Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.01.2016, Az. 4 StR 532/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 17823

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Betrugs und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs: Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle ohne Zahlungsbereitschaft als vollendeter Betrug; Feststellungen zum subjektiven Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. August 2015 wird

a) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II.2 der Urteilsgründe des versuchten Betrugs schuldig ist,

b) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

aa) die Verurteilung des Angeklagten im Falle II.3 der Urteilsgründe,

bb) die Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe sowie die Gesamtstrafe,

cc) der Ausspruch über die isolierte Sperrfrist und

dd) der Rechtsfolgenausspruch darüber hinaus, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung (Ziffer 1.b) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls, Betrugs und vorsätzlicher „Straßenverkehrsgefährdung“ in Tateinheit mit (vorsätzlichem) Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt sowie die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von vier Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus dem [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Betrugs kann nicht bestehen bleiben.

3

a) Nach den von der [X.] zu dem Fall II.2 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte mit dem zuvor entwendeten Pkw [X.] zu einer Tankstelle, betankte das Fahrzeug und fuhr anschließend – wie von vornherein geplant – ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davon.

4

b) Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist von einem Tanken an einer [X.] auszugehen. In derartigen Fällen setzt die Annahme der Tatvollendung voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen seiner Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. Mangels Irrtumserregung liegt jedoch kein vollendeter Betrug vor, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. In einem solchen Fall ist vielmehr regelmäßig vom Tatbestand des versuchten Betrugs auszugehen, wenn das Bestreben des [X.] – wie im vorliegenden Fall – von Anfang an darauf gerichtet war, das Benzin unter Vortäuschung einer nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten ([X.], Urteil vom 5. Mai 1983 – 4 StR 121/83, NJW 1983, 2827; Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 497/12, [X.], 511 mwN). Da das [X.] trotz des Geständnisses des Angeklagten und unter Heranziehung der Lichtbilder der Überwachungskamera keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Tankvorgang vom Kassenpersonal bemerkt wurde, geht der Senat zugunsten des Angeklagten davon aus, dass dies nicht der Fall war; er ändert den Schuldspruch in versuchten Betrug ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

5

Die Schuldspruchänderung entzieht der im Fall II.2 der Urteilsgründe verhängten [X.] von sechs Monaten und der Gesamtstrafe die Grundlage.

6

2. [X.] begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a sowie Nr. 2 Buchst. b und [X.] im Fall II.3 der Urteilsgründe.

7

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen fuhr der [X.], obwohl er damit rechnete, infolge der zuvor konsumierten Betäubungsmittel nicht mehr fahrtüchtig zu sein, mit dem von ihm entwendeten [X.], in dem drei  Begleiter saßen, nach M.             . Als sich Polizeibeamte mit einem Streifenwagen schräg vor den an einer rotlichtzeigenden Ampel haltenden PKW setzten, beschloss der Angeklagte, sich durch Flucht der Kontrolle und einer Festnahme zu entziehen. Er scherte nach links in den Bereich des Gegenverkehrs aus, fuhr mit hoher Geschwindigkeit von deutlich mehr als 50 km/h über die Kreuzung und streifte beim Wiedereinscheren den bei Rotlicht haltenden [X.] des Zeugen H.   , der wirtschaftlichen Totalschaden in Höhe  von 1.600 € erlitt. Unter Missachtung zweier weiterer „Rot“ anzeigender Ampeln fuhr er auf der L.        weiter; er beabsichtigte, nach rechts in die [X.] abzubiegen. Zur gleichen Zeit überquerte vor ihm die im neunten  Monat schwangere   [X.]   mit ihrem fünfjährigen [X.] und ihrer neunjährigen Tochter die Fahrbahn der L.       , da die dortige Lichtzeichenanlage für sie „Grün“ zeigte. Die Tochter bemerkte das heranrasende Fahrzeug und zog Mutter und Bruder in Richtung der Verkehrsinsel in der Fahrbahnmitte. Der Angeklagte fuhr knapp ([X.] 8: „haarscharf“) an den drei Fußgängern vorbei; ohne die Reaktion des Mädchens wären die Fußgänger von dem PKW des Angeklagten erfasst worden.      [X.]   erlitt einen Schock und musste ins Krankenhaus. Der Angeklagte bog nach rechts ab, zog die Handbremse und sprang aus dem noch rollenden Auto; dieses beschädigte noch zwei parkende Fahrzeuge, an denen jeweils ein Schaden von ca. 2.500 € entstand.

8

Der Angeklagte hat eingeräumt, unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln ohne die erforderliche Fahrerlaubnis gefahren zu sein. Er hat aber bestritten, bemerkt zu haben, dass er andere Fahrzeuge touchiert, „rote Ampeln“ überfahren und Fußgänger gefährdet habe.

9

b) Damit sind die Voraussetzungen der vom [X.] angenommenen sog. Vorsatz-Vorsatz-Kombination in den Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a sowie Nr. 2 Buchst. b und [X.] nicht belegt. Zwar hat die [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte trotz seines Bestrebens, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen, aufgrund des vorangegangenen Drogenkonsums (relativ) fahruntüchtig war (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. April 1994 – 4 StR 130/94, [X.], 88, und vom 2. Juni 2015 – 4 [X.]) und dies auch billigend in Kauf nahm. Es hat jedoch keine Feststellungen zu einer (auch nur bedingt) vorsätzlichen Herbeiführung des im Tatbestand des § 315c Abs. 1 StGB in allen Varianten vorausgesetzten konkreten [X.]s getroffen; dies kann der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.

Solcher Feststellungen zum subjektiven Tatbestand hätte es indes für den im angefochtenen Urteil getroffenen Schuldspruch bedurft: Das [X.] hat nicht berücksichtigt, dass die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 StGB – anders als in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB – hinsichtlich aller Tatumstände zumindest bedingten Vorsatz verlangt. Der Vorsatz des [X.] muss deshalb nicht nur die [X.], sondern auch die konkrete Gefahr umfassen. Der Täter muss insoweit die Umstände kennen, die den [X.] im Sinne eines Beinaheunfalls als nahe liegende Möglichkeit erscheinen lassen und sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfinden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. September 2014 – 4 StR 365/14, [X.], 713; [X.]/[X.]/Dauer-[X.], Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 315c Rn. 48).

Soweit die [X.] den Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b (falsches Überholen) und Buchst. [X.] (zu schnelles Fahren an Straßenkreuzungen) verurteilt hat, fehlt es darüber hinaus schon an der Feststellung, dass der Angeklagte hinsichtlich dieser beiden sog. Todsünden vorsätzlich gehandelt hat.

Die Aufhebung erfasst die für sich gesehen rechtsfehlerfreie Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (vgl. [X.]/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12) sowie die Anordnung der isolierten Sperrfrist gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB.

3. Auch soweit das [X.] keine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB getroffen hat, kann das Urteil keinen Bestand haben. Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift vom 14. Dezember 2015 Folgendes ausgeführt:

„Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte bereits im Alter von 14 Jahren Marihuana und mit 15 Jahren Amphetamin, die er in der Folgezeit mit Unterbrechungen regelmäßig einnahm ([X.] S. 3). Der Angeklagte wurde am 17. Juli 2014 nach Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG aus dem Urteil des [X.] vom 23. April 2012 aus der Haft entlassen, brach die Therapie jedoch nach einem Tag ab und hielt sich, weil er über keinen festen Wohnsitz verfügte, bei verschiedenen Freunden auf. Die Zurückstellung der Vollstreckung wurde widerrufen und [X.] erlassen. Der Angeklagte konsumierte wiederum regelmäßig Marihuana und Amphetamin in [X.] von ca. jeweils 1 Gramm täglich; den erheblichen Konsum von Marihuana und Amphetamin zeigt auch die Auswertung der am 29. August 2014 entnommenen Blutprobe des Angeklagten ([X.] S. 5, 8).

Bei der Frage der Prüfung der (rauschmittelbedingten) Fahruntüchtigkeit bei der Fahrt in M.              wurde auch berücksichtigt, dass der Angeklagte Langzeitkonsument (zumindest von Cannabis) ist ([X.] S. 8-9). In der Strafzumessung ist die [X.] von einem chronischen Konsum von THC und Amphetamin ausgegangen ([X.] S. 10).

Diese Ausführungen hätten die [X.] zu der Prüfung drängen müssen, ob bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Dass sie von einem chronischen Konsum von Betäubungsmitteln ausgegangen ist, machte die Auseinandersetzung damit erforderlich, ob bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt. Dieser chronische Konsum legt zudem nahe, dass auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einem gegebenenfalls anzunehmenden Hang und der Begehung der Taten bestand, … Dass der Angeklagte im Juli 2014 eine Therapie gemäß § 35 BtMG nach nur einem Tag abbrach ([X.] S. 4) und anschließend erneut den [X.] aufnahm ([X.] S. 5), steht der Erfolgsaussicht einer Anordnung des [X.] im Sinne des § 64 StGB nicht entgegen.“

Dem schließt sich der Senat an.

4. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter hat die Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu der – durch das Fahrverhalten des Angeklagten verursachten – konkreten Gefährdung der Fußgänger im Sinne des § 315c Abs. 1 StGB genauer als bisher geschehen zu treffen (vgl. [X.], Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, [X.], 1524; Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12, [X.], 167; [X.], 399, 400).

Sost-Scheible                    Cierniak                         [X.]

                       [X.]

Meta

4 StR 532/15

13.01.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mönchengladbach, 24. August 2015, Az: 21 KLs 20/15

§ 22 StGB, § 23 Abs 1 StGB, § 263 StGB, § 315c Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 315c Abs 1 Nr 2 Buchst b StGB, § 315c Abs 1 Nr 2 Buchst d StGB, § 315c Abs 3 Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.01.2016, Az. 4 StR 532/15 (REWIS RS 2016, 17823)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1109 REWIS RS 2016, 17823

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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