Bundespatentgericht, Beschluss vom 03.03.2011, Az. 27 W (pat) 554/10

27. Senat | REWIS RS 2011, 8858

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "RCQT (Wort-Bild-Marke)" – zur Sittenwidrigkeit einer Markenanmeldung: die von fortschreitender Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral geprägte maßgebliche Auffassung der Verbraucher betrifft nicht politisch diffamierende, rassistische oder frauenverachtende Äußerungen hier: islamfeindliche Botschaft - es ist dem Eindruck entgegenzuwirken, Marken mit anstößigem Inhalt könnten staatlichen Schutz erfahren - zur gesellschaftlichen Wertvorstellung des deutschen Publikums - zur Beurteilung der Verkehrsauffassung - keine Berücksichtigung der Mehrheit im rechnerischen Sinn bei wenig bekannten anstößigen Begriffen


Leitsatz

RCQT

1) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG darf zwar nicht unberücksichtigt bleiben, dass die maßgebliche Auffassung der Verbraucher von einer fortschreitenden Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral geprägt ist. Dies betrifft aber nicht politisch diffamierende, rassistische oder frauenverachtende Äußerungen.

2) Die Abkürzung "rcqt" steht für "reconquista" und steht im heutigen Sprachgebrauch für islamfeindliche Botschaften.

3) Es ist grundsätzlich dem Eindruck entgegenzuwirken, Marken mit anstößigem Inhalt könnten staatlichen Schutz erfahren. Die Einräumung eines staatlichen Monopolrechts an einer fremdenfeindlichen, rassistischen oder religiös diffamierenden Aussage widerspricht den gesellschaftlichen Wertvorstellungen beachtlicher Teile des deutschen Publikums.

4) Für die Beurteilung der Verkehrsauffassung kann es nicht auf eine Mehrheit im rechnerischen Sinn ankommen. Die Gewährung von Markenschutz für wenig bekannte anstößige Begriffe würde nämlich dazu führen, dass ein weiteres Publikum als bisher damit konfrontiert würde, und dann Anstoß nehmen könnte.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2009 048 388.4

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] am 3. März 2011 durch [X.] [X.], [X.] und Richterin am [X.]

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Anmeldung der Wort-Bild-Marke (schwarz/weiß)

Abbildung

2

für folgende Waren

3

18: Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, [X.] und Sattlerwaren;

4

24: Webstoffe und Textilwaren, soweit in Klasse 24 enthalten; Bett- und Tischdecken;

5

25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen

6

hat die Markenstelle mit Beschluss vom 22. Dezember 2009 zurückgewiesen.

7

Das ist damit begründet, die Zurückweisung erfolge auf den Beanstandungsbescheid vom 20. Oktober 2009, der besagte, das angemeldete Zeichen verstoße gegen die guten Sitten, so dass ihm das [X.] nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] entgegenstehe. Die Abkürzung „rcqt“ stehe für „reconquista“, für die Rückeroberung der [X.] und im heutigen Sprachgebrauch für rassistische, islamfeindliche Botschaften. Dazu hat die Markenstelle auf Fundstellen verwiesen, in denen die Rede davon ist, wie zur [X.] müssten die [X.] ihren angestammten Lebensraum zurückerobern. Dazu gehöre es, Überfremdungsregime zum [X.] zu jagen, um dann anschließend die Heimreise der unwillkommenen raum-, bluts- und kulturfremden Einwanderer sozialverträglich organisieren zu können.

8

Auf diese im Amtsbescheid vom 20. Oktober 2009 dargelegten Gründe habe sich die Anmelderin nicht geäußert. Eine erneute Überprüfung der Sach- und Rechtslage führe zu keiner abweichenden markenrechtlichen Beurteilung. Das Zeichen sei zudem ein freihaltungsbedürftiger Sachhinweis und als Abdruck eines Wappens sowie einer Flagge ohne jede Unterscheidungskraft.

9

Die Anmelderin hat am 4. Februar 2010 Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, die für eine Eintragung erforderliche Unterscheidungskraft liege vor. [X.] sei nicht freihaltungsbedürftig, da es Nichts beschreibe.

Das Zeichen zeige auch keine staatlichen Wappen oder Flaggen. Ob es sich um eine leicht veränderte Darstellung des [X.] handle, sei nicht relevant, weil es sich dabei um kein NS-Symbol handle.

Das Zeichen könne nicht mit dem Gedankengut von Neonazis in Verbindung gebracht werden. Das Akronym [X.] sei in [X.] unbekannt und stehe für ein unübliches Wort aus einer hierzulande nicht weit verbreiteten Sprache. [X.] sei eine Rückeroberung im Sinn der Idee der „kulturellen Hegemonie“ fußend auf der Idee des [X.] Philosophen [X.].

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

den Beschluss der Markenstelle aufzuheben.

II.

Über die Beschwerde kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Anmelderin eine mündliche Verhandlung nicht - auch nicht hilfsweise - beantragt hat und der Senat sie nicht für erforderlich hält. Die Anmelderin hatte ausreichend Gelegenheit, ihre am 12. März 2010 eingelegte Beschwerde zu begründen.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 66 [X.]), hat in der Sache aber keinen Erfolg; auch nach Auffassung des Senats steht einer Registrierung der angemeldeten Marke § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] entgegen.

Marken verstoßen gegen die guten Sitten, wenn sie geeignet sind, das Empfinden eines beachtlichen Teils der Verbraucher zu verletzen, indem sie sittlich, politisch und religiös anstößig wirken oder eine grobe Geschmacksverletzung enthalten. Maßgeblich ist insoweit die Auffassung der Gesamtheit der normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher, wobei weder eine übertrieben laxe noch eine besonders feinfühlige Ansicht entscheidend ist (vgl. [X.], Beschluss vom [X.], [X.].: 24 W (pat) 140/01 - Dalai Lama). Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die maßgebliche Auffassung der Verbraucher von einer fortschreitenden Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral geprägt ist. Dies betrifft aber nicht politisch diffamierende, rassistische oder frauenverachtende Äußerungen (vgl. [X.], Beschluss vom [X.], [X.].: 26 W (pat) 107/97 - Schenkelspreizer).

Die Abkürzung „rcqt“ steht, wie die Markenstelle ausreichend belegt hat für „reconquista“. Dieses Wort ist in [X.] nicht so unbekannt, wie die Anmelderin meint. Zwar stammt es aus dem lateinisch-spanischen [X.]. Es hat aber eine auch in [X.] bekannte Bedeutung und steht in der Geschichtswissenschaft für eine historische Phase der Geschichte Spaniens.

Wohl weil es dabei um den Kampf zwischen Parteien ging, die auch unterschiedliche Religionen hatten, steht [X.], wie die Markenstelle belegt hat, im heutigen Sprachgebrauch für islamfeindliche Botschaften. Die dem zu Grunde liegenden Rechercheergebnisse beruhen nicht darauf, dass die Markenstelle nach „[X.] / rcqt und Nazi“ gesucht hat. Auch Recherchen unter dem Stichwort [X.] in Alleinstellung führen zu diesen Ergebnissen.

Einen davon [X.]n Bezug zu [X.] hat [X.] nicht. Der sardische Philosoph und Gründer der [X.], der während der [X.] jahrelang inhaftiert war, hat keinen Bezug zur [X.]. Wenn die Anmelderin, was sie allerdings nicht vortragen hat lassen, solche Bezüge annehmen würde, fänden diese jedenfalls in dem angemeldeten Zeichen keinen Bezug und wären als subjektive Motive der Anmelderin für die Prüfung der Schutzfähigkeit ohne Belang. Dies gilt auch für [X.] Gedanken zur „Hegemonie“, die keinen Bezug zur historischen „[X.]“ hatten.

Auch die in dem angemeldeten Zeichen enthaltene Graphik hat keine von einer fremdenfeindlichen Bedeutung [X.] Wirkung, zumal sie eher militant wirkt.

Auch ist grundsätzlich dem Eindruck entgegenzuwirken, Marken mit anstößigem Inhalt könnten staatlichen Schutz erfahren. Ziel des § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] ist es nicht, nur Begriffe oder Zeichen zurückzuweisen, die unter keinen Umständen benutzt werden dürften. Die Einräumung eines staatlichen Monopolrechts an einer fremdenfeindlichen, rassistischen oder religiös diffamierenden Aussage widerspricht den gesellschaftlichen Wertvorstellungen beachtlicher Teile des deutschen Publikums.

Dass viele von Textil- und Lederwaren sowie Bekleidung angesprochene Verbraucher den Sinn von [X.] nicht kennen werden, kann ebenso wenig zum Markenschutz führen, wie die Annahme, dass diejenigen, die mit dem Ausdruck und den damit verbundenen Ideen vertraut sind und spezielle Produkte erwerben, um ihren Anschauungen Ausdruck zu verleihen, keinen Anstoß nehmen. Dabei ist auch zu bedenken, dass Markenschutz dazu führen würde, dass ein weiteres Publikum als bisher mit diesem Begriff und den dahinterstehenden Anschauungen konfrontiert würde, und dann Anstoß nähme. Deshalb kann es für die Beurteilung der Verkehrsauffassung nicht auf eine Mehrheit im rechnerischen Sinn ankommen, sondern darauf, dass ein erheblicher Teil der angesprochenen [X.], zum Einen die Verwendung des Zeichens als anstößig betrachtet, und sich zum Anderen daran stören würde, wenn das Zeichen durch die Eintragung als Marke den Anschein amtlicher Bestätigung erhielte ([X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 8 Rn. 278).

Ob auch das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] gegeben ist, kann dahingestellt bleiben.

Meta

27 W (pat) 554/10

03.03.2011

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 03.03.2011, Az. 27 W (pat) 554/10 (REWIS RS 2011, 8858)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8858

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