Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.06.2011, Az. VIII B 111/10

8. Senat | REWIS RS 2011, 5882

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Gegenstand

Verfahrensfortführung nach Erklärung der Hauptsachenerledigung - Verweisung einer Rechtssache von einem FG an ein anderes - Konkludente Verbindung getrennt begonnener Verfahren


Leitsatz

1. NV: Übereinstimmende Hauptsache-Erledigungserklärungen der Beteiligten wirken prozessbeendend; der nachträgliche Einwand eines Verstoßes des FA gegen Verwaltungsverfahrensrecht steht dem ebenso wenig entgegen wie die Behauptung, eine der Erklärung zugrundeliegende sachliche Vereinbarung sei für andere Jahre als die Streitjahre unzutreffend umgesetzt worden .

2. NV: Wird in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Erledigungserklärungen die Sache - antragsgemäß - an ein anderes FG verwiesen, das in einem bereits anhängigen Verfahren wiederum über dieselben Streitgegenstände urteilen soll, wie sie dem verwiesenen Verfahren zugrundelagen, kann einheitlich verhandelt und entschieden werden .

Gründe

1

Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) liegen nicht vor.

2

1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügen eine Reihe von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O). Die [[X.].] greifen nicht durch.

3

a) Das Urteil leidet nicht unter einem [[X.].] in Bezug auf die von den Klägern verfolgte Fortsetzung eines Verfahrens vor dem [[X.].] wegen Einkommensteuer für die Jahre 1990 bis 1992 und 1995. Nach einer Einigung der dort Prozessbeteiligten (Kläger und Finanzamt [X.]) über den Inhalt zugesagter Änderungsbescheide hat jenes Verfahren mit übereinstimmenden Erklärungen zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache und einem Kostenbeschluss des Gerichts nach § 138 Abs. 1 [X.]O geendet. Die übereinstimmende Erklärung der Hauptsachenerledigung hat die prozessualen Wirkungen, die das Finanzgericht ([X.]) München im angefochtenen Urteil dargestellt hat.

4

Aufgrund der Einwendungen der Kläger hat das [X.] jedoch das Verfahren fortgesetzt, wobei in einem solchen Fall Gegenstand der Fortsetzung nur die Feststellung der (Un-)Wirksamkeit der Erledigungserklärung(en) ist (Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 138 Rz 27, m.w.N.). Das [X.] hat sodann die Sache an das [X.] verwiesen, das im Rahmen des angefochtenen Urteils auch über die Wirksamkeit der Hauptsachenerledigungserklärungen befunden hat. Ein [[X.].] des [X.] in Bezug auf den offenkundigen Verfahrensablauf ist ebenso wenig ersichtlich wie eine diesbezügliche Verletzung des rechtlichen Gehörs.

5

b) Dass das [X.] über die Wirksamkeit der Erklärungen der Hauptsachenerledigung befunden hat, war im Hinblick auf den aufgrund des Antrags der Kläger ergangenen Verweisungsbeschluss des [X.] vom 8. August 2007 nicht zu beanstanden. Die Verweisung einer Rechtssache von einem [X.] an ein anderes ist grundsätzlich bindend. Dass gerade im Streitfall ein [X.] hierzu bestanden hätte (vgl. dazu Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 27. Januar 2009 [X.] S 42/08, [X.], 780), ist nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Kläger bedarf es keiner "Annahme" der verwiesenen Sache durch das Gericht, an das verwiesen worden ist.

6

Da die Kläger noch vor dem Verweisungsbeschluss wegen der Einkommensteuerfestsetzung derselben Streitjahre bereits ein anderes Verfahren beim [X.] anhängig gemacht hatten, war es [X.], im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens zu entscheiden. Die Fragen nach dem Eintritt der Hauptsachenerledigung und der sachlichen Überprüfbarkeit der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) erlassenen Änderungsbescheide waren miteinander verknüpft. Insofern bestand eine logische Rangfolge; die Beantwortung der zweiten Frage hing ab von der Antwort auf die erste.

7

Zwar hat das [X.] keinen ausdrücklichen Verbindungsbeschluss nach § 73 [X.]O gefasst, es hat jedoch die getrennt begonnenen Verfahren durch schlüssiges Verhalten zusammengeführt (zur Zulässigkeit konkludenter Verbindung vgl. [X.] Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 20. Oktober 1975 165 [X.]-171 [X.], [X.] 1976, 18). Dies zeigt sich etwa darin, dass die Frage der Hauptsachenerledigung ausweislich des Sitzungsprotokolls ausdrücklicher Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils dem entsprechend insbesondere mit der Hauptsachenerledigung, aber auch mit den [X.] befassen. Diese Verfahrensweise war im Streitfall im Ergebnis sachgerecht.

8

Die Kläger sind dadurch nicht beschwert, da die Entscheidung über die entscheidungserheblichen Rechtsfragen hiervon nicht berührt wird und sich die Entscheidung in nur einem Verfahren hinsichtlich der Kostenfolge nur zu Gunsten der Kläger auswirkt.

9

c) Das rechtliche Gehör der Kläger ist nicht dadurch verletzt, dass das [X.] den Vortrag zur behaupteten fehlenden Zuständigkeit des FA [X.] nicht in seine Überlegungen aufgenommen hätte. Die Kenntnisnahme des klägerischen Vortrags zur Zuständigkeit der Ämter ist hier der (gemäß § 105 Abs. 3 Satz 1 [X.]O gedrängten) Darstellung im [X.] zu entnehmen. Das [X.] hat sich auch in den Entscheidungsgründen ausführlich mit der [X.] befasst; keine Gehörsverletzung liegt darin, dass es sich dabei nicht der Rechtsauffassung der Kläger angeschlossen hat.

d) Der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) ist nicht dadurch verletzt, dass das [X.] der Behauptung der Kläger nicht nachgegangen ist, das FA [X.] habe eine der Hauptsachenerledigung für die Streitjahre zugrundeliegende tatsächliche Verständigung in anderen Jahren unzutreffend umgesetzt oder nicht berücksichtigt. Steuerbescheide für jene Jahre sind nicht Streitgegenstand des Klageverfahrens vor dem [X.] geworden; ihnen etwa anhaftende Fehler könnten im Hinblick auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung (vgl. § 25 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes) auch nur in eben gegen diese Steuerbescheide gerichteten Verfahren geltend gemacht werden.

e) Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil das [X.] ein Prozessurteil statt des vom Kläger geforderten [X.] erlassen hat. Die Klageabweisung stützt sich auf die Unzulässigkeit der Klage gerade im Hinblick auf die eingetretene Hauptsachenerledigung. Unter Hinzuziehung der Entscheidungsgründe des Urteils wird damit ersichtlich, dass das [X.] tatsächlich die Hauptsachenerledigung festgestellt und damit auch in der Sache entschieden hat. Das Urteil ist auch ohne entsprechende Tenorierung in diesem Sinne zu verstehen.

f) Unerheblich ist der Vortrag der Kläger, dass die der Hauptsachenerledigung vorausgegangene Einigung mit dem FA [X.] unter Verstoß gegen [X.] zustande gekommen und auch materiell rechtswidrig gewesen sei. Sie verkennen, dass das [X.] maßgeblich auf die prozessuale Wirksamkeit der übereinstimmenden Erledigungserklärungen abstellt, die nach der Rechtsprechung des [X.] zur Unanfechtbarkeit der in diesem Zusammenhang zugesagten und --nach den gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.]-- auch der Zusage entsprechend ergangenen Änderungsbescheide führt (siehe [X.]-Urteil vom 14. Mai 2003 [X.]I R 21/02, [X.]E 202, 228, [X.] 2003, 888, m.w.N.).

g) Unerheblich ist die Rüge unterlassener Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf vermögenswirksame Leistungen. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens waren allein die angefochtenen Steuerfestsetzungen. Die Festsetzung einer Arbeitnehmersparzulage ist nicht Teil der Steuerfestsetzung durch Einkommensteuerbescheid. Verwaltungsakte über die Festsetzung vermögenswirksamer Leistungen oder deren Ablehnung sind auch nicht selbständiger Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem [X.] geworden.

2. Für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und nach Abs. 2 Nr. 2 [X.]O (grundsätzliche Bedeutung und Erfordernis der Sicherung einheitlicher Rechtsprechung) fehlt es schon an einer hinreichenden Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O).

3. Soweit die Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend machen, führen diese grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, [X.]/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 I[X.] B 119/02, [X.]/NV 2003, 1289; vom 27. März 2007 [X.]/05, [X.]/NV 2007, 1335, m.w.N.).

Meta

VIII B 111/10

09.06.2011

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 20. Mai 2010, Az: 11 K 2508/07, Urteil

§ 73 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 105 Abs 3 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 138 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.06.2011, Az. VIII B 111/10 (REWIS RS 2011, 5882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5882

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