Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2024, Az. 3 StR 354/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2024, 614

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Gegenstand

Erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen: Gutschrift auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto


Leitsatz

Die Gutschrift auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto stellt einen Gegenstand dar, der Grundlage für die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen sein kann.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten [X.]      wird das Urteil des [X.] vom 29. März 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit darin - auch gegen den Mitangeklagten [X.]- jeweils die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 5.558.461,50 € angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]      wegen gewerbsmäßigen [X.] in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zudem hat es zu Lasten des Angeklagten - ebenso wie des Mitangeklagten W      - die „Einziehung des Wertes von [X.]“ in Höhe von 9.874.651,22 € als Gesamtschuldner sowie - jeweils - weiterer 5.558.461,50 € angeordnet. Neben sonstigen [X.] hat es den Anrechnungsmaßstab für im Ausland erlittene Auslieferungshaft bestimmt und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner insoweit beschränkten Revision ausschließlich gegen die - erweiterte - Einziehung des Betrages von 5.558.461,50 € und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

2

[X.] Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen betrieben der Angeklagte und der Mitangeklagte im Zeitraum von September 2017 bis November 2020 neben weiteren Geschäften arbeitsteilig drei Online-Handelsplattformen in [X.] mit dem Ziel, Kunden zu vermeintlichen Kapitalanlagen zu veranlassen. Dabei wurden die Anleger darüber getäuscht, die gezahlten Geldbeträge zurückzuerhalten, während dies von Beginn an ausgeschlossen war. Hinter dem Unternehmen zum Betreiben der Plattformen mit zeitweise 400 bis 600 Mitarbeitern stand ein komplexes Firmengeflecht aus verschiedenen, durch [X.] vertretenen Gesellschaften. Die Entscheidungsbefugnis behielten der Angeklagte und der Mitangeklagte. Die Kunden wurden durch in [X.] und [X.] ansässige Callcenter gewonnen, die nach Muttersprache der [X.] untergliedert waren. Über die drei Plattformen zahlte eine Vielzahl von - namentlich aufgeführten - Geschädigten aus [X.] aufgrund der ihnen vorgespiegelten Geldanlage insgesamt 9.874.651,22 €. Tatsächlich lagen die betrügerisch erlangten Umsätze jedoch weit darüber und erreichten über 10 Millionen € im Monat. Von den Einzahlungen wurden die Geschäftskosten wie etwa Gehälter beglichen; den Rest schütteten sich der Angeklagte und der Mitangeklagte als „Dividenden“ aus. Diese beliefen sich jeweils für den Zeitraum von Mai 2016 bis März 2017 auf 624.663 € und für den Zeitraum von April 2017 bis April 2018 auf 5.107.500 €.

3

Das [X.] hat in Bezug auf den Angeklagten und den Mitangeklagten die jeweils eine Plattform betreffenden Handlungen als eine Tat des gewerbsmäßigen [X.] (§ 263 Abs. 1 und 5 StGB) im Sinne eines uneigentlichen Organisationsdelikts gewertet und gegen die beiden in Höhe der Beträge, welche die konkret aufgeführten Geschädigten leisteten, die Einziehung des Wertes von [X.] als Gesamtschuldner angeordnet. Daneben hat es identisch gegen jeden von ihnen der Sache nach die erweiterte Einziehung des Wertes von [X.] in Höhe weiterer 5.558.461,50 € angeordnet, dazu die empfangenen Dividenden in Höhe von jeweils 5.732.163 € zugrundegelegt und davon bis April 2018 geleistete Anlagebeträge der hiesigen Geschädigten in Höhe von 347.403 € je hälftig abgezogen.

4

I[X.] Die vom Angeklagten allein angefochtene erweiterte Einziehung des Wertes von [X.] in Höhe von 5.558.461,50 € hat, auch in Bezug auf den Mitangeklagten, keinen Bestand und bedarf erneuter tatgerichtlicher Prüfung.

5

1. Den Urteilsgründen ist in mehrfacher Hinsicht nicht zu entnehmen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine erweiterte Einziehung des Wertes von [X.] gemäß § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB gegeben sind.

6

a) Es ergibt sich nicht, dass die den Dividendenzahlungen zugrunde liegenden Straftaten nicht näher konkretisiert werden können.

7

Die Anwendung des § 73a Abs. 1 StGB, auch in Verbindung mit § 73c Satz 1 StGB, setzt voraus, dass die Herkunft der Einziehungsgegenstände aus rechtswidrigen Taten feststeht, aber eine sichere Zuordnung zu konkreten oder zumindest konkretisierbaren einzelnen Taten nach Ausschöpfung aller Beweismittel ausgeschlossen ist. Sofern die betreffenden Gegenstände einzelnen rechtswidrigen [X.] zugeordnet werden können oder könnten, und sei es erst nach weiteren Ermittlungen oder Beweiserhebungen, scheidet eine erweiterte Einziehung von [X.] (§ 73a Abs. 1 StGB) beziehungsweise des Wertes von [X.] (§ 73c StGB) aus. Vielmehr ist dann eine Einziehung von [X.] nach § 73 Abs. 1 StGB beziehungsweise des Wertes von [X.] nach § 73c StGB einem (gesonderten) Verfahren wegen dieser anderen Straftaten vorbehalten. § 73a Abs. 1 StGB ist mithin subsidiär gegenüber § 73 Abs. 1 StGB (st. Rspr.; s. insgesamt etwa [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21, [X.], 254 Rn. 19 mwN).

8

Nach den Urteilsgründen hat sich die [X.] zwar rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass es sich bei den Dividenden um Erträge aus Betrugstaten handelt. Sie hat aber nicht dargelegt, inwieweit diese Taten näher konkretisiert werden können. Da ausweislich der Feststellungen weitere Verfahren gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten hinsichtlich anderer Plattformen geführt werden, lässt sich auch im Zusammenhang nicht entnehmen, dass eine weitere Eingrenzung anderer Taten, aus denen die Erträge herrühren könnten, ausgeschlossen ist. Zudem ist abzugrenzen, ob die Zuflüsse nicht teilweise aus den abgeurteilten, gemäß § 154a Abs. 1 StPO beschränkten Taten - dem Betreiben der drei bestimmten Handelsplattformen - stammen können, weil die „mit diesen und weiteren Plattformen betrügerisch erzielten Umsätze“ nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen weit über den konkret aufgeführten [X.] lagen (vgl. zur Bedeutung der Verfolgungsbeschränkung [X.], Beschluss vom 23. Mai 2023 - [X.], juris Rn. 60 mwN).

9

b) Darüber hinaus ist unklar, inwieweit das Erlangte zum Zeitpunkt der Begehung einer der abgeurteilten Taten gegenständlich oder als Surrogat beim Angeklagten vorhanden war. Ein solcher zeitlicher Zusammenhang zwischen der urteilsgegenständlichen Tat und den abzuschöpfenden Erträgen aus anderen Delikten war bereits im Rahmen des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF erforderlich. Daran hat sich durch das neue Recht der Vermögensabschöpfung nichts geändert. [X.] werden kann im Wege der erweiterten Einziehung von [X.] nur dasjenige illegal Erlangte, das der Angeklagte zur Tatzeit der abgeurteilten Delikte in seiner Verfügungsgewalt hatte. Das zuvor Verbrauchte oder erst später Erworbene unterfällt den §§ 73a, 73c StGB nicht ([X.], Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 238/21, [X.] 2022, 404 Rn. 14 mwN).

Da die Dividenden insgesamt den Zeitraum von Mai 2016 bis April 2018 betrafen, sich der jeweilige Zahlungszeitpunkt nicht ergibt und die Taten frühestens im September 2017 begannen, ist hier nicht ersichtlich, dass der erforderliche zeitliche Zusammenhang vorliegt.

c) Schließlich bleibt nach den Urteilsgründen offen, ob auf die Straftaten, an welche die erweiterte Einziehung anknüpft, überhaupt [X.] Strafrecht anwendbar ist.

Wenngleich die Vermögensabschöpfung als Maßnahme eigener Art und nicht als Strafe zu qualifizieren ist, setzt die erweiterte Einziehung nach § 73a StGB die Anwendbarkeit [X.] Strafrechts voraus. Fehlt es an ihr, liegt insoweit ein Prozesshindernis vor. Für die erweiterte Einziehung hat dies zur Folge, dass ihre Anordnung nur möglich ist, wenn auch für die ihr zugrundeliegenden, von der Verurteilung nicht umfassten [X.] gemäß §§ 3 ff. StGB [X.] Strafrecht gilt (s. [X.], Urteil vom 22. März 2023 - 1 StR 335/22, NJW 2023, 2956 Rn. 16 mwN; zustimmend [X.], NJW 2023, 2959; [X.] StGB/[X.], [X.]., § 73 Rn. 9.7).

Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte sowie die weiteren Beteiligten im Ausland handelten und sich das Betrugsmodell ersichtlich nicht allein an Kunden in [X.] richtete, erschließt sich die Anwendbarkeit [X.] Strafrechts auf die „anderen“ Taten nicht, die für die erweiterte Einziehung maßgeblich sind.

2. Die erweiterte Einziehung des Wertes von [X.] bedarf neuer tatgerichtlicher Prüfung, da - entgegen dem [X.] - ihre Voraussetzungen und die Möglichkeit weiterer Feststellungen dazu nicht von vornherein ausgeschlossen sind.

Die erweiterte Einziehung von [X.] oder ihres Wertes kommt gemäß § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB bei Gegenständen in Betracht, die durch oder für andere rechtswidrige Taten erlangt worden sind. Die genaue Art und Weise der Dividendenzahlung ist im Urteil nicht festgestellt. Bereits deshalb erlauben die bisherigen Feststellungen keine abschließende rechtliche Bewertung.

Sollte, wie vom [X.] naheliegend angenommen, die Leistung durch Überweisung auf ein als Kontokorrent geführtes Girokonto erbracht worden sein, stünde dem [X.] eines Gegenstandes im Sinne des § 73a Abs. 1 StGB nicht grundsätzlich entgegen, dass nach [X.] Recht die vom Kontokorrent erfassten [X.] ihre rechtliche Selbständigkeit verlieren und bloße Rechnungsposten werden (s. dazu [X.], Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, [X.], 354 Rn. 113). Zwar fallen unter den Begriff des Gegenstandes nur individualisierte Sachen und Rechte (s. [X.], Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, [X.]St 66, 147 Rn. 155; Beschluss vom 4. Juli 2018 - 1 [X.], [X.]R StGB § 73 Abs. 1 Anwendungsbereich 1 Rn. 10 mwN; BT-Drucks. 18/9525 [X.]). Allerdings können dazu auch Überweisungseingänge auf Bankkonten zählen; denn zumindest bis zum - durchweg periodischen - Rechnungsabschluss stehen die aus Ein- und Ausgängen herrührenden einzelnen Posten einander im Kontokorrent gleichwertig gegenüber (s. [X.], Urteil vom 7. März 2002 - [X.], [X.]Z 150, 122, 128 f.; vgl. zudem [X.]/[X.], HGB, 4. Aufl., § 355 Rn. 27). Die bloße Verbuchung von Forderungen im Kontokorrent führt nicht zum Erlöschen der den beiderseitigen Posten zugrundeliegenden Ansprüche (vgl. [X.], Urteil vom 24. Januar 1985 - [X.], [X.]Z 93, 307, 311 mwN; Ellenberger/Bunte, [X.]/[X.], 6. Aufl., § 26 Rn. 64; zur etwaigen Pfändbarkeit eines der Kontokorrentbindung unterfallenden Anspruchs der Gutschrift gegen die Bank [X.], Urteil vom 24. September 2020 - [X.], [X.]Z 227, 123 Rn. 35, 37). Vor diesem Hintergrund ist eine Kontogutschrift damit nicht ausschließlich rechnerisch fassbar, sondern stellt ein - wenngleich durch das Kontokorrent gebundenes - Recht und mithin einen Gegenstand im Sinne des § 73a Abs. 1 StGB dar (vgl. zur Abschöpfbarkeit nach § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB von als Buchgeld in Kontokorrentabschlüssen identifizierbaren Erlösen auch [X.], Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 [X.], juris Rn. 12). Die Buchung im Kontokorrent hat indes zur Folge, dass nicht mehr die gegenständliche Einziehung, sondern lediglich die Einziehung des Wertes gemäß § 73c Satz 1 StGB zu erwägen ist (s. [X.], Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, [X.], 354 Rn. 113 mwN; [X.], [X.], 497, 501).

Hat der Angeklagte einen Gegenstand erlangt, ist zu prüfen, ob dies - etwa als Tatbeute - „durch“ oder - beispielsweise als Tatentgelt - „für“ andere rechtswidrige Taten geschah (vgl. zur Abgrenzung [X.], Beschluss vom 2. November 2022 - 3 [X.], NStZ-RR 2023, 46; s. auch MüKoStGB/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 73 Rn. 38). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die erweiterte Einziehung eines Surrogats oder seines Wertes nicht statthaft ist, jedoch der Wert des ursprünglich vom Täter [X.] unterliegt (s. [X.], Urteil vom 22. September 2022 - 3 StR 238/21, [X.], 121 Rn. 14 mwN). Insofern scheint nach den bisher getroffenen Feststellungen möglich, dass der Angeklagte die „Dividenden“ letztlich als Entgelt für seine betrügerischen Unternehmungen erhielt und daher - je nach den noch zu treffenden Feststellungen (s.o.) - eine erweiterte Einziehung des Wertes der gegenständlich nicht mehr vorhandenen [X.] anzuordnen sein könnte.

3. Die erweiterte Einziehung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auch zugunsten des Mitangeklagten aufzuheben, da sich das Urteil insoweit auf ihn erstreckt und er von denselben [X.] in gleicher Weise betroffen ist.

4. Die Sache ist - entsprechend dem Antrag des [X.] - an eine andere, als Wirtschaftsstrafkammer zuständige [X.] zurückzuverweisen, da eine Zuständigkeit der [X.] nicht mehr besteht und nach den gegebenen Umständen zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind (§ 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. [X.]).

Berg     

      

Hohoff     

      

Anstötz

      

Kreicker     

      

Voigt     

      

Meta

3 StR 354/23

24.01.2024

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 29. März 2023, Az: 1 KLs 5 Js 98/20 (3)

§ 73a Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2024, Az. 3 StR 354/23 (REWIS RS 2024, 614)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 614

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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