Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2012, Az. 4 StR 497/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 157

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Gegenstand

Versuchter Betrug beim Selbstbedienungstanken


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. August 2012 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in zehn Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und versuchtem Betrug, der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch sowie des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen (§§ 74, 109 Abs. 2 JGG).

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in zehn Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und Betrug, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung zweier Urteile des [X.] und eines Urteils des [X.]s Halle zu einer [X.] von drei Jahren verurteilt und eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Betrugs kann nicht bestehen bleiben.

3

a) Nach den von der [X.] insofern getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte in den Fällen [X.] – [X.]0 der Urteilsgründe die von ihm benutzten Personenkraftwagen jeweils mit amtlichen Kennzeichen versehen, die aus Diebstählen stammten. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht fuhr er in zehn Fällen jeweils zu Selbstbedienungstankstellen, [X.] das von ihm geführte Fahrzeug und setzte anschließend die Fahrt fluchtartig ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge fort. Das [X.] hat nicht festgestellt, ob die Tankvorgänge von den Betreibern der Tankstellen oder deren Mitarbeitern bemerkt wurden.

4

b) Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen vollendeten Betruges.

5

In den Fällen des Selbstbedienungstankens setzt die Annahme eines vollendeten Betruges voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen von Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. Mangels Irrtumserregung liegt jedoch kein vollendeter Betrug vor, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. In einem solchen Fall ist aber regelmäßig vom Tatbestand des versuchten Betruges auszugehen, wenn das Bestreben des [X.] – wie im vorliegenden Fall – von Anfang an darauf gerichtet war, das Benzin unter Vortäuschung einer nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten ([X.], Urteil vom 5. Mai 1983 – 4 [X.], NJW 1983, 2827; Beschluss vom 28. Juli 2009 – 4 [X.], [X.], 694; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 4 StR 632/11, [X.], 324). Da das [X.] trotz umfassenden Geständnisses des Angeklagten, Heranziehung der Lichtbilder der Überwachungskameras und Vernehmung des alle Ermittlungen führenden Polizeibeamten keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die einzelnen Tankvorgänge vom Kassenpersonal bemerkt wurden, geht der [X.] zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dass dies nicht der Fall war, und ändert den Schuldspruch jeweils in versuchten Betrug ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

6

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

7

a) Nach den Feststellungen (Fall [X.]2 der Urteilsgründe) befuhr der erheblich alkoholisierte, absolut fahruntüchtige Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, am 29. Dezember 2011 gegen 06.10 Uhr mit einem Pkw, für den kein Haftpflichtversicherungsschutz bestand, öffentliche Straßen in [X.]. Einer polizeilichen Verkehrskontrolle versuchte er sich dadurch zu entziehen, dass er wendete und mit hoher Geschwindigkeit (bis zu 180 km/h) flüchtete. Dabei beging er zahlreiche [X.], missachtete das Rotlicht an Kreuzungen und überholte trotz Gegenverkehrs. Andere Verkehrsteilnehmer konnten nur durch eine umsichtige und reaktionsschnelle Fahrweise einer drohenden Kollision entgehen. Um der Flucht des Angeklagten ein Ende zu bereiten, stellte ein Polizeibeamter vor dem Ortseingang [X.] seinen Streifenwagen quer zur Fahrbahn. Der Angeklagte versuchte nun, das Polizeifahrzeug mit hoher Geschwindigkeit rechts zu umfahren. Dies misslang jedoch, da sich in diesem Bereich neben der Straße eine kleine Baumgruppe befand. Der Angeklagte steuerte sein Fahrzeug deshalb wieder nach links und kollidierte in voller Fahrt mit dem Streifenwagen. Dabei erlitt einer der beiden in dem Fahrzeug befindlichen Polizeibeamten eine Knieprellung, Hautabschürfungen im Stirnbereich sowie ein [X.] ersten Grades. Das [X.] hat das Tatgeschehen u.a. als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB gewertet, da die waghalsige Fahrt dazu gedient habe, „sich der Polizeikontrolle zu entziehen“ (UA S. 22).

8

b) Diese Feststellungen rechtfertigen keine Verurteilung aus § 113 Abs. 1 StGB. Unter Widerstand ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem [X.] zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Die Tat muss demgemäß Nötigungscharakter haben. Allerdings wird ein effektiver Nötigungserfolg nicht vorausgesetzt („unechtes [X.]“, [X.], StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 22; S/S-Eser, StGB, 28. Aufl., § 113 Rn. 40). „Mit Gewalt“ wird Widerstand geleistet, wenn unter Einsatz materieller Zwangsmittel, vor allem körperlicher Kraft, ein tätiges Handeln gegen die Person des [X.] erfolgt, das geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren (vgl. [X.], Urteil vom 16. November 1962 – 4 StR 337/62, [X.]St 18, 133, 134; [X.] 113 Rn. 23). Die bloße Flucht vor der Polizei erfüllt diese Voraussetzungen nicht, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden. Da der Angeklagte die ihn verfolgenden Polizeibeamten mit seinem Kraftfahrzeug weder abgedrängt noch am Überholen gehindert hat und auch nicht auf die Polizeibeamten zugefahren ist, um diese zum Wegfahren und damit zur Freigabe der Fahrbahn zu nötigen, fehlt bereits die für den äußeren Tatbestand erforderliche gewaltsame, gegen die Person des [X.] gerichtete Handlung (vgl. [X.]sbeschluss vom 4. März 1997 – 4 StR 48/97, [X.], 261, 262). Ebenso wenig wird der für die Verwirklichung des § 113 Abs. 1 StGB erforderliche Vorsatz deutlich, zumal das [X.] das Unfallgeschehen, das zur Verletzung eines Polizeibeamten geführt hat, lediglich als fahrlässige Körperverletzung gewertet hat. Der [X.] hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Es ist auszuschließen, dass in neuer Verhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die die Annahme des Tatbestandes des § 113 Abs. 1 StGB tragen.

9

3. Die gegen den Angeklagten verhängte [X.] wird durch die Schuldspruchänderung nicht in Frage gestellt. Durch die Einordnung der Tankvorgänge als versuchter Betrug und durch den Wegfall der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hat sich der Unrechtsgehalt der Taten nicht wesentlich verändert. Der [X.] des Angeklagten besteht unverändert fort.

[X.]                               Roggenbuck                                   Franke

                        [X.][X.]

Meta

4 StR 497/12

19.12.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 22. August 2012, Az: 6 KLs 4/12 - 601 Js 40060/11

§ 74 JGG, § 109 Abs 2 JGG, § 22 StGB, § 23 StGB, § 113 Abs 1 StGB, § 263 StGB, § 265 StPO, § 349 Abs 2 StPO, § 349 Abs 4 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2012, Az. 4 StR 497/12 (REWIS RS 2012, 157)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 157

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