Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.12.2020, Az. XI B 10/20

11. Senat | REWIS RS 2020, 3725

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Gegenstand

Zur Unterbrechung der Festsetzungsverjährung und zur Ablaufhemmung in Insolvenzfällen


Leitsatz

NV: Eine analoge Anwendung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 13 AO in Fällen einer Festsetzung von zu erstattender Steuern kommt während des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens nicht in Betracht.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 11.12.2019 - 1 K 1365/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der [X.] (GmbH). Das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH wurde mit dem Beschluss des [X.] vom [X.] ([X.]. ...) eröffnet und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Das seinerzeit für die Besteuerung der GmbH zuständige Finanzamt [X.] meldete u.a. [X.] für die Monate Januar bis November 1994 zur [X.] an, wobei für November eine pauschale Vorsteuerberichtigung vorgenommen worden war.

2

2015 reichte der Kläger beim Finanzamt U eine Umsatzsteuererklärung für 1994 ein, mit der er einen Erstattungsanspruch in Höhe von ... DM (entspricht ... €) geltend machte. Das Finanzamt U lehnte eine entsprechende Festsetzung mit Bescheid vom 29.10.2015 u.a. unter Verweis auf den Eintritt einer Festsetzungsverjährung ab. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 04.10.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Im Klageverfahren trat auf Seiten des Beklagten ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel ein.

3

Das Finanzgericht (FG) des [X.] wies die Klage mit Urteil vom 11.12.2019 - 1 K 1365/16 als unbegründet ab.

4

Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Des Weiteren sei die Revision zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).

Entscheidungsgründe

II.

5

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen jedenfalls nicht vor.

6

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

7

a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 13.03.2019 - XI B 97/18, [X.]/NV 2019, 711, Rz 3; vom 29.04.2020 - XI B 113/19, [X.]E 268, 480, [X.], 476, Rz 18). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a., wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den [X.] geboten erscheinen lassen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 19.09.2016 - X B 159/15, [X.]/NV 2017, 54, Rz 20, m.w.N.; vom 09.02.2017 - II B 38/15, [X.]/NV 2017, 617, Rz 13; Lange in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 115 [X.]O Rz 106, m.w.N.). Ebenso fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit dann, wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 21.09.2009 - VI B 31/09, [X.]E 226, 329, [X.], 382, Rz 9, m.w.N., und vom 14.04.2011 - X B 104/10, [X.]/NV 2011, 1343, Rz 6).

8

b) Die von dem Kläger sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage (vgl. S. 4 f. und S. 66 f. der Beschwerdebegründungsschrift), ob die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 13 der Abgabenordnung ([X.]) a.[X.] sinngemäß auch für [X.] des Konkurs- bzw. Insolvenzverwalters gilt bzw. eine Unterbrechung der Festsetzungsverjährung gemäß § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) in diesen Fällen erfolgt, ist nicht klärungsbedürftig. Denn eine analoge Anwendung des § 240 Satz 1 ZPO kommt nicht in Betracht. Der [X.] hat dies bereits entschieden. Ebenso scheitert eine analoge Anwendung des § 171 Abs. 13 [X.] a.[X.]

9

aa) Nach § 12 der Konkursordnung --KO-- (nunmehr § 87 der Insolvenzordnung --[X.]--), der über die Verweisung in § 251 Abs. 2 [X.] ("Unberührt bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung...") auch im Steuerrecht zu beachten ist, können die Konkurs- bzw. Insolvenzgläubiger zwar ihre Forderungen nur entsprechend den Vorschriften über das Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren verfolgen (vgl. dazu [X.]-Urteile vom 24.08.2004 - VIII R 14/02, [X.]E 207, 10, [X.] 2005, 246 noch zur Rechtslage nach der Konkursordnung; vom 10.12.2008 - I R 41/07, [X.]/NV 2009, 719, m.w.N.; vom 11.12.2013 - XI R 22/11, [X.]E 244, 209, [X.] 2014, 332, Rz 20). Ebenso dürfen nach Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten (vgl. [X.]-Urteile vom 02.07.1997 - I R 11/97, [X.]E 183, 365, [X.] 1998, 428; in [X.]E 244, 209, [X.] 2014, 332, Rz 20).

bb) Der [X.] hat aber gleichfalls geklärt, dass das Finanzamt durch die Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht gehindert ist, eine negative Umsatzsteuer festzusetzen, weil einem solchen Bescheid die abstrakte Eignung fehlt, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn mit einem solchen Bescheid setzt das Finanzamt keine Konkurs- bzw. Insolvenzforderung fest, die nach § 12 KO (bzw. § 87 [X.]) nur nach den Vorschriften über das Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag, der nicht zur Tabelle anzumelden wäre. Deshalb scheidet hier auch eine Unterbrechung des [X.] mit Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens analog § 240 Satz 1 ZPO aus (vgl. hierzu im Einzelnen [X.]-Urteile vom 13.05.2009 - XI R 63/07, [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11, Rz 16 ff.; vom 25.07.2012 - VII R 29/11, [X.]E 238, 307, [X.] 2013, 36, Rz 19; in [X.]E 244, 209, [X.] 2014, 332, Rz 21; vom 16.06.2015 - XI R 18/13, [X.]/NV 2015, 1607, Rz 23; vom [X.], [X.]E 267, 542, Rz 29).

cc) Auch wenn sich der Kläger auf eine kritische Stellungnahme in der Fachliteratur bezieht (Scherer, [X.], 296), sind daraus keine neuen Gesichtspunkte ableitbar, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den [X.] geboten erscheinen lassen. Insbesondere kann ein solcher Hinweis der Rechtssache von sich allein noch keine grundsätzliche Bedeutung geben (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 17.12.1987 - V B 80/87, [X.]E 152, 35, [X.] 1988, 290; vom 18.05.1994 - II B 183/93, [X.]/NV 1994, 887). Das [X.] hat sich zudem in seinem Urteil mit der [X.] auseinandergesetzt und dargelegt, warum eine analoge Anwendung des § 240 ZPO bei [X.] der vorliegenden Art nicht in Betracht kommt. Der Kläger hätte unter diesen Umständen im Einzelnen darlegen müssen, ob und inwieweit widerstreitende Meinungen in der Literatur und der Rechtsprechung bestehen (vgl. z.B. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 1994, 887) und hätte insoweit beachtliche neue Argumente vortragen müssen. Dies ist nicht geschehen. Im Übrigen hat sich das [X.] maßgeblich zu Recht darauf bezogen, dass eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 240 ZPO bereits daran scheitere, dass eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz nicht vorliege (vgl. S. 14 der Urteilsgründe). Die Rechte der Gläubiger, deren gemeinschaftliche Befriedigung das Insolvenzverfahren bezweckt (§ 1 [X.]), sollen nicht beeinträchtigt werden (vgl. z.B. [X.] in [X.] Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 240 Rz 1). Ein [X.] über ein [X.] verändert aber nicht den Bestand der Forderungen zu Lasten der [X.], die Gegenstand des insolvenzrechtlichen Prüfungsverfahrens sind (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 238, 307, [X.] 2013, 36, Rz 19), so dass eine analoge Anwendung des § 240 ZPO ausscheidet.

[X.]) Soweit in einem Revisionsverfahren die Rechtsfrage geklärt werden soll, ob eine analoge Anwendung des § 171 Abs. 13 [X.] a.[X.] bei [X.] des Konkursverwalters in Betracht komme, kann auch insoweit diese Frage als geklärt angesehen werden, da auch keine planwidrige Regelungslücke erkennbar ist. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 13 [X.] (a.[X.] und n.[X.]) soll verhindern, dass Steuerforderungen, die vor Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens nicht festgesetzt und wegen Bestreitens der Forderung nicht zur Tabelle festgestellt und deshalb im Verfahren nicht befriedigt worden sind, während des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens verjähren. Der Finanzbehörde soll in solchen Fällen die Möglichkeit erhalten bleiben, die Forderung nach Beendigung des Verfahrens durch Steuerbescheid festzusetzen ([X.]-Urteil vom 19.08.2008 - VII R 36/07, [X.]E 222, 205, [X.] 2009, 90, unter [X.] [X.]; [X.] in [X.], § 171 [X.] Rz 235; [X.]/Rüsken, [X.], 15. Aufl., § 171 Rz 116). Der entsprechenden Anwendung einer solchen Regelung in Fällen einer Festsetzung von zu erstattender Steuern bedarf es nicht, wenn --wie der [X.] mehrfach entschieden hat (s.o.)-- eine Unterbrechung des [X.] bei Festsetzung einer zu erstattenden Steuer analog § 240 Satz 1 ZPO nicht eintritt.

2. Da das Erfordernis einer Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) ein Unterfall des [X.] der grundsätzlichen Bedeutung ist (vgl. [X.]-Beschluss vom 22.07.2014 - XI B 29/14, [X.]/NV 2014, 1780, m.w.N.), kommt die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts aus denselben Gründen nicht in Frage.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O).

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI B 10/20

09.12.2020

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 11. Dezember 2019, Az: 1 K 1365/16, Urteil

§ 240 ZPO, § 251 Abs 2 AO, § 171 Abs 13 AO vom 19.12.1998, § 171 Abs 13 AO vom 16.03.1976, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 171 Abs 13 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.12.2020, Az. XI B 10/20 (REWIS RS 2020, 3725)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3725

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