Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.10.2016, Az. B 11 AL 45/16 B

11. Senat | REWIS RS 2016, 3336

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Rüge einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts - absoluter Revisionsgrund - Einverständniserklärung zur Entscheidung durch Berichterstatter anstelle des Senats - Wirksamkeit - Richterwechsel


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 20. April 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

1

I. In der Hauptsache war zwischen den [X.]eteiligten streitig, ob der Kläger als ehemaliger GmbH-Geschäftsführer ab 1.7.2011 Anspruch auf [X.] hat, insbesondere ob er zu der GmbH in einem [X.]eschäftigungsverhältnis gestanden hat oder nicht.

2

Nachdem die [X.] zunächst nach einer Sperrzeit [X.] bewilligt hatte, hob sie später den Sperrzeitbescheid auf und lehnte die Gewährung von [X.] ab ([X.]escheid vom 20.10.2011). Der Kläger erfülle die Anwartschaftszeit nicht. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Auf die [X.]erufung des [X.] hat das [X.] mit Urteil vom 20.4.2016, das allein durch den Präsident des [X.] als [X.]erichterstatter gefasst und verkündet wurde, das Urteil des [X.] und die [X.]escheide der [X.]n aufgehoben und die [X.] verurteilt, dem Kläger [X.] ab 1.7.2011 zu gewähren.

3

Die [X.] hat gegen das Urteil des [X.][X.] Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügt das Vorliegen eines [X.], nämlich der fehlerhaften [X.]esetzung des [X.][X.], als absoluten Revisionsgrund. Zwar habe sie im November 2015 ihr Einverständnis mit einer "Entscheidung durch den [X.]erichterstatter" erklärt. [X.] [X.]erichterstatter sei aber der frühere Vizepräsident des [X.][X.] [X.] gewesen. Zu einer Entscheidung durch diesen [X.]erichterstatter habe sie ihr Einverständnis erteilt. Nachdem [X.] am 31.2.2016 in den Ruhestand getreten sei, sei der Präsident des [X.] zum Vorsitzenden des 2. Senats sowie zum [X.]erichterstatter in der Sache bestimmt worden. Auf [X.]" habe sich ihr Einverständnis aber nicht bezogen. Insofern sei der absolute Revisionsgrund der nicht ordnungsgemäßen [X.]esetzung des [X.][X.], also eine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG, gegeben. Im Übrigen sei das Urteil des [X.][X.] auch nicht in der erforderlichen Weise mit Entscheidungsgründen versehen (Verletzung von § 128 Abs 1 S 2 iVm § 130 Abs 1 und § 136 Abs 1 [X.] [X.]G), weil es an der Darlegung aller Voraussetzungen für das [X.]estehen des Anspruchs auf [X.] fehle.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre [X.]egründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend gemachte [X.] nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

5

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G), so müssen bei der [X.]ezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl [X.][X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 24, 34, 36). Dies ist hier nicht der Fall.

6

Die [X.] hat den gerügten absoluten Revisionsgrund der fehlerhaften [X.]esetzung des [X.][X.] nicht hinreichend bezeichnet. Sie hat selbst vorgetragen, dass sie im November 2015 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den [X.]erichterstatter erklärt hat. Diese Erklärung ist - schon ihrem Wortlaut nach - nicht auf die konkrete Person des Richters, sondern auf eine Funktion, nämlich diejenige des [X.]erichterstatters, bezogen. Der (zum Zeitpunkt der Entscheidung zuständige) [X.]erichterstatter hat die Entscheidung auch getroffen.

7

Der Umstand, dass ein früherer [X.]erichterstatter Ende Januar 2016 aus seinem Amt ausgeschieden und daraufhin der Präsident des [X.][X.] zum neuen Vorsitzenden des Senats und zum [X.]erichterstatter in der Sache bestimmt worden ist, lässt die Wirksamkeit der Einverständniserklärung nach § 155 Abs 3 und 4 [X.]G, die eine Prozesserklärung ist, nicht entfallen. Das Einverständnis bezieht sich auf den für die Entscheidung zuständigen ("gesetzlichen") Richter, nicht aber auf die konkrete Person eines Vorsitzenden oder [X.]erichterstatters. Ein Richterwechsel verursacht deshalb keine wesentliche Änderung der Prozesslage und lässt eine früher abgegebene Erklärung auch nicht unwirksam werden. Die Einverständniserklärung kann aufgrund eines solchen Richterwechsels nicht einmal widerrufen werden ([X.]üdtke in HK-[X.]G, 4. Aufl 2012, § 155 Rd[X.] 12; [X.] in Meyer-[X.]adewig/[X.]/[X.]eitherer, [X.]G, 11. Aufl 2014, § 155 Rd[X.] 12; [X.], [X.] 1994, 233).

8

Aus der von der [X.]n zitierten Entscheidung des [X.][X.] vom 23.8.2007 ([X.] RS 2/06 R - [X.] 4-1500 § 155 [X.] 1) ergibt sich nichts anderes. Zwar wird dort tatsächlich unter Rd[X.] 17 ausgeführt, dass sich die Einverständniserklärung des [X.]eteiligten auf [X.]" beziehen müsse und das Einverständnis an diesen gebunden sei. Die Erklärung müsse konkret und eindeutig sein. Diese Ausführungen beziehen sich aber - wie sich aus Rd[X.] 18 des Urteils ergibt - auf eine andere prozessuale Situation. Dort hatte ein [X.]eteiligter die Prozesserklärung abgegeben, er sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, durch [X.]eschluss (§ 153 Abs 4 [X.]G) oder durch den Vorsitzenden 155 Abs 3, 4 [X.]G) einverstanden; anschließend hatte der [X.]erichterstatter entschieden. In dieser Situation erschien dem [X.][X.] die Einverständniserklärung nicht eindeutig und es nahm eine fehlerhafte [X.]esetzung des [X.][X.] an. [X.]ei [X.]eachtung des Gesamtzusammenhangs ist dort aber nicht gemeint, dass sich das Einverständnis auf die konkrete Person eines Richters beziehen müsse. Vielmehr ging es darum, dass die Einverständniserklärung erkennen lassen muss, in welcher konkreten [X.]esetzung ein Gericht die Entscheidung zu treffen hat. Eine entsprechende Auslegungsproblematik wirft der vorliegende Fall nicht auf, weil die [X.] (allein) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den [X.]erichterstatter erklärt hat.

9

Da der Verfahrensfehler schon nicht vorliegt, kann offenbleiben, ob sich die Klägerin nach dem auch im Prozessrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben angesichts des Ablaufs mit mündlicher Verhandlung durch den (neuen) [X.]erichterstatter nachträglich auf den Verfahrensmangel eines fehlenden Einverständnisses zu einer Entscheidung durch den [X.]erichterstatter als konsentierten Einzelrichter berufen kann ([X.][X.] [X.]eschluss vom 16.6.2016 - [X.] 13 R 35/16 [X.] - [X.] 4-1500 § 155 [X.] 5).

Auch der Verfahrensfehler der mangelhaften [X.]egründung der Entscheidung (§ 128 Abs 1 Satz 2 [X.]G, § 136 Abs 1 [X.] [X.]G) ist nicht in der gebotenen Weise dargetan. Zwar trifft es zu, dass ein Gericht die rechtserheblichen Anspruchsvoraussetzungen prüfen muss. Die [X.]egründung der Entscheidung muss aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln; vielmehr reicht als Angabe der für die richterliche Überzeugung leitenden Gründe die Darlegung der wesentlichen Gesichtspunkte aus (vgl [X.][X.] vom 12.2.2004 - [X.] RA 67/03 [X.] - mwN; [X.]eschluss vom [X.] A[X.] 121/09 [X.] - mwN). Die [X.]egründungspflicht ist deshalb nicht schon dann verletzt, wenn - wie die [X.] meint - die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und tatsächlichen Gegebenheiten falsch oder nicht überzeugend sein sollten (vgl [X.]eschluss vom 26.5.2011 - [X.] A[X.] 145/10 [X.] - mwN). Die [X.] hätte aus diesem Grund darlegen müssen, dass die Entscheidung entweder überhaupt keine [X.]egründung enthält oder dass die Gründe in so hohem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion (Unterrichtung der [X.]eteiligten über die dem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen) nicht erfüllen können (vgl [X.][X.] vom 5.10.2010 - [X.] 8 [X.] 62/10 [X.]). Der Umstand, dass das [X.][X.] eine nach [X.]age der Akten wohl gegebene Ortsabwesenheit übersehen hat, führt nicht zu einem Mangel der [X.]egründung. Umstände, welche das [X.][X.] nicht gesehen hat, sind für dieses auch nicht bei der Entscheidung erheblich gewesen. Dass das [X.][X.] möglicherweise dem Einzelfall des [X.] (teilweise) materiell unzutreffend beurteilt haben könnte, vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen.

Die nicht formgerecht begründete [X.]eschwerde war daher nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.]G ohne Zuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 45/16 B

26.10.2016

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Hamburg, 26. November 2013, Az: S 13 AL 600/11, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.10.2016, Az. B 11 AL 45/16 B (REWIS RS 2016, 3336)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3336

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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