Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25.01.2017, Az. 10 ABR 81/16 (F)

10. Senat | REWIS RS 2017, 16765

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Gegenstand

Anhörungsrüge - Hinweispflicht - rechtliches Gehör - Entscheidungserheblichkeit


Tenor

Die Anhörungsrügen der Beteiligten zu 6. und 7. gegen den Beschluss des [X.] vom 21. September 2016 - 10 [X.] - werden zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Der [X.] hat auf die Anhörung der Beteiligten vom 21. September 2016 mit einem am selben Tag verkündeten Beschluss festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung ([X.]) vom 17. März 2014 (BAnz. [X.] 19. März 2014 [X.]) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 ([X.]) in der [X.]assung des [X.] vom 3. Dezember 2013 unwirksam ist. Der Beschluss ist den Beteiligten zu 6. und 7. in vollständiger [X.]assung am 20. Dezember 2016 zugestellt worden. Mit ihren am 22. Dezember 2016 (Beteiligte zu 6.) bzw. am 3. Januar 2017 (Beteiligte zu 7.) eingegangenen Anhörungsrügen machen die Beteiligten zu 6. und 7. die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Bei dem Beschluss handele es sich um eine Überraschungsentscheidung.

2

II. Die nach § 78a Abs. 1, 2 und 8 ArbGG zulässigen Anhörungsrügen der Beteiligten zu 6. und 7. sind unbegründet. Der [X.] hat deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

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1. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen [X.]ällen geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem [X.] noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen ([X.] 4. Juli 2016 - 2 BvR 1552/14 - Rn. 7). [X.]erner muss ein [X.] schon in den Tatsacheninstanzen bedenken, dass das [X.] als Rechtsbeschwerdegericht den Bindungen des Rechtsbeschwerderechts unterliegt und neuer Sachvortrag in der [X.] nach § 98 Abs. 3, § 92 Abs. 2 ArbGG iVm. § 559 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig ist (vgl. [X.] 25. September 2013 - 5 [X.] ([X.]) - Rn. 3 mwN [zum Revisionsverfahren]). Im Übrigen ist nicht jeder Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 139 ZPO zugleich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. [X.] 15. Mai 1984 - 1 BvR 967/83 - zu II 2 c der Gründe, [X.]E 67, 90). Die Verletzung gesetzlicher Hinweispflichten stellt nur dann einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt hat. Daher bedarf es bei der Verletzung solcher Vorschriften im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist ([X.] 5. April 2012 - 2 BvR 2126/11 - Rn. 19, [X.]K 19, 377).

4

2. Nach diesen Grundsätzen bedurfte es weiterer Hinweise des [X.]s weder zur [X.]rage der Einbeziehung der [X.] bei der Berechnung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] a[X.] noch zu der [X.]rage, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung über die [X.] dem Beteiligten zu 3. verwertbare Informationen zur Ermittlung der [X.] zur Verfügung gestanden haben. Hinsichtlich der letztgenannten [X.]ragestellung kommt es im Übrigen auf den in den Anhörungsrügen angekündigten Vortrag nicht entscheidungserheblich an.

5

a) Die Beteiligten zu 6. und 7. bzw. deren Prozessbevollmächtigte mussten auch ohne gerichtliche Hinweise von Beginn des Verfahrens an damit rechnen, dass die beiden in den Anhörungsrügen aufgeworfenen [X.]ragestellungen Gegenstand des Verfahrens werden und von einem Gericht ggf. anders beantwortet werden, als von den Beteiligten zu 6. und 7. erhofft oder erwartet.

6

aa) Wie der [X.] im angegriffenen Beschluss (dort Rn. 203) ausgeführt hat, hatte der [X.] der Beteiligten zu 1. und 2. bereits in seiner erstinstanzlichen Antragsschrift gerügt, dass bei der Ermittlung der Quote die [X.] nicht berücksichtigt werden dürfe, die Zahlen des Beteiligten zu 7. daher unbrauchbar seien und dieser andererseits auch weder wisse noch wissen könne, welche Betriebe und [X.] zwar vom [X.], nicht aber von der [X.] erfasst werden. Diesen Vortrag hat er in seiner Rechtsbeschwerdebegründung ausdrücklich wiederholt. Der Beteiligte zu 3. hatte wiederum mitgeteilt, dass die exakte Abbildung des Geltungsbereichs der relevanten Tarifverträge des Baugewerbes schon wegen der [X.] sogar im Rahmen einer direkten Befragung der Betriebe kaum möglich sei. Damit hätte für die Beteiligten zu 6. und 7. hinreichend Anlass bestanden, sich hierzu in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu äußern.

7

bb) Entgegen der von den Beteiligten zu 6. und 7. vertretenen Auffassung war ein Hinweis auch nicht deshalb erforderlich, weil diese etwa wegen eines gefestigten Verständnisses des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] a[X.] und/oder einer langjährigen Rechtsprechung davon ausgehen konnten, dass ein anderes als ihr eigenes Verständnis weder für das [X.] noch für den [X.] in Betracht kommen kann. Wie der [X.] im Beschluss vom 21. September 2016 (dort Rn. 173 bis 183) ausführlich dargelegt hat, entsprach das von den Beteiligten zu 6. und 7. vertretene Verständnis des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] a[X.] vielmehr weder einer gefestigten Rechtsprechung noch einer einheitlichen oder auch nur überwiegenden Auffassung im Schrifttum. Deshalb musste es ohne weitere gerichtliche Hinweise naheliegen, bereits in der Tatsacheninstanz beim [X.] zumindest vorsorglich Tatsachenvortrag für den [X.]all zu halten, dass ein Gericht die Auffassung der Beteiligten zu 6. und 7. nicht teilen sollte.

8

cc) Der Vorsitzende des Zehnten [X.]s hat darüber hinaus die Beteiligten vor der mündlichen Anhörung mit Schreiben vom 8. September 2016 (dort Ziff. 5 2. Spiegelstrich) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ermittlung der [X.] und das Thema „verwertetes/verwertbares Zahlenmaterial“ und dessen gerichtliche Überprüfung Gegenstand der Anhörung sein würden. Spätestens damit musste für die Beteiligten bzw. deren Prozessbevollmächtigte erkennbar sein, dass in der mündlichen Anhörung die Ermittlung der [X.] - die im Übrigen [X.] des gesamten Streites bildet - von Bedeutung sein würde, unabhängig davon, wie das [X.] sich zu dieser [X.]rage positioniert hat.

9

b) In der mehrstündigen mündlichen Anhörung vor dem [X.] am 21. September 2016 sind die in den Anhörungsrügen angesprochenen [X.]ragestellungen umfänglich vom [X.] angesprochen worden und alle Beteiligten hatten Gelegenheit, in dem von ihnen gewünschten Umfang dazu Stellung zu nehmen.

aa) In der Anhörung ist in rechtlicher Hinsicht zunächst ausführlich das Verständnis von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] a[X.] und dabei insbesondere die [X.]rage diskutiert worden, ob und inwieweit die [X.] Berücksichtigung finden kann. Diese rechtliche Erörterung räumt auch der Beteiligte zu 7. (S. 11 Anhörungsrüge) ein. Selbstverständlich bot sie deutlichen Anlass, auch mögliche rechtliche und tatsächliche [X.]olgen des Gesetzesverständnisses einzubringen und zu erörtern. Deshalb hat der [X.] nachfolgend umfänglich die [X.]rage des zum Zeitpunkt der Entscheidung über die [X.] zur Verfügung stehenden [X.] erörtert, beispielsweise ua. auch im Hinblick auf die dem Beteiligten zu 7. zur Verfügung stehenden Zahlen über Betriebe, welche Leistungen nach der [X.] erhalten (vgl. Beschluss vom 21. September 2016 Rn. 205).

bb) Soweit die [X.] der zu 6. beteiligten Industriegewerkschaft [X.], [X.]rau C, in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 22. Dezember 2016 erklärt, der [X.] habe die [X.]rage, „ob die Zahl der Arbeitnehmer von Betrieben, die zwar unter den betrieblichen Geltungsbereich des [X.] fallen, auf die sich aber aufgrund einer Einschränkungsklausel die Allgemeinverbindlicherklärung nicht erstreckt, ermittelt oder geschätzt werden kann“, nicht erörtert, ist dies objektiv falsch und entspricht nicht dem Inhalt und dem Ablauf der Anhörung vom 21. September 2016. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausführungen in der eidesstattlichen Versicherung des Referenten in der Abteilung [X.] zu 7., [X.], (dort S. 1, 3. Absatz), die allerdings deutlich vorsichtiger formuliert sind („nach meiner Kenntnis“).

c) Unabhängig davon, dass weiter gehende Hinweise des [X.]s und weiter gehende Erörterungen des Sachverhalts aus den genannten Gründen nicht erforderlich waren, wäre es auf den Vortrag, den die Beteiligten zu 6. und 7. für den [X.]all der Erteilung weiter gehender Hinweise angekündigt haben, nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des [X.]s nicht entscheidungserheblich angekommen.

aa) Wie im Beschluss vom 21. September 2016 (dort Rn. 190) ausgeführt ist, sind Maßstab für die gerichtliche Kontrolle einer [X.] und des Vorliegens derer tatsächlicher Voraussetzungen allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen. Eine nachträgliche Erhebung oder statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung verwendbar zu machen, scheidet aus. Deshalb konnten für die Entscheidung des [X.]s nur zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung im Jahre 2014 objektiv zur Verfügung stehende und bereits verwertbare Informationen berücksichtigt werden.

bb) Auf den entsprechenden Vortrag in den Anhörungsrügen (S. 8 ff. Beschwerdebegründung der Beteiligten zu 6. bzw. S. 14 ff. der Beschwerdebegründung des Beteiligten zu 7.) wäre es deshalb nicht entscheidungserheblich angekommen. Vielmehr wird dort gerade dargelegt, dass erst nach der Anhörung vom 21. September 2016 ein Auftrag des Vorstandes des Beteiligten zu 7. am 22. September 2016 ergangen sei, die Auswertung bestimmter Akten zu veranlassen und bestimmte Zahlen zu ermitteln. Dies wird durch den Leiter der Abteilung [X.] zu 7., [X.], ausdrücklich an Eides statt versichert. Im Rügeverfahren - 10 [X.] ([X.]) - hat der Referent in der Abteilung [X.] zu 7., [X.], an Eides statt versichert, dass die Auswertung nach dem 21. September 2016 sofort in die Wege geleitet wurde und zum Zeitpunkt der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 16. Dezember 2016 noch nicht abgeschlossen war. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beteiligten zu 3. im Jahre 2014 über die streitgegenständliche [X.] haben die nunmehr vorgetragenen Zahlen - unabhängig von deren Bewertung - damit weder beim Beteiligten zu 3. in verwertbarer und verwendbarer [X.]orm vorgelegen noch hat der Beteiligte zu 3. diese vor der Entscheidung bei den tarifvertragsschließenden Parteien oder beim Beteiligten zu 7. angefordert. Auf die [X.]rage, ob und ggf. auf welche Weise nachträglich Daten hätten erhoben oder vorhandene Daten nachträglich hätten ausgewertet werden können, kommt es nach der Rechtsauffassung des [X.]s nicht an.

d) Soweit die Beteiligten zu 6. und 7. darüber hinaus vortragen, dass bei Arbeitgeberverbänden bzw. beim [X.] vorhandene Zahlen eine geeignete Schätzgrundlage für die Ermittlung der [X.] hätten darstellen können, hat sich der [X.] hiermit im Beschluss vom 21. September 2016 (dort Rn. 199 bzw. Rn. 195 bis 197) bereits auseinandergesetzt. Die Beteiligten zu 6. und 7. vertreten insoweit eine andere Auffassung über die Brauchbarkeit dieser Zahlen als der [X.]; dies kann den Erfolg einer Anhörungsrüge nicht begründen. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausführungen des Beteiligten zu 7. zur Kleinen Zahl (S. 41 f. Beschwerdebegründung), da es auf die insoweit aufgezeigten Mängel nicht entscheidungserheblich ankommt (Beschluss vom 21. September 2016 Rn. 218).

        

    Linck    

        

    Brune    

        

    W. Reinfelder    

        

        

        

    [X.]rese    

        

    Schumann    

                 

Meta

10 ABR 81/16 (F)

25.01.2017

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

§ 78a Abs 1 ArbGG, § 78a Abs 2 ArbGG, § 78a Abs 8 ArbGG, § 139 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25.01.2017, Az. 10 ABR 81/16 (F) (REWIS RS 2017, 16765)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16765

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