Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2014, Az. VI ZR 483/12

6. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 2744

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Gegenstand

Gesetzlicher Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger bei Arbeitsunfall: Rechtskrafterstreckung des im Vorprozess ergangenen Urteils; Kenntnis des Schädigers vom Forderungsübergang bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Vorprozesses; gemeinsame Betriebsstätte


Leitsatz

1. Eine rechtskräftige Entscheidung entfaltet Bindungswirkung regelmäßig nur gegenüber den Parteien des Vorprozesses.

2. Für die Kenntnis von einem Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X reicht aus, dass der Schädiger tatsächliche Umstände kennt, von denen allgemein bekannt ist, dass sie versicherungspflichtig machen.

3. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte setzt eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation voraus. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 31. Oktober 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, macht Ansprüche gegen die Beklagte aus gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht für Aufwendungen geltend, die sie wegen unfallbedingter Verletzungen des bei ihr versicherten [X.] erbracht hat.

2

Am 2. Januar 2008 gegen 11.00 Uhr befuhr [X.] mit dem LKW seiner Arbeitgeberin, einer Transportfirma, das Betriebsgelände der Beklagten, um dort Kalk zu laden. Da die Verladestation durch einen anderen LKW besetzt war, verließ [X.] das Fahrzeug, um den Domdeckel seines LKW's zu öffnen. Im Folgenden stürzte [X.] auf einer Eisplatte. Der Unfallhergang ist streitig und ungeklärt. Infolge des Sturzes zog sich [X.] erhebliche Verletzungen zu und war längere Zeit arbeitsunfähig. Der Klägerin entstanden hierdurch Aufwendungen in Höhe von 34.371,83 €. Sie macht unter Anrechnung eines Mitverschuldens des Versicherten von 30 % gegenüber der Beklagten 70 % der Aufwendungen geltend.

3

Der Versicherte der Klägerin ist in einem Vorprozess gegen die Beklagte unterlegen. Die Klageabweisung hat das [X.] auf die Haftungsprivilegierung der Beklagten nach § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gestützt. Das [X.] hat sich der Beurteilung des [X.]s angeschlossen und die Berufung des Versicherten [X.] mit Urteil vom 17. Februar 2010 zurückgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.

4

Im vorliegenden Rechtsstreit hat sich das [X.] an die rechtskräftige Entscheidung für gebunden gehalten und die Klage ebenfalls abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

6

Es könne dahinstehen, ob die rechtskräftige Entscheidung des [X.] in dem zwischen dem Versicherten [X.] und der [X.] geführten Vorprozess für den vorliegenden Rechtsstreit zwischen der [X.]lägerin und der [X.] Bindungswirkung entfalte, denn jedenfalls sei ein Anspruch der [X.]lägerin auf Ersatz bestehender und künftiger Schäden aufgrund der Haftungsprivilegierung der [X.] nach § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] ausgeschlossen. Die beiderseitigen Aktivitäten des Versicherten der [X.]lägerin und der Mitarbeiter der [X.] stellten sich als ein aufeinander bezogenes Zusammenwirken dar. Es komme hierfür nicht darauf an, ob sich der Unfall ereignet habe, als [X.], unmittelbar nachdem er den [X.] geöffnet habe, von seinem Fahrzeug heruntergeklettert sei oder auf dem Rückweg von der auf dem Betriebsgelände befindlichen Toilette. Spätestens mit dem Öffnen des [X.]s seines eigenen L[X.]W's habe die wechselseitige Gefährdungslage im konkreten Arbeitsvorgang begonnen. Eine andere Betrachtungsweise führe zur Aufspaltung der Geschehnisse mit der Folge, dass ein Zusammenwirken auf einer gemeinsamen Betriebsstätte durch vom Unternehmer nicht zu beeinflussende Einzelereignisse, [X.]leinigkeiten und Zufälligkeiten unterbrochen werden könnte, was einen ständigen Wechsel zwischen Anwendbarkeit und Unanwendbarkeit des [X.] zur Folge habe. Dies sei mit dem gesetzgeberischen Zweck der Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.], wonach das versicherungspflichtige Unternehmen durch die Haftungsfreistellung eine gewisse Entlastung als Ausgleich für die Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung erfahren solle, nicht vereinbar.

II.

7

Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass die [X.]lägerin aus übergegangenem Recht des Versicherten von der [X.] Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) beanspruchen kann. Ein solcher Anspruch ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht aufgrund einer Haftungsprivilegierung wegen des Zusammenwirkens auf einer gemeinsamen Betriebsstätte (§ 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.]) ausgeschlossen.

8

1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung entfaltet das rechtskräftige Urteil im Verfahren zwischen dem Versicherten [X.] und der [X.], durch das die [X.]lage wegen der Haftungsprivilegierung der [X.] abgewiesen worden ist, keine Bindungswirkung im vorliegenden Rechtsstreit zu Gunsten der [X.].

9

a) Das Urteil wirkt Rechtskraft nur zwischen den damaligen Prozessparteien (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 1993 - [X.], [X.]Z 124, 86, 95; Beschluss vom 16. Juni 1993 - [X.], [X.]Z 123, 30, 33 f.; [X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. § 325 Rn. 3). Hingegen erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf Dritte, die am Prozess nicht teilgenommen haben und deshalb auf die Entscheidungsfindung keinen Einfluss hatten. Einer der Fälle, in denen das Gesetz die Rechtskraft auf Dritte erstreckt (§§ 325 ff. ZPO), liegt offensichtlich nicht vor (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 28. Mai 1969 - [X.], [X.]Z 52, 150, 151 ff.).

Für die Anwendung der Regelung in § 325 Abs. 1 ZPO, wonach das rechtskräftige Urteil zugleich für und gegen die Personen wirkt, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind, fehlt, dass die Ansprüche des Versicherten [X.] erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit auf die [X.]lägerin übergegangen sind. Der [X.] gemäß § 116 Abs. 1 [X.] lag zeitlich jedenfalls vor der Rechtshängigkeit des [X.]. Liegen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 [X.] vor, so geht der Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger kraft Gesetzes, d.h. ohne weiteres Zutun des regressberechtigten Sozialleistungsträgers, auf diesen über (vgl. [X.], Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., § 116 [X.] S. 971 b; [X.] in [X.]/[X.], [X.]/2, [X.] § 116 Rn. 1 [Lfg. 1/07]; [X.]ater in [X.]asseler [X.]ommentar, § 116 [X.] Rn. 141a [Stand: Juni 2013]; [X.]/[X.], [X.], § 116 Rn. 13, 21 [Stand: April 2014]; [X.] in SGB-SozVers-Ges[X.]omm; § 116 [X.] Anm. 9; Wannagat/Eichenhofer, [X.], § 116 Rn. 13, Stand: März 2001). Der Übergang auf einen Sozialversicherungsträger erfolgt dem Grunde nach bereits im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses, wenn eine Leistungspflicht des [X.] gegenüber dem Verletzten irgendwie in Betracht kommt, also nicht völlig unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 20. September 1994 - [X.], [X.]Z 127, 120, 125; vom 8. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 342, 346; vom 12. April 2011 - [X.], [X.]Z 189, 158 Rn. 8; vom 17. April 1990 - [X.], [X.], 1028, 1029; vom 17. Juni 2008 - [X.], [X.], 1350 Rn. 12). Die im Streit befindlichen Schadensersatzansprüche gingen danach zeitlich vor der Rechtshängigkeit des [X.] auf die [X.]lägerin über, da offensichtlich war, dass die [X.]lägerin als Sozialversicherungsträgerin für die Verletzungen des bei ihr Versicherten [X.] Leistungen zu erbringen haben würde. § 325 Abs. 1 ZPO bietet mithin keine Grundlage für eine Erstreckung der Rechtskraft des Urteils, das zwischen dem Verletzten [X.] und der [X.] ergangen ist, auf die [X.]lägerin.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung war das Berufungsgericht nicht gehalten, aufgrund einer Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils zwischen dem Versicherten [X.] und der [X.] seinem Urteil zugrunde zu legen, dass die Beklagte gegenüber dem Versicherten [X.] haftungsprivilegiert ist und ein Schadensersatzanspruch deshalb gegen sie nicht gegeben ist. Ebenso wie die Rechtskraft wirkt eine frühere Entscheidung nur gegenüber den Parteien des [X.] bindend, nicht jedoch gegenüber nicht am Prozess beteiligten [X.], da ansonsten der Anspruch auf rechtliches Gehör des nicht am Prozess beteiligten [X.] nicht hinreichend gewährleistet wäre (vgl. [X.], Urteil vom 16. Januar 2008 - [X.], [X.], 1227 Rn. 19, 23).

b) Eine Rechtskrafterstreckung folgt auch nicht aus den Regelungen in § 407 Abs. 2, § 412 BGB. Danach muss der neue Gläubiger (hier die [X.]lägerin) ein Urteil gegen sich gelten lassen, das zwischen dem Schuldner einer abgetretenen bzw. übergegangenen Forderung (hier: die Beklagte) und dem bisherigen Gläubiger (hier: der Versicherte [X.]) in einem nach dem Forderungsübergang anhängig gewordenen Rechtsstreit rechtskräftig über die Forderung ergangen ist (§ 407 Abs. 2, 412 BGB). § 407 Abs. 2 BGB führt - anders als § 325 ZPO - zu einer Rechtskrafterstreckung nur gegen den Zessionar. Diese Voraussetzung wäre im Streitfall gegeben, da die [X.]lage des Versicherten [X.] gegen die Beklagte abgewiesen worden ist. Die Vorschrift des § 407 Abs. 2 BGB verwehrt es aber dem Schuldner, sich auf eine rechtskräftig in einem Prozess zwischen ihm und dem früheren Gläubiger ergangene Entscheidung zu berufen, wenn dieser Rechtsstreit erst nach seiner [X.]enntnis vom [X.] rechtshängig geworden ist. So liegt der Fall hier.

Dass die Beklagte den [X.] auf die [X.]lägerin bei Eintritt der Rechtshängigkeit des [X.] nicht kannte, kann aufgrund der unfallbedingten Verletzungen des Versicherten nicht angenommen werden. An die [X.]enntnis vom Forderungsübergang werden, um den Schutz der [X.] Leistungsträger nicht durch die Behauptung fehlenden Wissens vom [X.] unterlaufen zu können, von der Rechtsprechung im Rahmen des § 116 Abs. 1 [X.], wie schon zur [X.] der Geltung des § 1542 RVO (Senatsurteil vom 4. Oktober 1983 - [X.], [X.], 35 juris Rn. 18), nur maßvolle Anforderungen gestellt. Für die [X.]enntnis des Schädigers von einem Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 [X.] genügt schon das Wissen, dass der Verletzte sozialversichert ist; es reicht sogar aus, wenn er tatsächliche Umstände kennt, von denen allgemein bekannt ist, dass sie versicherungspflichtig machen (ständige Rechtsprechung, so etwa Senatsurteile vom 12. Dezember 1995 - [X.], [X.]Z 131, 274, 286 und vom 20. September 1994 - [X.], [X.]Z 127, 120, 127 f.). Für die Beklagte lag auf der Hand, dass [X.] als Mitarbeiter der Silotransportfirma gesetzlich versichert ist und die [X.]lägerin wegen der unfallbedingten Verletzungen des bei ihr gesetzlich Versicherten [X.] Leistungen erbringen würde. Mithin kann sie sich nicht nach § 407 Abs. 2, § 412 BGB auf das ihr günstige, die [X.]lage abweisende Urteil berufen.

2. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass auf der Grundlage der im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen eine Haftungsprivilegierung der [X.] gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil die Schädigung des Versicherten der [X.]lägerin nicht durch ein selbst auf der Betriebsstätte tätiges versichertes Organ der [X.] erfolgt ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt das Haftungsprivileg nur dem versicherten Unternehmer zu [X.], der selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt (vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 2001 - [X.], [X.]Z 148, 209 und [X.], [X.]Z 148, 214; vom 14. Juni 2005 - [X.], [X.], 1397, 1398 und vom 8. Juni 2010 - [X.], [X.], 1190 Rn. 10 mwN). Das [X.] unterscheidet zwischen Unternehmer und den für einen Betrieb Tätigen (vgl. §§ 104, 105, 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.]). Dass ein für die Beklagte handelndes Organ an dem Unfall beteiligt gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Für [X.] oder Unterlassen besteht eine Haftungsbefreiung der [X.] schon deshalb nicht.

3. Eine Haftungsprivilegierung der [X.] kommt mithin nur nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses (§§ 831, 840 Abs. 2 BGB) in Betracht. Dafür fehlt aber die Voraussetzung, dass sich der Unfall bei einer Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte zwischen dem [X.]läger und den Mitarbeitern der [X.] zugetragen hat (§ 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.]).

a) Nach den vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätzen können in den Fällen, in denen zwischen mehreren [X.] ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des [X.] gestört wäre (st. Rspr. vgl. Senatsurteile vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.]Z 155, 205, 212 ff.; vom 11. November 2003 - [X.], [X.]Z 157, 9, 14; vom 13. März 2007 - [X.], [X.], 948 Rn. 19; vom 22. Januar 2008 - [X.], [X.], 642 Rn. 11 und vom 8. Juni 2010 - [X.], [X.], 1190 Rn. 12). In solchen Fällen hat der erkennende Senat den Zweitschädiger in Höhe des [X.]s freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinweg denkt, wobei unter "[X.]" die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der [X.] zu verstehen ist (vgl. Senatsurteile vom 11. November 2003 - [X.], aaO, 14 f.; vom 13. März 2007 - [X.]; vom 22. Januar 2008 - [X.] und vom 8. Juni 2010 - [X.], jeweils aaO). In Anwendung dieser Grundsätze könnte im Streitfall eine Haftung aus dem Gesichtspunkt des gestörten Gesamtschuldverhältnisses nur entfallen, wenn sich der Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] zwischen dem Versicherten der [X.]lägerin und den Mitarbeitern der [X.] ereignet hätte.

b) Dies ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht der Fall.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats erfasst der Begriff der "gemeinsamen Betriebsstätte" betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch [X.] erfolgt. Erforderlich ist aber ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt (vgl. Senatsurteile vom 17. Oktober 2000 - [X.]/00, [X.]Z 145, 331, 336; vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.]Z 155, 205, 207 f.; vom 16. Dezember 2003 - [X.], [X.]Z 157, 213, 216 f.; vom 17. Juni 2008 - [X.], [X.]Z 177, 97 Rn. 19; vom 1. Februar 2011 - [X.], [X.], 500 Rn. 7 und vom 10. Mai 2011 - [X.]/10, [X.], 882 Rn. 12). § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von [X.] mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt (vgl. Senatsurteile vom 23. Januar 2001 - [X.]/00, [X.], 372, 373; vom 14. September 2004 - [X.], [X.], 1604 f.; vom 8. Juni 2010 - [X.], [X.], 1190 Rn. 14; vom 1. Februar 2011 - [X.] und vom 10. Mai 2011 - [X.]/10, jeweils aaO). Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende [X.] gerechtfertigt (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Dezember 2003 - [X.] aaO, [X.] mwN). Eine [X.] ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung miteinander) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann (vgl. Senatsurteil vom 3. Juli 2001 - [X.], [X.]Z 148, 214, 220; Waltermann, NJW 2002, 1225, 1228 ff.; [X.], NZV 2002, 10, 14; [X.], [X.] 2002, 1859, 1860 f.). Der Haftungsausschluss knüpft daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigen bei konkreten Arbeitsvorgängen (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 2011 - [X.], aaO Rn. 7 und 9) in der konkreten Unfallsituation gegeben ist, die die "gemeinsame" Betriebsstätte entscheidend kennzeichnet (vgl. Senatsurteile vom 23. Januar 2001 - [X.]/00, [X.], 372, 373; vom 14. September 2004 - [X.], [X.], 1604 f.; vom 8. Juni 2010 - [X.], [X.], 1190 Rn. 14 und 16; vom 1. Februar 2011 - [X.], [X.], 500 Rn. 7 und vom 10. Mai 2011 - [X.]/10, [X.], 882 Rn. 12 sowie vom 11. Oktober 2011 - [X.], [X.], 1567 Rn. 9).

bb) Mit diesen Grundsätzen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, im Unfallzeitpunkt habe zwischen den Mitarbeitern der [X.] und dem Versicherten [X.] eine "gemeinsame Betriebsstätte" vorgelegen, nicht zu vereinbaren. Das Berufungsgericht stützt die Haftungsprivilegierung allein auf den zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Versicherten [X.] und der Anwesenheit von Mitarbeitern der [X.] am Unfallort zur Ausführung des in Aussicht genommenen [X.]s. Die Anwesenheit des Versicherten der [X.]lägerin auf dem Betriebsgelände der [X.] und das Abstellen des L[X.]W's, um diesen nach Freiwerden der Befüllstation befüllen zu lassen, begründet für sich gesehen noch keine [X.], deren Risikoträchtigkeit sich in dem Schadensfall verwirklicht hätte (vgl. hierzu Senatsurteil vom 11. Oktober 2011 - [X.], [X.], 1567 Rn. 9 mwN). Es fehlte zum Unfallzeitpunkt ein betriebliches Zusammenwirken zwischen den Mitarbeitern der [X.] und [X.], bei dem die Tätigkeit der Mitwirkenden im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet war und sich die Beteiligten bei den versicherten Tätigkeiten ablaufbedingt in die [X.] kommen konnten. Das Öffnen des [X.]s durch [X.] begründete nicht eine [X.] zwischen [X.] und den Mitarbeitern der [X.]. Zwar ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, dass das Öffnen des [X.]s erforderlich war, um den [X.] durchzuführen. Auch konnte der gesamte [X.] angesichts der Art der Transportfahrzeuge sowie des [X.]s als solchem und der sich daraus ergebenden Gefahren nicht ohne Absprache und Fachkenntnis der Beteiligten erfolgen. Doch hatte der Versicherte der [X.]lägerin den L[X.]W an die Befüllstation lediglich herangefahren und dort abgestellt, um das Freiwerden der Befüllstation abzuwarten. Ein Zusammenwirken mit den Mitarbeitern der [X.], das eine gegenseitige Gefahrensituation begründet hätte, war damit nicht verbunden. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass für eine wechselseitige Gefährdungslage nicht ausreichend ist, dass für eine der Parteien eine nur theoretische Möglichkeit besteht, verletzt zu werden.

Sollte [X.] erst auf dem Rückweg von der Toilette zu seinem Fahrzeug gestürzt sein, fehlen ebenso die Voraussetzungen eines notwendigen Miteinanders im Arbeitsablauf sowie des wechselseitigen Bezugs der betrieblichen Aktivitäten und damit die notwendige Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober 2011 - [X.], [X.], 1567 Rn. 9 [X.]). [X.] war dem Risiko, auf dem Gelände der [X.]lägerin zu Schaden zu kommen, nicht anders ausgesetzt als jeder andere, der dieses Gelände begangen hat.

Zum Unfallzeitpunkt war nach den getroffenen Feststellungen mithin das für die "gemeinsame Betriebsstätte" erforderliche aufeinander bezogene betriebliche Zusammenwirken des Verletzten mit den Mitarbeitern der [X.] (noch) nicht gegeben.

c) [X.], dass die Aufspaltung der Geschehnisse einen ständigen Wechsel zwischen Anwendbarkeit und Unanwendbarkeit des [X.] zur Folge habe und dies mit dem gesetzgeberischen Zweck der Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 [X.], den versicherungspflichtigen Unternehmen durch die Haftungsfreistellung eine gewisse Entlastung als Ausgleich für die Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung zukommen zu lassen, nicht vereinbar sei, teilt der erkennende Senat nicht. Der Haftungsausschluss des § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] beruht auf dem Gedanken der sogenannten [X.] (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2003 - [X.], [X.]Z 157, 213, 218). Andere Gesichtspunkte, die in den Fällen der §§ 104, 105 [X.] eine Rolle spielen, so die Wahrung des Betriebsfriedens oder auch die Haftungsersetzung durch die an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Leistungen der Unfallversicherung, die vom Unternehmer finanziert wird (vgl. [X.] 34, 118, 132), kommen dagegen nicht zum Tragen und können deshalb den Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] auch nicht rechtfertigen (vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 2001 - [X.], [X.]Z 148, 209, 212 und [X.], [X.]Z 148, 214, 220 und vom 16. Dezember 2003 - [X.], aaO). Nur demjenigen, der als Schädiger von der Haftungsbeschränkung profitiert, kann es als Geschädigtem zugemutet werden, den Nachteil hinzunehmen, dass er selbst bei einer Verletzung keine Schadensersatzansprüche wegen seiner Personenschäden geltend machen kann (vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 2001 - [X.] und [X.] jeweils aaO; [X.] 34, 118, 136; [X.], r+s 2002, 508).

d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Streitfall gut vergleichbar mit dem Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 11. Oktober 2011 - [X.] zugrunde lag. Ein Zusammenwirken der Beteiligten in einem konkreten Arbeitsvorgang zum [X.]punkt des Unfalls ist - wie dort - auch im Streitfall nicht gegeben. Gleiches gilt für die Fallgestaltung, die dem Senatsurteil des [X.] vom 10. Mai 2011 - [X.]/10 zugrunde lag. Auch dort war bezogen auf den Unfallzeitpunkt noch kein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen festzustellen.

4. Ist eine Haftung der [X.] weder nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 [X.] noch nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen, fällt das Urteil der Aufhebung anheim. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem die Prüfung zu ermöglichen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Schadensersatzanspruch des Versicherten, der auf die [X.]lägerin übergegangen ist, besteht.

[X.]

           [X.]                    [X.]

Meta

VI ZR 483/12

23.09.2014

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 31. Oktober 2012, Az: I-19 U 6/12

§ 325 Abs 1 ZPO, § 407 Abs 2 BGB, § 412 BGB, § 106 Abs 3 Alt 3 SGB 7, § 116 Abs 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2014, Az. VI ZR 483/12 (REWIS RS 2014, 2744)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2744

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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