Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2020, Az. 4 StR 249/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2185

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Selbstanzeige einer Richterin des Revisionsgerichts wegen Befangenheitsbesorgnis: Ehe mit dem Nebenklagevertreter im Adhäsionsverfahren


Tenor

Es wird festgestellt, dass die Vorsitzende Richterin am [X.] Sost-Scheible von der Mitwirkung an dem Revisionsverfahren gegen       R.       ausgeschlossen ist.

Gründe

1

1. Das [X.] hat mit Urteil vom 20. Januar 2020 den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es dem Adhäsionsantrag des [X.] vollumfänglich stattgegeben. Über die Revision des Angeklagten hat nunmehr der 4. Strafsenat des [X.] zu entscheiden. Vorsitzende Richterin am [X.] Sost-Scheible hat gemäß § 30 [X.] angezeigt, dass der in dieser Sache tätige Nebenklagevertreter, Rechtsanwalt             , ihr Ehemann ist. Die Verfahrensbeteiligten erhielten rechtliches Gehör. Der [X.] hat hierauf mitgeteilt, dass die angezeigte Tatsache keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermöge. Die Verteidiger des allein revidierenden Angeklagten sowie der Nebenklagevertreter haben keine Stellungnahme abgegeben.

2

2. Es ist festzustellen, dass Vorsitzende Richterin am [X.] Sost-Scheible wegen der Besorgnis der Befangenheit von der Mitwirkung an dem Revisionsverfahren gegen       R.       ausgeschlossen ist. Denn die Tatsache, dass der Nebenklagevertreter der Ehemann der Vorsitzenden Richterin ist, begründet unter den hier gegebenen Umständen Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin.

3

a) Gemäß § 30 1. Alt. [X.] hat das Gericht über die Frage der Befangenheit eines Richters gemäß § 24 Abs. 2 [X.] auch dann zu entscheiden, wenn ein Befangenheitsgesuch nicht angebracht ist, [X.] aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Maßstab für die Beurteilung, ob Grund zu der Annahme besteht, dass [X.] gegenüber dem Beschuldigten eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann, ist ein vernünftiger bzw. verständiger Angeklagter (vgl. [X.], Beschluss vom 6. März 2018 - 3 StR 559/17, NJW 2018, 2578).

4

Im Zivilverfahren ist anerkannt, dass bei [X.], der Ehegatte eines Prozessbevollmächtigten ist, regelmäßig von einer Besorgnis der Befangenheit auszugehen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 5. November 2003 - 7 [X.], [X.] 2005, 35; [X.], Urteil vom 25. August 1999 - 2 U 755/99, [X.], 76).

5

b) Daran gemessen liegen hier mit Blick auf die Adhäsionsentscheidung Umstände vor, die ein Misstrauen im aufgezeigten Sinn rechtfertigen können. Die Adhäsionsentscheidung ist auch Gegenstand des Rechtsmittelangriffs. Der ihr zu Grunde liegende Adhäsionsantrag, dessen Wirksamkeit auch der Revisionssenat von Amts wegen zu prüfen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juli 2018 - 4 StR 170/18, Rn. 29), wurde von dem Nebenklagevertreter am 29. Oktober 2019 angebracht. Die Prozesslage entspricht insoweit der Situation im Zivilprozess. Ein verständiger Angeklagter wird in dieser Konstellation ein Misstrauen in die Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin hegen, ohne dass dieser Eindruck tatsächlich ihrer inneren Haltung entsprechen muss.

Quentin     

        

Bender     

        

[X.]

        

Lutz     

        

Maatsch     

   

Meta

4 StR 249/20

19.11.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 20. Januar 2020, Az: 242 Js 50918/19 - 4 KLs

§ 24 Abs 2 StPO, § 30 Alt 1 StPO, § 333 StPO, §§ 333ff StPO, § 403 StPO, §§ 403ff StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2020, Az. 4 StR 249/20 (REWIS RS 2020, 2185)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2185

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3 StR 559/17

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