Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2010, Az. B 2 U 10/10 R

2. Senat | REWIS RS 2010, 1603

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Verletztenrente - Abfindung - tatbestandliche Voraussetzung - Ermessen - Ermessensausübung - Ermessensfehler - Interessenabwägung - Abwägungsdisproportionalität - Zugrundelegung eines falschen oder unvollständigen Sachverhalts


Leitsatz

Bei der Ermessensausübung über die Bewilligung eines Abfindungsanspruchs sind neben den Interessen der Allgemeinheit die des Versicherten auf Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse und die der Verwaltung auf Verringerung des Verwaltungsaufwands sowie Bemessung der Höhe des Kapitalbetrags nach der voraussichtlichen weiteren Lebenserwartung des Versicherten abzuwägen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. April 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Abfindung einer so genannten kleinen Verletztenrente. Der im Jahre 1958 geborene Kläger erlitt am 4.10.2002 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen die Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft ([X.]; im Folgenden: [X.]) ihm gegenüber ein Recht auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von [X.] auf unbestimmte [X.] feststellte (Bescheid vom 18.8.2005). Die vom Kläger Anfang Februar 2007 beantragte Abfindung seiner Rente lehnte die [X.] unter Hinweis auf ein bei [X.] eingeholtes internistisches Gutachten ab, da die Lebenserwartung des [X.] aufgrund dessen Adipositas, Nikotin- und Alkoholkonsums erheblich herabgesetzt sei (Bescheid vom 20.4.2007, Widerspruchsbescheid vom 29.6.2007).

2

Das [X.] hat nach Einholung eines Gutachtens bei Privatdozent Dr. S. die Klage abgewiesen, weil die [X.] ermessensfehlerfrei gehandelt habe (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat auf die Berufung des [X.] die [X.] verurteilt, dessen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (Urteil vom [X.]), und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 76 Abs 1 [X.] ([X.]B VII) stehe die Entscheidung über einen Abfindungsantrag im Ermessen des [X.]. Eine Ablehnung komme in Betracht, wenn die Lebenserwartung des Antragstellers erheblich geringer sei als die altersübliche und die [X.] unterschreite, die dem für die Abfindung festgesetzten Kapitalwert entspreche. Sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, könne der Gesichtspunkt der Lebenserwartung des Versicherten das Interesse des [X.] an der Verweigerung einer Abfindung nicht begründen. Der Kapitalwert der Verletztenrente des [X.] betrage 14,5 Jahre nach der Anlage 1 der Verordnung über die Berechnung des Kapitalwertes bei Abfindung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung vom [X.] ([X.]Bl I S 894, idF aufgrund von Art 21 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom [X.], [X.]Bl I S 1254, im Folgenden: Abfindungsverordnung), weil der Kläger bei Eintritt des Arbeitsunfalls zwischen 40 und 45 Jahre alt gewesen sei und zur [X.] der mündlichen Verhandlung mehr als sieben Jahre seit dem Arbeitsunfall vergangen seien. Welche genaue Lebenserwartung der Kläger im [X.]punkt der mündlichen Verhandlung habe, könne dahingestellt bleiben, da sie zumindest nicht niedriger als 14,5 Jahre sei, auch wenn von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 29,75 Jahren bei [X.] im Alter des [X.] und einer nikotinbedingten Verkürzung von 8 Jahren ausgegangen werde und die weiteren Risiken berücksichtigt würden. Die [X.] sei folglich bei ihrer Ermessensentscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen, sodass der angefochtene Bescheid aufzuheben und sie zur Neubescheidung zu verurteilen sei.

3

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die [X.] die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des L[X.] müsse die Verkürzung der Lebenserwartung nicht den für die Abfindung festgesetzten Kapitalwert unterschreiten. Beim Vorliegen von gesundheitlichen Risikofaktoren und Krankheitsanlagen, die eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung bedingten, könne nur eine ablehnende Entscheidung ergehen und zwar nicht nur in klaren Missbrauchsfällen, wie zB nach dem Bekanntwerden einer Geschwulsterkrankung. Das L[X.] habe nicht festgestellt, zu welcher Verkürzung der Lebenserwartung in Jahren die neben dem Nikotinkonsum bestehenden anderen Risikofaktoren beim Kläger führen würden, und hätte hierzu weitere Ermittlungen anstellen müssen.

4

Die [X.] beantragt,
das Urteil des L[X.] Baden-Württemberg vom 15. April 2010 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] Ulm vom 27. Mai 2009 zurückzuweisen.

5

Der Kläger beantragt,
die Revision der [X.]n zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des [X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen ist. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben, weil das [X.] die Bescheide der Beklagten wegen fehlerhafter Ermessenausübung aufgehoben hat, ohne zuvor alle tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausübung festzustellen (dazu 1.). Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen hat der Senat beschlossen, Hinweise zu Inhalt und Grenzen der richterlichen Überprüfung der im Ermessen des [X.] stehenden Entscheidung nach § 76 [X.] zu geben (dazu 2.).

7

1. Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Abfindung ist § 76 Abs 1 Satz 1 [X.], der lautet: Versicherte, die Anspruch auf eine Rente wegen einer MdE von [X.] haben, können auf ihren Antrag mit einem dem Kapitalwert der Rente entsprechenden Betrag abgefunden werden. Die Berechnung des [X.] ist durch Rechtsverordnung zu bestimmen (Abs 1 Satz 3). Eine Abfindung darf nur bewilligt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die MdE wesentlich absinkt (Abs 2).

8

Dass der Beklagten im Hinblick auf die Gewährung einer Abfindung Ermessen eingeräumt ist, folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 76 Abs 1 Satz 1 [X.] mit dem Gebrauch des Wortes "können", das kein bloßes "[X.]" beinhaltet - so die Rechtsprechung des Senats (BSG vom [X.] - B 2 U 19/99 R - [X.] 3-2700 § 76 [X.]; BSG vom [X.] U 10/03 R - [X.] 4-2700 § 76 [X.] Rd[X.] 8) sowie die Literatur ([X.] in [X.]/ [X.]/[X.]/Kruschinsky, [X.], [X.]-Komm, § 76 Rd[X.]0; [X.] in Juris-PK [X.], § 76 Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 76 Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 76 [X.] Rd[X.] 3.1; [X.] in [X.] Komm, [X.], § 76 Rd[X.] 4; [X.] in [X.], Unfallversicherung - [X.], § 76 Rd[X.]9) und die Auslegung der im Wortlaut vergleichbaren Vorläufervorschrift des § 604 Reichsversicherungsordnung (vgl insofern BSG vom 24.6.1987 - 5a [X.] - [X.] 1200 § 40 [X.] 3; [X.], [X.] 1985, 327).

9

Davon ist das [X.] bei seiner Entscheidung auch ausgegangen. Denn es hat den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und sie zur Neubescheidung verurteilt, weil sie bei ihrer Ermessensentscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung eines Anspruchs auf eine Abfindung sind aber den Feststellungen des [X.] nur zum Teil zu entnehmen: Nach den für den Senat bindenden (§ 163 [X.]) tatsächlichen Feststellungen des [X.] hat der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von [X.], und er hat auch einen [X.] gestellt. Hinsichtlich des negativen Tatbestandsmerkmals (so schon im Urteil des Senats vom [X.] - B 2 U 19/99 R - [X.] 3-2700 § 76 [X.]; ebenso: [X.] in [X.], Unfallversicherung - [X.], § 76 Rd[X.]4), dass eine Abfindung nur bewilligt werden darf, wenn nicht zu erwarten ist, dass die MdE wesentlich sinkt (§ 76 Abs 2 [X.]), hat das [X.] keine Feststellungen getroffen.

Solange aber nicht feststeht, ob der Tatbestand der Rechtsgrundlage erfüllt ist, mangelt es an den Voraussetzungen der Ermessenseinräumung und damit auch für eine Ermessensausübung und an den Grundlagen für ein dem Kläger günstiges Bescheidungsurteil, das die Behörde verpflichtet, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Die Tatbestandserfüllung kann nicht durch - stets unzulässige - gerichtliche Ermessenserwägungen ersetzt werden. Dementsprechend ist das Urteil des [X.] aufzuheben, damit das [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren zunächst klären kann, ob die genannte (negative) Tatbestandsvoraussetzung erfüllt ist. Erst wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 76 [X.] gegeben sind, wird das [X.] die Ermessensausübung der Beklagten auf Ermessensfehler überprüfen dürfen.

2. Im Hinblick auf das Gebot, einer überlangen Verfahrensdauer entgegenzuwirken (Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz , Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten), hat der Senat beschlossen, Hinweise zu geben zu Inhalt und Grenzen der richterlichen Überprüfung einer im Ermessen des [X.] stehenden Entscheidung (dazu a) sowie zu den [X.]n des § 76 Abs 1 [X.] und den deshalb von dem Träger jeweils abzuwägenden Ermessensgesichtspunkten (dazu b).

a) Soweit die Leistungsträger ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs 1 Satz 1 [X.] ). Der Versicherte hat Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I). Hingegen entsteht ein Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung nur aufgrund der Bewilligungsentscheidung (§ 40 Abs 2 SGB I). Darüber hinaus kann im Einzelfall ein Rechtsanspruch auf die Leistung ausnahmsweise bei einer "Ermessensreduzierung auf Null" bestehen, bei der es nur ein ermessensgerechtes Ergebnis gibt (vgl dazu nur Meyer-Ladewig/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 54 Rd[X.]9). Feststellungen, die vorliegend für eine solche Ermessensreduzierung auf Null sprechen, hat das [X.] nicht getroffen; der Kläger hat derartiges im Revisionsverfahren nicht behauptet und keine entsprechenden [X.] erhoben.

Zur Sicherung der Funktionentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG) und der Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers über die Zweckmäßigkeit seines Handelns ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte auf die Rechtmäßigkeitsprüfung begrenzt. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs 2 Satz 2 [X.]; "[X.], aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle").

Dass die Beklagte Ermessen ausgeübt hat, ist den Feststellungen des [X.] hinsichtlich des Inhalts der angefochtenen Bescheide der Beklagten zu entnehmen. Denn sie hat nicht nur - was allein nicht ausreichend ist - auf das eingeräumte Ermessen hingewiesen, sondern auch (zumindest) einen Ermessensgesichtspunkt genannt. Ebenso ist ein Überschreiten der Grenzen des Ermessens zu verneinen, weil § 76 [X.] nur zwei Rechtsfolgen zulässt, entweder den Anspruch auf die Abfindung zu gewähren oder nicht, und die Beklagte sich für Letzteres entschieden hat. Ferner hat das [X.] keine Tatsachen festgestellt, die für eine Verletzung der objektiven verfassungsrechtlichen Schranken (Gleichheitsgebote, Übermaßverbot) jeder Ermessensausübung sprechen könnten.

Als Ermessensfehler kommt nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein [X.] liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt ([X.]). Zum anderen liegt der [X.] als Abwägungsdefizit vor, wenn sie nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der [X.] kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Diese beiden letztgenannten Arten des [X.]s kommen hier nach den bisherigen Feststellungen des [X.] in Betracht. Des Weiteren kann ein [X.] erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Deshalb haben die Tatsacheninstanzen in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen, die sie ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (Meyer-Ladewig/ [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 54 Rd[X.]8b; [X.]/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl 2009, § 114 Rd[X.]2 mwN).

Wenn der eine Sozialleistung regelnde Verwaltungsakt wegen Ermessensnicht- oder -fehlgebrauchs rechtswidrig ist, darf das Gericht nur den Verwaltungsakt aufheben und den Träger zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen, nicht aber eigene Ermessenserwägungen anstellen und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Leistungsträgers setzen (vgl Urteil des Senats vom 18.3.2008 - B 2 U 1/07 R - [X.], 124 = [X.] 4-2700 § 101 [X.], jeweils Rd[X.]4 ff).

b) Zur Konkretisierung der [X.] des § 76 [X.] ist von Folgendem auszugehen: Dem Wortlaut der Vorschrift selbst ist kein Ermessenszweck zu entnehmen und auch die Gesetzesmaterialien zum [X.] vom [X.] ([X.]Bl I 1254) sind insofern unergiebig (vgl zB Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2204 [X.] zu § 76). Eingeführt worden ist die Möglichkeit der Abfindung von Verletztenrenten schon mit dem [X.] ([X.]) und später wurde die Regelung durch die nachfolgenden Gesetze ausgebaut.

Zusammengefasst zeigt die Gesetzesgeschichte, dass bei der Ermessensausübung über die Bewilligung eines Abfindungsanspruchs neben den Interessen der Allgemeinheit folgende Zwecke abzuwägen sind. Auf Seiten des Versicherten besteht das Interesse, seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch eine Verfügungsmacht über einen erheblichen Geldbetrag im Unterschied zu laufenden, ggf nicht allzu hohen monatlichen Rentenzahlungen zu verbessern. Auf Seiten der Verwaltung geht es um die Verringerung des Verwaltungsaufwandes, um eine Bemessung der Höhe des [X.] nach der durch das Lebensalter und die körperliche Beschaffenheit des Berechtigten bedingten voraussichtlichen Dauer des [X.] - also der weiteren Lebenserwartung - des Versicherten sowie um die finanzielle Leistungsfähigkeit des [X.] (vgl [X.], 10. Legislaturperiode, [X.] Session 1898/1900, Drucksache [X.] 523 S 96 f; [X.], 12. Legislaturperiode, I[X.] Session 1909/1910, Drucksache zu [X.] 340 S 307, 300 ff; [X.], II[X.] Wahlperiode 1924/25, Drucksache [X.] 691 S 32; [X.]/938 S 15 f zu § 601). Diese Zwecke werden auch heute noch in der Literatur angeführt (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/Kruschinsky, [X.] [X.]-Komm, § 76 Rd[X.]0 f; [X.] in Juris-PK [X.], § 76 Rd[X.]3 ff; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 76 Rd[X.]3 ff; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 76 [X.] Rd[X.] 3.1 f; [X.] in [X.] Komm, [X.], § 76 Rd[X.] 4; [X.] in [X.], Unfallversicherung [X.], § 76 Rd[X.]0 ff; [X.], NJW 1996, 3173, 3176; [X.], [X.] 1985, 327 f).

Soweit in der Literatur weitere Zwecke genannt werden, sind diese zum Teil mit den gesetzgeberischen Zielen vereinbar, zB ob in absehbarer Zeit der Bezug anderer steuerfinanzierter Sozialleistungen droht, womit die Allgemeinheit belastet werden würde, der aber durch den Bezug einer Verletztenrente zumindest verringert würde, während es für andere genannte Zwecke, wie zB eine Berücksichtigung des von dem Versicherten beabsichtigten Verwendungszwecks der Abfindung bei einer so genannten kleinen Verletztenrente, keine erkennbare Begründung gibt.

Inwieweit die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung die angeführten gesetzgeberischen Zwecke für die Einräumung des Ermessens richtig gewichtet abgewogen hat (vgl zu den Anforderungen an die Begründung einer solchen Entscheidung: BSG vom [X.] - B 2 U 19/99 R - [X.] 3-2700 § 76 [X.]), wird das [X.] - nach Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen und der formellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides - in einem weiteren Schritt zu überprüfen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die den Interessen des [X.] dienenden Ermessensgesichtspunkte (anders als § 76 Abs 2 [X.]) keine "negativen Tatbestandsmerkmale" sind, sondern gegen das Interesse des Versicherten abzuwägen sind und dass nur die Ermessensausübung der Beklagten im vorgezeigten Rahmen zu überprüfen ist, nicht aber eigene Ermessenserwägungen seitens des [X.] zur Ausfüllung der aufgezeigten Zwecke anzustellen sind.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 10/10 R

09.11.2010

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Ulm, 27. Mai 2009, Az: S 2 U 2629/07, Urteil

§ 76 Abs 1 S 1 SGB 7, § 76 Abs 2 SGB 7, § 39 Abs 1 S 1 SGB 1, § 39 Abs 1 S 2 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2010, Az. B 2 U 10/10 R (REWIS RS 2010, 1603)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1603

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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