X.] iVm § 1 Abs 2 [X.]-V hinaus erfolgen, sind wie sonstige Zuwendungen von [X.] nach den Grundsätzen des § 9 Abs 1 [X.] iVm § 11 [X.] zur Deckung der Bedarfe heranzuziehen. Entgegen der Auffassung der Klägerin schließt § 9 Abs 5 [X.] die Berücksichtigung von weitergehenden, tatsächlich zufließenden Unterstützungsleistungen innerhalb von [X.]en nicht von vornherein aus. § 9 Abs 5 [X.] beinhaltet lediglich die entsprechende Wertung des Gesetzgebers, dass unter Angehörigen einer [X.] eine gegenseitige Unterstützung erst erwartet und also der Zufluss vermutet werden kann, wenn dem Verwandten oder Verschwägerten ein deutlich über den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts liegendes Lebenshaltungsniveau verbleibt. Soweit Zuflüsse tatsächlich nachgewiesen sind, räumt die Vorschrift keine über § 11 Abs 2 und 3 [X.] hinausgehende Privilegierung von Einkommen auf Seiten des Hilfebedürftigen ein.

Der Zufluss solcher Geldleistungen muss aber konkret nachgewiesen sein. Während § 9 Abs 2 [X.] innerhalb der Bedarfsgemeinschaft eine bestimmte Verteilung des Einkommens ihrer Mitglieder unwiderleglich unterstellt (vgl etwa [X.], 242 = [X.]-4200 § 20 [X.], jeweils Rd[X.]9; [X.], 76 = [X.]-4200 § 9 [X.] 7, jeweils Rd[X.]1) und § 9 Abs 5 [X.] die Anforderungen an die Ermittlungen zum Tatbestandsmerkmal "Hilfebedürftigkeit" wegen der Vermutung von Einkommen einschränkt, treffen den Hilfebedürftigen bei der Berücksichtigung von Einkommen in den übrigen Fällen bei der Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen Mitwirkungsobliegenheiten (vgl § 60 Sozialgesetzbuch [X.] und dazu [X.], 260 = [X.]-1200 § 60 [X.]). Lässt sich Hilfebedürftigkeit nicht nachweisen, geht dies zu Lasten des Antragstellers. Dies erlaubt es aber nicht, den Zufluss von Einkommen, der der Annahme von Hilfebedürftigkeit entgegenstehen könnte, zu unterstellen (vgl auch [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = [X.] 2005, 803 = juris Rd[X.]8).

Vorliegend hat das [X.], ausdrücklich ohne Feststellungen zu einer [X.] iS des § 9 Abs 5 [X.] zu treffen, den Zufluss von Einkommen der Mutter in ausreichender Höhe (lediglich) vermutet und dies damit begründet, das Einkommen der Mutter reiche (in entsprechender Anwendung der ausschließlich für Bedarfsgemeinschaften vorgesehenen horizontalen Berechnungsmethode) zur Deckung des [X.] aus. Eine solche "Vermutungsregel" widerspricht den insoweit abschließenden Grundsätzen des § 9 Abs 5 [X.] und ist damit unzulässig. Unerheblich ist im Hinblick auf die Ermittlung von Einkommen auch, dass die Klägerin "keine konkreten Bedarfslagen genannt hat, die ungedeckt bleiben würden", wie das [X.] meint. Der in der Regelleistung zum Ausdruck kommende Gesamtbedarf eines Hilfebedürftigen ist pauschal bestimmt, sodass die Begründung von Ansprüchen nach dem [X.] gerade nicht die Feststellung (und erst recht nicht den entsprechenden Vortrag des Antragstellers) voraussetzt, bestimmte Bedarfe, die in der Regelleistung zum Ausdruck kommen (Essen, Kleidung etc), seien ungedeckt. Schließlich genügt die in den Urteilsgründen wiedergegebene (offenbar erst nach Antragstellung gemachte) Angabe der Klägerin, "seit April 2005 ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen der Mutter zu decken", in dieser Allgemeinheit nicht, um von einer vollständigen Bedarfsdeckung durch den Zufluss von Einkommen auszugehen. Allein die Tatsache, dass auch ohne die entsprechenden Leistungen durch den Träger der Grundsicherung jedenfalls das Lebensnotwendige offenbar gesichert war, lässt Hilfebedürftigkeit nicht (im Nachhinein) entfallen. Entscheidend ist, ob Einkommen in Geld oder Geldeswert im jeweils zu beurteilenden [X.]raum in einer Höhe konkret zur Verfügung steht, das den Gesamtbedarf (vorliegend 345 Euro) vollständig deckt.

Entgegen der Auffassung des [X.] folgt aus § 9 Abs 1 letzter Halbsatz [X.] nichts anderes. Soweit hier neben den Möglichkeiten der Bedarfsdeckung durch zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen auf die erforderliche Hilfe anderer, insbesondere die Hilfe von Angehörigen, Bezug genommen wird, ist damit keine weitere, eigenständige Möglichkeit der "faktischen" Bedarfsdeckung aufgezeigt. Sobald ein Hilfebedürftiger solche Hilfen "erhält", handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]. Die Nennung der Hilfe anderer im Gesetz ist vor dem Hintergrund des § 9 Abs 1 [X.] [X.] überflüssig und verdeutlicht nur, dass es (auch) insoweit auf den tatsächlichen Zufluss "bereiter Mittel" ankommt (vgl [X.]/[X.] in LPK-[X.], 3. Aufl 2009, § 9 Rd[X.]4 f). Nichts anderes galt im Übrigen unter Geltung des [X.]. Auch insoweit war entscheidend, ob Einkommen im Sinne des § 11 [X.] tatsächlich zufließt (so etwa ausdrücklich die vom [X.] herangezogene Entscheidung BVerwGE 108, 36, 39 = juris Rd[X.]3). Daneben kam zwar auf Grundlage des § 22 Abs 1 Satz 2 [X.] die Minderung des eigenen Bedarfs durch Hilfeleistungen anderer in Betracht (vgl BVerwG aaO sowie BVerwG Beschluss vom 30.12.1996 - 5 [X.]/96 - [X.] 47, 337; BVerwGE 72, 354). Wie der [X.] bereits entschieden hat, ist eine § 22 Abs 1 Satz 2 [X.] und § 28 Abs 1 Satz 2 [X.]B XII entsprechende Rechtsgrundlage, die eine abweichende Bestimmung der Bedarfe erlaubt, im [X.] aber nicht ersichtlich ([X.], 70 = [X.]-4200 § 11 [X.]1 zur Verköstigung während eines Krankenhausaufenthalts und Urteil vom 18.6.2008 - [X.] AS 46/07 R - zur kostenlosen Verpflegung durch Familienangehörige). Insoweit hat sich das [X.] von den zuvor geltenden Grundsätzen der Sozialhilfe gelöst.

c) Das [X.] hat es ausdrücklich offen gelassen, ob zwischen der Klägerin und ihrer Mutter eine [X.] im Sinne des § 9 Abs 5 [X.] bestand. Die notwendigen Ermittlungen dazu, ob die Klägerin und ihre Mutter aus einem Topf wirtschafteten (vgl B[X.] [X.]-4200 § 9 [X.] 6), wird es nachzuholen haben. Gelangt es zu der Überzeugung, es habe im streitigen [X.]raum eine [X.] bestanden, wird es weiter zu überprüfen haben, ob überhaupt bzw in welchem Umfang auf Grundlage des § 9 Abs 5 iVm § 1 Abs 2 [X.]-V und § 4 Abs 2 [X.]-V (nunmehr: § 7 Abs 2 [X.]-V in der Fassung vom 17.12.2007 <[X.] 2942>) eine Unterstützung der Klägerin durch ihre Mutter erwartet werden konnte. Nach den bisherigen Feststellungen spricht einiges für die Leistungsfähigkeit der Mutter (jedenfalls in gewissem Umfang) als weitere Voraussetzung für die Vermutung iS des § 9 Abs 5 [X.], ohne dass hierzu vom [X.] abschließend eine Entscheidung getroffen werden könnte.

Zunächst ist das bereinigte Einkommen der Mutter zu ermitteln. Von dem Rentenzahlbetrag, der bislang die einzige ersichtliche Einnahme darstellt, sind die Absetzungen des § 11 Abs 2 [X.] vorzunehmen. Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin, ihre Krankenversicherung sei nicht gesichert gewesen, wird das [X.] dabei zu beachten haben, dass vom Einkommen der Mutter auch solche Absetzungen entsprechend § 11 Abs 2 [X.] vorzunehmen sind, die zugunsten der Klägerin erfolgen. Zahlt die Mutter beispielsweise tatsächlich Aufwendungen für eine Krankenversicherung (§ 11 Abs 2 [X.] [X.]) oder eine geförderte Altersvorsorge nach § 82 Einkommensteuergesetz (§ 11 Abs 2 [X.] 4 [X.]) für die Klägerin, sind die entsprechenden Beiträge von ihrem Einkommen abzusetzen.

Sodann ist der Freibetrag nach § 1 Abs 2 Satz 1 [X.]-V festzulegen. Auszugehen ist vom doppelten Freibetrag nach § 20 Abs 2 [X.] (im streitigen [X.]raum mithin 690 Euro monatlich) zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wobei die Mutter nach den bisherigen Feststellungen des [X.] sämtliche Aufwendungen für den Unterhalt des Hauses trägt. Solche Aufwendungen sind nach der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen [X.]e allerdings auch zugunsten selbst genutzter Immobilien lediglich in den Monaten, in denen sie tatsächlich anfallen, berücksichtigungsfähig (vgl etwa [X.], 186 = [X.]-4200 § 12 [X.]0, jeweils Rd[X.]4; [X.]-4200 § 22 [X.]7 Rd[X.]4). Abweichend von dem in § 1 Abs 2 [X.]-V beschriebenen Regelfall wird schließlich der Einsatz des Einkommens von Angehörigen, die in ihrer Person die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf entsprechend §§ 21, 28 Abs 1 Satz 3 [X.] bzw § 30 [X.]B XII erfüllen, nur erwartet werden können, soweit die Einnahmen zusätzlich zum Freibetrag den für den jeweiligen Mehrbedarf vorgesehenen Betrag (hier also in Ansehung des Alters der Mutter ein Mehrbedarf von 17 Prozent der Regelleistung) überschreiten. Soweit die bereinigten Einnahmen diese Grenze überschreiten, wird der Zufluss dieser Einnahmen bei der Klägerin in Höhe von 50 Prozent als Einkommen iS des § 11 Abs 1 [X.] unterstellt.

Schließlich sind die notwendigen Feststellungen zum Vermögen der Mutter nachzuholen. Es kann auf Grundlage der bisherigen Feststellungen insbesondere nicht beurteilt werden, ob das selbst genutzte Hausgrundstück eine angemessene Größe hat und damit von einer möglichen Verwertung nach § 4 Abs 2 [X.]-V iVm § 12 Abs 3 [X.] [X.] ausgenommen ist. Ob und ggf welcher Einsatz von weiteren Vermögensgegenständen der Mutter zur Abwendung von Hilfebedürftigkeit der Klägerin erwartet werden kann, ist bislang ebenfalls nicht ermittelt.

In Anbetracht der schriftlichen Angaben der Klägerin im Verlauf des bisherigen Verfahrens, wie sie aus den Akten ersichtlich sind, kann es abschließend - sofern diese Anhaltspunkte auch nach Aufklärung der Einzelheiten zu einer möglichen [X.] fortbestehen - angebracht sein, den Sachverhalt im Hinblick auf (weitergehende) tatsächliche Geldzuwendungen der Mutter aufzuklären. Die für diesen Fall erforderlichen umfassenden Ermittlungen und Würdigungen dahin, ob und in welcher Höhe im Einzelnen Einkommen in Geld tatsächlich (und zum endgültigen Verbrauch) zugeflossen ist, hat das [X.] - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - bislang unterlassen. Dies wird es ggf nachzuholen haben.

5. Ergeben die weiteren Ermittlungen des [X.], dass das zur Verfügung stehende Einkommen den Bedarf der Klägerin nicht oder nicht vollständig deckt, wird es zu prüfen haben, inwieweit der Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück zum verwertbaren Vermögen der Klägerin gehört hat, das zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit einzusetzen wäre. Problematisch erscheint insoweit schon, ob - wie vom [X.] angenommen - der Miteigentumsanteil prognostisch innerhalb von 6 Monaten ab Antragstellung rechtlich und tatsächlich verwertbar war (dazu B[X.]E 99, 248 = [X.]-4200 § 12 [X.] 6 Rd[X.]5 und B[X.] [X.]-4200 § 12 [X.]2 Rd[X.]3). Schließlich ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang - wie von der Beklagten angenommen - auch die Lebensversicherungen zum zu berücksichtigenden Vermögen gehören.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 32/08 R

18.02.2010

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Reutlingen, 19. Oktober 2007, Az: S 9 AS 2396/05, Gerichtsbescheid

§ 9 Abs 1 SGB 2, § 9 Abs 5 SGB 2, § 1 Abs 2 AlgIIV vom 20.10.2004, § 4 Abs 2 AlgIIV vom 20.10.2004, § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11 Abs 2 SGB 2, § 12 Abs 1 SGB 2, § 12 Abs 2 SGB 2, § 12 Abs 3 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 18.02.2010, Az. B 14 AS 32/08 R (REWIS RS 2010, 9231)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9231

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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