Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2013, Az. IX R 1/13

9. Senat | REWIS RS 2013, 3380

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Gegenstand

(Berechnung eines Auflösungsverlusts nach § 17 EStG - Nachträgliche Anschaffungskosten bei Inanspruchnahme aus eigenkapitalersetzender Gesellschafterbürgschaft)


Leitsatz

NV: Ob eine GmbH in eine Krise geraten ist, hat das FG aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls als Tatfrage zu entscheiden; dies gilt etwa für die Frage, ob eine Bürgschaft in einer Situation gewährt wurde, in der bei objektiver Betrachtung ex ante ein ordentlicher Kaufmann angesichts der Risikobehaftung der Rückzahlung der gesicherten Bankdarlehen durch die GmbH dieser Eigenkapital zugeführt hätte .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die Höhe eines [X.]es i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die Kläger und [X.] (Kläger) sind Eheleute, die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) zusammen zur Einkommensteuer für das Streitjahr (2008) veranlagt wurden. Der Kläger war alleiniger [X.]er und Geschäftsführer der 1998 gegründeten [X.] (GmbH) mit einem Stammkapital von 50.000 DM, deren Unternehmensgegenstand der An- und Verkauf von bebautem und unbebautem Grundbesitz sowie die Errichtung von Wohn- und Geschäftshäusern als Bauträger war.

3

Nachdem die [X.] die Vorfinanzierung einer Bebauung des von der GmbH erworbenen Grundstücks [X.] 1 nicht hatte weiterführen wollen, gewährte die [X.], mit der der Kläger als einziger Bank Verhandlungen geführt hatte, der [X.] ein Darlehen über 1.500.000 DM. Dabei stellte die [X.] die Gewährung des Kredits unter die Bedingung, dass der Kläger eine unbeschränkte selbstschuldnerische Bürgschaft zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber der [X.] übernahm. Am 26. Mai 1999 wurde ein entsprechender Bürgschaftsvertrag geschlossen. Darüber hinaus standen der [X.] eine Grundschuld von 1.000.000 DM auf den gesellschaftseigenen Grundstücken [X.] 1 und 3 sowie eine Bürgschaft der [X.] über 500.000 DM, für die der Kläger einen Avalkredit aufnahm, als Sicherheiten zur Verfügung.

4

Nachdem die GmbH 2003 in Zahlungsschwierigkeiten geriet, wurde der Kläger erstmals im Januar 2004 sowie in der Folgezeit --insgesamt mit einem Betrag von 701.247,46 €-- aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Hinzu kamen Anwaltskosten in Höhe von 6.186 €. 2008 wurde die GmbH wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht.

5

Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr setzte das [X.] den [X.] mit der Hälfte des Stammkapitals der GmbH (./. 12.782 €) an. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.

6

Der hiergegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht ([X.]) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 852 veröffentlichten Urteil statt. Das [X.] habe die im Jahr 1999 eingegangene Bürgschaft des [X.] zu Unrecht nicht in die Berechnung des [X.]es nach § 17 Abs. 4 EStG einbezogen.

7

Die GmbH habe sich im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft im Mai 1999 bereits in der Krise befunden. Die GmbH sei zu diesem Zeitpunkt [X.] gewesen; ihr hätten ausreichende Sicherheiten gefehlt. Zwar stehe nicht fest, ob eine andere Bank der GmbH zu diesem Zeitpunkt einen Kredit ohne eine Bürgschaft des [X.] zu marktüblichen Konditionen gewährt hätte. Der Umstand, dass es stets Banken gegeben habe und gebe, die bereit seien, risikoreiche Geschäfte zu finanzieren und weniger strenge Anforderungen an den Beleihungswert zu stellen, müsse aber außer Betracht bleiben. Es komme vielmehr allein auf die nach einer objektiven Betrachtungsweise zu bestimmende, im Streitfall vorliegende Kreditunwürdigkeit an.

8

Hiergegen richtet sich die Revision des [X.], mit der es die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 EStG) rügt. Für den Fall, dass von der [X.] selbst ausreichende Sicherheiten gestellt werden könnten, sei es für die Einordnung einer Bürgschaft als eigenkapitalersetzend nicht ausreichend, dass allein die Hausbank einen Kredit nicht ohne zusätzliche Verbürgung durch den [X.]er vergeben habe. Zusätzlich müsse feststehen, dass die [X.] den Kredit auch bei anderen Banken nicht ohne eine solche Bürgschaft hätte aufnehmen können.

9

Das [X.] beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Zutreffend hat das [X.] die Aufwendungen des [X.] im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme aus der maßgeblichen Bürgschaft als nachträgliche Anschaffungskosten bei der Berechnung des Auflösungsverlusts des [X.] berücksichtigt.

1. Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG i.d.[X.] gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der --regelmäßig bei Abschluss der Liquidation entstehende-- Gewinn aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften, wenn der [X.]er innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der [X.] qualifiziert beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hielt. Entsprechendes gilt für aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entstehende Verluste (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 7. Dezember 2010 IX R 16/10, [X.], 778, m.w.N.; zur zeitlichen Zuordnung vgl. auch [X.]-Urteil vom 28. Oktober 2008 IX R 100/07, [X.], 561, m.w.N.).

a) [X.] von § 17 Abs. 1, 2, 4 EStG ist der Betrag, um den die im Zusammenhang mit der Auflösung der [X.] vom Steuerpflichtigen (persönlich) getragenen Kosten (Auflösungskosten entsprechend § 17 Abs. 2 EStG) und seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen (s. [X.]-Urteile vom 3. Juni 1993 VIII R 23/92, [X.] 1994, 459; vom 12. Dezember 2000 VIII R 22/92, [X.], 108, [X.] 2001, 385). Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch nachträgliche Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das [X.]sverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteil vom 8. Februar 2011 IX R 53/10, [X.] 2011, 721, und in [X.], 778, m.w.N.).

b) Als in den Verlust einzubeziehende nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung kommen --bezogen auf den [X.] Leistungen des GmbH-[X.]ers aus einer für Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung in Betracht, wenn die Übernahme der Bürgschaft durch das [X.]sverhältnis veranlasst und die Rückgriffsforderung gegen die [X.] wertlos ist (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. [X.]-Urteil vom 4. März 2008 IX R 80/06, [X.], 451, [X.] 2008, 577). Die Anschaffungskosten erhöhen sich um den Nennwert der wertlos gewordenen Rückgriffsforderung, wenn die [X.] im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme bereits in der Krise war (vgl. u.a. [X.]-Urteil vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, [X.] 1999, 922). Maßgebend dafür ist, ob ein [X.]er der [X.] in einem Zeitpunkt, in dem ihr die [X.]er als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten, stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechende andere Rechtshandlung --insbesondere eine Bürgschaft-- ausführt ([X.]-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 9/98, [X.], 383, [X.] 1999, 817).

Ob die [X.] in eine Krise geraten ist, hat das [X.] aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls als Tatfrage zu entscheiden ([X.]-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX R 60/05, [X.], 896).

2. Nach diesen Grundsätzen ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass die maßgebliche Bürgschaft in der Krise hingegeben wurde und damit funktionales Eigenkapital im Sinne der Senatsrechtsprechung darstellt.

a) Das [X.] hat in möglicher, nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffener und damit den Senat bindender Weise (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) festgestellt, dass die Bürgschaft in einer Situation gewährt wurde, in der bei objektiver Betrachtung ex ante [X.] angesichts der Risikobehaftung der Rückzahlung der gesicherten Bankdarlehen durch die GmbH dieser Eigenkapital zugeführt hätte. Die die Krise verursachende Kreditunwürdigkeit der [X.] zeigt sich im Streitfall schon darin, dass sich die GmbH mit den vorhandenen gesellschaftseigenen Sicherungsmitteln den für die von ihr beabsichtigte Bauträgertätigkeit erforderlichen Kredit nicht aus [X.] verschaffen konnte.

Das [X.] begründet in seiner zutreffenden Gesamtwürdigung ein über die Vermögenswerte der GmbH hinausgehendes [X.] mit der fehlenden Expertise der GmbH und ihres [X.]er-Geschäftsführers auf dem mit besonderen Unwägbarkeiten verbundenen Gebiet der Bauträgertätigkeit sowie mit dem geringen Stammkapital, das dem damaligen gesetzlichen Mindestbetrag entsprach. Dieses [X.] manifestiert sich zum einen in der zusätzlichen Bürgschaft der [X.] in Höhe von 500.000 DM. Durch den dafür vom Kläger aufgenommenen Avalkredit sicherte dieser --wirtschaftlich gesehen-- den Kredit zu einem Drittel zweifach ab. Zu Recht bezieht das [X.] in seine Würdigung andererseits mit ein, dass der plötzliche und ohne Begründung erfolgte Ausstieg der [X.] aus der (Vor-)Finanzierung als Hinweis auf ein erhöhtes Risiko und mithin auf ein erhöhtes [X.] anzusehen war.

Der [X.], der mit der Kategorie des funktionalen Eigenkapitals gegenüber der älteren Rechtsprechung des [X.] ([X.]) eigenständige Kriterien entwickelt hat, welche die primär am Gläubigerschutz orientierten zivilrechtlichen Eigenkapitalersatzregeln als nicht allein ausschlaggebend ansieht (vgl. [X.]-Urteil vom 19. August 2008 IX R 63/05, [X.]E 222, 474), setzt sich damit nicht in Widerspruch zur älteren Rechtsprechung des [X.], nach der es für die Annahme der Kreditunwürdigkeit einer [X.] der Feststellung bedürfe, dass der Kredit außer von der finanzierenden Bank allgemein auf dem Kapitalmarkt nicht zu erlangen war ([X.]-Urteil vom 28. September 1987 [X.], [X.] --NJW-- 1988, 824; vgl. auch [X.]-Urteil vom 27. November 1989 II ZR 310/88, [X.] - [X.] Zivilrecht 1990, 230). Unbeschadet des Umstandes, dass der [X.] dieser Feststellung keine absolute Bedeutung im Sinne einer notwendigen Bedingung beigemessen hat, hat er in jüngeren Entscheidungen nicht an diesem Kriterium festgehalten (vgl. [X.]-Urteile vom 4. Dezember 1995 [X.], NJW 1996, 720; in dem trotz vergleichbarer Fallgestaltung zur Bestimmung der Krise ausschließlich auf andere Kriterien abgestellt wurde).

3. Die Aufwendungen der Kläger unterliegen nicht dem [X.] des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG. Der Abzug von [X.], insbesondere von (nachträglichen) Anschaffungskosten, ist im Rahmen der Ermittlung von Einkünften aus § 17 Abs. 1 und 4 EStG dann nicht gemäß § 3c Abs. 2 EStG begrenzt, wenn der Steuerpflichtige --wie im Streitfall vom [X.] festgestellt-- keinerlei durch seine Beteiligung vermittelten Einnahmen erzielt hat (vgl. [X.]-Urteil vom 6. April 2011 IX R 28/10, [X.]E 233, 439, [X.] 2011, 814).

Meta

IX R 1/13

20.08.2013

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 20. November 2012, Az: 13 K 180/11 E, Urteil

§ 17 Abs 4 EStG 2002, EStG VZ 2008, § 255 Abs 1 S 2 HGB, § 96 Abs 1 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2013, Az. IX R 1/13 (REWIS RS 2013, 3380)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3380

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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6 K 2234/17

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