Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2013, Az. III ZR 403/12

III. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1681

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 403/12

Verkündet am:

24. Oktober 2013

F r e i t a g

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

ZPO § 522 Abs. 2, § 533

Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verliert eine im Berufungsverfahren erhobene Widerklage entsprechend § 524 Abs.
4 ZPO ihre Wirkung.

[X.], Urteil vom 24. Oktober 2013 -
III ZR 403/12 -
[X.] [X.]

[X.]
-

2

-

Der III.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober
2013 durch den Vizepräsidenten [X.] und [X.], [X.],
Dr. Remmert
und [X.]

für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen den
Beschluss
des 20. Zivil-senats des [X.] vom 26. November 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] tragen
die
Beklagten
zu 1 und 3 zu je ein Viertel und der Beklagte zu 2
zur
Hälfte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin hat die mit ihr durch einen Treuhandvertrag verbundenen Beklagten auf quotale Zahlung wegen Darlehensforderungen der B.

bank
AG und der
A.

GmbH in Anspruch genommen, denen sich die Klägerin als persönlich haftende Gesellschafterin der A.

OHG (geschlossener Immobilienfonds, an dem sich die [X.] beteiligt haben) ausgesetzt sieht.
Die Beklagten haben hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen gegen die Klägerin wegen Verletzung von Aufklä-rungspflichten aufgerechnet.
1
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-

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagten haben gegen das Urteil des [X.] Berufung eingelegt und für den Fall, dass die von ihnen hilfsweise erklärte Aufrechnung unzulässig sein sollte, [X.] erhoben. Die Klägerin hat gegen das Urteil des [X.] Anschlussberu-fung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit ein-stimmigem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. In demselben Beschluss hat es die Anschlussberufung der Klägerin und die [X.]n der Beklagten für wirkungslos erklärt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen
die Beklagten ihre [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der
Beklagten hat keinen Erfolg.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht die von den Beklagten erhobene [X.] einem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht ent-gegen. Ohne die [X.] sei eine Zurückweisung der Berufung gemäß §
522 Abs. 2 ZPO ohne weiteres möglich. Die Beklagten könnten diesen Weg nicht dadurch verhindern und eine mündliche Verhandlung erzwingen, dass sie erstmals in der Berufungsinstanz ihre Gegenansprüche nicht mehr im Wege einer unzulässigen Aufrechnung, sondern im Wege der Widerklage
geltend machten. Die Bestimmung des § 533 ZPO
habe keinen Vorrang gegenüber §
522 Abs. 2 ZPO. Auch eine erst in zweiter Instanz erhobene, gemäß § 533 2
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ZPO zulässige Widerklage zwinge das Berufungsgericht daher nicht, von dem als Regelfall vorgesehenen Beschlussverfahren für -
ungeachtet der Widerklage
-
offensichtlich erfolglose Berufungen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO abzusehen. Es sei daher im Rahmen des
durch § 522 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens
-
trotz der damit für die Beklagten begründeten Notwendigkeit, einen neuen [X.] anzustrengen -
nicht
geboten, von einer Zurückweisung durch [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
abzusehen.

Die [X.] verliere mit der Zurückweisung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Die diesbezügliche Feststellung im Tenor des Zu-rückweisungsbeschlusses sei rein deklaratorischer Natur.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

1.
Die Frage, ob über eine in zweiter Instanz erhobene Widerklage vom Berufungsgericht zu entscheiden ist oder ob die Widerklage entsprechend §
524 Abs. 4
ZPO ihre Wirkung verliert, wenn im Übrigen die Voraussetzungen für einen einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur uneinheitlich beantwor-tet:

a) Nach der überwiegend vertretenen Auffassung, der das Berufungsge-richt folgt, werden
mit dem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO eine zweitin-stanzlich erhobene Widerklage, eine zweitinstanzliche [X.] und ein zweitinstanzlicher Hilfsantrag
entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos ([X.], NJW 2003, 3211
[[X.] und Widerklage]; [X.] 5
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Frankfurt
am Main, NJW 2004, 165, 167 f [Widerklage]
sowie [X.]R 2004, 48
[[X.]]; KG, NJW 2006, 3505 [Hilfsantrag]; [X.] Düsseldorf, [X.]R 2007, 465
[Hilfsantrag]; [X.] Nürnberg
[2. [X.].], [X.], 171 f [Klageerweite-rung]; MüKoZPO/[X.], 4. Aufl., § 522 Rn. 35; Musielak/[X.], ZPO, 10. Aufl., § 522 Rn. 28a; [X.] in [X.], ZPO, § 522 [01.04.2013] Rn. 16; [X.], [X.], 722, 724; [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 522
Rn. 37
[für nach § 533 ZPO nicht zuzulassende
Änderungen im Prozessverhalten]).

aa) Die Zivilprozessordnung
enthalte für diese Verfahrenssituation keine ausdrückliche Regelung. Auch bestehe kein Vorrang der §§ 263, 533 ZPO be-ziehungsweise des § 264 Abs. 2 ZPO vor der Verfahrensregelung des § 522 ZPO ([X.] Nürnberg aaO). [X.] und [X.] seien in [X.] Instanz in gleicher Weise von einer zulässigen und erfolgversprechenden Berufung abhängig wie die Anschlussberufung, so dass sich die Regelung des § 524 Abs. 4 ZPO auf diese beiden Konstellationen übertragen lasse ([X.] aaO; [X.] Frankfurt
am Main, NJW 2004, 165, 167 f).

bb) Die Systematik des § 522 Abs. 2 ZPO lasse keinen Raum für die Wahrung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Entscheidung über einen nach den §§ 263, 533 ZPO beziehungsweise
nach § 264 Abs. 2 ZPO ge-änderten Streitgegenstand ([X.] Nürnberg aaO). Prozesshandlungen, die nach diesen Vorschiften zu einer Änderung des [X.] führten, bedürften gemäß § 297 ZPO einer Antragstellung in der mündlichen Verhandlung. Die Bestimmung des § 522 Abs. 2 ZPO sehe dagegen vollständig vom [X.] ab. Eine Verhandlung sei ausgeschlossen. Damit sei in diesem Verfahren der Zugang zu solchen Prozesshandlungen versperrt, die vor der Entscheidung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedürften ([X.] Nürnberg aaO; [X.] Frankfurt
am Main, NJW 2004, 165, 168; [X.] aaO).
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cc) Es werde zudem der Normzweck des § 522 Abs. 2 ZPO einer zügi-gen Erledigung des Rechtsstreits sowohl im öffentlichen wie im Interesse des Berufungsbeklagten unterlaufen, wenn in die Prüfung der Erfolgsaussicht ge-mäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch die Frage einbezogen werde, ob eine Widerklage nach § 533 ZPO zulässig und -
bejahendenfalls -
begründet sei ([X.] Nürnberg aaO; MüKoZPO/[X.] aaO Rn. 21). Nach der Zivil-prozessrechtsreform sei die Berufung im Wesentlichen als Instrument der [X.] ausgestaltet. Der Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO beschränke sich daher auf die Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils, soweit es vom [X.] angegriffen werde ([X.] aaO). Der Normzweck des §
522 Abs. 2 ZPO werde erst recht verfehlt, wenn der [X.] im Wege einer -
gegebenenfalls
geringfügigen -
[X.] oder [X.] eine mündliche Verhandlung (auch) über seine (Haupt-)Berufung erzwingen könne, obwohl diese keine Erfolgsaussicht biete ([X.] aaO; KG aaO; [X.] Düsseldorf aaO; [X.] Frankfurt
am Main, [X.]R 2004, 48, 51; MüKoZPO/
[X.] aaO; [X.]/[X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO).

dd) Eine Weiterverhandlung nach abschließender Erledigung des erstin-stanzlichen Streitstoffs durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO könne nicht Zweck der Berufungsverhandlung sein, denn diese setze eine fortbestehende Beschwer des Rechtsmittelführers voraus ([X.] aaO S. 3212; [X.] Frankfurt
am Main, [X.]R 2004, 48, 51; [X.] aaO).

Allein sachgerecht sei es daher, eine erweiterte Klage oder Hilfswider-klage des [X.]s als wirkungslos zu betrachten, wenn die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückgewiesen werde. Dem [X.] bleibe es unbenommen, die mit der [X.] begehrte Fest-11
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stellung zum Gegenstand eines gesonderten Prozesses zu machen ([X.] aaO; KG aaO; [X.] aaO).

b) Ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur sieht demgegenüber
eine erst in zweiter Instanz erhobene Widerklage und eine zweitinstanzliche
[X.] im Fall einer Beschlusszurückweisung gemäß § 522
Abs. 2 ZPO nicht als wirkungslos an
([X.] Köln, Beschluss vom 17. Dezember 2003
-
2 [X.], juris Rn. 16; [X.] Nürnberg [13. [X.].], [X.] 2003, 770 f; [X.]
Koblenz, [X.]R 2004, 17, 18 und [X.]R 2008, 837, 838; [X.], [X.] 2011, 84, 85
ff).

aa) Eine entsprechende Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO komme schon deshalb nicht in Betracht, weil eine planwidrige Lücke fehle. Die Beru-fung im Sinne von
§ 522 Abs. 2 ZPO, die durch Beschluss zurückgewiesen werden könne, beziehe sich auf den durch die [X.] bestimmten Berufungsgegenstand. Danach sei auch über die erweiterte Klage oder die neue Widerklage zu entscheiden. Dagegen könne eine Beschränkung des [X.]es nach § 522 Abs. 2 ZPO auf die Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils weder dem Wortlaut der Bestimmung noch der Begründung des Gesetz-entwurfs zur Zivilprozessreform entnommen werden ([X.] aaO).

Zudem fehle es für eine entsprechende Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO auf zweitinstanzliche [X.]en und Widerklagen an einer Ver-gleichbarkeit der geregelten Prozesslage. Während die Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung in ihrem unselbständigen, akzessorischen Charakter [X.] sei, handele es sich bei Erweiterungen der Klage und
bei Widerklagen
um selbständige und unbedingte Angriffe ([X.] aaO).

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bb) Der [X.] habe es auch nicht in der Hand, durch eine [X.] oder eine neue Widerklage eine mündliche Verhandlung und damit das [X.] zu erzwingen, jedenfalls nicht ohne anerkennens-werten
Grund. Lägen die Voraussetzungen des § 533 ZPO nicht vor, könne die Nichtzulassung mit einer Berufungszurückweisung im Übrigen verbunden wer-den. Seien [X.] oder Widerklage zuzulassen, aber nicht begrün-det, so sei gleichfalls die Berufung mit dem Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung insgesamt zurückzuweisen
([X.] Köln aaO; [X.] Nürnberg [13. [X.].] aaO; jeweils zu
unzulässigen
Klageänderungen und
[X.]n; [X.] Koblenz, [X.]R 2004, 17, 18 und [X.]R 2008, 837, 838 für eine unbegründete [X.],
offen gelassen für Antragsänderung, Klage-änderung, Aufrechnung und Widerklage "im Übrigen"; [X.], [X.] 2011, 84, 85
ff). Die Notwendigkeit einer Antragstellung in mündlicher Verhandlung (§ 297 ZPO) stehe dem nicht entgegen, da § 297 ZPO allein das aufgrund mündlicher Verhandlung ergehende Urteil betreffe, während § 522 Abs. 2 ZPO eine Ent-scheidung in einem schriftlichen Verfahren ermögliche
([X.] aaO).

cc) Wenn indes
die mit der [X.] oder der neuen Widerklage erhobenen Ansprüche nach der Aktenlage nicht abschließend als unbegründet beurteilt werden könnten, widerspreche die dann gegebene Notwendigkeit, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und im [X.] zu entscheiden, nicht dem Anliegen des Gesetzgebers nach einer stärkeren Ausrichtung der Berufung zu einem Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung. Denn der Gesetzgeber habe mit der Beibehaltung der Möglichkeit zur Klageänderung, [X.] und zur Erhebung der Widerklage in § 533 ZPO dieses Ziel gerade nicht rein verwirklicht ([X.] aaO; so im Ergebnis auch [X.] Nürnberg [13. [X.].]
aaO).

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2.
Der Senat schließt sich der zuerst genannten Auffassung an. Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende
Berufung
durch einstimmi-gen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
zurückgewiesen, verliert eine im Beru-fungsverfahren erhobene
Widerklage entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wir-kung.

a) Die prozessuale Situation einer (erst) in zweiter Instanz erhobenen Widerklage bei gleichzeitig
offensichtlich fehlender
Erfolgsaussicht
der gegen das erstinstanzliche Urteil gerichteten
Berufung im Sinne von
§ 522 Abs. 2 ZPO ist in der Zivilprozessordnung nicht geregelt.

Weder § 522 ZPO noch § 533 ZPO enthalten insofern eine ausdrückliche Bestimmung. Dem Begriff der "Berufung"
in § 522 Abs.
2 ZPO lässt sich nicht entnehmen, ob hiervon sämtliche im Berufungsverfahren gestellte [X.] und damit auch den Streitgegenstand erweiternde Widerklageanträge
im Sinne von §
533 ZPO umfasst sind
oder ob unter "Berufung"
ausschließlich das [X.] zu verstehen ist, das sich gegen das
im ersten Rechtszug [X.] Endurteil und die aus ihm
folgende Beschwer des [X.]s richtet
(vgl. § 511 Abs. 1 ZPO). In § 533 ZPO ist lediglich allgemein die Zulässigkeit einer im Berufungsverfahren erhobenen Widerklage geregelt. Dagegen ist dort nicht bestimmt, ob die Widerklageanträge auch in die Prüfung der Erfolgsaus-sicht
der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO einzubeziehen sind und ob -
verneinendenfalls -
über die Widerklage nach mündlicher Verhandlung durch (Teil-)Urteil getrennt zu entscheiden ist, wenn im Übrigen die Vorausset-zungen einer Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen ([X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen.

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Auch den Gesetzesmaterialien zu §§ 522, 533 ZPO lässt sich nicht ent-nehmen, wie in der vorliegenden prozessualen Konstellation zu verfahren ist (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses,
BT-Drucks. 14/4722 S. 96 ff, 102;
Beschlussempfehlung und Bericht des [X.], BT-Drucks. 14/6036 S. 122 f; Regierungs-entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, BT-Drucks. 17/5334 S.
7
f; Beschlussempfehlung und Bericht des [X.], BT-Drucks. 17/6406 S. 8 f).
Soweit darin eine [X.]zurückweisung der Berufung nur unter Berücksichtigung zulässiger neuer Angriffs-
und Verteidigungsmittel -
gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Berufungserwiderung und der Replik -
als zulässig erachtet wird (BT-Drucks. 14/4722 S. 97), ergibt sich hieraus für die Einbeziehung eines in [X.] Instanz erstmals gestellten [X.] in den Begriff der "Berufung"

im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO
nichts. Denn ein Widerklageantrag ist kein An-griffs-
und Verteidigungsmittel, sondern ein eigenständiger Angriff.

Damit besteht für die Situation einer zweitinstanzlich erhobenen [X.] bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zurückwei-sung der gegen das erstinstanzliche Urteil gerichteten Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO eine planwidrige Regelungslücke.

b) Normzweck und Interessenlage gebieten es, diese
Regelungslücke durch eine analoge Anwendung des § 524 Abs. 4 ZPO zu schließen.

aa)
Mit der am 1. Januar 2002 in [X.] getretenen
Zivilprozessreform wurde die Möglichkeit geschaffen, eine unbegründete
Berufung durch einstim-migen Beschluss zurückzuweisen (vgl. § 522 Abs. 2 ZPO
i.d.[X.] vom 27. Juli 2001, [X.] [X.]). Mit der Be-22
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schlusszurückweisung
soll verhindert werden, dass durch Berufungen, die nach Überzeugung des Berufungsgerichts keine Aussicht auf Erfolg haben, richterli-che Arbeitskraft unnötig gebunden, die für verhandlungsbedürftige Fälle [X.] Terminzeit verkürzt und die rechtskräftige Erledigung der Streitigkeit zu Lasten der in erster Instanz obsiegenden [X.] verzögert wird (Regierungsent-wurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S.
97). An dieser Zielsetzung hat der Gesetzgeber ungeachtet der Änderung des § 522 ZPO festgehalten (Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] zu dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung,
BT-Drucks. 17/6406 S. 8).

Zugleich wurde die Berufungsinstanz funktionell zu einem Instrument vornehmlich der Fehlerkontrolle umgestaltet (Regierungsentwurf eines Geset-zes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 1, 58, 61, 97, 101 f).

Mit dem vorgenannten Normzweck des § 522 Abs. 2 ZPO und mit der funktionellen Umgestaltung der Berufungsinstanz zu einem Instrument vor-nehmlich der Fehlerkontrolle wäre es nicht vereinbar, wenn in die Prüfung der Erfolgsaussicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch die Frage einbezo-gen würde, ob eine zweitinstanzlich erhobene,
nach § 533 ZPO zulässige
Wi-derklage begründet ist. Insbesondere würde es der Intention des Gesetzgebers widersprechen, wenn
der [X.] mit einer -
gegebenenfalls
geringfü-gigen -
(Hilfs-)Widerklage eine mündliche Verhandlung über die gesamte Beru-fung erzwingen könnte, obwohl letztere
in Bezug auf die
erstinstanzliche
Be-schwer
des [X.]s keine Erfolgsaussicht bietet. Das [X.] Anliegen, offensichtlich aussichtslose Berufungen im [X.], liefe leer.
Die Erhebung einer Widerklage im Berufungsverfahren hindert einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO daher nicht (so auch HK-ZPO/
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[X.], 5. Aufl., § 522 Rn. 11; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 34.
Aufl., §
522 Rn. 14).

bb)
Damit steht zwar noch nicht fest, ob bei
Vorliegen der Voraussetzun-gen des § 522 Abs. 2 ZPO in Bezug auf den erstinstanzlichen Streitgegenstand eine
zweitinstanzlich erhobene Widerklage analog § 524 Abs. 4
ZPO wirkungs-los ist oder
ob über sie -
nach einem auf den erstinstanzlichen Streitgegenstand bezogenen Teilbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO -
nach mündlicher Ver-handlung mittels Schlussurteil zu entscheiden ist
(zur Zulässigkeit einer Teilzu-rückweisung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO,
soweit die Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils nach § 301 ZPO vorliegen, vgl. Hk-ZPO/[X.] aaO Rn. 16
mwN; [X.] aaO S. 723 f mwN).
Auch
bei einem Teilbeschluss nach §
522 Abs. 2 ZPO und einer mündlichen Verhandlung (nur) über die Widerklage verbliebe es indes bei einer mit dem Normzweck des § 522 Abs. 2 ZPO und der Funktion des Berufungsverfahrens nicht in Einklang zu bringenden Verfahrens-situation.

(1) Bei offensichtlich aussichtslosen Berufungen soll, wie ausgeführt,
das Berufungsverfahren im öffentlichen Interesse wie im Interesse des [X.] zügig zum Abschluss gebracht werden. Das ist nicht gewährleistet, wenn über einen Teilgegenstand des Berufungsverfahrens doch mündlich ver-handelt werden muss. Zudem kann
die Beurteilung, ob -
wie für einen etwaigen Teilbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erforderlich -
die Voraussetzungen ei-nes Teilurteils gemäß § 301 Abs. 1 ZPO vorliegen, problematisch sein. So sind etwa ein Teilurteil und damit auch ein Teilbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht zulässig, wenn Klage und (zweitinstanzlich erhobene) Widerklage densel-ben Gegenstand betreffen, von derselben Vorfrage abhängen oder in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl. hierzu [X.]/[X.] aaO § 301 28
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Rn. 9a
mwN). Mit der Prüfung der Voraussetzungen eines
Teilbeschlusses
nach § 522 Abs. 2 ZPO können daher im Einzelfall schwierige Rechtsfragen und dementsprechend die Unsicherheit verbunden sein, ob ein Teilbeschluss in der Revisionsinstanz Bestand haben wird.
In der Folge könnten
nicht nur zweit-instanzlich erhobene Widerklagen
zu einer mündlichen Verhandlung über die gesamte Berufung zwingen, hinsichtlich derer die Voraussetzungen eines Teil-urteils unzweifelhaft nicht vorliegen.
Vielmehr wäre damit zu rechnen, dass auch in [X.], in denen fraglich oder auch nur zwischen den [X.]en streitig ist, ob die Voraussetzungen eines Teilurteils gegeben sind,
der aus Sicht des Berufungsgerichts sicherere Weg der mündlichen Verhandlung über die gesamte Berufung beschritten und von einem Teilbeschluss gemäß §
522 Abs. 2 ZPO abgesehen werden würde. Damit könnte die Prozesspartei, die zweitinstanzlich eine Widerklage erhebt und zugleich die Voraussetzungen eines Teilurteils bestreitet, auch in solchen Fällen erheblichen Druck mit dem Ziel der
Durchführung einer mündlichen
Verhandlung über die gesamte Beru-fung ausüben, in denen ihre Berufung in Bezug
auf die
erstinstanzliche Be-schwer offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg ist. Dies widerspräche indes der gesetzgeberischen Intention, in derartigen
Fällen mit der Beschlusszurückwei-sung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im öffentlichen Interesse wie im Interesse des Berufungsbeklagten eine Möglichkeit zur zügigen Beendigung des Berufungs-verfahrens zur Verfügung zu stellen.

(2) Der Funktion des Berufungsverfahrens vornehmlich als Instrument der Fehlerkontrolle
entspricht es, dass im Mittelpunkt des Berufungsverfahrens das erstinstanzliche Urteil und die aus ihm folgende Beschwer des Berufungs-klägers
stehen. Die zweitinstanzlich
erhobene
Widerklage ist demgegenüber nur unter engen Voraussetzungen zulässig (§ 533
ZPO). Mit der
am 1.
Januar 2002 in [X.] getretenen Zivilprozessreform
ist ihre Zulässigkeit erheblich ein-30
-

14

-

geschränkt
worden. Zusätzlich erforderlich ist seitdem, dass das Berufungsge-richt im Rahmen der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils ohnehin mit
dem für die Widerklage maßgeblichen
Streitstoff befasst ist (§ 533 Nr. 2 i.V.m. § 529 ZPO). Hierdurch wird die geänderte Funktion der Berufungsinstanz unterstri-chen, die in erster Linie Kontrollinstanz zur Fehlerfeststellung und
-beseitigung sein soll (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des [X.], BT-Drucks. 14/4722 S. 102). Der zweitinstanzlich erhobenen Widerklage
wird damit im Berufungsverfahren -
im Verhältnis zur Berufung gegen das erst-instanzliche Urteil -
prozessrechtlich eine
Nebenrolle zugewiesen. Würde nur ihretwegen eine mündliche Verhandlung in einem Berufungsverfahren erforder-lich, das im Übrigen zügig im [X.] abgeschlossen werden kann, [X.] sie -
entgegen Gesetzessystematik und -zweck -
im Mittelpunkt des [X.].
Dieses
würde nach einem Teilbeschluss gemäß §
522 Abs. 2 ZPO durch und in Bezug auf die noch anhängige Widerklage in ein erstinstanz-liches Verfahren umgewidmet
und als solches das gesamte Berufungsverfahren prägen.
Eine derartige
Funktion des Berufungsverfahrens ist indes mit der ihm vom [X.] zugedachten Funktion als Instrument vornehmlich der Fehlerkontrolle nicht zu vereinbaren. Letztere wird hingegen gewahrt, wenn die zweitinstanzlich erhobene Widerklage im Fall einer auf die
erstinstanzliche Be-schwer des [X.]s bezogenen Beschlusszurückweisung gemäß §
522 Abs. 2 ZPO entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos wird.

cc) Den Gegnern
einer solchen, von der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Lösung ist einzuräumen, dass es sich bei der in § 524 Abs. 4 ZPO geregelten Anschlussberufung um ein un-selbständiges Rechtsmittel handelt, während eine Widerklage grundsätzlich einen eigenständigen Angriff darstellt
(vgl. [X.] aaO). Indes sind beide Instru-mente insoweit vergleichbar, als sich ihre Zulässigkeit und Wirkung aus der [X.]
-

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-

nehin anlässlich der (Haupt-)Berufung stattfindenden Befassung des [X.] mit dem für die Anschlussberufung beziehungswiese die zweitin-stanzliche Widerklage maßgeblichen
Streitstoff
in der mündlichen Berufungs-verhandlung ableiten. Für die Anschlussberufung folgt dies unmittelbar aus §
524 Abs. 4 ZPO, für die zweitinstanzlich erhobene Widerklage aus § 533 Nr. 2 i.V.m. § 529 ZPO.
Die Einbeziehung der zweitinstanzlichen Widerklage in das Berufungsverfahren entspricht in einer solchen Situation überdies dem Grund-satz der Prozessökonomie ([X.] Nürnberg, [X.], 171, 172; Musielak/[X.] aaO § 533 Rn. 2; [X.]/[X.] aaO § 533 Rn. 6 zur Klageänderung in zweiter Instanz).

Wird jedoch die (Haupt-)Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen und kommt es deshalb nicht zu einer mündli-chen Verhandlung über die Begründetheit der (Haupt-)Berufung und die inso-fern zugrunde zu legenden Tatsachen,
wird der Zulässigkeit
und Wirkung so-wohl der Anschlussberufung als auch der zweitinstanzlichen Widerklage die Grundlage entzogen. Beide würden, entfiele ihre Wirkung dennoch nicht, ent-gegen der Intention des Gesetzgebers in den Mittelpunkt des Berufungsverfah-rens gerückt und den einzigen Gegenstand der Berufungsverhandlung bestim-men.

Angesichts dieser
vergleichbaren systematischen Zusammenhänge, in die Anschlussberufung und zweitinstanzliche Widerklage eingebettet sind, [X.] es
folgerichtig, beide
-
ungeachtet ihrer unterschiedlichen Prozessziele
-
gleich zu behandeln, wenn mit dem Wegfall des Erfordernisses einer mündli-chen Verhandlung über die (Haupt-)Berufung zugleich auch die Grundlage
für die Einbeziehung von Anschlussberufung und (zweitinstanzlicher) Widerklage in das Berufungsverfahren entfällt. Eine zweitinstanzlich erhobene Widerklage
32
33
-

16

-

verliert daher entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, wenn die den erst-instanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einstimmigen [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird.

3.
Das Berufungsgericht hat somit zutreffend festgestellt, dass die [X.] der Beklagten wirkungslos sind. Dementsprechend war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

[X.]
[X.]

[X.]

Remmert
[X.]
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.02.2011 -
73 O 1575/09 -

[X.] [X.], Entscheidung vom 26.11.2012 -
20 U 919/11 -

34

Meta

III ZR 403/12

24.10.2013

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2013, Az. III ZR 403/12 (REWIS RS 2013, 1681)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1681

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Antragsgemäße Verurteilung, Beschwer, Zurückweisung durch Beschluss, Berufungszurückweisung, großer Schadensersatzanspruch, Minderwert, Wechsel zu Minderwert, Klageänderung, Änderung …


III ZR 84/15 (Bundesgerichtshof)

Berufungsverfahren: Folgen einer Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss für eine in der Berufungsinstanz vorgenommene …


IX ZR 144/20 (Bundesgerichtshof)

Abstandnahme vom Urkundenprozess nach Hinweis auf Erfolglosigkeit im Berufungsverfahren


III ZR 84/15 (Bundesgerichtshof)


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III ZR 403/12

2 U 108/03

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