Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.09.2013, Az. XI B 114/12

11. Senat | REWIS RS 2013, 2954

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unzulässige Überraschungsentscheidung bei nicht erörterter Schätzungsmethode


Leitsatz

1. NV: Das FG ist grundsätzlich nicht gehalten, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass es von seiner gesetzlichen Schätzungsbefugnis Gebrauch machen will .

2. NV: Zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung ist das FG aber verpflichtet, den Beteiligten eine von ihm in Betracht gezogene, bisher nicht erörterte Schätzungsmethode vorweg mitzuteilen, wenn diese den bereits erörterten Schätzungsmethoden nicht mehr ähnlich ist oder die Einführung neuen Tatsachenstoffs erforderlich wird .

Tatbestand

1

I. Die mit Gesellschaftsvertrag vom … 2007 gegründete Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine GbR, betreibt einen Milchwirtschaftsbetrieb. Einer der beiden Gesellschafter der Klägerin ist eine [[[[X.].].].] Firma, die [[[X.].].], der andere Gesellschafter heißt Y.

2

Bei einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin 2007 von der [[[X.].].] insgesamt 79 Milchkühe aus den [[X.].] für ihr Unternehmen bezogen und im Gegenzug 80 Jungtiere in die [[X.].] geliefert hatte. Die Klägerin behandelte die Lieferung als wertgleichen Tausch. Der Prüfer legte entsprechend den Angaben des Geschäftsführers der [[[X.].].], [X.], pro Milchkuh als Wert einschließlich [[[[X.].].].]r Umsatzsteuer 1.250 € zugrunde und ging somit für die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs [X.] von § 1a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von einer Bemessungsgrundlage von 93.160 € aus.

3

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) setzte die Umsatzsteuer mit Bescheid für das [X.] (Streitjahr) vom 16. Mai 2011 entsprechend fest und wies den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die [X.] [X.] von § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG von 12.500 € werde bei dem Erwerb der 79 Milchkühe aus den [[X.].] deutlich überschritten. Die Klägerin sei entgegen ihrer Auffassung erst zum … 2007 --und nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt-- entstanden.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der hiergegen erhobenen Klage zum Teil statt. Zwar sei für die Klägerin im Zeitpunkt des Beginns ihrer unternehmerischen Tätigkeit absehbar gewesen, dass sie die [X.] nach § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG überschreiten werde. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid verletze die Klägerin jedoch insoweit in ihren Rechten, als das [X.] von einer zu hohen Bemessungsgrundlage für den innergemeinschaftlichen Erwerb ausgegangen sei.

5

Unstreitig habe die Klägerin im Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages vom … 2007 beabsichtigt, Jungvieh in die [[X.].] zu liefern und im Gegenzug Milchkühe aus den [[X.].] zu beziehen. Der Wert der aus den [[X.].] bezogenen Tiere sei dabei nach dem Wert der hingegebenen Tiere, also dem Jungvieh der Klägerin zu bemessen. Denn die sog. subjektive Bewertungsmethode werde beim Tausch dadurch umgesetzt, dass als Wert der Gegenleistung der Wert angesetzt werde, den der Leistende für diese aufwende. Die Auffassung des [X.], dass der Verkehrswert und die Angabe des Geschäftsführers der [X.] zugrunde zu legen seien, wonach die Tiere jeweils einen Wert von je 1.250 € hätten, sei unzutreffend.

6

Im Wege der Schätzung halte es das [X.] vielmehr für angemessen, den Wert der hingegebenen Tiere nach den Werten zu ermitteln, welche die Gesellschafter der Klägerin als fremde Dritte in dem zum … 2008 erstellten Jahresabschluss festgelegt hätten. Dort seien 85 Stück Jungvieh mit einem Wert von insgesamt 26.780 € aufgeführt. Hieraus errechne sich für die von der Klägerin hingegebenen 80 Tiere ein Mittelwert von 25.040 €. Da die Klägerin bis zur Übertragung der Tiere noch weitere Kosten gehabt habe, sei es angemessen, von einem Wert von 26.000 € für die hingegebenen Tiere auszugehen. Damit sei die [X.] des § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG überschritten. Die Umsatzsteuerfestsetzung sei gegenüber der bisherigen Festsetzung von [X.] zu ermäßigen auf eine festzusetzende Steuer von [X.].

7

Mit der hiergegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich das [X.] auf das Vorliegen von Verfahrensfehlern [X.] von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) insbesondere in Gestalt einer unzulässigen Überraschungsentscheidung. Das [X.] trägt insoweit vor, dass die Wertermittlung der Bemessungsgrundlage, die das [X.] seiner Entscheidung letztlich zugrunde gelegt habe, nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sei. Vielmehr habe das [X.] nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon ausgehen können, dass im Falle der teilweisen Klagestattgabe die Bemessungsgrundlage entsprechend dem Hilfsantrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin allenfalls auf 75.000 € herabgesetzt würde.

Entscheidungsgründe

8

II. [X.] ist zulässig und begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 [X.]O zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

9

1. [X.] hat eine i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O verfahrensfehlerhafte unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen und damit gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes und § 96 Abs. 2 [X.]O verstoßen.

a) Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das [X.] seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (vgl. z.B. Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 11. Februar 2003 XI B 4/02, [X.] 2003, 802; vom 20. November 2008 XI B 222/07, [X.] 2009, 404; vom 12. Dezember 2012 XI B 70/11, [X.] 2013, 705, Rz 28).

b) Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt.

Das [X.] ist zwar im Rahmen der gebotenen Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich nicht gehalten, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass es --wie hier-- von seiner gesetzlichen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 162 der Abgabenordnung Gebrauch machen will (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. August 1999 XI R 27/98, [X.] 2000, 537). Zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung ist es aber verpflichtet, den Beteiligten eine von ihm in Betracht gezogene, bisher nicht erörterte [X.] vorweg mitzuteilen, wenn diese den bereits erörterten [X.]n nicht mehr ähnlich ist oder die Einführung neuen Tatsachenstoffs erforderlich wird (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, [X.], 158, [X.] 1982, 409, unter 1.e, und [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 96 [X.]O Rz 233, 145).

Das [X.] hat es ausweislich der Entscheidungsgründe seines Urteils als [X.] für angemessen gehalten, den Wert der hingegebenen Tiere nach den Werten zu ermitteln, welche die Gesellschafter der Klägerin als fremde Dritte in dem zum … 2008 erstellten Jahresabschluss festgelegt hatten. Dabei handelt es sich um eine [X.], die nach dem unbestrittenen Vortrag des [X.] und der Aktenlage zu keiner Zeit erörtert wurde und die von den bisher vorgenommenen Wertermittlungen der Beteiligten erheblich abweicht. Die Vorgehensweise des [X.] ist daher in seiner Qualität einem nicht erkennbaren neuen rechtlichen Gesichtspunkt vergleichbar (BFH-Urteil in [X.], 158, [X.] 1982, 409, unter 1.e), bei dem den Beteiligten im Rahmen der gebotenen Gewährung rechtlichen Gehörs zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss.

2. Es ist geboten, nach § 116 Abs. 6 [X.]O die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, um es dem [X.] zu ermöglichen, die erforderliche Gewährung rechtlichen Gehörs zu der von ihm in seiner Entscheidung gewählten [X.] nachzuholen.

Meta

XI B 114/12

10.09.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 5. Juli 2012, Az: 16 K 376/11, Urteil

§ 162 AO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.09.2013, Az. XI B 114/12 (REWIS RS 2013, 2954)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2954

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X B 146/15 (Bundesfinanzhof)

Nichtzulassung der Revision bei behaupteten Schätzungsfehlern - Rüge eines Verstoßes gegen den Akteninhalt


X B 120/18 (Bundesfinanzhof)

Hinweispflicht des FG bei Austausch der Schätzungsmethode


VIII B 51/21 (Bundesfinanzhof)

Zur grundsätzlichen Bedeutung der Prüfung einzelner Umstände aufgrund formeller Buchführungsmängel eines Rechtsanwalts


X B 117/18 (Bundesfinanzhof)

Richtsatzschätzung bei fehlerhafter elektronischer Registrierkasse


X B 60/17 (Bundesfinanzhof)

Hinweise zur Schätzungsmethode


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.