Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.05.2011, Az. XII ZR 86/10

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7055

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[X.]BESCHLUSS [X.] ZR 86/10
vom 4. Mai 2011 in dem Rechtsstreit - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 4. Mai 2011 durch die [X.], die Richterin [X.] und [X.], Schilling und [X.] beschlossen: Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.]n wird die Revi-sion gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 18. Mai 2010 zugelassen. Auf die Revision des [X.]n wird das vorgenannte Urteil auf-gehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: 139.902 • Gründe: [X.] Der Kläger macht gegen den [X.]n als seinen ehemaligen Betreuer Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen bei Ausübung der Be-treuertätigkeit geltend. 1 Der von Geburt an geistig behinderte Kläger befindet sich seit 1975 in ei-nem Diakoniezentrum der [X.]. Nachdem der Kläger von seinem Vater ein erhebliches Vermögen, zu dem auch zwei Immobilien gehörten, geerbt hatte, wurde im Jahr 1992 der [X.] zum Betreuer des [X.] mit den [X.] - 3 - kreisen Zustimmung zur Heilbehandlung, Vertretung vor Gerichten und Behör-den, Vermögenssorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt. 3 Bis Oktober 2004 bestritt der Kläger die Heim- und Pflegekosten aus den Barmitteln seiner Erbschaft. Ab November 2004 leistete er keine Zahlungen an die [X.]. Auf die wegen der rückständigen Heim- und Pflegekosten erhobe-nen Klage der [X.] wurde der Kläger durch [X.] vom 20. April 2007 zur Zahlung von rund 105.310 • verurteilt. 2007 verkaufte der [X.] ein Grundstück des [X.], für das im Jahr 2001 von einem Gutachter ein Verkehrswert von rund 76.693 • ermittelt worden war, zu einem Kaufpreis von 37.500 •. 4 Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger vom [X.]n [X.] in Höhe von gerundet 144.504 • nebst Zinsen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der [X.] hätte bereits im Oktober 2004 einen [X.] für den Kläger stellen müssen. In diesem Fall hätte das Sozialamt die Heim- und Pflegekosten übernommen und der Kläger wäre nicht zur Zahlung von rund 105.310 • verurteilt worden. Daneben schulde der [X.] [X.] in Höhe von rund 39.139 •, weil er ein bereits seit Übernahme der Betreuung im Jahre 1992 leer stehendes Grundstück des [X.] erst im Jahr 2007 verkauft und deshalb nur einen Verkaufserlös weit unter dem im Jahr 2001 ermittelten Verkehrswert erzielt habe. 5 Der Kläger hat zunächst einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt, der vom [X.] mit der Begründung abgelehnt wurde, der Kläger habe weder eine Pflichtverletzung des [X.]n noch einen ersatzfähigen Schaden [X.] dargelegt. Das [X.] hat sich dieser Auffassung angeschlossen und die Beschwerde des [X.] zurückgewiesen. 6 - 4 - Die dennoch erhobene Klage hat das [X.] mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe eine Pflichtverletzung des [X.]n nicht sub-stantiiert vorgetragen. 7 8 Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] den [X.]n zur Zahlung von rund 34.592 • und zur Freistellung des [X.] von der durch das [X.] titulierten Forderung der [X.] in Höhe von rund 105.310 • verurteilt. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.]n. Er begehrt die Zulassung der Revision und im Ergebnis die Abweisung der Klage. 9 I[X.] Die statthafte und auch im Übrigen zulässige [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur [X.] (§ 544 Abs. 7 ZPO). Das Berufungsgericht hat, wie der [X.] zu Recht rügt, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. 10 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, das [X.] habe die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des [X.] überspannt. Zwar sei der Prozesskostenhilfeantrag des [X.] zu Recht abgelehnt worden, weil die Begründung des Gesuchs etwas oberflächlich ausgefallen sei. Spätes-tens nach der Einreichung der Klage und dem Eingang der Klageerwiderung habe das [X.] seine ursprüngliche Haltung zur Substantiierungspflicht aber überdenken und zu der Feststellung kommen müssen, dass dem [X.] die vorgeworfene Pflichtverletzung zur Last falle. 11 - 5 - 2. Nach der Rechtsprechung des [X.] darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es der Beurteilung der [X.] nicht folgen will und insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (Senatsurteil vom 27. April 1994 - [X.] ZR 16/93 - NJW 1994, 1880, 1881; [X.] Urteile vom 15. März 2006 - [X.] - FamRZ 2006, 942, 943 und vom 16. Mai 2002 - [X.] - NJW-RR 2002, 1436). Gerichtliche [X.] dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und kon-kretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör ([X.] 84, 188, 189 f.). Rechtliche Hinweise müssen danach den Parteien in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor [X.] Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen ([X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144; [X.]/[X.], ZPO 29. Aufl. § 139 Rn. 14). 12 3. Danach hätte das [X.] dem [X.]n rechtzeitig den [X.] erteilen müssen, dass es - anders als das [X.] - die Klage für schlüssig hält und damit dem [X.]n die Gelegenheit geben müssen, seinen Vortrag entsprechend zu ergänzen. 13 a) Das [X.] hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger die Ursächlichkeit zwischen der behaupteten Pflichtverletzung des [X.]n und dem geltend gemachten Schaden nicht schlüssig dargelegt habe. Es stehe nämlich aufgrund der [X.] noch vorhandenen beträchtlichen Eigenmittel des [X.] nicht fest, ob ihm bei einer Antragstellung im Oktober 2004 tatsächlich Sozialhilfe in Form der Übernahme der Heim- und Pflegekosten gewährt worden wäre. In der [X.] - 6 [X.] hat der Kläger seinen Vortrag hierzu nur geringfügig gegenüber seinem erstinstanzlichen Vorbringen ergänzt. Insbesondere ist er auf die vom [X.] für entscheidend gehaltene Frage, ob der Kläger bereits bei einer Antrag-stellung im Oktober 2004 tatsächlich Sozialhilfe erhalten hätte, nicht substanti-iert eingegangen. Der Kläger hat nur seinen erstinstanzlichen Vortrag [X.], wonach die sozialhilferechtliche Situation im November 2004 und im Juni 2006 identisch und sämtlicher Grundbesitz des [X.] noch vorhanden gewe-sen sei. Die weiterhin fehlende Substantiierung des Vorbringens wurde vom [X.]n im Berufungsverfahren ausdrücklich gerügt. In dieser [X.] durfte der [X.] darauf vertrauen, dass sein Vortrag im Berufungs-verfahren ausreichend war, zumal das [X.] im Prozesskostenhilfe-verfahren die Klage ebenfalls für unschlüssig gehalten und einen Schaden des [X.] verneint hatte. In seiner Entscheidung hat das [X.] indes eine von dem erst-instanzlichen Urteil abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zugrunde gelegt, indem es den [X.]n für verpflichtet gehalten hat, die Ver-mögensverhältnisse des [X.] im November 2004 darzulegen und vorzutra-gen, weshalb vorhandene Mittel nicht zur Bezahlung der Heimkosten verwendet wurden. Auf diese abweichende Rechtsauffassung hätte das [X.] den [X.]n hinweisen müssen, um ihm Gelegenheit zu geben, seinen Sach-vortrag zu ergänzen und gegebenenfalls Beweis anzutreten. Dies ist nicht ge-schehen. 15 b) Zudem hätte das [X.] den [X.]n darauf hinweisen müssen, dass es die Klage auch hinsichtlich des geltend gemachten [X.]anspruchs wegen des verspäteten Verkaufes der Immobilie für schlüssig hält. Das landgerichtliche Urteil verhält sich zu diesem Klagebegehren nicht. Im Prozesskostenhilfeverfahren hatte das [X.] in seiner [X.] - 7 - schwerdeentscheidung hierzu noch ausgeführt, dass der Sachvortrag des [X.] für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht genüge. Für die behauptete Pflichtverletzung sei ausschließlich der Kläger darlegungs- und be-weispflichtig. Dieser habe nicht schlüssig dargetan, dass zu irgendeinem Zeit-punkt auch ein Käufer gefunden und bereit gewesen wäre, das Grundstück zu dem im Jahr 2001 ermittelten Schätzpreis zu erwerben und der [X.] dies pflichtwidrig verhindert habe. In der angegriffenen Entscheidung hat das [X.] dagegen die Auffassung vertreten, der [X.] könne sich nicht mit der Begründung entlasten, der Kläger habe nicht schlüssig dargetan, dass ein Käufer gefunden worden wäre, der das Grundstück zu dem [X.] hätte. Der [X.] hätte vielmehr selbst vortragen müssen, dass er ver-geblich versucht habe, das Grundstück zu einem akzeptablen Preis zu veräu-ßern. Damit hat das [X.] seine Entscheidung auf eine Begründung gestützt, mit der der [X.] nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ohne einen rechtzeitigen Hinweis hätte das [X.] diese geänderte Rechtsauffassung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen dürfen. Ohne einen vorherigen Hinweis nach § 139 ZPO darf ein Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit denen auch eine gewissenhafte und kundige Pro-zesspartei nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht ([X.] NJW 2000, 275; [X.]Z 154, 288 = NJW 2003, 1944, 1947). 4. Schließlich hat das [X.] den Anspruch des [X.]n auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch dadurch verletzt, dass es ent-scheidungserhebliches erstinstanzliches Vorbringen des [X.]n nicht [X.] hat. 17 Das [X.] hat die Auffassung vertreten, dass der [X.] im Rahmen der sekundären Darlegungslast habe vortragen müssen, dass er ver-18 - 8 - geblich versucht habe, das Grundstück zu einem angemessenen Preis zu ver-äußern. Unabhängig von der Frage, ob dieses Verständnis der Regeln über die sekundäre Darlegungslast der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs ent-spricht (vgl. hierzu Senatsurteile vom 18. Februar 2009 - [X.] ZR 163/07 - [X.], 849 Rn. 22 und vom 22. April 1998 - [X.] ZR 229/96 - FamRZ 1998, 955, 956 mwN), hat das [X.] sich nicht mit dem Vorbringen des [X.]n befasst, wonach dieser bereits im Jahr 2001 einen Architekten mit dem Verkauf der Immobilie beauftragt habe und trotz mehrerer [X.] ein Verkauf des Anwesens nur an der nicht erteilten Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht gescheitert sei. Auf der Grundlage der vom [X.] vertretenen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wäre dieses Vorbringen des [X.]n entscheidungserheblich gewesen. Dennoch wurde es vom [X.] nicht berücksichtigt. Zwar hat der [X.] die-sen erstinstanzlichen Vortrag in der Berufungsinstanz nicht ausdrücklich [X.]. Da das [X.] zu der behaupteten Pflichtverletzung durch den verspäteten Verkauf der Immobilie keine Ausführungen gemacht hat, bestand für den [X.]n nach dem bisherigen [X.] aber kein Anlass, in der [X.] diesen Vortrag ausdrücklich zu wiederholen. Da die-ses Vorbringen in der Berufungsinstanz angefallen war (vgl. [X.] Urteil vom 27. September 2006 - [X.] - NJW 2007, 2414 Rn. 16 mwN), hätte es vom [X.] berücksichtigt werden müssen. 5. Das angefochtene Urteil kann unter diesen Umständen keinen [X.] haben. Der Rechtsstreit muss an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, um dem [X.]n die Nachholung des erforderlichen Vortrags zu er-möglichen. 19 - 9 - II[X.] 20 Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: 21 Nach allgemeinen Grundsätzen ist der Kläger auch bei einem [X.]anspruch nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1833 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Pflichtverletzung, den Schaden und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden darlegungs- und beweispflichtig ([X.]/[X.] BGB 70. Aufl. § 1833 Rn. 6). Deshalb muss der Kläger im [X.] Fall zunächst einen schlüssigen und gegebenenfalls beweisbewehrten Vortrag dazu halten, dass er bei einer Antragstellung im November 2004 einen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätte und er deshalb die Heim- und Pflegekos-ten nicht aus seinem Einkommen und Vermögen hätte bestreiten müssen. Nur wenn der Kläger nachvollziehbar darstellen kann, dass ihm ein entsprechender Anspruch auf Sozialhilfe zugestanden hätte und dieser allein an der verspäteten Antragstellung durch den [X.]n gescheitert ist, käme ein hierdurch ent-standener Vermögensschaden des [X.] in Betracht (vgl. [X.] 2003, 8, 10; [X.], 57, 59). Soweit das [X.] dagegen meint, der [X.] habe vortragen müssen, welche Mittel des - 10 - [X.] im Jahr 2004 vorhanden gewesen waren und wie diese verwendet wurden, verkennt das [X.] diese Darlegungs- und Beweislastvertei-lung. [X.] [X.] Ri[X.] Dose ist tagungsbedingt an der Unterschriftsleistung verhindert.

[X.]

Schilling

Günter Vorinstanzen: LG [X.], Entscheidung vom 04.11.2009 - 22 O 100/09 - KG [X.], Entscheidung vom 18.05.2010 - 7 U 177/09 -

Meta

XII ZR 86/10

04.05.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.05.2011, Az. XII ZR 86/10 (REWIS RS 2011, 7055)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7055

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