Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.10.2016, Az. B 10 ÜG 24/16 B

10. Senat | REWIS RS 2016, 3443

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungshöhe - Anhebung bei struktureller Überlastung der Justiz - Tatsachenfeststellung - Abschlag bei juristischen Personen - bindende Feststellungen bei Zurückverweisung - Divergenz - verdeckter Rechtssatz - Erforderlichkeit einer deduktiven Ableitung - besondere Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 26. April 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 4200 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin und das beklagte Land streiten um die Höhe der Entschädigung für die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens.

2

Die Klägerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die [X.] ein Seniorenheim betreibt. Das von ihr angestrengte Streitverfahren um Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung höherer Investitionsaufwendungen dauerte vor [X.] und L[X.] von Mai 2000 bis Juli 2010. Wegen der Dauer dieses Verfahrens erhob die Klägerin anschließend [X.]. Das L[X.] als Entschädigungsgericht verurteilte das beklagte Land, der Klägerin 2400 Euro Entschädigung für die unangemessene Verfahrensdauer zu zahlen und wies die Klage im Übrigen ab (Urteil vom 29.11.2012). Auf die Revision beider Beteiligten hat der erkennende Senat das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverwiesen (Urteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R).

3

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren hat das L[X.] den Beklagten antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin für jeden der von ihm festgestellten 35 Monate der Verzögerung eine Entschädigung von 120 Euro, insgesamt 4200 Euro, zu zahlen. Ausnahmsweise sei eine Entschädigung oberhalb des [X.] des § 198 Abs 2 [X.] [X.] angemessen. Die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit der Klägerin beruhe auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten [X.], weshalb der resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer wiege (Urteil vom 26.4.2016).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte Beschwerde zum B[X.] eingelegt. Er macht geltend, das L[X.] habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des B[X.] abgewichen.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete grundsätzliche Bedeutung (1.) noch die angebliche Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 [X.] [X.]G).

6

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

7

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl B[X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.] mwN).

8

An diesen Darlegungen fehlt es hier.

9

Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,

        

unter welchen Voraussetzungen das Entschädigungsgericht eine strukturelle Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit einer ([X.]-)Justizverwaltung annehmen darf und welche konkreten Feststellungen dafür zu treffen sind, um eine Erhöhung der gesetzlichen Entschädigungspauschale nach § 198 Abs 1 (gemeint: Abs 2) [X.] und 4 [X.] zu rechtfertigen,

 legt sie keine klärungsfähige Rechtsfrage dar. Rechtsfrage ist regelmäßig nur eine solche des materiellen oder des Verfahrensrechts, die mit Mitteln juristischer Methodik beantwortet werden kann. Kann dagegen über eine Frage Beweis erhoben werden, so handelt es sich typischerweise um eine Tatfrage, die das Revisionsgericht nicht beantworten kann ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, § 160 Rd[X.]5 mwN). Wie der Senat im [X.] an die Rechtsprechung des [X.] unter anderem im vorliegenden Verfahren bereits geklärt hat, ist bei der Festsetzung des Entschädigungsbetrags nach § 198 Abs 2 [X.] und 4 [X.] zu berücksichtigen, ob die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten [X.] beruht und der resultierende Grundrechtsverstoß deshalb besonders schwer wiegt (B[X.] Urteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - B[X.]E 118, 91 = [X.]-1720 § 198 [X.]). Diese rechtliche Erwägung macht aber den Geschäftsanfall und die Personalausstattung von Sozialgerichten sowie die sich daraus generell ergebenden Verfahrenslaufzeiten nicht zu auslegungsfähigen gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen des § 198 Abs 2 [X.] und 4 [X.]G. Ob die Gerichte eines [X.] strukturell überlastet sind, ist keine mit den Mitteln juristischer Methodik zu klärende rechtliche, sondern eine tatsächliche Vorfrage, die sich als relevanter Umstand des Einzelfalls auf die Höhe der angemessenen Entschädigung iS von § 198 Abs 2 [X.] und 4 [X.]G auswirken kann. Diesen tatsächlichen Charakter der von ihr formulierten Frage zeigen auch die anschließenden Ausführungen der Beschwerde. Sie wirft dem L[X.] vor, es habe die strukturelle Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit des beklagten [X.] lediglich aus Indizien gefolgert, ohne konkrete Feststellungen zu den geschlussfolgerten Ursachen zu treffen oder sich auch nur ansatzweise mit der konkreten Personal- oder Belastungssit[X.]tion der Sozialgerichtsbarkeit oder der entscheidenden Spruchkörper auseinanderzusetzen. Im [X.] wendet sie sich damit nicht gegen die Rechtsanwendung, sondern gegen die vorausliegende Beweiswürdigung des L[X.], die § 160 Abs 2 [X.] [X.]G indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, § 160 Rd[X.] 58 mwN).

Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,

        

ob im Rahmen der Bestimmung der Entschädigungshöhe nach § 198 Abs 2 [X.] und 4 [X.] von der gesetzlichen Entschädigungspauschale ein Abschlag vorzunehmen ist, wenn es sich bei dem Anspruchsberechtigten um eine juristische Person handelt und wenn ja, in welcher Höhe grundsätzlich der Abschlag vorzunehmen ist,

hat sie schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt, warum die Frage im vorliegenden Verfahren klärungsfähig und -bedürftig sein sollte. Wie der Senat in seiner zurückverweisenden Entscheidung ausgeführt hat ([X.]), begegnet es im vorliegenden Fall insoweit im rechtlichen Ausgangspunkt keinen revisionsrechtlichen Bedenken, von dem in § 198 Abs 2 [X.] [X.] vorgesehenen Betrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung des Verfahrens weder nach oben noch nach unten abzuweichen. Die Beschwerde legt nicht hinreichend substantiiert dar, warum sich trotz dieser nach § 170 Abs 5 [X.]G bindenden Aussage des Senats in diesem Verfahren gleichwohl noch die Frage nach einem bei juristischen Personen grundsätzlich vorzunehmenden Abschlag stellen sollte. Ob das L[X.] mit seinem Satz, es unterstelle zugunsten des Beklagten, dass bei einer GmbH regelmäßig eine geringere Entschädigung angemessen sei, gleichwohl im Regelfall eine Absenkung des [X.] für richtig hält, kann dahinstehen. Im konkreten Fall hat das L[X.] den Regelbetrag - auch nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung - jedenfalls nicht abgesenkt, sondern wegen der von ihm - für den Senat nach § 163 [X.]G bindenden - Feststellung einer strukturellen Überlastung der Sozialgerichte des beklagten [X.] im Ergebnis erhöht.

2. Ebenso wenig hat die Beschwerde die Voraussetzungen einer Divergenz hinreichend substantiiert dargetan.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das L[X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des B[X.], des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des B[X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] KR 31/09 B - Rd[X.] 4; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 26/10 B - Rd[X.] 4; B[X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris Rd[X.] 4 mwN). Erforderlich ist, dass das L[X.] bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB B[X.] Beschluss vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - Rd[X.] 4; B[X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]6 S 44 f mwN).

Insoweit hat die Beschwerde bereits nicht hinreichend substantiiert einen abweichenden Rechtssatz des L[X.] dargelegt. Die Beschwerde meint, ein solcher abweichender Rechtssatz liege in der Bestimmung der Verfahrensdauer durch das L[X.] mit der Zeitspanne von Klageerhebung am [X.] bis zur Zustellung des L[X.] Urteils am 12.7.2010. Einen ausdrücklichen Rechtssatz des L[X.] hat die Beschwerde damit aber nicht dargelegt. Soweit sie einen konkludent, dh verdeckt aufgestellten Rechtssatz behaupten wollte, hätte sie darlegen müssen, dass dieser Rechtssatz sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus dem Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung zweifellos enthalten ist (vgl B[X.] Beschluss vom 19.12.2011 - [X.]2 KR 42/11 B - Juris; B[X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]6). Diese Darlegung enthält die Beschwerde nicht. Unabhängig davon ist das L[X.] mit einer Bestimmung der Verfahrensdauer exakt den Vorgaben des Senats in seinem zurückverweisenden Urteil gefolgt (B[X.] Urteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - [X.]-1720 § 198 [X.]). Warum das L[X.] damit gleichwohl von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein sollte, legt die Beschwerde nicht dar.

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 [X.] Halbs 2 [X.]G).

3. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 S 1 [X.]G iVm § 154 Abs 2 VwGO.

4. Die [X.] folgt aus § 197a Abs 1 S 1 [X.]G iVm § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 [X.], Abs 3 GKG.

Meta

B 10 ÜG 24/16 B

25.10.2016

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend SG Magdeburg, 8. Dezember 2006, Az: S 12 P 27/00, Urteil

§ 198 Abs 2 S 3 GVG, § 198 Abs 2 S 4 GVG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 170 Abs 5 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.10.2016, Az. B 10 ÜG 24/16 B (REWIS RS 2016, 3443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3443

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