Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.09.2019, Az. 1 C 30/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 3719

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Gegenstand

Regelfall eines der Einbeziehung eines Abkömmlings entgegenstehenden Verlassens des Aussiedlungsgebiets wegen Familienzusammenführung in Deutschland


Leitsatz

Die Annahme eines sowohl im Bundesgebiet als auch im Aussiedlungsgebiet bestehenden Wohnsitzes (Doppelwohnsitz) steht einem Verbleib des Einbeziehungsbewerbers im Aussiedlungsgebiet im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG entgegen, wenn es an einem tatsächlich durchgängigen (deutlich) überwiegenden Aufenthalt im Aussiedlungsgebiet fehlt (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 C 29.18 - juris).

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Einbeziehung ihres Enkels in den ihr erteilten Aufnahmebescheid nach dem [X.] ([X.]).

2

Der 1943 in der ehemaligen [X.] geborenen Klägerin wurde auf ihren Antrag vom Februar 1999 unter dem 22. August 2002 ein Aufnahmebescheid unter Einbeziehung ihres 1966 geborenen [X.] erteilt. Im November 2002 reisten sie in die [X.] ein.

3

Der 1990 geborene Enkel der Klägerin reiste am 4. August 2007 gemeinsam mit seiner Mutter mit zur Familienzusammenführung mit dem Ehemann und Vater erteilten [X.] von der [X.] in die [X.] ein. Unmittelbar nach der Einreise beantragten sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung, die ihnen auf Grundlage von § 28 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 [X.] befristet bis zum 13. August 2010 erteilt wurde. In den Anträgen wurde jeweils angegeben, dass ein ständiger Wohnort außerhalb der [X.] nicht beibehalten wird. In der [X.] vom 4. August 2007 bis zum 17. August 2008 waren sie mit alleinigem Wohnsitz in [X.] gemeldet. Im Januar 2008 reisten der Enkel und seine Mutter nach Angaben der Klägerin in die [X.] zurück. Der Enkel nahm in S. ein Medizinstudium auf; seine Mutter verstarb im Januar 2012.

4

Am 15. März 2012 beantragte die Klägerin die nachträgliche Einbeziehung ihres Enkels in den ihr erteilten Aufnahmebescheid. Es läge ein besonderer Härtefall vor, weil sich der Enkel im Wege der Familienzusammenführung in [X.] aufgehalten und die Schule besucht habe. Wegen der Erkrankung der Mutter sei er mit ihr in die Heimat zurückgekehrt und fühle sich dort nach deren Tod vollkommen allein.

5

Mit Bescheid vom 8. September 2014 lehnte das [X.] mit der Begründung ab, es fehle wegen der Einreise und des Aufenthalts in der [X.] von 2007 bis 2008 an einem ununterbrochenen Verbleib des [X.] im [X.]. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen.

6

Das Verwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 15. Februar 2017 mit der Begründung ab, für den Anspruch der Klägerin fehle es an der Voraussetzung des Verbleibens des [X.] im [X.]. Dieser müsse im gesamten [X.]raum von der Aussiedlung des [X.] bis zur Entscheidung über die nachträgliche Einbeziehung im [X.] wohnhaft gewesen sein. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass (auf Dauer angelegte) Zwischenaufenthalte außerhalb des [X.]s den Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung unberührt ließen.

7

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Mai 2018 das Urteil des [X.] geändert und die Beklagte zur Einbeziehung des Enkels in den der Klägerin erteilten Aufnahmebescheid verpflichtet. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.]. Der Enkel sei insbesondere ein im Sinne der Vorschrift im [X.] verbliebener Abkömmling, weil er nach der Aussiedlung der Klägerin von August 2007 bis zu seiner Rückkehr in die [X.] im Januar 2008 zwar einen Wohnsitz in [X.] gehabt, seinen Wohnsitz im [X.] aber bis heute ununterbrochen beibehalten habe. Für einen Domizilwillen im [X.] sprächen objektive Umstände. Die Mutter habe die Wohnung in [X.] während des Aufenthalts in [X.] beibehalten, und der Enkel sei seit 1996 ununterbrochen in [X.] gemeldet gewesen. Die Mutter habe nach ihrer Rückkehr ohne Weiteres wieder an ihre Arbeitsstelle zurückkehren können. Auch in subjektiver Hinsicht habe der Enkel während seines Aufenthalts in [X.] seinen Wohnsitz in [X.] nicht aufgegeben. Als Minderjähriger habe er in der [X.] den Wohnsitz seiner Mutter geteilt. Diese sei nur unter Vorbehalt der Rückkehr im Falle des Scheiterns der zweiten Ehe mit dem [X.] der Klägerin nach [X.] gereist und habe deshalb weder den Wohnsitz noch die Arbeitsstelle aufgegeben. Für einen Rückkehrwillen des Enkels spreche, dass er habe Medizin studieren wollen, was ihm in [X.] nicht möglich gewesen sei.

8

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] und § 7 BGB. Bei der Voraussetzung des Verbleibens des [X.] im [X.] komme es - im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 [X.] - nicht allein auf dessen Wohnsitz an. Bei Auslegung des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] sei der Wohnsitzbegriff synonym mit einem kontinuierlichen ununterbrochenen Aufenthaltserfordernis des betroffenen Familienangehörigen zu verstehen. Werde ein Wohnsitz außerhalb des [X.]s begründet, sei es aus persönlichen oder sonstigen Gründen, könne der Familienangehörige nicht mehr im [X.] verblieben sein, selbst wenn er dort einen weiteren Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 2 BGB unterhalte. Es liege dann keine aussiedlungsbedingte Trennung der Familie vor. Es könne nicht allein auf den subjektiven Niederlassungswillen oder innere Vorbehalte des Betroffenen abgestellt werden, ohne auch wahrnehmbare objektive Kriterien hierfür heranzuziehen. Das "Begründen" eines Wohnsitzes gemäß § 7 Abs. 1 BGB sei durch eine objektive und eine subjektive Komponente geprägt. Danach habe die Mutter des Enkels, auf die es gemäß § 11 BGB wegen dessen damaliger Minderjährigkeit ankomme, keinen durchgängigen Wohnsitz in [X.] begründet. Sie sei zusammen mit dem gemeinsamen Kind von [X.] nach [X.] zu ihrem Ehegatten zum Zwecke der Familienzusammenführung übergesiedelt, habe dort ihren Wohnsitz genommen, sich überwiegend aufgehalten, ihre wirtschaftliche Existenz- und Lebensgrundlage gehabt und ein gemeinsames Ehe- und Familienleben geführt. Sie habe keinerlei verbleibende Lebensverhältnisse im [X.] mehr gehabt, die sie von einem anderen räumlichen Schwerpunkt aus hätte führen können.

9

Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Wegen des beabsichtigten Medizinstudiums in [X.] sei der Aufenthaltswille des Enkels in [X.] - anders als möglicherweise der der Mutter - von Beginn an nur vorübergehend gewesen.

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren und teilt die Rechtsauffassung der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Enkel der Klägerin sei im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben", ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung zurückzuweisen (2.).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des von der Klägerin mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung ihres Enkels in den ihr 2002 erteilten [X.] ist § 27 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - [X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 ([X.] [X.] 3554). Die nachfolgenden Änderungen des [X.] (zuletzt durch das [X.] vom 6. Mai 2019 <[X.] [X.] 646>) haben diese Regelung unverändert gelassen. Für die Sachlage ist aus Gründen des materiellen Rechts ebenfalls auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung abzustellen, hier also den des Berufungsurteils (Mai 2018) (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 17.15 - BVerwGE 156, 164 Rn. 10).

1. Nach § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] kann abweichend von § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] der im [X.] verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines [X.], der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den [X.] des [X.] einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Der Enkel der Klägerin ist kein "im [X.] verbliebener" Abkömmling der Klägerin, weil er sich von August 2007 bis Januar 2008 nicht (überwiegend) im [X.] aufgehalten hat.

1.1 Ein Verbleiben im [X.] erfordert ein - seit der Ausreise der Bezugsperson - ununterbrochenes, d.h. kontinuierliches Verbleiben; dies setzt zumindest voraus, dass der einzubeziehende Familienangehörige eines [X.] auch seinen Wohnsitz seit der Aussiedlung des [X.] ununterbrochen im [X.] gehabt haben muss (BVerwG, Urteile vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 11 ff., - 1 [X.] 20.15 - juris Rn. 18 ff. und - 1 [X.] 21.15 - juris Rn. 15 f.). Für die Anwendung des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] reicht allein ein durchgängiger - gegebenenfalls zweiter - Wohnsitz allerdings nicht aus. Der einzubeziehende Ehegatte oder Abkömmling des [X.] muss sich im Regelfall vielmehr auch tatsächlich durchgängig (deutlich) überwiegend im [X.] aufgehalten haben (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 11).

a) § 27 Abs. 2 Satz 1 und 3 [X.] stellt für die Einbeziehung darauf ab, ob der Ehegatte oder Abkömmling des Aussiedlers im [X.] lebt bzw. dort verblieben ist. Dies ist bei Personen mit nur einem Wohnsitz und ohne längere Auslandsaufenthalte regelmäßig der Fall, wenn dort der Wohnsitz (fort)besteht. Entscheidend ist aber bereits nach dem insoweit klaren Wortlaut der durchgängig auch tatsächliche Aufenthalt bzw. Verbleib im [X.]. Der Begriff des "[X.]" lässt sich am ehesten als an einem Ort zurückbleiben und dort ausharren verstehen. Dies setzt sprachlich neben einem kontinuierlichen auch einen tatsächlichen (deutlich überwiegenden) Aufenthalt im [X.] voraus. Dem genügt nicht ein nur gelegentlicher, zeitlich begrenzter Aufenthalt in den [X.]en, etwa zu Besuchszwecken oder zur Pflege familiärer Beziehungen (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 12 f. m.w.N.).

Mit diesem grammatischen Verständnis nicht vereinbar ist, dass das Berufungsgericht tragend auf einen - wegen der damaligen Minderjährigkeit gemäß § 11 Satz 1 BGB von der Mutter abgeleiteten - "mehrfachen Wohnsitz" im Sinne von § 7 Abs. 2 BGB in [X.] und der [X.] abgestellt und auf der Grundlage des Wohnsitzbegriffs des § 7 BGB dessen Fortbestand bejaht hat. Das in § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] geforderte Verbleiben in den [X.]en ist gerade nicht gleichbedeutend mit einem fortdauernden Wohnsitz.

b) Ein systematischer Vergleich von § 27 Abs. 2 [X.] mit § 27 Abs. 1 [X.] bestätigt, dass der Begriff des [X.] in § 27 Abs. 2 [X.] nicht mit dem u.a. in § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] geforderten "Wohnsitz" in den [X.]en gleichbedeutend ist. Durch die Verwendung unterschiedlicher Begriffe hat der Gesetzgeber unterstrichen, dass für die Anwendung des § 27 Abs. 2 [X.] gerade nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den tatsächlichen Aufenthalt im Sinne einer deutlich überwiegenden Ortsanwesenheit und einer "gelebten" Verbindung mit dem [X.] abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 15 f. m.w.N.).

c) Soweit die Entstehungsgeschichte der Regelung über die (nachträgliche) Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen Rückschlüsse zulässt, weist auch sie darauf, dass für die Einbeziehung regelmäßig neben dem durchgängigen auch ein deutlich überwiegender tatsächlicher Aufenthalt erforderlich ist. Nach dem Verwendungszusammenhang ist der Begriff des "[X.]" zu beziehen auf den Zweck, Familientrennungen zu beseitigen, die durch die Aussiedlung des [X.] - und nicht aus sonstigen, beliebigen Gründen - eingetreten sind. Ist das gemeinsame Familienleben (auch oder vorrangig) aus anderen, von der Aussiedlung unabhängigen Gründen (nachträglich) tatsächlich entfallen, so entfällt auch ungeachtet fortbestehender familienrechtlicher Bindungen der rechtfertigende Grund für eine Einbeziehung des Ehegatten oder der Abkömmlinge. Selbst bei unterstellt rechtlich fortbestehendem Wohnsitz hat eine nachträgliche Aufnahme in den [X.] in aller Regel auszuscheiden, wenn ein Abkömmling nicht mehr im [X.] "lebt", sich also nicht (deutlich überwiegend) dort, sondern - aus welchen Gründen auch immer - tatsächlich außerhalb dieser Gebiete aufhält. Diese Zwecksetzung bestätigt auch die Entwicklung der Regelungen zur Einbeziehung von Familienangehörigen. Nur eine Auslegung, die auf den tatsächlich (deutlich überwiegenden) durchgängigen Aufenthalt im [X.] abstellt, entspricht auch dem Sinn und Zweck der durch das 10. [X.]-Änderungsgesetz neugefassten Regelung des Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung von Familienangehörigen. Das Vertriebenenrecht mit seinen weitreichenden, auch staatsangehörigkeits-rechtlichen Rechtsfolgen (s. § 15 Abs. 2 [X.] i.V.m. § 7 [X.]) erfasst erkennbar nur den direkten Zuzug aus den [X.]en. Weitere Fälle des [X.] zu Familienangehörigen sind nach allgemeinem Aufenthaltsrecht (§ 27 AufenthG) zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 17 ff. m.w.N.).

1.2 Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Enkel der Klägerin nachträglich in den ihr 2002 erteilten [X.] einzubeziehen. Das Berufungsgericht ist für seine Bewertung, ob der Enkel der Klägerin im [X.] "verblieben" ist, von einem bundesrechtlich unzutreffenden Ansatzpunkt ausgegangen. Seine Erwägungen zum Fortbestand eines Wohnsitzes in der [X.] tragen jedenfalls nicht die Bewertung, der Enkel der Klägerin sei im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben". Denn für das Aufrechterhalten eines Wohnsitzes bedarf es nicht eines (deutlich) überwiegenden Aufenthalts. Weder enthält das Berufungsurteil Feststellungen noch gibt es sonstige Anhaltspunkte, dass sich der Enkel der Klägerin von August 2007 bis Januar 2008 überhaupt, geschweige denn tatsächlich durchgängig (deutlich) überwiegend im [X.] aufgehalten hat. Selbst wenn es kürzere Besuchsaufenthalte im [X.] gegeben haben sollte, begründeten diese auch dann keinen Ausnahmefall vom Erfordernis des dauerhaften und überwiegenden [X.] im [X.], wenn der Fortbestand eines dortigen Wohnsitzes sowie dortiger familiärer Bindungen unterstellt werden. Mangels eines tatsächlichen Aufenthalts im [X.] kann für den vorliegenden Fall (weiter) offen bleiben, in welchem Umfange kurzfristige Aufenthalte außerhalb des [X.], etwa zu Besuchs- oder Urlaubszwecken bzw. für Saison- oder Montagearbeiten, für einen Verbleib unerheblich sind. Jedenfalls bedarf es nicht eines Willens, auch einen etwa fortbestehenden (weiteren) Wohnsitz aufzugeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 18).

1.3 Bei dieser Sachlage ist nicht zu vertiefen, ob die - allerdings nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu objektiven Anhaltspunkten für Bindungen des Enkels der Klägerin und dessen Mutter an das [X.] geeignet waren, die berufungsgerichtliche Bewertung zu tragen, der Enkel der Klägerin habe weiterhin im Sinne des § 7 BGB auch über einen Wohnsitz in der [X.] verfügt. Im vorliegenden Fall des Verlassens des [X.]s zum Zwecke der Familienzusammenführung ist auch nicht zu vertiefen, ob an der bisherigen vertriebenenrechtlichen Rechtsprechung zum Wohnsitzbegriff für Fallkonstellationen eines nachhaltigen Auseinanderfallens von tatsächlichem Aufenthalt und fortbestehendem Domizilwillen für einen Wohnsitz an einem anderen Ort uneingeschränkt festzuhalten oder diese für grenzüberschreitende Sachverhalte, welche die bisherige Rechtsprechung nicht systematisch im Blick hatte, fortzuentwickeln ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 25).

2. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

2.1 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der damals minderjährige Enkel der Klägerin im August 2007 zusammen mit seiner Mutter nach [X.] gekommen und hat hier bis zur Rückkehr in die [X.] im Januar 2008 dauerhaft Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung mit seinem Vater, dem [X.] der Klägerin, genommen ([X.] f.). Diese bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen tragen die revisionsgerichtliche Bewertung, dass der Enkel der Klägerin nicht "im [X.] verblieben" ist, weil er sich damit von August 2007 bis Januar 2008 außerhalb der [X.]e aufgehalten hat. Für einen möglichen Ausnahmefall geben die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts her. Allein der Umstand, dass die Mutter des Enkels seinerzeit nur "auf Probe" und "unter dem Vorbehalt" der Rückkehr in die [X.] nach [X.] gekommen ist und für den Fall des Scheiterns der zweiten Ehe mit dem [X.] der Klägerin dort weiter gemeldet war und weder ihre Wohnung noch ihre Arbeitsstelle aufgegeben hatte ([X.] f.), ändert nichts an der Verlagerung des tatsächlichen Aufenthalts und begründet keinen Ausnahmefall. Mit der auf aufenthaltsrechtlicher Grundlage herbeigeführten Familienzusammenführung, die dem Enkel der Klägerin einen dauerhaften Aufenthalt in [X.] eröffnete, haben sich die Beteiligten bewusst für eine aufenthaltsrechtliche und damit gegen eine vertriebenenrechtliche Lösung entschieden, um die durch die Aussiedlung der Klägerin und ihres [X.]es eingetretene Trennung der Familie zu beseitigen. Damit ist die mit der freiwilligen Rückkehr des Enkels und seiner Mutter in die [X.]e erneut entstandene Familientrennung keine aussiedlungsbedingte mehr, um deren Beseitigung es dem Gesetzgeber mit dem Instrument der nachträglichen Einbeziehung gemäß § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] ging (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 20).

2.2 § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] scheidet als Rechtsgrundlage für eine Einbeziehung ebenfalls aus, nachdem die Klägerin bereits im November 2002 ausgesiedelt und ihre Aussiedlung bei Stellung des Antrags auf Einbeziehung des Enkels vollständig abgeschlossen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 29.18 - juris Rn. 28). Weitere Anspruchsgrundlagen für die begehrte Einbeziehung bestehen nicht.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 30/18

11.09.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. Mai 2018, Az: 11 A 648/17, Urteil

§ 11 BGB, § 7 BGB, § 27 Abs 2 S 3 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.09.2019, Az. 1 C 30/18 (REWIS RS 2019, 3719)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3719

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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