Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.05.2018, Az. XI B 5/18

11. Senat | REWIS RS 2018, 9541

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Gegenstand

Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens muss begründet werden


Leitsatz

NV: Ein Urteil eines FG ist nicht mit Gründen versehen, wenn das FG von der Begründungserleichterung des § 105 Abs. 5 FGO Gebrauch macht, ohne auf einen im Laufe des Klageverfahrens sinngemäß gestellten Antrag einzugehen, das Verfahren wegen eines Billigkeitsverfahrens auszusetzen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 28. November 2017  8 K 941/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH, an der in den Streitjahren (2010 und 2011) nicht die A-GbR selbst beteiligt war, sondern die beiden Gesellschafter der A-GbR zu je 50 % beteiligt waren.

2

Die Klägerin führte [X.] aus und veräußerte außerdem im [X.] ihr Anlagevermögen an die A-GbR, das diese an die Klägerin zurückverpachtete.

3

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) ging nach Durchführung einer Außenprüfung in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre vom 31. Oktober 2014 davon aus, dass zwischen der A-GbR und der Klägerin in den Streitjahren keine Organschaft bestanden habe, weil die Klägerin nicht in die A-GbR finanziell eingegliedert gewesen sei. Die mittelbare Beteiligung über die Gesellschafter der A-GbR sei nicht ausreichend (vgl. Urteil des [X.] --BFH-- vom 22. April 2010 V R 9/09, [X.], 433, [X.], 597; zur Abgrenzung s. [X.] vom 24. Juli 2017 XI B 25/17, [X.], 1591). Die zur zeitlichen Anwendung u.a. dieses Urteils durch die Finanzverwaltung ergangene Übergangsregelung (Schreiben des [X.] --BMF-- vom 5. Juli 2011, [X.], 703) sei aus mehreren Gründen nicht anzuwenden. Der Verkauf des Anlagevermögens sei deshalb umsatzsteuerbar und -pflichtig.

4

Außerdem sei die Kassenführung der Klägerin aus mehreren Gründen nicht ordnungsgemäß gewesen, so dass eine [X.] von 10 % der [X.] vorzunehmen sei.

5

Der Einspruch der Klägerin hatte insoweit Erfolg, als das [X.] in der Einspruchsentscheidung vom 3. März 2016 die Höhe der [X.] auf 5 % der [X.] reduzierte. Im Übrigen wies das [X.] den Einspruch als unbegründet zurück und begründete u.a. unter 3. die [X.]en in Höhe von 5 % und unter 4. das Nichtvorliegen einer Organschaft.

6

Die Klägerin verfolgte ihr Begehren mit der Klage weiter und begründete die Klage mit Schreiben vom 18. September 2016, 21. November 2016 und 9. Januar 2017. Am 21. November 2016 stellte die Klägerin außerdem einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung (durch Anerkennung der Organschaft) aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung und wies das Finanzgericht ([X.]) darauf hin, sie werde ggf. beantragen, das Verfahren bis zu einer Entscheidung über den Billigkeitsantrag gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) "ruhen" zu lassen.

7

Das [X.] teilte dem [X.] dazu am 21. Februar 2017 mit, der Antrag sei abgelehnt und Einspruch eingelegt worden. Die Klägerin teilte am 20. September 2017 mit, das Billigkeitsverfahren werde fortgesetzt. Gleichzeitig beantragte die Klägerin, das Klageverfahren "ruhen" zu lassen. In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin des [X.] gegenüber dem [X.] erklärt, das dazu laufende Einspruchsverfahren sei noch nicht abgeschlossen.

8

Unter dem 26. September 2017 wurden die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung am Dienstag, den 28. November 2017 geladen.

9

Mit Telefax vom Montag, den 27. November 2017, 16:45 Uhr, ließ der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem [X.] mitteilen, dass er "erkrankt" sei und daher den Termin am 28. November 2017 nicht wahrnehmen könne. Mit Telefax vom selben Tag, 18:33 Uhr, ließ er beantragen, einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.

Das [X.] führte die mündliche Verhandlung durch, wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es entschied, der Termin sei nicht zu verlegen, da die Klägerin die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten nicht überprüfbar dargelegt habe. Zur Begründung, dass die Klage unbegründet sei, verwies das [X.] auf die Einspruchsentscheidung des [X.] unter 3., 4.a und 4.b.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O geltend. Zum einen habe das [X.] zu Unrecht den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht verlegt. Zum anderen habe das [X.] mit seiner Anwendung des § 105 Abs. 5 [X.]O den Vortrag der Klägerin in den Schriftsätzen vom 18. September 2016 und 21. November 2016 außer [X.] gelassen und sich nicht damit auseinandergesetzt.

Entscheidungsgründe

[X.]

Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das [X.] hat im Rahmen der Entscheidungsgründe zwar gemäß § 105 Abs. 5 [X.]O auf die Entscheidungsgründe der Einspruchsentscheidung verwiesen, dabei aber das neue Vorbringen der Klägerin nicht berücksichtigt.

1. Dem [X.] ist zwar nicht, wie die Klägerin meint, bereits dadurch ein Verfahrensfehler unterlaufen, dass es die mündliche Verhandlung vom 28. November 2017 nicht verlegt hat; denn auch bei [X.], die am Nachmittag des Vortags der mündlichen Verhandlung gestellt werden, muss der Antragsteller die erheblichen Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) so genau angeben, dass sich das Gericht aufgrund der Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann (vgl. [X.] vom 5. September 2012 II B 61/12, [X.], 1995, Rz 4; vom 26. November 2013 I B 2/13, [X.], 542, Rz 1 und 3; vom 8. September 2015 XI B 33/15, [X.], 1690, Rz 12; Beschluss des [X.] vom 7. November 2017 B 13 R 153/17 B, juris, Rz 9 f.). Dies ist in den Telefaxen vom 27. November 2017, 16:45 Uhr und 18:33 Uhr, die der Vorsitzenden erst am 28. November 2017 um 8:15 Uhr vorlagen, nicht geschehen.

2. Allerdings ist das Urteil des [X.] trotz der Begründungserleichterung des § 105 Abs. 5 [X.]O, von der das [X.] Gebrauch gemacht hat, teilweise nicht mit Gründen versehen.

a) Nach § 105 Abs. 5 [X.]O kann das Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Dies soll einerseits nicht den Rechtsschutz des Bürgers einschränken, andererseits aber die Gerichte durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf bereits vorliegende und zutreffend begründete Verwaltungsentscheidungen von unnötiger [X.] und Schreibarbeit entlasten (vgl. BTDrucks 12/1061, S. 19 f.). Deshalb kann das [X.], wenn das [X.] bereits zu [X.] im Klageverfahren vorgebrachten entscheidungserheblichen Einwendungen Stellung genommen hat, zur Begründung seiner Entscheidung auf die Einspruchsentscheidung des [X.] ohne weitere eigene Darstellung der Entscheidungsgründe Bezug nehmen (vgl. [X.] vom 21. Oktober 2015 [X.]116/15, [X.], 216, Rz 5, m.w.N.; vom 21. Juli 2017 [X.]167/16, [X.], 1447, Rz 11).

aa) Die Befugnis des [X.], von der Begründungserleichterung des § 105 Abs. 5 [X.]O Gebrauch zu machen, ist jedoch durch den [X.] begrenzt (vgl. [X.] vom 18. Oktober 2006 II B 91/05, [X.] 2007, 256, unter [X.], Rz 8). Deshalb muss das [X.] auch bei Anwendung des § 105 Abs. 5 [X.]O u.a. auf wesentliches neues Vorbringen im Klageverfahren in seiner Entscheidung eingehen (vgl. u.a. [X.] vom 12. September 1995 VII B 64/95, juris, Rz 9; vom 10. November 2006 XI B 147/05, [X.] 2007, 267, unter 3.a, Rz 6; vom 5. Mai 2014 III B 125/13, [X.], 1219, Rz 11). Das Begründungserfordernis des § 105 Abs. 2 Nr. 5 [X.]O dient vor allem der Unterrichtung der Beteiligten darüber, auf welchen Feststellungen und Überlegungen die Entscheidung beruht (vgl. [X.] vom 17. September 2009 IV B 82/08, [X.] 2010, 50, Rz 6).

bb) Wenn das [X.] in unzulässiger Weise von der Begründungserleichterung des § 105 Abs. 5 [X.]O Gebrauch macht, ist sein Urteil nicht mit Gründen versehen (vgl. BFH-Urteile vom 29. Juli 1992 II R 14/92, [X.], 1, [X.] 1992, 1043, unter [X.], Rz 6 ff.; vom 23. April 1998 IV R 30/97, [X.], 120, [X.] 1998, 626, unter 1.a, Rz 13 ff.; [X.] vom 3. März 2009 [X.]59/08, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, [X.]); denn vom Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O ist auszugehen, wenn den Beteiligten --zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen [X.] die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. [X.] vom 11. Dezember 2013 XI B 33/13, [X.], 714, Rz 17).

b) Eine solche Situation liegt im Streitfall vor; denn das [X.] hat von § 105 Abs. 5 [X.]O Gebrauch gemacht, ohne auf den --erst im Laufe des Klageverfahrens gestellten-- Antrag der Klägerin, das Klageverfahren wegen Umsatzsteuer aufgrund des beim [X.] gestellten Antrags auf abweichende Steuerfestsetzung (durch Anerkennung einer Organschaft) "ruhen" zu lassen (wegen des Verweises auf § 74 [X.]O gemeint: auszusetzen), einzugehen.

aa) Die Klägerin hat mit [X.] vom 21. November 2016, auf den das [X.] --anders als auf den [X.] vom 18. September 2016-- im Urteil nicht Bezug genommen hat, mitgeteilt, dass sie einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gestellt hat, und angekündigt, dass sie ggf. einen Antrag auf "Ruhen" (gemeint, wie durch den Verweis auf § 74 [X.]O für das [X.] erkennbar war: Aussetzung) des Verfahrens stellen wird. Dies hat sie mit Schreiben vom 20. September 2017 dann auch getan.

bb) Darauf ist das [X.] im Urteil nicht eingegangen. Insbesondere hat das [X.], obwohl ihm insoweit ein eigenes Ermessen zusteht (vgl. dazu [X.] vom 17. Dezember 2003 XI R 63/00, [X.] 2004, 940, unter [X.]3., Rz 37; BFH-Urteile vom 11. Mai 2010 IX R 26/09, [X.] 2010, 2067, Rz 27 ff.; vom 14. April 2011 IV R 15/09, [X.], 206, [X.] 2011, 706, Rz 31; vom 10. September 2015 V R 17/14, [X.], 80, Rz 55), nicht begründet, warum es das Verfahren, wie von der Klägerin im Ergebnis beantragt, nicht nach § 74 [X.]O aussetzt. Der Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen wurde von der Klägerin im Streitfall nicht kurz vor der mündlichen Verhandlung im November 2017 gestellt, sondern bereits im November 2016. Das Billigkeitsverfahren befindet sich schon im Einspruchsverfahren und das [X.] hatte dem [X.] bereits mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 mitgeteilt, dass mit einer zeitnahen Entscheidung gerechnet werden kann. Die (konkludente) Entscheidung des [X.], den Antrag der Klägerin, das Verfahren auszusetzen, abzulehnen, kann daher nicht auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden.

cc) Das Billigkeitsverfahren ist auch entscheidungserheblich: Sollte das [X.] auf Grundlage des BMF-Schreibens in [X.], 703 eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen durch Anerkennung einer Organschaft nicht mehr ablehnen, nachdem die Klägerin diese jedenfalls nunmehr in vollem Umfang beantragt, könnte dies Auswirkungen auf beide Streitjahre haben; denn die Klägerin hat vor dem [X.] geltend gemacht, die Organschaft habe bereits vor dem 1. Januar 2010 mit der Verpachtung einer Gaststätte an sie, die Klägerin, begonnen. Tatsächliche Feststellungen des [X.] dazu fehlen.

Die noch zu treffende Entscheidung des [X.] über die Billigkeitsmaßnahme aufgrund der genannten Übergangsregelung ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 12/14, [X.], 437, Rz 32).

3. Aufgrund dieses Verfahrensfehlers erscheint es sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, da beim derzeitigen Verfahrensstand von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist (vgl. dazu [X.] vom 30. September 2013 XI B 69/13, [X.], 166, Rz 17, m.w.N.).

4. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ohne weitere Begründung. Diese Vorschrift gilt auch für Beschlüsse i.S. des § 116 Abs. 6 [X.]O (vgl. [X.] vom 11. Mai 2015 XI B 29/15, [X.], 1257, Rz 23).

Meta

XI B 5/18

08.05.2018

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 28. November 2017, Az: 8 K 941/16, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 6 FGO, § 105 Abs 5 FGO, § 227 ZPO, § 163 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.05.2018, Az. XI B 5/18 (REWIS RS 2018, 9541)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9541

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 13 R 163/20 B

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