Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.10.2013, Az. 2 BvR 28/13

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2013, 1711

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangelnde Rechtswegerschöpfung bei unterlassenem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - hier: Unzulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gem § 118 StVollzG aufgrund eines Justizfehlers - Beginn der Wiedereinsetzungsfrist mit Zustellung des Nichtannahmebeschlusses bei fehlender Belehrung über Wiedereinsetzungsmöglichkeit


Gründe

1

1. Der im Maßregelvollzug untergebrachte Beschwerdeführer wendet sich gegen Beschlüsse, die im fachgerichtlichen Verfahren nach §§ 109 ff., §§ 116 ff. in Verbindung mit § 138 Abs. 3 [X.] ergangen sind. Das [X.] hatte Anträge, die die Höhe der Entlohnung des Beschwerdeführers im Rahmen der Arbeitstherapie, das Urlaubsgeld und die Lohnfortzahlung betrafen, als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtsmittelbelehrung, die nach Angabe des Beschwerdeführers mit dem Beschluss verbunden war und die er zusammen mit dem Beschluss in Kopie vorgelegt hat, ging dahin, dass er gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Beschwerde einlegen könne und dass dies schriftlich geschehen müsse; die Beschwerde könne aber auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Die vom nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer daraufhin durch eigenes Schreiben eingelegte Beschwerde verwarf das [X.] als unzulässig, da sie nicht in der nach § 118 Abs. 3 [X.] gebotenen Form - durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle - eingelegt gewesen sei.

2

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist.

3

a) Der Rechtsschutzsuchende muss allerdings nicht hinnehmen, dass er etwaige Rechtsansprüche deshalb nicht durchsetzen kann, weil er aufgrund einer fehlerhaften gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung ein Rechtsmittel nicht in der dafür gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt hat. Ihm steht jedoch die Möglichkeit offen, mittels eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Beeinträchtigung seiner Rechte im fachgerichtlichen Verfahren abzuwehren. Die Nutzung dieser Möglichkeit gehört zum Rechtsweg, den ein Beschwerdeführer im Regelfall erschöpfen muss, bevor er in zulässiger Weise Verfassungsbeschwerde erheben kann (§ 90 Abs. 2 [X.]; vgl. [X.] 10, 274 <281>; 42, 252 <256 f.>; 77, 275 <282>; [X.]K 8, 303 <306>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 7. August 2013 - 2 BvR 1412/13 -, juris).

4

aa) Nach dem vom Beschwerdeführer vorgetragenen und glaubhaft gemachten Sachverhalt beruhte die vom [X.] festgestellte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern darauf, dass das [X.] ihm eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung erteilt hatte. Ursächlich für die Unzulässigkeit war somit ein Fehler der Justiz. In derartigen Fällen besteht die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. [X.]K 8, 303 <304 ff.>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 27. September 2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 [X.] - , NJW 2005, S. 3629 f., und vom 21. März 2005 - 2 BvR 975/03 -, NStZ-RR 2005, S. 238 <239>; Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, [X.], vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 2911/10 -, juris, und vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>).

5

bb) Eine Wiedereinsetzung scheidet im vorliegenden Fall nicht wegen Fristablaufs aus.

6

Jedenfalls in den Fällen, in denen der [X.] in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, fordert der Grundsatz fairer Verhandlungsführung eine Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz im Wege der Wiedereinsetzung zu erreichen. Erst diese Belehrung setzt die [X.] in Lauf (vgl. [X.], jeweils a.a.O.).

7

Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die Rechtsbehelfsbelehrung, der gemäß die Rechtsbeschwerde formwidrig erhoben wurde, fehlerhaft war. Die danach gebotene Belehrung, dass und wie der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung erlangen konnte, ist ihm bislang nicht erteilt worden, weil die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung nicht im landgerichtlichen Beschluss enthalten, sondern auf einem gesonderten Blatt für den Beschwerdeführer beigefügt war und nicht Bestandteil der Akte des fachgerichtlichen Verfahrens wurde. Das [X.] konnte daher ihre Fehlerhaftigkeit nicht erkennen.

8

Da der Beschwerdeführer infolgedessen über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, erst durch den vorliegenden Beschluss in der notwendigen Weise informiert wird, beginnt die maßgebliche [X.] erst mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen ([X.]K 8, 303 <306>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 2911/10 -, juris, und vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>).

9

b) Der Beschwerdeführer kann innerhalb einer Woche seit Zustellung dieses Beschlusses durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des [X.]s oder der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Vollzugsanstalt liegt, in der er untergebracht ist (§ 120 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 299 StPO), erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem er gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 120 Abs. 1 [X.], § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Hierzu ist ihm rechtzeitig Gelegenheit zu geben.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 28/13

23.10.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Hamm, 29. November 2012, Az: III - 1 Vollz (Ws) 624/12, Beschluss

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 299 Abs 1 StPO, §§ 109ff StVollzG, §§ 116ff StVollzG, § 109 StVollzG, § 116 StVollzG, § 118 Abs 3 StVollzG, § 138 Abs 3 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.10.2013, Az. 2 BvR 28/13 (REWIS RS 2013, 1711)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1711

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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