Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2012, Az. IX ZB 242/09

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7588

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB
242/09

vom

29. März
2012

in dem Anerkennungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
Deutsch-[X.] Vollstr.Vertrag Art. 8 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1
Dem [X.] obliegt die Prüfung bei der Anerkennung [X.] Ent-scheidungen in Zivil-
und Handelssachen, ob die vom Gericht des Entscheidungs-staats in Anspruch genommene Zuständigkeit im [X.] enthalten ist.
[X.], Beschluss vom 29. März 2012 -
IX [X.]/09 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] Dr.
Kayser, [X.], Prof. Dr. Gehrlein, [X.] und die Richterin Möhring

am
29. März
2012
beschlossen:

Auf die Rechtsmittel
der Antragsgegnerin
werden
die Beschlüsse
des 9.
Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 5.
Oktober 2009 und der 2.
Kammer für Handelssachen des [X.] vom 16. März 2009 aufgehoben.

Der Antrag, die Entscheidung des [X.] vom 26. Ok-tober 2005 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen, wird ab-gelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens aller Instanzen
zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 68.804,78

-

3

-
Gründe:

I.

Die Antragstellerin (fortan: Gläubigerin), eine Gesellschaft
mit Sitz in
[X.],
kaufte bei der in [X.] ansässigen
Antragsgegnerin (fortan: Schuldnerin)
ein technisches Gerät. In die Vertragsverhandlungen und die [X.] war eine in [X.] ansässige Person eingeschaltet, die von der Schuldnerin in der Korrespondenz mit der Gläubigerin als vor Ort tätige Vertre-terin ("local agent") bezeichnet wurde. Die Gläubigerin verklagte die Schuldne-rin und ihren lokalen Agenten aus [X.]. In dem Rechtsstreit vor den [X.] Gerichten
machte die Schuldnerin -
soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Belang
-
geltend, das [X.] sei international nicht zuständig. In der Sache machte sie keine Angaben.

Das
[X.] hielt sich für international
zuständig, weil die [X.] der Beklagten nach [X.] Recht wirksam zu Händen ihres israeli-schen Agenten als einen Berechtigten der Geschäftsverwaltung zugestellt [X.] sei. Im Übrigen liege der Erfüllungsort zuständigkeitsbegründend in [X.]. Durch Entscheidung vom 26.
Oktober 2005 verurteilte es die Schuldnerin zur Zahlung von 392.029
Neuen [X.]ischen
Shekel ([X.]) nebst Zinsen, [X.] und Anwaltskosten. Das Rechtsmittel der Schuldnerin gegen diese Entscheidung hatte keinen Erfolg. Am 13.
Februar 2008 bescheinigte das [X.] der Gläubigerin, der Gerichtsbeschluss sei durchführungs-
und durchsetzungsfähig sowie unanfechtbar.
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2
-

4

-

Auf Antrag der Gläubigerin hat
das Landgericht
die Entscheidung des [X.] vom 26.
Oktober 2005 für vollstreckbar
erklärt. Mit ihrer Be-schwerde hat die Schuldnerin
unter anderem gerügt, das [X.] sei international nicht zuständig gewesen. Das [X.] hat die Be-schwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihr Ziel weiter, dass der Antrag der Gläubigerin auf Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des [X.] abgewiesen wird.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
15 Abs.
1 [X.], §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß §
574 Abs.
2 ZPO zu-lässig. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Der [X.] der Gläubigerin, die Entscheidung des Amtsgerichts
[X.] vom 26. Oktober 2005 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen (§
4 Abs.
2, §
8 Abs.
1 [X.]),
ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nach dem Vertrag vom 20.
Juli 1977 zwischen der Bun-desrepublik [X.] und dem Staat [X.] über die gegenseitige Anerken-nung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssa-chen (BGBl. [X.] S.
926 -
nachfolgend: Vertrag) lägen vor. Auf eine fehlende Zuständigkeit des [X.] könne sich die Schuldnerin nicht berufen, weil die [X.] Gerichte gemäß Art.
8 Abs.
2 des Vertrages bei der Beurtei-lung der Zuständigkeit des Gerichts in [X.] an die tatsächlichen und rechtli-3
4
5
-

5

-
chen Feststellungen, aufgrund deren das Gericht seine Zuständigkeit ange-nommen habe, gebunden seien.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Gemäß Art.
10 des Vertrages sind Entscheidungen des Gerichts des einen Staates in dem anderen Staat zur Zwangsvollstreckung zuzulassen, wenn sie im [X.] vollstreckbar und im [X.] [X.] sind. Nach Art.
3 des Vertrages werden die in Zivil-
und Handelssa-chen über Ansprüche der Parteien ergangenen Entscheidungen der Gerichte, die nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden [X.], in dem jeweils anderen Staat anerkannt. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung hat sich das angerufene Gericht gemäß Art.
16 Abs.
1 des Vertrages auf die Prüfung zu beschränken, ob die nach Art.
15
des Vertrages erforderlichen
Urkunden -
wie hier
-
beigebracht sind und ob einer der in Art.
5 oder
6 Abs.
2 des Vertrages genannten Versa-gungsgründe vorliegt.

Nach Art.
5 Abs.
1 Nr.
1 des Vertrages ist die Anerkennung zu versagen, wenn für die
Gerichte im [X.] keine Zuständigkeit im Sinne des
Art.
7 des Vertrages (indirekte Zuständigkeit -
Denkschrift, BT-Drucks. 8/3866, S.
14) gegeben war. Nach Absatz
1 der genannten Regelung wird die internati-onale Zuständigkeit des
[X.]s
in den
dort aufgeführten
Fällen anerkannt, soweit der [X.] nach seinem Recht für die Klage, die zur Entscheidung geführt hat, nicht ausschließlich zuständig ist (Art.
7 Abs.
2 des Vertrages).
Dies beurteilt sich danach, ob aus Sicht des [X.] zur Entscheidung berufen war ([X.], Internationales Zivilprozessrecht, 6.
Aufl., Rn.
852).
6
7
8
-

6

-

b) Die Überprüfung, ob
das [X.] sich zu Recht als
im Sinne des Vertrages
zuständig angesehen hat, ist den [X.] Gerichten im Aner-kennungsverfahren nicht durch Art.
8 Abs.
2 des Vertrages verwehrt. Allerdings schreibt diese Bestimmung vor, dass die Gerichte im [X.] bei der Beurteilung der Zuständigkeit des Entscheidungsgerichts an die [X.] und rechtlichen Feststellungen gebunden sind, aufgrund derer das Gericht im [X.] seine Zuständigkeit bejaht hat. Die Regelung will errei-chen, dass bei der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus dem anderen Vertragsstaat grundsätzlich nicht mehr geprüft wird, ob das [X.] im
[X.] seine Zuständigkeit zu Recht oder Unrecht ange-nommen hat (Denkschrift zum Vertrag, BT-Drucks. 8/3866, S.
15
f zu Art.
8; vgl. auch [X.], Beschluss vom 18.
September 2001 -
IX
ZB 75/99, [X.], 2121, 2122; vom 14.
April 2005 -
IX
ZB 175/03, [X.], 1341, 1343).
Dadurch [X.] widerstreitende Zuständigkeitsentscheidungen vermieden und die gegensei-tige Anerkennung und Vollstreckung erleichtert und beschleunigt werden.
Die Vertragsstaaten unterwerfen
durch Art.
8 Abs.
2 des [X.] von Art.
7 des Vertrages die Mitglieder ihrer Rechtsgemeinschaft weitgehend der Anwendung des Rechts des anderen Staates. Soweit das [X.] des [X.]es für die Prüfung seiner Zuständigkeit die lex fori anzuwenden hat, ist im Zweifel davon auszugehen, dass es die einschlägigen Normen geprüft hat. Dies gilt sogar dann, wenn die Urteilsgründe die Frage der Zuständigkeit nicht behandeln ([X.], Beschluss vom 18.
September
2001, aaO, S.
2122;
vom 14.
April 2005, aaO).

Doch ist schon nach dem Wortlaut von Art.
8 Abs.
2 des Vertrages eine Überprüfung der Anerkennungszuständigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Den Gerichten des [X.]es ist es nur verwehrt, die tatsächliche 9
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-

7

-
und rechtliche Würdigung, die das Gericht im [X.] vorgenom-men hat, einer Überprüfung zu unterziehen. Ungeachtet dieser Bindungswir-kung obliegt dem [X.] aber die Prüfung, ob die vom Gericht des [X.]s in Anspruch genommene Zuständigkeit im Zuständig-keitskatalog des Art.
7 Abs.
1 des Vertrages erwähnt ist und sie durch keine ausschließliche Zuständigkeit des [X.]es verdrängt wird ([X.], Beschluss vom 14.
April 2005, aaO, S.
1342).
Diese Auslegung entspricht
dem
Sinn und Zweck der Vertragsbestimmungen. Die Zuständigkeitsregelungen des Art.
7 des Vertrages würden obsolet, würde man dem Gericht des Anerken-nungsstaates nicht einmal die Befugnis einräumen zu prüfen, ob die vom [X.] des [X.]es angenommene Zuständigkeit im Katalog ge-nannt ist. Von einer unbestimmten Bindung im Anerkennungsverfahren
kann in Anbetracht der detaillierten Bestimmungen, die der Vertrag enthält, nicht aus-gegangen werden
(vgl.
[X.], aaO S.
1343).

c) Die
Entscheidungen des Amtsgerichts und des [X.] [X.] leiten die von ihnen angenommene internationale Zuständigkeit, ohne eine Ka-talogzuständigkeit gemäß Art.
7 Abs.
1 des Vertrages zu nennen,
aus dem [X.] ab, dass die Klage der damaligen Beklagten und heutigen Schuldnerin wirksam nach [X.] Recht an den in [X.] ansässigen lokalen
Agenten zugestellt worden sei.
Weiter stellen die [X.] Gerichte darauf ab, dass in [X.] der Erfüllungsort liege.

Der Gerichtsstand des [X.] ist in Art.
7 Abs.
1 des Vertrages nicht erwähnt. Einen
Gerichtsstand, der an den ([X.] des "Berechtigten der Geschäftsverwaltung" anknüpft, kennt Art.
7 Abs.
1 des Vertrages ebenfalls nicht.
Das Erstgericht begründet seine Zuständigkeit mithin nicht mit einem im Zuständigkeitskatalog des Art.
7 Abs.
1 des Vertrages genannten Gerichts-11
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-

8

-
stand, insbesondere nicht mit dem Gerichtsstand des rügelosen Einlassens zur Hauptsache nach Art.
7 Abs.
1 Nr.
11 -
das [X.] stellt ausdrücklich fest, dass die damalige Beklagte und heutige Schuldnerin keine Verteidigungs-schrift eingereicht habe
und es deswegen eine Säumnisentscheidung ([X.]sbeschluss wegen fehlender "Verteidigungsschrift") erlasse
-
oder mit dem Gerichtsstand
der Niederlassung der Schuldnerin in [X.], Art.
7 Abs.
1 Nr.
2 -
diesbezüglich verweist das [X.] ausdrücklich darauf, dass die damalige Beklagte und heutige Schuldnerin in [X.] nicht ansässig war.

3. Die Entscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen richtig.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und des Land-gerichts [X.] waren die [X.] Gerichte nicht gemäß Art.
7 Abs.
1 des Vertrages international
zuständig. Insbesondere hatte die Schuldnerin keine geschäftliche Niederlassung oder eine Zweigniederlassung in [X.].

Sie unterhielt in [X.] kein Büro. Zwar vertrieb der lokale Agent nach den Feststellungen der [X.] Entscheidungen ihre Produkte nicht in eigenem Namen und auf eigene Rechnung.
Er schloss die Verträge mit der Gläubigerin jedoch nicht selbständig ab. Vielmehr bahnte die Gläubigerin die Geschäftsbe-ziehung direkt mit der Schuldnerin
an. Diese erstellte selbst das Angebot, auch wenn sie es über ihren Agenten der Gläubigerin übermitteln ließ. Der Vertrags-schluss wiederum erfolgte unmittelbar zwischen Gläubigerin und Schuldnerin ohne seine Einschaltung. Er war dann erst wieder mit
der Vertragsabwicklung befasst
und wurde der Gläubigerin von der Schuldnerin als örtlicher [X.] genannt. Dies genügt nicht, um eine Niederlassung der Schuldnerin zu begründen
([X.], Urteil vom 22.
November 1978 -
Rs [X.]/78, [X.] 1979, 56, 58 zu Art.
5 Nr.
5 [X.]; vgl. auch [X.]/von [X.], Europäisches Zivilpro-13
14
15
-

9

-
zessrecht, 9.
Aufl., Art.
5 EuGVO Rn.
103; [X.]/Schütze, Europäisches Zivil-verfahrensrecht, 3.
Aufl., [X.], Art.
5 Rn.
304
ff).

Dass ein Gerichtsstand aus dem Zuständigkeitskatalog des Art.
7 Abs.
1 des Vertrages vorgelegen hätte, wurde von der Gläubigerin im Anerkennungs-verfahren
auch
nicht geltend gemacht. Dazu hätte sie aber Anlass gehabt, nachdem die [X.] Gerichte die internationale Zuständigkeit nicht mit einem Gerichtsstand aus Art.
7 Abs.
1 des Vertrages begründet haben.

III.

Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben (§
577 Abs.
4 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen [X.] bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst
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10

-
in der Sache zu entscheiden (§
577 Abs.
5 ZPO). Der Antrag der Gläubigerin auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ist unter Aufhebung auch der Entschei-dung des [X.] als unbegründet abzulehnen.

Kayser
Raebel
Gehrlein

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.03.2009 -
2 [X.]/08 -

OLG [X.], Entscheidung vom 05.10.2009 -
9 W 279/09 -

Meta

IX ZB 242/09

29.03.2012

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2012, Az. IX ZB 242/09 (REWIS RS 2012, 7588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7588

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZB 242/09

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