Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.10.2021, Az. 2 WDB 8/21, 2 WDB 8/21 (2 W-VR 1/21)

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2021, 9762

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Gegenstand

Vorläufige teilweise Einbehaltung von Dienstbezügen wegen des Vorwurfs einer zumindest grob fahrlässigen außerdienstlichen Straßenverkehrsgefährdung mit doppelter Todesfolge


Tenor

Auf die Beschwerde der [X.] wird der Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. August 2021 geändert.

Der Antrag des Soldaten, die vom Kommandeur der ... mit Verfügung vom 15. März 2021 angeordnete Einbehaltung von 30 % seiner Dienstbezüge aufzuheben, wird abgelehnt.

Tatbestand

1

Das Verfahren betrifft die vorläufige teilweise Einbehaltung von Dienstbezügen.

2

1. Der 1991 geborene Beschwerdeführer ist Zeitsoldat im Dienstgrad eines Oberstabsgefreiten. Der Kommandeur ... leitete gegen ihn mit Verfügung vom 15. März 2021 ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen folgenden Vorwurfs ein:

"Sie befuhren am 2. August 2020 gegen 02:04 Uhr mit dem PKW [X.], amtliches Kennzeichen ..., die [X.] ... in Fahrtrichtung ..., obwohl Sie infolge Alkoholeinwirkung absolut fahruntüchtig waren. Ihre Fahruntüchtigkeit hätten Sie bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen. [X.] fuhren Sie bei Kilometer ... mit einer Geschwindigkeit von 248 km/h auf den vor Ihnen fahrenden PKW [X.] auf, welcher hierdurch von der Fahrbahn abkam. Aufgrund dieses Unfalls verstarb der Fahrer des Fahrzeugs sowie eine weitere Insassin des PKW an der Unfallstelle, ein weiterer Insasse erlitt einen Oberschenkel- sowie einen Schlüsselbeinbruch, Prellungen und Schnittwunden."

3

Zugleich ordnete er die vorläufige Dienstenthebung des Soldaten, ein Uniformtrageverbot und die Einbehaltung von 30 % seiner Dienstbezüge an. Mit Bescheid vom 20. Mai 2021 lehnte er den Antrag des Soldaten auf Aufhebung der Einbehaltensanordnung, hilfsweise auf deren Abmilderung, ab.

4

2. [X.] hat auf Antrag des Soldaten mit Beschluss vom 2. August 2021 die Einbehaltensanordnung rückwirkend zum 30. März 2021 aufgehoben und angeordnet, dass ihm die einbehaltenen Dienstbezüge nachzuzahlen sind. Eine Einbehaltungsanordnung setze voraus, dass im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt werde. Dies sei, selbst wenn der Soldat eine Tat der vorgeworfenen Art begangen haben, nicht überwiegend wahrscheinlich. Ausgangspunkt der [X.] sei in Fällen einer grob fahrlässigen außerdienstlichen Straßenverkehrsgefährdung mit Todesfolge eine Dienstgradherabsetzung. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und dessen Auswirkungen eine Abweichung von der [X.] "nach oben" notwendig sei. Denkbar und damit ebenso wahrscheinlich sei jedoch, dass es bei der [X.] verbleibe.

5

3. Die [X.] hat gegen den Beschluss Beschwerde erhoben und beantragt, die Vollziehung des Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Sie hält die Verhängung der [X.] für überwiegend wahrscheinlich. Nach dem Sachverständigengutachten sei der Soldat, bei dem eine Blutalkoholkonzentration ([X.]) von 2,11 ‰ zum Tatzeitpunkt festgestellt worden sei, mit der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit seines PKWs von etwa 248 km/h ungebremst auf den anderen PKW aufgefahren, der mit etwa 98 bis 116 km/h unterwegs gewesen sei. Kurz vor dem Unfall sei ihm seine unsichere Fahrweise bei einer Polizeikontrolle vor Augen geführt worden. Seine Behauptung, der andere Fahrer habe den Unfall durch einen unvermittelten Spurwechsel verursacht, finde in der Ermittlungsakte keine Stütze. Ein Soldat, der sich derart rücksichtlos verhalte und dadurch für den Tod zweier Menschen und eine schwere Verletzung einer weiteren Person verantwortlich sei, offenbare einen solchen Mangel an charakterlicher Zuverlässigkeit und moralischer Integrität, dass er für den Dienstherrn nicht mehr tragbar sei.

6

4. [X.] tritt der Beschwerde und dem Aussetzungsantrag unter Verweis auf den angefochtenen Beschluss entgegen und macht ergänzend geltend: Er habe zum Unfallzeitpunkt keine [X.] von 2,11 ‰ gehabt. Vielmehr habe ein Nachtrunk stattgefunden. Daher habe er auch keine Fahruntüchtigkeit erkennen können oder müssen. Bei der Polizeikontrolle vor dem Unfall seien weder Beeinträchtigungen seiner Fahreignung noch Anzeichen einer Alkoholisierung festgestellt worden. Es stehe nicht fest, wie es zum Unfall gekommen sei. Es liege nahe, dass der andere Fahrer eingeschlafen und dadurch in seine Spur geraten sei. Ebenso ungeklärt sei der rückwärtige Beleuchtungszustand des anderen Fahrzeugs. Mangels Geschwindigkeitsbegrenzung sei sein Tempo auch nicht Ausdruck einer gravierenden Sorg- oder Rücksichtslosigkeit gewesen.

7

5. [X.] hat mit Beschluss vom 10. September 2021 der Beschwerde nicht abgeholfen und den Aussetzungsantrag abgelehnt. Es hat die Sache dem [X.] zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidungsgründe

8

Die Beschwerde hat Erfolg.

9

1. Sie ist nach § 114 [X.] zulässig, insbesondere statthaft. Sie konnte von der [X.] als Vertreterin der Einleitungsbehörde (§ 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] analog) eingelegt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Juli 2020 - 2 [X.] 5.20 - [X.] 450.2 § 126 [X.] 2002 Nr. 12 Rn. 17 m.w.[X.]).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Truppendienstgericht hat die Einbehaltensanordnung zu Unrecht aufgehoben. Die Einbehaltensanordnung ist im maßgeblichen [X.]punkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 [X.] 9.20 - juris Rn. 11) bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 114 Abs. 3 Satz 2 [X.] nur summarisch möglichen Prüfung der Sachlage rechtmäßig.

a) Dies gilt zunächst in formeller Hinsicht. Die Einbehaltensanordnung beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 126 Abs. 2 Satz 1 [X.] und ist in der Einleitungsverfügung unter Berücksichtigung der ergänzenden Erwägungen der Einleitungsbehörde im Bescheid vom 20. Mai 2021 und der sie gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] analog im Beschwerdeverfahren vertretenden [X.] in der Beschwerdebegründung ausreichend begründet worden (vgl. §§ 39, 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG).

b) In materieller Hinsicht setzt eine Einbehaltensanordnung nach § 126 Abs. 2 Satz 1 [X.] neben einer rechtswirksamen Einleitungsverfügung voraus, dass im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die [X.] erkannt werden wird. Zudem muss das behördliche Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 [X.] 9.20 - juris Rn. 17). Auch diesen Anforderungen wird die Einbehaltensanordnung bei summarischer Prüfung gerecht:

aa) An der Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung bestehen keine Zweifel.

bb) Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wird der Soldat voraussichtlich aus dem Dienstverhältnis entfernt werden.

(1) In tatsächlicher Hinsicht ist er hinreichend verdächtig, die ihm in der Einleitungsverfügung zur Last gelegte Tat begangen zu haben:

(a) Nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten vom 13. Oktober 2020 ereignete sich der Unfall zu der in der Einleitungsverfügung genannten [X.] am angegeben Ort zwischen den beiden bezeichneten Fahrzeugen.

(b) Die in der Einleitungsverfügung beschriebenen Folgen des Unfalls, dass der Fahrer und eine Insassin des anderen Fahrzeugs an der Unfallstelle verstarben und ein weiterer Insasse einen Oberschenkel- sowie einen Schlüsselbeinbruch, Prellungen und Schnittwunden erlitt, werden durch zahlreiche Unterlagen in den Akten belegt und sind unstreitig.

(c) Entsprechend der Einleitungsverfügung betrug die Kollisionsgeschwindigkeit des Autos des Soldaten laut Sachverständigengutachten "eindeutig etwa 248 km/h", während der andere PKW laut Sachverständigengutachten etwa 98 bis 116 km/h fuhr.

(d) Es spricht auch [X.] dafür, dass der Soldat - wie ihm vorgeworfen wird - auf den vor ihm fahrenden anderen PKW auffuhr. Seine gegenteilige Behauptung, er habe sich auf der Überholspur befunden und der andere Fahrer habe - möglicherweise infolge Einschlafens - durch einen unvermittelten Wechsel von der Haupt- auf die Überholspur den Unfall verursacht, ist wohl unzutreffend. Denn nach dem Sachverständigengutachten konnte unter Berücksichtigung der festgestellten Spuren an der Unfallstelle "eindeutig festgestellt werden, dass die Kollision des PKW 1 mit dem PKW 2 auf dem in Fahrtrichtung rechten Hauptfahrstreifen erfolgt ist" und "dass sich der PKW 2 zum Unfallzeitpunkt entgegen den Angaben des Beteiligten [X.] gegenüber den aufnehmenden Beamten auf dem rechten Hauptfahrstreifen befunden hat".

(e) Es ist es auch hinreichend wahrscheinlich, dass das andere Fahrzeug - was der Soldat in Frage stellt - zum Unfallzeitpunkt rückwärtig beleuchtet war.

Nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten waren die Schlussleuchten am anderen Fahrzeug pro Schlussleuchte mit jeweils zwei Leuchtmitteln für das Schlusslicht ausgerüstet.

Die Leuchten dürften zum Unfallzeitpunkt auch eingeschaltet gewesen sein. Zwar waren die hinteren lichttechnischen Einrichtungen infolge des Unfalls vollständig zerstört, so dass aus ihnen laut Sachverständigengutachten kein entsprechender Rückschluss möglich ist. Der Ersthelfer [X.] hat aber in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung am 10. August 2020 ausgesagt, an dem Fahrzeug habe noch das rechte Licht vorne funktioniert und sämtliche [X.] hätten noch geleuchtet. Laut Sachverständigengutachten wurde zudem bei den Resten des Leuchtmittels des vorderen linken Hauptscheinwerfers eine Warmverformung der Glühwendel des [X.] festgestellt, was darauf hindeutet, dass die lichttechnischen Einrichtungen zum Unfallzeitpunkt in Betrieb waren.

Anhaltspunkte dafür, dass die rückwärtigen lichttechnischen Einrichtungen funktionsunfähig gewesen sein könnten, ergeben sich aus den Akten nicht. Dagegen spricht, dass der Soldat gegenüber den Polizisten am Unfallort nur Angaben zu einem angeblichen Ausscheren des anderen Fahrzeugs gemacht hat, nicht aber zu einer fehlenden rückwärtigen Beleuchtung. Letzteres wäre indes ein so wesentlicher und atypischer Umstand gewesen, das zu erwarten gewesen wäre, es sofort anzusprechen, wenn es so gewesen wäre.

(f) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist es auch hinreichend wahrscheinlich, dass der Soldat zum Unfallzeitpunkt infolge Alkoholeinwirkung nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen.

(aa) Es spricht [X.] dafür, dass er zum Unfallzeitpunkt mindestens den für alkoholisierte Führer von Kraftfahrzeugen als unwiderleglichen Indizwert für die Annahme absoluter Fahrtüchtigkeit entwickelten Grenzwert der [X.] von 1,1 ‰ (vgl. [X.], Beschluss vom 2. März 2021 - 4 StR 366/20 - juris Rn. 9) aufwies.

Der Unfall geschah gegen 2:04 Uhr. Den Berichten der [X.] zufolge wies eine um 4:10 Uhr entnommene Blutprobe im [X.]punkt der Blutentnahme eine [X.] von 2,05 ‰ auf. Hätte keine Nachtruhe stattgefunden, müsste bei einer Rückrechnung zugunsten des Soldaten davon ausgegangen werden, dass die [X.] gegen 2:04 Uhr ebenfalls 2,05 ‰ betrug. Denn zur Ermittlung der Fahrtüchtigkeit im Wege der Rückrechnung sind, um bei längerer Resorptionsdauer jede Benachteiligung des [X.] auszuschließen, die ersten beiden Stunden nach [X.] grundsätzlich von der Rückrechnung auszunehmen (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 316 Rn. 19 m.w.[X.]).

Allerdings liegen Anhaltspunkte für einen Nachtrunk zwischen dem Unfall und der ersten Blutentnahme vor. So gab der Soldat dem Tätigkeitsbericht der Polizeiinspektion ... vom 2. August 2020 zufolge an, er habe unmittelbar nach dem Unfall noch "eine größere Menge Alkohol" nachgetrunken. Der Ersthelfer B. bestätigte in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung, dass der Soldat nach dem Unfall mit einer Flasche Bier in der Hand auf seiner Kofferraumkante gesessen habe; als die Einsatzkräfte da gewesen seien, habe er definitiv getrunken; es sei so etwas wie "[X.]" gewesen. Der zeitgleich am Unfallort zugegen gewesene Ersthelfer [X.] gab in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung an, er habe beim Vorbeigehen am Fahrzeug des Soldaten ein "Plopp" vom Öffnen einer Flasche gehört und ebenfalls gesehen, wie der Soldat eine Flasche in der Hand gehabt habe. Nach einem Vermerk von [X.] vom 21. September 2020 wurden bei einer späteren Durchsicht des PKWs des Soldaten am 4. August 2020 im Fußraum auf der Fahrerseite und im Kofferraum je eine geleerte Flasche Bier der Marke "[X.]" gefunden.

Aus den Akten ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte für einen derart umfangreichen Nachtrunk in dem nur etwa zweistündigen [X.]raum zwischen dem Unfall und der ersten Blutentnahme, dass eine [X.] von weniger als 1,1 ‰ zum Unfallzeitpunkt hinreichend wahrscheinlich ist. Der Soldat selbst hat keine konkreten Angaben zu Art und Menge der nach dem Unfall konsumierten alkoholischen Getränke gemacht. Aus den Akten ergeben sich nur Hinweise auf einen Nachtrunk von zwei Flaschen Bier, nicht von hochprozentigen alkoholischen Getränken. Der Soldat war - soweit ersichtlich - in der [X.] zwischen dem Unfall und der ersten Blutentnahme im Krankenhaus, zu der er von der Polizei verbracht wurde, durchweg von Ersthelfern, ermittelnden Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Ärzten umgeben. Soweit diese vernommen worden sind, hat keiner von ihnen ausgesagt, den Soldaten in der [X.] zwischen dem Unfall und der ersten Blutentnahme in einem erheblichen Umfang Alkohol konsumieren gesehen zu haben.

Die Akten enthalten auch keine Hinweise darauf, dass der Soldat in seinem PKW größere Mengen an Alkohol mit sich führte, die er nach dem Unfall hätte zu sich nehmen können. Nach einem Bericht der Polizei-Autobahn- und Bezirksrevier ... vom 4. August 2020 über eine kurz vor dem Unfall von 1:00 bis 1:30 Uhr durchgeführte Kontrolle des Soldaten auf einem Parkplatz wurden im Fahrzeuginnenraum bis auf eine Dose eines Energy-Drinks keine Getränke bzw. Flaschen/Dosen festgestellt; bei einem Blick in den Kofferraum habe nur eine Vielzahl ungeöffneter "[X.]" erkannt werden können. Dem Aktenvermerk von [X.] vom 24. August 2020 zufolge begab sich der Soldat nach dem Unfall in ihrem Beisein zum Kofferraum seines Fahrzeugs, in dem Dosen "Energie" zu sehen gewesen seien, packte dort seinen [X.]rucksack und steckte dabei ein, zwei Dosen in den Rucksack. Nach dem Bildbericht von [X.] vom 21. September 2020 befand sich bei der Durchsicht des PKWs des Soldaten am 4. August 2020 - neben den beiden im [X.] und im Kofferraum aufgefundenen leeren Flaschen "[X.]" - in einer Kühlbox im Kofferraum neben nicht alkoholischen Getränken nur eine weitere ungeöffnete Flasche Bier der Marke "[X.]".

Auch das Amtsgericht ... ist in seinem Beschluss vom 15. September 2020, mit dem es dem Soldaten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen hat, davon ausgegangen, dass der Soldat zum Unfallzeitpunkt eine [X.] von mindestens 1,1 ‰ hatte und damit unwiderlegbar absolut fahruntüchtig war.

(bb) Selbst wenn der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit erst durch einen Nachtrunk nach dem Unfall erreicht worden sein sollte, ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Soldat zum Unfallzeitpunkt infolge [X.] jedenfalls bei Dunkelheit, aktenkundig nasser Fahrbahn und der vom Sachverständigen festgestellten Geschwindigkeit von etwa 248 km/h nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen.

Denn nach dem Bericht des [X.] ... vom 4. August 2020 benachrichtigte ein auf der [X.] ... hinter dem Soldaten fahrender weiterer Verkehrsteilnehmer etwa eine Stunde vor dem Unfall wegen des Verdachts der Trunkenheit im Straßenverkehr die Polizei, weil der Soldat in einem Baustellenbereich zweimal auf dem rechten Fahrstreifen ziemlich weit nach rechts gekommen und dabei jeweils fast gegen die rechte Schutzplanke gestoßen sei.

Zwar gab der Soldat dem Vermerk von [X.] vom 4. August 2020 zufolge bei der daraufhin von etwa 1:00 bis 1:30 Uhr auf einem Parkplatz durchgeführten Kontrolle auf wiederholte Nachfrage mehrfach an, keinen Alkohol getrunken zu haben, sondern nur müde zu sein, weil er direkt aus einem Einsatz komme. Jedoch spricht [X.] dafür, dass dies eine Schutzbehauptung war. Denn der Soldat trat die Fahrt nach eigenen Angaben unter Alkoholeinfluss an und kam den Akten zufolge nicht direkt aus einem Einsatz. Zudem informierte er unmittelbar nach der Kontrolle den Oberstabsgefreiten [X.] dessen Zeugenaussage zufolge um 1:26 Uhr telefonisch darüber, dass er gerade von der Polizei "rausgezogen" worden sei. Er habe es abgelehnt zu "pusten" und den Polizisten erzählt, er sei "Schlangenlinien" gefahren, weil er gerade aus einem Einsatz gekommen sei; zum Glück hätten diese das Bier nicht gesehen.

Zwar ergaben nach dem Vermerk drei Prüfungen der Umgebungsluft im PKW des Soldaten bei der Kontrolle jeweils das Ergebnis "kein Alkohol". Dass dieses Ergebnis nicht die Realität abbildete, folgt aber schon aus den vorstehenden Erwägungen. Zudem wurden die Prüfungen der Umgebungsluft dem Vermerk zufolge unter nicht aussagekräftigen Bedingungen durchgeführt. Denn danach stand der PKW des Soldaten bereits einige [X.] auf dem Parkplatz, bevor die Polizei dort eintraf, und der Soldat hielt sich dort außerhalb seines Fahrzeugs auf. Er wurde erst kurz vor den Tests aufgefordert, sich in den PKW zu setzen, wobei die ersten beiden Tests mit geöffneter Fahrzeugtür durchgeführt wurden und diese erst vor dem dritten Test - laut Vermerk nur "kurz" - geschlossen wurde.

Auch der Umstand, dass die Polizisten bei der Kontrolle keine Auffälligkeiten im Gang und eine deutliche Aussprache des Soldaten feststellten, lässt keine Rückschlüsse auf seine Fahrtauglichkeit zum Unfallzeitpunkt zu. Gerade erfahrene und alkoholgewöhnte Trinker können sich häufig im Rausch noch motorisch kontrollieren und sich äußerlich geordnet verhalten, obwohl ihr Hemmungsvermögen möglicherweise schon erheblich beeinträchtigt ist (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Januar 2012 - 5 [X.] - juris Rn. 6 m.w.[X.]).

(g) Es ist auch hinreichend wahrscheinlich, dass der Soldat zumindest seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bei kritischer Selbstprüfung hätte erkennen können und müssen. Denn sie ist ihm durch die Polizeikontrolle kurz vor dem Unfall, bei der seine "Schlangenlinien" thematisiert wurden, unmittelbar vor Augen geführt worden. Indem er seine Fahrt dennoch fortgesetzt hat, hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und sich damit zumindest grob fahrlässig verhalten (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 C 22.16 - [X.] 232.01 § 48 BeamtStG Nr. 1).

(2) Das dem Soldaten zur Last gelegte Verhalten begründet im Fall der Erweislichkeit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG. Darin läge eine vorsätzliche Verletzung seiner außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 SG. Denn ein solches Verhalten ist geeignet, die Achtung und das Vertrauen, welche seine dienstliche Stellung erforderte, ernsthaft zu beeinträchtigen. Der Soldat hätte sich damit nach § 222 und § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 2 StGB strafbar gemacht. Bei außerdienstlichen Straftaten sind die aus dem Verstoß gegen die [X.] resultierenden Zweifel an der Rechtstreue eines Soldaten und damit an seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit umso größer, je höher die Sanktionsdrohung der betreffenden Strafnorm ist ([X.], Urteil vom 16. Januar 2020 - 2 WD 2.19 - [X.] 450.2 § 18 [X.] 2002 Nr. 1 Rn. 21). Ermöglicht der Strafrahmen eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, kann hieraus bereits die [X.] des außerdienstlichen Fehlverhaltens folgen ([X.], Urteil vom 24. August 2018 - 2 WD 3.18 - [X.]E 163, 16 Rn. 53). Dies ist bei Straftaten nach § 222 und § 315c Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 2 StGB der Fall.

(3) Für das Dienstvergehen würde voraussichtlich die [X.] verhängt werden.

(a) Verursacht ein Soldat durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung den Tod eines Menschen, ist die Dienstgradherabsetzung auch bei außerdienstlichem Verhalten Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. [X.], Urteile vom 25. August 2017 - 2 WD 2.17 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 54 Rn. 52 ff., vom 11. Dezember 2018 - 2 WD 12.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 61 Rn. 33 ff., vom 23. Januar 2020 - 2 WD 1.19 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 71 Rn. 20 und vom 17. Juni 2021 - 2 WD 21.20 - juris Rn. 22).

(b) Auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen wären nach bisheriger Aktenlage erhebliche Erschwernisgründe zu berücksichtigen, die einen Übergang zur [X.] überwiegend wahrscheinlich machen.

Zum einen wiegt das Dienstvergehen nach Eigenart und Schwere vergleichsweise ausgesprochen schwer. Denn der Soldat hat dadurch den Tod von gleich zwei Menschen herbeigeführt und zudem einen dritten Menschen schwer verletzt sowie einen sehr hohen Sachschaden verursacht.

Zudem hatte die Tat nachteilige Folgen auch für den Dienstherrn. Denn darüber wurde überregional in der [X.]ung unter Verweis auf die Soldateneigenschaft des [X.] und unter Abdruck eines Fotos des Soldaten in Uniform berichtet, was ein schlechtes Licht auf die [X.] geworfen hat. Darüber hinaus konnte der Soldat während seines unfallbedingten Krankenhausaufenthalts seinen Dienst nicht verrichten.

Ferner ist der Soldat disziplinarisch vorbelastet. Ausweislich des [X.] vom 13. April 2021 wurde gegen ihn am 20. November 2017 wegen Beleidigung und unwürdigem Verhalten eine [X.] sowie am 19. November 2019 wegen Beleidigung im alkoholisierten Zustand ein strenger Verweis verhängt. Dies zeigt, dass er selbst unter dem Eindruck von zwei Disziplinarmaßnahmen nicht gewillt war, sich [X.] zu verhalten.

Dem stehen nach Aktenlage keine Milderungsgründe erheblichen Gewichts gegenüber. Zwar dürfte eine alkoholbedingte Enthemmung für die Tat mitursächlich gewesen sein. Allein der Umstand, dass der Soldat vor der Tat in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert hat, führt aber nicht zu einer Maßnahmemilderung. Denn ein Soldat ist grundsätzlich für Art und Umfang seines Alkoholkonsums selbst verantwortlich und hat ihn einzustellen, bevor es zu einer alkoholbedingten Enthemmung kommt (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Juli 2020 - 2 [X.] 5.20 - [X.] 450.2 § 126 [X.] 2002 Nr. 12 Rn. 42 m.w.[X.]). Bei einer alkoholbedingten Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit "kann" zwar das Wehrdienstgericht entsprechend § 21 StGB eine mildere Maßnahme verhängen. Dies kommt regelmäßig in Betracht, wenn ein Soldat aufgrund einer Alkoholabhängigkeit seinen Alkoholkonsum nur eingeschränkt steuern kann und daher für eine dadurch verursachte Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht voll verantwortlich ist (vgl. [X.], Urteil vom 19. Juni 2019 - 2 WD 21.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 65 Rn. 35 m.w.[X.]). Dafür sind jedoch bislang keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Freilich wird die [X.] noch näher der - vom Soldaten getätigten - Aussage nachzugehen haben, er habe in der Vergangenheit wegen seines Alkoholkonsums eine Therapie erfolgreich abgeschlossen.

Bei einer Gesamtwürdigung wäre angesichts der damit deutlich überwiegenden erschwerenden Gesichtspunkte wohl von der Regelmaßnahme zur [X.] überzugehen. Da die persönliche Integrität eines Soldaten gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation steht, können die in der Tat und den erschwerenden Umständen zum Ausdruck kommenden gravierenden Defizite der persönlichen Integrität des Soldaten, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn führen, auch nicht durch fachliche Kompetenz ausgeglichen werden (vgl. [X.], Urteil vom 1. Oktober 2020 - 2 WD 20.19 - juris Rn. 44 m.w.[X.]). Ist danach die [X.] angezeigt, kann eine etwaige verfassungs- und konventionswidrige Überlänge des Disziplinarverfahrens ebenfalls nicht maßnahmemildernd wirken (vgl. [X.], Urteil vom 3. Dezember 2020 - 2 WD 4.20 - juris Rn. 58 m.w.[X.]).

cc) Die Einbehaltensanordnung weist schließlich auch keine Ermessensfehler auf. Die Entscheidung hält sich in den gesetzlichen Grenzen und ist erkennbar am Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgerichtet. Sie genügt dem [X.], da sie mit einem Einbehaltenssatz von 30 % für den Soldaten wirtschaftlich tragbar erscheint und nicht außer Verhältnis zu dem ihm vorgeworfenen Fehlverhalten steht.

c) Sollte sich die Prognose bezüglich eines zur Entfernung aus dem Dienst führenden Dienstvergehens nicht bestätigen, würden die mit der vorliegenden Entscheidung verbundenen Folgen besoldungsrechtlicher Art kompensiert werden (§ 127 Abs. 2 Satz 1 [X.], § 27 Abs. 9 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 [X.]). Sollten weitere Ermittlungen oder bindende Feststellungen in einem Strafurteil die Prognose zu Gunsten des Soldaten verändern oder sollte das Verfahren überlang dauern, ist die Einleitungsbehörde gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 [X.] bereits von Amts wegen gehalten, die Einbehaltensanordnung auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Februar 2021 - 2 [X.] 10.20 - juris Rn. 20 ff.).

3. Mit der Entscheidung über die Beschwerde wird der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit des truppendienstgerichtlichen Beschlusses jedenfalls gegenstandslos.

4. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit erfasst (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 [X.] 9.20 - juris Rn. 52 m.w.[X.]).

Meta

2 WDB 8/21, 2 WDB 8/21 (2 W-VR 1/21)

26.10.2021

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WDB

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 2. August 2021, Az: N 1 GL 01/21, Beschluss

§ 27 Abs 3 BBesG, § 27 Abs 9 S 2 BBesG, § 17 Abs 2 S 3 SG, § 21 StGB, § 222 StGB, § 315c Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 315c Abs 3 Nr 2 StGB, § 39 VwVfG, § 45 Abs 1 Nr 2 VwVfG, § 45 Abs 2 VwVfG, § 81 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 126 Abs 2 S 1 WDO 2002, § 126 Abs 5 S 1 WDO 2002, § 126 Abs 5 S 3 WDO 2002, § 127 Abs 2 S 1 WDO 2002

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.10.2021, Az. 2 WDB 8/21, 2 WDB 8/21 (2 W-VR 1/21) (REWIS RS 2021, 9762)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9762

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 517/11

4 StR 366/20

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