Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.12.2018, Az. XI B 123/17

11. Senat | REWIS RS 2018, 606

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verfahrensmangel bei fehlerhafter Abweisung einer Klage durch Prozessurteil anstatt durch Sachurteil; Gegenstand der Anfechtungsklage nach außergerichtlichem Rechtsbehelf


Leitsatz

1. NV: Wird über eine Klage aufgrund der fehlerhaften Annahme, es liege kein anfechtbarer Verwaltungsakt vor, durch Prozessurteil entschieden, liegt darin ein Verfahrensmangel .

2. NV: Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffnet, liegt auch dann vor, wenn zwar (ggf.) der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch die Einspruchsentscheidung aus einer möglicherweise schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht .

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 4. April 2017 [X.] aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[[[X.].].]--) führt bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, eine Außenprüfung u.a. wegen Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer für die [[[X.].].] bis 2012 durch. Im Rahmen dieser Prüfung legte die Klägerin die vom [[[X.].].] erbetene Verrechnungspreisdokumentation bezüglich bei ihrer [[[X.].].] Muttergesellschaft eingekaufter Produkte vor. Diese Produkte hatte die Muttergesellschaft ihrerseits von der [[[X.].].]) der Klägerin mit Sitz in [[[X.].].] bezogen. Das [[[X.].].] verlangte von der Klägerin streitgegenständlich einerseits mit Schreiben vom 16. April 2014 die Vorlage u.a. von Bilanzen und Gewinnermittlungen der [[X.].] sowie von Berechnungen des Inhalts, welche Gewinngröße aufgeteilt worden und wie dieser Gewinn tatsächlich auf [[X.].] und die Klägerin verteilt worden sei, andererseits mit Schreiben vom 6. Oktober 2014 die Vorlage weiterer Unterlagen bezüglich der "[X.]". Die gegen die Vorlageverlangen eingelegten Einsprüche wies das [[[X.].].] mit Einspruchsentscheidung vom 11. März 2015 als unbegründet zurück.

2

Das Finanzgericht (FG) wies die betreffende Klage als unzulässig ab. Bei den [X.] des [[[X.].].] handele es sich nicht um anfechtbare Verwaltungsakte.

3

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision. Sie macht geltend, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

Entscheidungsgründe

II.

4

Der beschließende Senat ist zur Entscheidung der vorliegenden Streitsache berufen.

5

Gemäß Teil A Ergänzende Regelungen Nr. III.2. Satz 1 des [X.] ([X.]) des [X.] ([X.]) für das [X.] entscheiden die Fachsenate grundsätzlich auch über Fragen der Abgabenordnung ([X.]) und der [X.]O; ist --wie vorliegend-- eine Entscheidung angefochten und sind ausschließlich Fragen der [X.] oder [X.]O streitig, die mehrere Steuern betreffen, welche nach den Regelungen über die Zuständigkeit der einzelnen Senate in die Zuständigkeit mehrerer Senate fallen, ist gemäß Nr. III.2. Satz 3 i.V.m. Nr. II.2. Buchst. a Doppelbuchst. bb des [X.] des [X.] der Senat zuständig, in dessen Aufgabengebiet die Sache mit dem höchsten Streitwert fällt.

6

Der erkennende Senat ist gemäß Teil [X.]. Senat Nr. 2 des [X.] des [X.] für das [X.] zuständig für Körperschaftsteuer mit Ausnahme der --vorliegend jeweils nicht einschlägigen-- Nr. 1 bis 3 beim [X.], der Nr. 2 beim [X.] und der Nr. 2 beim [X.]. Die Körperschaftsteuer bildet bei der Außenprüfung der Klägerin den Prüfungsschwerpunkt, worauf die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung der betreffenden verfahrensrechtlichen Fragen gründet.

III.

7

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 [X.]O). Zwar ist die Rüge der Klägerin, sie sei entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) [X.] entzogen worden, unbegründet; das angefochtene Urteil leidet aber an einem Verfahrensmangel [X.] des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, da das [X.] die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen hat.

8

1. Das [X.] war bei der Entscheidung der Streitsache vorschriftsmäßig [X.] des § 119 Nr. 1 [X.]O besetzt.

9

a) Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Spruchkörpers ist der für diesen Zeitpunkt geltende [X.] des Gerichts; er regelt konstitutiv die Zuständigkeit des Spruchkörpers (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 23. August 2017 I B 126/16, [X.]/NV 2018, 205, Rz 4, m.w.N.).

b) Aus dem [X.] des [X.] für das Jahr 2017 ergibt sich hinreichend deutlich, dass der 6. Senat des [X.] den Streitfall zu entscheiden hatte. Seine ([X.] folgt aus Teil [X.] 6. Senat Nr. 1 i.V.m. Teil [X.], III. Satz 1 des [X.] des [X.] für das Jahr 2017, wonach u.a. auch Maßnahmen betreffend die Außenprüfung zur Spezialzuständigkeit eines Senats --hier für Körperschaftsteuer einschließlich damit in Zusammenhang stehender Umsatz- und Gewerbesteuer-- gehören.

2. Das [X.] hat die Klage jedoch zu Unrecht als unzulässig abgewiesen mit der Begründung, es lägen keine (selbständig anfechtbaren) Verwaltungsakte vor.

a) Wird über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden, so liegt darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 119 Nr. 3 [X.]O), d.h. ein Verfahrensmangel, der auf entsprechende Rüge im Verfahren über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision regelmäßig zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] führt (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 4. Juni 2014 VII B 180/13, [X.]/NV 2014, 1723, Rz 7; vom 19. September 2017 IV B 85/16, [X.]/NV 2018, 51, Rz 2; jeweils m.w.N.).

b) Die streitgegenständlichen [X.] und Auskunftsverlangen des [X.] vom 16. April und 6. Oktober 2014 sind Gegenstand des Verfahrens dergestalt, die sie durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden haben (vgl. § 44 Abs. 2 [X.]O).

Daher bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, wie die [X.] und Auskunftsverlangen ursprünglich rechtlich einzuordnen waren, wobei im Umfeld von Außenprüfungen die Grenze zwischen reinen Hilfs- und Vorbereitungsmaßnahmen ohne Regelungscharakter und Verwaltungsakten nicht immer eindeutig zu ziehen ist (vgl. [X.]-Urteil vom 28. September 2011 VIII R 8/09, [X.]E 235, 298, [X.], 395, Rz 33). Denn das [X.] hat mit Einspruchsentscheidung vom 11. März 2015 den betreffenden [X.] und Auskunftsverlangen die Gestalt eines Verwaltungsakts gegeben, indem es die entsprechenden Einsprüche nicht als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt hat, die betreffenden [X.] seien rechtmäßig gewesen (vgl. allgemein in ständiger Rechtsprechung Urteil des [X.] --BVerwG-- vom 26. Juni 1987  8 [X.] 21/86, [X.], 3, [X.] 310 § 79 VwGO Nr. 23, Rz 9; BVerwG-Beschluss vom 10. Mai 2017  2 B 44/16, [X.] 232.01 § 15 BeamtStG Nr. 2).

Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffnet, liegt daher auch dann vor, wenn zwar (ggf.) der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch der Widerspruchsbescheid --hier die [X.] aus der schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht (Urteil des [X.] vom 18. September 1997  11 [X.] 85/96, Sozialrecht 3-4100 § 34 Nr. 4; BVerwG-Beschluss in [X.] 232.01 § 15 BeamtStG Nr. 2; jeweils m.w.N.).

3. Auf die Frage nach der schlüssigen Rüge und dem Vorliegen weiterer Revisionszulassungsgründe [X.] von § 115 Abs. 2 [X.]O kommt es unter den gegebenen Umständen nicht (mehr) an.

4. Der Senat hält es für sachgerecht, im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

Meta

XI B 123/17

11.12.2018

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 4. April 2017, Az: 6 K 1128/15 AO, Urteil

§ 118 S 1 AO, § 40 Abs 1 FGO, § 44 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.12.2018, Az. XI B 123/17 (REWIS RS 2018, 606)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 606

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII R 8/09 (Bundesfinanzhof)

Willkür- und Schikaneverbot bei Erlass einer Prüfungsanordnung - Vorlage- und Auskunftsverlangen als Verwaltungsakt - Anordnung …


I B 14/13 (Bundesfinanzhof)

Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan als Verfahrensmangel


I R 97/15 (Bundesfinanzhof)

Ausländisches Amtshilfeersuchen


XI B 87/11 (Bundesfinanzhof)

Auslegung einer Klageschrift


XI R 54/17 (Bundesfinanzhof)

Zum Einwendungsausschluss des Geschäftsführers einer GmbH bei unterlassenem Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung des FA


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.