Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.03.2012, Az. IX ZB 242/09

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7599

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Gegenstand

Prüfungsumfang in Anerkennungsverfahren für israelische Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen


Leitsatz

Dem Anerkennungsgericht obliegt die Prüfung bei der Anerkennung israelischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ob die vom Gericht des Entscheidungsstaats in Anspruch genommene Zuständigkeit im Vertragskatalog enthalten ist.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Antragsgegnerin werden die Beschlüsse des 9. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 5. Oktober 2009 und der [X.] für Handelssachen des [X.] vom 16. März 2009 aufgehoben.

Der Antrag, die Entscheidung des [X.] vom 26. Oktober 2005 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens aller Instanzen zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 68.804,78 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin (fortan: Gläubigerin), eine Gesellschaft mit Sitz in [X.], kaufte bei der in [X.] ansässigen Antragsgegnerin (fortan: Schuldnerin) ein technisches Gerät. In die Vertragsverhandlungen und die Vertragsabwicklung war eine in [X.] ansässige Person eingeschaltet, die von der Schuldnerin in der Korrespondenz mit der Gläubigerin als vor Ort tätige Vertreterin ("local agent") bezeichnet wurde. Die Gläubigerin verklagte die Schuldnerin und ihren lokalen Agenten aus [X.]. In dem Rechtsstreit vor den [X.] Gerichten machte die Schuldnerin - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Belang - geltend, das [X.] sei international nicht zuständig. In der Sache machte sie keine Angaben.

2

Das [X.] hielt sich für international zuständig, weil die Klage der Beklagten nach [X.] Recht wirksam zu Händen ihres [X.] Agenten als einen Berechtigten der Geschäftsverwaltung zugestellt worden sei. Im Übrigen liege der Erfüllungsort zuständigkeitsbegründend in [X.]. Durch Entscheidung vom 26. Oktober 2005 verurteilte es die Schuldnerin zur Zahlung von 392.029 Neuen [X.]ischen Shekel ([X.]) nebst Zinsen, Teuerungsausgleich und Anwaltskosten. Das Rechtsmittel der Schuldnerin gegen diese Entscheidung hatte keinen Erfolg. Am 13. Februar 2008 bescheinigte das [X.] der Gläubigerin, der Gerichtsbeschluss sei durchführungs- und durchsetzungsfähig sowie unanfechtbar.

3

Auf Antrag der Gläubigerin hat das [X.] die Entscheidung des Amtsgerichts [X.] vom 26. Oktober 2005 für vollstreckbar erklärt. Mit ihrer Beschwerde hat die Schuldnerin unter anderem gerügt, das [X.] sei international nicht zuständig gewesen. Das [X.] hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihr Ziel weiter, dass der Antrag der Gläubigerin auf Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Amtsgerichts [X.] abgewiesen wird.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Der Antrag der Gläubigerin, die Entscheidung des Amtsgerichts [X.] vom 26. Oktober 2005 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen (§ 4 Abs. 2, § 8 Abs. 1 [X.]), ist unbegründet.

5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nach dem [X.] zwischen der Bundesrepublik [X.] und dem Staat [X.] über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. [X.] - nachfolgend: Vertrag) lägen vor. Auf eine fehlende Zuständigkeit des Amtsgerichts [X.] könne sich die Schuldnerin nicht berufen, weil die [X.] Gerichte gemäß Art. 8 Abs. 2 des Vertrages bei der Beurteilung der Zuständigkeit des Gerichts in [X.] an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, aufgrund deren das Gericht seine Zuständigkeit angenommen habe, gebunden seien.

6

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

7

a) Gemäß Art. 10 des Vertrages sind Entscheidungen des Gerichts des einen Staates in dem anderen Staat zur Zwangsvollstreckung zuzulassen, wenn sie im Entscheidungsstaat vollstreckbar und im [X.] anzuerkennen sind. Nach Art. 3 des Vertrages werden die in Zivil- und Handelssachen über Ansprüche der Parteien ergangenen Entscheidungen der Gerichte, die nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden können, in dem jeweils anderen Staat anerkannt. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung hat sich das angerufene Gericht gemäß Art. 16 Abs. 1 des Vertrages auf die Prüfung zu beschränken, ob die nach Art. 15 des Vertrages erforderlichen Urkunden - wie hier - beigebracht sind und ob einer der in Art. 5 oder 6 Abs. 2 des Vertrages genannten Versagungsgründe vorliegt.

8

Nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Vertrages ist die Anerkennung zu versagen, wenn für die Gerichte im Entscheidungsstaat keine Zuständigkeit im Sinne des Art. 7 des Vertrages (indirekte Zuständigkeit - Denkschrift, BT-Drucks. 8/3866, [X.]) gegeben war. Nach Absatz 1 der genannten Regelung wird die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats in den dort aufgeführten Fällen anerkannt, soweit der [X.] nach seinem Recht für die Klage, die zur Entscheidung geführt hat, nicht ausschließlich zuständig ist (Art. 7 Abs. 2 des Vertrages). Dies beurteilt sich danach, ob aus Sicht des [X.]s das Gericht des [X.] zur Entscheidung berufen war ([X.], Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Rn. 852).

9

b) Die Überprüfung, ob das [X.] sich zu Recht als im Sinne des Vertrages zuständig angesehen hat, ist den [X.] Gerichten im Anerkennungsverfahren nicht durch Art. 8 Abs. 2 des Vertrages verwehrt. Allerdings schreibt diese Bestimmung vor, dass die Gerichte im [X.] bei der Beurteilung der Zuständigkeit des Entscheidungsgerichts an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gebunden sind, aufgrund derer das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit bejaht hat. Die Regelung will erreichen, dass bei der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus dem anderen Vertragsstaat grundsätzlich nicht mehr geprüft wird, ob das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit zu Recht oder Unrecht angenommen hat (Denkschrift zum Vertrag, BT-Drucks. 8/3866, S. 15 f zu Art. 8; vgl. auch [X.], Beschluss vom 18. September 2001 - [X.], [X.], 2121, 2122; vom 14. April 2005 - [X.], [X.], 1341, 1343). Dadurch sollen widerstreitende Zuständigkeitsentscheidungen vermieden und die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung erleichtert und beschleunigt werden. Die Vertragsstaaten unterwerfen durch Art. 8 Abs. 2 des Vertrages im Anwendungsbereich von Art. 7 des Vertrages die Mitglieder ihrer Rechtsgemeinschaft weitgehend der Anwendung des Rechts des anderen Staates. Soweit das Gericht des Entscheidungsstaates für die Prüfung seiner Zuständigkeit die lex fori anzuwenden hat, ist im Zweifel davon auszugehen, dass es die einschlägigen Normen geprüft hat. Dies gilt sogar dann, wenn die Urteilsgründe die Frage der Zuständigkeit nicht behandeln ([X.], Beschluss vom 18. September 2001, aaO, [X.]; vom 14. April 2005, aaO).

Doch ist schon nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 des Vertrages eine Überprüfung der Anerkennungszuständigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Den Gerichten des [X.]es ist es nur verwehrt, die tatsächliche und rechtliche Würdigung, die das Gericht im Entscheidungsstaat vorgenommen hat, einer Überprüfung zu unterziehen. Ungeachtet dieser Bindungswirkung obliegt dem Anerkennungsgericht aber die Prüfung, ob die vom Gericht des Entscheidungsstaats in Anspruch genommene Zuständigkeit im Zuständigkeitskatalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages erwähnt ist und sie durch keine ausschließliche Zuständigkeit des [X.]es verdrängt wird ([X.], Beschluss vom 14. April 2005, aaO, S. 1342). Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck der Vertragsbestimmungen. Die Zuständigkeitsregelungen des Art. 7 des Vertrages würden obsolet, würde man dem Gericht des [X.]es nicht einmal die Befugnis einräumen zu prüfen, ob die vom Gericht des Entscheidungsstaates angenommene Zuständigkeit im Katalog genannt ist. Von einer unbestimmten Bindung im Anerkennungsverfahren kann in Anbetracht der detaillierten Bestimmungen, die der Vertrag enthält, nicht ausgegangen werden (vgl. [X.], aaO S. 1343).

c) Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des [X.]s [X.] leiten die von ihnen angenommene internationale Zuständigkeit, ohne eine Katalogzuständigkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 des Vertrages zu nennen, aus dem Umstand ab, dass die Klage der damaligen Beklagten und heutigen Schuldnerin wirksam nach [X.] Recht an den in [X.] ansässigen lokalen Agenten zugestellt worden sei. Weiter stellen die [X.] Gerichte darauf ab, dass in [X.] der Erfüllungsort liege.

Der Gerichtsstand des [X.] ist in Art. 7 Abs. 1 des Vertrages nicht erwähnt. Einen Gerichtsstand, der an den ([X.] des "Berechtigten der Geschäftsverwaltung" anknüpft, kennt Art. 7 Abs. 1 des Vertrages ebenfalls nicht. Das Erstgericht begründet seine Zuständigkeit mithin nicht mit einem im Zuständigkeitskatalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages genannten Gerichtsstand, insbesondere nicht mit dem Gerichtsstand des rügelosen Einlassens zur Hauptsache nach Art. 7 Abs. 1 Nr. 11 - das [X.] stellt ausdrücklich fest, dass die damalige Beklagte und heutige Schuldnerin keine Verteidigungsschrift eingereicht habe und es deswegen eine Säumnisentscheidung (Gerichtsbeschluss wegen fehlender "Verteidigungsschrift") erlasse - oder mit dem Gerichtsstand der Niederlassung der Schuldnerin in [X.], Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 - diesbezüglich verweist das [X.] ausdrücklich darauf, dass die damalige Beklagte und heutige Schuldnerin in [X.] nicht ansässig war.

3. Die Entscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen richtig.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und des [X.]s [X.] waren die [X.] Gerichte nicht gemäß Art. 7 Abs. 1 des [X.] zuständig. Insbesondere hatte die Schuldnerin keine geschäftliche Niederlassung oder eine Zweigniederlassung in [X.].

Sie unterhielt in [X.] kein Büro. Zwar vertrieb der lokale Agent nach den Feststellungen der [X.] Entscheidungen ihre Produkte nicht in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Er schloss die Verträge mit der Gläubigerin jedoch nicht selbständig ab. Vielmehr bahnte die Gläubigerin die Geschäftsbeziehung direkt mit der Schuldnerin an. Diese erstellte selbst das Angebot, auch wenn sie es über ihren Agenten der Gläubigerin übermitteln ließ. Der Vertragsschluss wiederum erfolgte unmittelbar zwischen Gläubigerin und Schuldnerin ohne seine Einschaltung. Er war dann erst wieder mit der Vertragsabwicklung befasst und wurde der Gläubigerin von der Schuldnerin als örtlicher Ansprechpartner genannt. Dies genügt nicht, um eine Niederlassung der Schuldnerin zu begründen ([X.], Urteil vom 22. November 1978 - [X.]/78, [X.] 1979, 56, 58 zu Art. 5 Nr. 5 [X.]; vgl. auch [X.]/von [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 5 [X.] Rn. 103; [X.]/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., [X.], Art. 5 Rn. 304 ff).

Dass ein Gerichtsstand aus dem Zuständigkeitskatalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages vorgelegen hätte, wurde von der Gläubigerin im Anerkennungsverfahren auch nicht geltend gemacht. Dazu hätte sie aber Anlass gehabt, nachdem die [X.] Gerichte die internationale Zuständigkeit nicht mit einem Gerichtsstand aus Art. 7 Abs. 1 des Vertrages begründet haben.

III.

Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst in der Sache zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Der Antrag der Gläubigerin auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ist unter Aufhebung auch der Entscheidung des [X.]s als unbegründet abzulehnen.

[X.]                                                 Gehrlein

                            Grupp                                                 [X.]

Meta

IX ZB 242/09

29.03.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 5. Oktober 2009, Az: 9 W 279/09

Art 7 Abs 1 VollstrVtr ISR, Art 8 Abs 2 VollstrVtr ISR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.03.2012, Az. IX ZB 242/09 (REWIS RS 2012, 7599)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7599

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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