Bundessozialgericht, Urteil vom 24.04.2014, Az. B 13 R 23/13 R

13. Senat | REWIS RS 2014, 6158

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Erziehungsrente - verspätete Antragstellung - Verjährung - Rentenbeginn - sozialrechtlicher Herstellungsanspruch - Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB 10 - Vorlage - Großer Senat)


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 24. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der ab Januar 2006 gewährten Erziehungsrente.

2

Die Ehe der 1956 geborenen Klägerin mit dem Versicherten wurde Ende 2000 geschieden. Aus der Ehe stammt der 1994 geborene [X.]. Die Klägerin hat nicht wieder geheiratet.

3

Der Versicherte verstarb am 29.6.2001. Auf den Antrag der Klägerin vom Juli 2001 gewährte die [X.] ([X.]) Halbwaisenrente für ihren [X.]. Ein Hinweis der [X.] auf die Möglichkeit des Antrags auf Erziehungsrente nach § 47 [X.] erfolgte nicht.

4

Auf den erst im Dezember 2010 gestellten Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin Erziehungsrente (Bescheid vom 20.4.2011) für die [X.] vom 1.1.2006 bis zum 31.7.2012 (dem Monatsende der Vollendung des 18. Lebensjahres des [X.]es). Ab Mai 2011 ergab sich ein laufender Rentenzahlbetrag iHv 441,14 Euro monatlich und für die [X.] vom 1.1.2006 bis 30.4.2011 eine einmalige Nachzahlung von 29 435 Euro. Die Beklagte ging - wegen des unterbliebenen Hinweises der [X.] auf die Möglichkeit eines Antrags auf Erziehungsrente im Juli 2001 - von einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus und begrenzte die rückwirkend zu leistende Erziehungsrente auf einen [X.]raum von vier Jahren.

5

Der Widerspruch, mit dem die Klägerin eine Rentenzahlung bereits ab Juli 2001 beanspruchte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17.10.2011), ebenso das Klage- und Berufungsverfahren (Urteile des [X.] vom 25.4.2012 und des [X.] vom 24.5.2013). Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil es - wie schon die Beklagte und das [X.] - von einer analogen Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausgegangen ist und sich hierfür auf Rechtsprechung des B[X.] berufen hat (Hinweis auf B[X.] 4b/9a. Senat vom 11.4.1985 - 4b/9a [X.] - [X.] 1300 § 44 [X.] 17; B[X.] [X.]. Senat vom [X.] - [X.] RA 28/85 - B[X.]E 60, 245 = [X.] 1300 § 44 [X.] 24; B[X.] 1. Senat vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 - [X.] 1300 § 44 [X.] 25; B[X.] 14. Senat vom 28.1.1999 - B 14 [X.] B - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 25; B[X.] 9. Senat vom 14.2.2001 - B 9 V 9/00 R - B[X.]E 87, 280 = [X.] 3-1200 § 14 [X.] 31; B[X.] 13. Senat vom [X.] R 58/06 R - B[X.]E 98, 162 = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 9). Für die Begrenzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch analoge Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X bei [X.] in einem Erstfeststellungsverfahren spreche, dass die Interessenlage mit der bei nachträglicher Korrektur eines bindenden belastenden Verwaltungsakts (§ 44 [X.]B X in direkter Anwendung) vergleichbar sei. Der 9. Senat (aaO) habe zu Recht darauf verwiesen, dass der Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht des Leistungsträgers (zB Beratung) sanktioniere, nicht weiter reichen könne als der Anspruch nach § 44 Abs 1 [X.]B X als Rechtsfolge der Verletzung einer Hauptpflicht (Leistungsgewährung durch rechtmäßigen Verwaltungsakt). Der 13. Senat (aaO) habe diese Argumentation dahin ergänzt, dass die Vermeidung unterschiedlicher Rechtsfolgen im Grenzbereich beider Rechtsinstitute für eine Gleichbehandlung beider Fallkonstellationen spreche. Hinzu komme, dass der Herstellungsanspruch auf gesetzlich zulässige Amtshandlungen beschränkt sei; bei der nachträglichen Leistungsgewährung seien deshalb auch gesetzliche Ausschlussfristen zu beachten. Insofern könne, worauf der 1. Senat (aaO) zutreffend hingewiesen habe, der neben dem Korrekturanspruch aus § 44 [X.]B X bestehende Herstellungsanspruch auch nicht über den gesetzlichen Anspruch (aus § 44 [X.]B X) hinausgehen. Schließlich spreche - so der [X.]. Senat (aaO) - für die analoge Anwendung und damit zeitliche Begrenzung der Rückwirkung des Herstellungsanspruchs im Rahmen der Erstfeststellung auch die Aktualität der Sozialleistungen, die im Wesentlichen dem laufenden Unterhalt des Berechtigten dienten sowie das Interesse des Leistungsträgers an einer Überschaubarkeit seiner Leistungsverpflichtungen.

6

Demgegenüber seien die vom 4. Senat des B[X.] gegen die analoge Anwendung von § 44 Abs 4 [X.]B X vorgebrachten Argumente (Verweis auf B[X.] 4. Senat vom 2.8.2000 - B 4 RA 54/99 R - [X.] 3-2600 § 99 [X.] 5 und vom 6.3.2003 - [X.]/02 R - B[X.]E 91, 1 = [X.] 4-2600 § 115 [X.] 1) nicht überzeugend. Soweit der 4. Senat darauf verweise, dass der Gesetzgeber mit § 99 [X.], § 44 Abs 4 [X.]B X und § 45 [X.]B I ein in sich stimmiges und [X.] für das Rentenversicherungsrecht ausgestaltet habe, das einer richterrechtlichen Ergänzung oder gar Durchbrechung nicht offenstehe, sei nicht zu übersehen, dass der Gesetzgeber bisher von einer gesetzlichen Regelung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abgesehen habe. Auch aus dem Gebot, die [X.] Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen (§ 2 Abs 2 [X.]B I), könne nicht abgeleitet werden, auf den Herstellungsanspruch lediglich die Verjährungsregelung des § 45 [X.]B I, nicht jedoch die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 [X.]B X anzuwenden. Bereits die Begründung des Herstellungsanspruchs durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung (Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht) sei eine Begünstigung gegenüber der Gesetzeslage (Hinweis auf Senatsurteil vom [X.] R 58/06 R - B[X.]E 98, 162 = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 9). Die von der Klägerin angeführte, dem 4. Senat des B[X.] folgende Entscheidung des [X.] Freiburg (vom 4.11.2009 - S 19 R 4538/08 - Juris) stehe dem nicht entgegen.

7

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die entsprechende Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der Anwendungsbereich der Norm sei auf die Fälle der Korrektur von Verwaltungsakten beschränkt. Die Vorschrift sei weder Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, noch sei eine analoge Anwendung auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geboten. Daher sei der Rechtsprechung des 4. Senats des B[X.] zu folgen. § 44 Abs 4 [X.]B X finde im hier vorliegenden Erstfeststellungsverfahren keine Anwendung.

8

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 24. Mai 2013 und des [X.] vom 25. April 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2011 zu verurteilen, ihr Erziehungsrente nach den gesetzlichen Bestimmungen des [X.] bereits ab dem 1. Juli 2001 zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen und verweist ergänzend darauf, dass sich Umfang und Grenzen des auf richterlicher Rechtsfortbildung beruhenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs an der Rechtsordnung als Ganzes zu orientieren hätten. Hierzu gehöre wegen der strukturellen Ähnlichkeit zu § 44 [X.]B X auch die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 [X.]B X.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

Die Vorinstanzen haben zu Recht die auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete [X.] Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Erziehungsrente für die Zeit vor Januar 2006.

Auf der Grundlage der bindenden Tatsachenfeststellung des [X.] (§ 163 SGG) hat die Klägerin einen Anspruch auf rückwirkende Leistung der Erziehungsrente wegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch Verletzung von Beratungspflichten im Juli 2001 (§§ 14, 15 [X.]). Die Beklagte hat ihr daher zu Recht auf ihren im Dezember 2010 gestellten Antrag rückwirkend Leistungen ab Januar 2006 gewährt. Der Klägerin steht kein weitergehender Leistungsanspruch - bereits ab Juli 2001 - zu, als ihn die Beklagte im angefochtenen Bescheid anerkannt hat.

Der [X.] hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest: Wenn ein Berechtigter Anspruch auf rückwirkende Leistungen aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hat, werden diese längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren rückwirkend erbracht. Die Vorschrift des § 44 Abs 4 [X.] X ist insoweit entsprechend anzuwenden (1.). Mit dieser Entscheidung weicht der [X.] nicht iS des § 41 Abs 3 SGG von Rechtsprechung anderer [X.]e des BSG ab (2.).

1. Nach § 44 Abs 4 [X.] X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des [X.] längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist (Satz 1). Dabei wird nach Satz 2 der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt nach Satz 3 bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Zwar kommt § 44 Abs 4 [X.] X im vorliegenden Fall nicht unmittelbar zur Anwendung. Denn ein bindender (§ 77 SGG) rechtswidriger Verwaltungsakt, der in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 [X.] X zurückzunehmen wäre, liegt nicht vor. Der [X.] hat jedoch bereits entschieden, dass in [X.], in denen - wie hier - ein Anspruch auf rückwirkende Leistungserbringung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erhoben wird, § 44 Abs 4 [X.] X entsprechende Anwendung findet (vgl [X.]surteil vom [X.] - [X.], 162 = [X.] 4-1300 § 44 [X.]). Hieran hält der [X.] fest.

Bereits in seiner Entscheidung vom [X.] hat der [X.] unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BSG ([X.]. [X.] vom [X.] - 11a RA 28/85 - [X.], 245, 246 ff = [X.] 1300 § 44 [X.] ff; [X.]. [X.] vom [X.] - 11a RA 10/86 - Juris; BSG 1. [X.] vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 - [X.] 1300 § 44 [X.] f; BSG 14. [X.] vom 28.1.1999 - B 14 [X.] B - [X.] 3-1300 § 44 [X.] f; BSG 9. [X.] vom 14.2.2001 - [X.] V 9/00 R - [X.], 280, 288 f = [X.] 3-1200 § 14 [X.] f; BSG 9. [X.] vom 16.12.2004 - [X.] VJ 2/03 R - Juris RdNr 30) auf die vergleichbare Interessenlage bei der nachträglichen Korrektur eines bindenden Verwaltungsakts (§ 44 [X.] X) und beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verwiesen. In beiden Fällen wird vom Leistungsträger das Recht unrichtig angewandt, und in beiden Fällen hat dies zur Folge, dass der Leistungsberechtigte nicht die ihm zustehende Leistung erlangt. Einen ins Gewicht fallenden Unterschied hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht darin gesehen, dass der Berechtigte einmal einen ablehnenden Verwaltungsakt erhalten, ein andermal dagegen schon im Vorfeld von der [X.] abgesehen hat. Denn so oder so ist der Leistungsträger gleichermaßen zur Korrektur verpflichtet. Auf ein Verschulden des Leistungsträgers kommt es hier wie dort nicht an; auch der Umfang seiner Verpflichtung ist grundsätzlich der gleiche. Aus diesen Gründen kann es für den zeitlichen Umfang der rückwirkenden Leistung nicht wesentlich sein, ob der Leistungsträger eine Leistung durch Verwaltungsakt zu Unrecht versagt oder er aus anderen ihm zuzurechnenden Gründen den Berechtigten nicht in den [X.] kommen lässt; der Berechtigte ist im letzteren Fall keinesfalls schutzwürdiger als im ersten. Die Rechtsähnlichkeit der Fallgruppen erfordert daher die Gleichbehandlung. Der Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht des Leistungsträgers (zB Beratung) sanktioniert, kann nicht weiter reichen als der Anspruch nach § 44 Abs 1 [X.] X als Rechtsfolge der Verletzung der Hauptpflicht. Für die Gleichbehandlung der Fälle einer nachträglichen Korrektur eines bindenden Verwaltungsakts (§ 44 [X.] X) mit denen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs spricht auch, dass hiermit im Grenzbereich beider Rechtsinstitute unterschiedliche Rechtsfolgen vermieden werden (so [X.]surteil vom [X.], aaO, Rd[X.]6 bis 19; dem folgend für den Bereich der Ausgleichsleistungen nach dem Recht der beruflichen Rehabilitierung: [X.] vom [X.], [X.]E 140, 103, 112).

Die gegenteilige - einen Analogieschluss ablehnende - Rechtsansicht des 4. [X.]s des BSG (vgl die Nachweise im Einzelnen unter 2.) überzeugt hingegen nicht. Zwar wird argumentiert, dass ein Berechtigter, der einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt erhalten hat, Anlass zu Überlegungen habe, ob hiergegen Rechtsmittel einzulegen seien, demgegenüber wisse der aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Berechtigte typischerweise nichts von seinen Ansprüchen, weil kein Verwaltungsakt ergangen ist. Diese Argumentation wird jedoch durch die Regelung des § 48 Abs 4 [X.] X und deren Verweisung auf § 44 Abs 4 [X.] X entkräftet. Der [X.] hat schon darauf hingewiesen, dass auch hier typischerweise Fallkonstellationen erfasst werden, in denen der Bürger nicht durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt auf ein (fehlerhaftes) Verwaltungshandeln aufmerksam gemacht worden ist (vgl [X.]surteil vom [X.], aaO, [X.]). Demgegenüber tritt in den Hintergrund, dass auch bei [X.] einer nach § 48 Abs 1 [X.] X für den Betroffenen günstigeren Änderung dieser zumindest den ursprünglichen, von der Änderung betroffenen Bescheid in den Händen hat.

Nicht überzeugend ist auch das Argument, dem Analogieschluss stehe entgegen, dass der [X.] von § 99 [X.] VI, § 44 Abs 4 [X.] X und § 45 [X.] ein in sich stimmiges und [X.] sei, das keiner richterrechtlichen Ergänzung oder gar Durchbrechung bedürfe. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber bisher von einer gesetzlichen Regelung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abgesehen und die Verantwortung zur näheren Ausgestaltung dieses [X.] weiterhin bei der Rechtsprechung belassen hat. Der [X.] folgt ferner nicht der Argumentation, der Rechtsprechung sei verwehrt, den Versicherten eine vollständige Herstellung des grundrechtlich geschützten Zustands mit allen rechtmäßigen und faktisch noch möglichen Mitteln zu verweigern, falls der Rentenversicherungsträger ein derartiges Recht verletzt hat. Denn zwar kann der Herstellungsanspruch auch als Verwirklichung des Gebots verstanden werden, [X.] Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen (§ 2 Abs 2 [X.]). Hieraus kann jedoch keine - erst recht keine grundrechtlich bewehrte - Pflicht gefolgert werden, auf den Herstellungsanspruch lediglich die Verjährungsregelung des § 45 [X.], nicht jedoch die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 [X.] X anzuwenden. Denn die Begründung des Herstellungsanspruchs durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung (Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht) stellt bereits eine Begünstigung gegenüber der Gesetzeslage dar und hieran ändert auch die Begrenzung seiner Rückwirkung in entsprechender Anwendung des § 44 [X.] X nichts (so [X.]surteil vom [X.], aaO, [X.], 27, 30).

Diese Überlegungen hält der erkennende [X.] nach wie vor für ausschlaggebend. Sie stehen insbesondere nicht im Widerspruch zu den [X.]surteilen vom 8.12.2005 ([X.], 300 = [X.] 4-2200 § 1290 [X.]) und 22.10.1996 ([X.], 177, 180 = [X.] 3-1200 § 45 [X.]), in denen der [X.] die Herleitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus § 44 Abs 4 [X.] X dahingehend, dass die rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen durchweg auf vier Jahre begrenzt ist (so [X.]. [X.] vom [X.] - 11a RA 28/85 - [X.], 245, 247 = [X.] 1300 § 44 [X.]; BSG 1. [X.] vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 - [X.] 1300 § 44 [X.] f; BSG 14. [X.] vom 28.1.1999 - B 14 [X.] B - [X.] 3-1300 § 44 [X.] f), abgelehnt hat. Denn den dortigen Fällen lag kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zugrunde. [X.] waren vielmehr Ansprüche auf [X.], die nach dem bis zum [X.] geltenden Recht antragsunabhängig entstanden waren, so dass es einer Antragsfiktion über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht bedurfte, und sich somit allein die Frage nach der Verjährung der Ansprüche (§ 45 [X.]) stellte. Die analoge Anwendung des § 44 Abs 4 [X.] X im vorliegenden Fall rechtfertigt sich demgegenüber gerade durch die besondere Nähe der Erstfeststellung mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu den Fällen des § 44 Abs 1 [X.] X. So wäre es mit dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung schwer zu vereinbaren, wenn der Leistungsberechtigte in Fällen, in denen der Leistungsträger die Folgen einer rechtswidrigen Leistungsversagung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 44 [X.] X) beseitigen muss, Leistungseinschränkungen für die Vergangenheit hinnehmen muss, hingegen in Fällen, in denen zum Ausgleich vorenthaltener Leistungen aufgrund der Verletzung bloßer (sanktionsloser) Nebenpflichten kraft Richterrechts eine dem geschriebenen Recht vergleichbare "Folgenbeseitigung" angestrebt wird, der Berechtigte weiter zurückreichende Leistungen als im erstgenannten Fall in Anspruch nehmen könnte. Deshalb darf der neben dem Korrekturanspruch aus § 44 [X.] X bestehende Herstellungsanspruch nicht über den gesetzlichen Anspruch hinausgehen. Nur dies wird schließlich dem Umstand gerecht, dass sich in zahlreichen Fallgestaltungen die Anwendungsbereiche des § 44 [X.] X und des Herstellungsanspruchs so nahe kommen bzw überschneiden, dass eine unterschiedliche Rückwirkung je nach schließlich einschlägiger Rechtsgrundlage nicht nachvollziehbar wäre: Den im [X.]surteil vom [X.] (aaO, Rd[X.]9) genannten [X.] kann noch die Fallkonstellation hinzugefügt werden, dass vorgetragen wird, der Träger habe dem [X.] Informationen vorenthalten, die ihn zur rechtzeitigen Anfechtung veranlasst hätten (hierzu Hessisches [X.] vom [X.] R 359/12 - Juris).

Diesem Ergebnis stehen auch keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegen. Wie der [X.] bereits entschieden hat ([X.]surteil vom 7.2.2012 - B 13 R 40/11 R - [X.], 97 = [X.] 4-5075 § 3 [X.], Rd[X.]7), ist der Gesetzgeber bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der (materiellen) Gerechtigkeit über das verfassungsrechtlich Gebotene mit der seit 1.1.1981 in [X.] getretenen Regelung von § 44 Abs 1 [X.] X bereits hinausgegangen. Zudem ist die Regelung des § 44 Abs 4 [X.] X eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende und damit zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG (so schon BSG vom [X.] - 1 RA 31/85 - [X.], 158, 161 ff = [X.] 1300 § 44 [X.]3 S 54). Im Fall der analogen Anwendung der Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 [X.] X beim richterrechtlich entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann daher kein weitergehender Grundrechtsschutz bestehen.

2. Der [X.] weicht mit dieser Entscheidung nicht iS des § 41 Abs 2 SGG von der Rechtsprechung des 4. [X.]s des BSG (Urteile vom [X.] - B 4 RA 54/99 R - [X.] 3-2600 § 99 [X.], vom 6.3.2003 - [X.]/02 R - [X.], 1 = [X.] 4-2600 § 115 [X.] und vom 26.6.2007 - B 4 R 19/07 R - [X.] 4-1300 § 44 [X.]2) ab, in denen der 4. [X.] die entsprechende Anwendung des § 44 Abs 4 [X.] X im Rahmen von [X.], denen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zugrunde liegt, ablehnt.

Eine Vorlage wegen abweichender Rechtsprechung an den Großen [X.] des BSG (§ 41 Abs 2 SGG) kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei den Ausführungen des 4. [X.]s in den vorbezeichneten Entscheidungen jeweils um nicht tragende Erwägungen handelt. Voraussetzung für eine Divergenzvorlage ist aber, dass die aufgeworfene Rechtsfrage sowohl für die neue als auch die frühere Entscheidung entscheidungserheblich ist. Die Beantwortung der Rechtsfrage muss die Entscheidung derart tragen, dass sie ein unabdingbares Glied in der Gedankenkette des erkennenden [X.]s ist (BSG vom 18.11.1980 - [X.] 3/79 - [X.], 23, 25 = [X.] 1500 § 42 [X.]). Hieran fehlt es vorliegend.

In dem vom 4. [X.] am [X.] entschiedenen Fall war - wovon dieser [X.] bei seiner Entscheidung selbst ausging (BSG 4. [X.], aaO, [X.]) - der sozialrechtliche Herstellungsanspruch bereits tatbestandlich nicht anwendbar (so [X.]surteil vom [X.], aaO, RdNr 35). Im Urteil des 4. [X.]s vom 6.3.2003 (BSG 4. [X.], aaO) waren die Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 [X.] X auf den Herstellungsanspruch ebenfalls nicht tragend. Denn sie erfolgten lediglich im Rahmen der Hinweise an das [X.], wie ggf zu entscheiden sein werde, wenn bestimmte weitere Feststellungen getroffen würden (s [X.]surteil vom [X.], aaO, RdNr 36 bis 37). Dem vom 4. [X.] am 26.6.2007 entschiedenen Fall lag schließlich kein [X.], sondern ein Überprüfungsverfahren zugrunde, so dass § 44 Abs 4 [X.] X unmittelbar anzuwenden war (BSG 4. [X.], aaO, Rd[X.]1 f). Auch hier erfolgten die Ausführungen zur analogen Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 [X.] X im Rahmen eines Obiter Dictum und gehörten somit nicht zu den tragenden Erwägungen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 13 R 23/13 R

24.04.2014

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Gelsenkirchen, 25. April 2012, Az: S 14 R 769/11, Urteil

§ 2 Abs 2 SGB 1, § 14 SGB 1, § 15 SGB 1, § 45 SGB 1, § 47 SGB 6, § 99 SGB 6, § 28 SGB 10, § 39 Abs 2 SGB 10, § 44 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 4 SGB 10, § 48 Abs 4 SGB 10, § 41 Abs 3 SGG, § 54 Abs 4 SGG, § 77 SGG, Art 14 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.04.2014, Az. B 13 R 23/13 R (REWIS RS 2014, 6158)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6158

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