Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.05.2011, Az. V ZB 296/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6786

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB
296/10

vom

12. Mai 2011

in der Abschiebungshaftsache

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 12. Mai 2011
durch den [X.] [X.] Dr. Krüger, die Richter
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.] und die Richterinnen Dr. Brückner
und Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 25 des [X.] vom 3.
November 2010 und die Beschlüsse des [X.] vom 14. und 16. September 2010 den Betroffenen in sei-nen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der [X.] [X.]werden die notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen aufer-legt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein kosovarischer Staatsangehöriger, reiste im August 2006 mit seiner Familie in die [X.] ein und beantragte Asyl. Mit zwischenzeitlich bestandskräftigem Bescheid vom 28. September 2006 lehnte das [X.] den Asylantrag ab. Die Abschiebung
des Betroffenen in den [X.] scheiterte, weil der Betroffene 1
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sich weigerte, die für die Erteilung der [X.] erforderlichen [X.] auszufüllen. Im Juni
2010 reiste der Betroffene nach [X.] aus, wurde aber am 15. September 2010 nach [X.] rücküberstellt.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 14. September 2010 "gemäß §§ 415, 427 FamFG, § 62 Abs. 2 [X.]"
die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 14. Dezember 2010 an. Am 16. September 2010 wurde der Betroffene durch das Amtsgericht angehört. Anschließend ordnete das Amtsgericht die Vollstreckung des Beschlusses vom 14.
September 2010 an.
Die gegen die amtsgerichtlichen Beschlüsse gerichtete
Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er nach der am 18. November 2010 erfolg-ten Abschiebung die Feststellung erreichen möchte, dass
die vorinstanzlichen Beschlüsse ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.
Das Beschwerdegericht meint, die Haft sei zu jedem Zeitpunkt durch ei-nen richterlichen Beschluss gedeckt gewesen; die erforderliche
richterliche [X.] sei vom Amtsgericht unverzüglich nachgeholt worden.
Infolge der uner-laubten Einreise des Betroffenen und der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags liege der Haftgrund nach §
62 Abs.
2 Satz
1 [X.] vor. Ferner seien die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
[X.] erfüllt, da sich
der Betroffene unerlaubt nach [X.] abgesetzt
habe. Aufgrund [X.] und weil der Betroffene versucht habe, seine wahre Identität zu [X.], liege schließlich auch der Haftgrund nach §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
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[X.] vor.
Einer persönlichen Anhörung durch das Beschwerdegericht habe es nicht bedurft, da der Betroffene zeitnah erstinstanzlich angehört worden sei.

III.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die nach der Erledigung der Hauptsache auf Feststellung nach §
62 Abs.
1 FamFG gerichtete Rechtsbeschwerde ist nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 [X.]
statthaft
und auch im Übrigen zulässig (§
71 Abs.
1 und 2 FamFG).
Der Statthaftigkeit der
Rechtsbeschwerde steht die Bestimmung des §
70 Abs. 4 FamFG
nicht entgegen. Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen eine im Verfahren über die Anordnung einer einstweiligen Anordnung [X.] Beschwerdeentscheidung ausgeschlossen.
So liegt es hier jedoch nicht, weil Gegenstand der Rechtsbeschwerde eine Entscheidung ist, die außerhalb des einstweiligen [X.] ergangen ist.
a) Zwar erwähnt das Amtsgericht in seinem Beschluss vom [X.] 2010 die Vorschrift des §
427 FamFG, die die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung einer vorläufigen Freiheitsentziehung vorsieht. Daraus lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres der Schluss ziehen, dass das Amtsgericht tatsäch-lich eine vorläufige Anordnung getroffen hat. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Beschluss weder Feststellungen zur Frage der Notwendigkeit einer [X.] vorläufigen Regelung enthält noch die [X.] auf sechs Wo-chen (vgl. §
427 Abs.
1 Satz
2 FamFG) begrenzt
ist. Zudem werden in den [X.] abschließend festgestellt. Schließlich weist die erteilte Rechtsmittelbelehrung
auf
die Monats-5
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frist nach §
63 Abs. 1 FamFG hin und
nicht auf die -
im Falle der einstweiligen Anordnung maßgebliche
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Zwei-Wochen-Frist nach §
63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
b) Das Vorliegen einer vorläufigen Anordnung kann auch nicht deswe-gen angenommen werden, weil das Amtsgericht nach Anhörung des [X.] mit Beschluss vom 16.
September 2010 die Vollstreckung
der Haftanord-nung angeordnet hat. Hierbei handelt es sich nicht um die Hauptsacheent-scheidung im [X.] an eine nur vorläufige Regelung.
Dagegen spricht, dass der Beschluss vom 16.
September 2010 nicht für sofort vollziehbar erklärt worden ist; das hätte im Falle einer Hauptsacheentscheidung im [X.] an eine nur vorläufige Anordnung ebenso nahe
gelegen wie die Darlegung der einzelnen Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft, an der es in dem
Beschluss vom 16.
September 2010 jedoch fehlt. Zudem enthält die Entscheidung weder Ausführungen zur Haftdauer
noch -
anders als die Anord-nung
vom 14. September 2010
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eine
Rechtsmittelbelehrung.
Schließlich spricht
auch die Tenorierung der Entscheidung gegen die Annahme einer Hauptsacheentscheidung.
Letztlich enthält die Entscheidung vom [X.] 2010 gegenüber dem Beschluss vom 14.
September 2010 keinen eigen-ständigen Regelungsgehalt. Er beschränkt sich allein auf die Anordnung der Vollstreckung des Beschlusses vom 14. September 2010. Diese Anordnung
lief jedoch ins Leere, da der Beschluss vom 14.
September 2010 bereits aufgrund der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit (§ 422 Abs. 2 Satz 1 FamFG) sofort vollstreckbar war.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sowohl die Entscheidungen
des Amtsgerichts, die ebenfalls Gegenstand rechtlicher Nachprüfung sind (vgl. [X.], Beschluss vom 4. März 2010 -
V
ZB 184/09, [X.] 2010, 152, 154), als auch die Entscheidung des [X.] haben den Betroffenen in sei-nem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (§
62 Abs.
1 FamFG).
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a) Das Amtsgericht hat den Betroffenen
entgegen §
420 Abs.
1 Satz
1 FamFG nicht vor der Haftanordnung vom 14. September 2010 angehört.
aa) Die Anhörung des Betroffenen vor der Anordnung der [X.] ist in §
420 Abs.
1 Satz
1 FamFG zwingend vorgeschrieben. Sie kann nicht, wie im vorliegenden Fall,
danach erfolgen. Die vorherige Anhörung des Betroffenen ist eine Verfahrensgarantie, die Art.
104 Abs.
1 Satz
1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht
(Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 384, 385).
Ein Fall des § 427 Abs. 2 Satz 1 FamFG
liegt, ungeachtet der Frage, ob die Anhörung unverzüglich nachgeholt wurde, gerade nicht vor.
bb) Durch die am 16. September 2010 nachgeholte Anhörung konnte dieser [X.] nicht geheilt werden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur vorherigen Anhörung drückt der gleichwohl angeordneten [X.] den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senat, Beschluss vom 4.
März 2010
-
V
ZB 184/09, [X.] 2010, 152, 154). Deshalb kommt es bei der späteren Überprüfung der Haftanordnung im Rahmen von §
62 FamFG weder auf eine Nachholung der Anhörung noch darauf an, ob die Freiheitsent-ziehung in der Sache zu Recht angeordnet worden war
(Senat, Beschluss
vom 17. Juni 2010 -
V [X.],
[X.] 2010, 384, 385).
cc) Da der Beschluss vom 16. September 2010 auf der verfahrenswidrig erlassenen Haftanordnung beruht, indem er deren Vollstreckung anordnet, ver-letzt auch er den Betroffenen in seinem Freiheitsrecht.
Der Beschluss kann nicht im Sinne einer die ursprüngliche Haftanordnung ersetzenden neuen An-ordnung der [X.] ausgelegt werden. Dagegen sprechen bereits die 11
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Tenorierung der Entscheidung, das Fehlen von Ausführungen zur Haftdauer und das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung.
b) Auch die Beschwerdeentscheidung hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil das Beschwerdegericht den Betroffenen nicht nach §
420 Abs. 1 Satz 1, § 68 Abs. 2 Satz 1 FamFG persönlich angehört hat.
Von einer erneuten Anhörung durch das Beschwerdegericht kann zwar nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG abgesehen werden, wenn eine persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz erfolgt und zusätzliche Erkenntnis-se durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 -
V [X.], [X.], 323, 329). Das [X.] darf jedoch von der Ermächtigung in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG keinen Gebrauch machen, wenn die Anhörung in erster Instanz bereits auf einem Ver-fahrensfehler beruht. Beruht die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Verlet-zung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör, sind die Ermittlungen des Gerichts erster Instanz keine geeignete Grundlage für das weitere Verfah-ren
(Senat, Beschluss vom 16. September 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 290, 291). So verhält es sich hier. Der Betroffene ist in erster Instanz erst nach der Haftanordnung und damit nicht ordnungsgemäß persönlich angehört [X.]. Er hatte überdies keine Gelegenheit, persönlich zu dem Haftantrag
der Beteiligten zu 2 Stellung zu nehmen. Aus dem
Protokoll der Anhörung vom 16.
September 2010 ergibt sich nicht, dass ihm der Haftantrag übersetzt [X.] wäre.

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IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
81 Abs.
1 Sätze 1 und 2, §
83 Abs.
2 FamFG, §
128c
Abs.
3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, die [X.], der die [X.] angehört (vgl. §
430 FamFG), zur Erstattung der zur [X.] Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des
Betroffenen zu verpflich-ten. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach §
128c Abs.
2, §
30 Abs.
2 Kos-tO.
Krüger
Schmidt-Räntsch
Roth

Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 14.
und 16.09.2010 -
16 XIV 31/10 B -

LG Düsseldorf, Entscheidung vom 03.11.2010 -
25 T 579/10 -

17

Meta

V ZB 296/10

12.05.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.05.2011, Az. V ZB 296/10 (REWIS RS 2011, 6786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6786

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